Von Alexander Völkel
Nach 3,5 Jahren klappen Polizei und Justiz nach dem Kapitel „Rathaussturm“ am heutigen Freitag (24.11.2017) nun auch das Kapitel „Rathaus-Blockade“ zu. Das letzte Verfahren gegen einen Demokraten, der am Wahlabend im Mai 2014 den Neonazis vor der Rathaustür gegenüberstand, ist beendet.
Ursprünglich ermittelten Polizei und Staatsanwaltschaft gegen 65 „Rathausblockierer“
Insgesamt gegen 65 Menschen aus dem bürgerlichen oder linken Lager und gegen 23 Rechte war ursprünglich ermittelt worden. Gegen 45 „Rathausblockierer“ gab es keinen hinreichenden Tatverdacht. Gegen eine große Gruppe ging das Verfahren als Beschuldigte jedoch weiter: 14 Strafbefehle wurden wegen gemeinschaftlicher Nötigung, zwei wegen versuchter Körperverletzung und zwei wegen Beleidigung erlassen.
Die Staatsanwaltschaft hatte bereits 2016 den 14 DemokratInnen und AntifaschistInnen, die der gemeinschaftlichen Nötigung beschuldigt wurden, die Einstellung des Verfahrens angeboten. Wenn überhaupt, sei die Schuld gering. Außerdem räumte seinerzeit auch die Staatsanwaltschaft ein, dass „nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit der Täter besondere Umstände vorliegen, die eine Verhängung von Strafe entbehrlich machen.“
Denn teilweise wurden die der Nötigung Beschuldigten von Neonazis auch körperlich verletzt – es gab entsprechende Verurteilungen wegen Faustschlag bzw. Flaschenwurf. Die „BlockiererInnen“ bekamen daher das Angebot, dass auch die Kosten des Verfahrens sowie die den Beschuldigten durch das Verfahren entstandenen Ausgaben durch die Staatskasse übernommen werden. Die 14 Beschuldigten mussten dieser Einstellung jedoch schriftlich zustimmen.
Grüner Polizist wollte die Einstellung des Verfahrens nicht akzeptieren
Lediglich Wolfram Frebel wollte dies nicht – er ließ es auf eine Hauptverhandlung ankommen. Das Ratsmitglied der Grünen – im Hauptberuf ist der 60-Jährige Polizeibeamter – wollte einen Freispruch.
„Eine Einstellung des Verfahrens ist schwierig für mich. Ich wollte meinen Protest ausdrücken. Ich habe keine Gewalt angewendet und bin das Opfer. Ich habe nichts falsch gemacht“, begründete Frebel vor Beginn der Verhandlung sein Zögern.
Allerdings versuchten sowohl Richter Dr. Marko Tartsch als auch Staatsanwalt Ludger Strunk, dem Angeklagten „goldene Brücken“ zu bauen. Sowohl in dem fünfseitigen Schreiben zum Strafbefehl als auch mündlich wies Tartsch darauf hin, dass mit der Einstellung nach Paragraf 153 Strafprozessordnung weder ein Schuldeingeständnis noch ein „Makel der Strafe“ verbunden sei.
„In der Einstellung liegt kein Unwerturteil. Er kann sich auf die Unschuldsvermutung berufen.“
„Ob sich der Betroffene wirklich schuldig gemacht hat, kann offen bleiben. In der Einstellung liegt auch kein Unwerturteil. Er kann sich weiterhin auf die Unschuldsvermutung berufen“, hatten die Beschuldigten auch schriftlich bekommen. Zudem übernimmt die Gerichtskasse alle Kosten.
Daher akzeptierte der Grünen-Politiker nach erneuter Rücksprache mit seinem Verteidiger Dr. Carsten Kuhlmann schweren Herzens den Strafbefehl und die Verfahrenseinstellung.
„Sie wollten ihren Protest gegen das Verfahren ausdrücken und deutlich machen, dass sie sich als Polizeibeamter so verhalten haben, wie es die Rechtsordnung vorsieht und dass sie keine Gewalt angewendet haben“, machte Kuhlmann deutlich, wieso es eigentlich zu der Hauptverhandlung kam.
„Ich bin weiterhin unschuldig“, zog Frebel für sich einen Schlussstrich. Dass er selbst auch Opfer gewesen sei – pflichtete ihm das Gericht bei. Frebel hatte unter anderem Pfefferspray abbekommen – eine der vielen Attacken durch Neonazis.
Amtsgericht hatte bereits im vergangenen Jahr nicht verhandeln wollen
Durch die Einstellung des Verfahrens gegen Frebel – geht eine unendliche Geschichte zu Ende, die in der Stadt zu erheblichen Spannungen zwischen der Stadtgesellschaft auf der einen und Polizei und Justiz auf der anderen Seite geführt hat.
Auch das Amtsgericht hatte sich nicht gerade um das Verfahren gerissen und hatte vor mehr als zwei Jahren die Eröffnung zunächst abgelehnt. Der zuständige Amtsrichter machte in seinem 17-seitigen Schreiben deutlich, dass ein Verfahren mit 14 Angeschuldigten und bis zu 14 Verteidigern erheblich vom üblichen Umfang abweiche.
Denn das Amtsgericht sah eine „schwierige Sach- und Rechtslage“ und befürchtete einen großen Zeitaufwand durch die Auswertung des umfangreichen Videomaterials und die Vernehmung von mehreren Dutzend Zeugen.
Zudem scheute das Amtsgericht die zu erwartende überregionale Aufmerksamkeit und die politische Dimension des Verfahrens und sah daher das Landgericht in der Pflicht. Dagegen legte die Staatsanwaltschaft jedoch erfolgreich Beschwerde ein.
Anwalt Gregor Gysi glaubt nicht, dass es zu Verurteilungen gekommen wäre
Im Oktober 2015 kam der „Schwarze Peter“ daher zurück: Das Landgericht entschied, dass das Verfahren gegen die sogenannten „Rathaus-Blockierer“ nun doch vor dem Amtsgericht geführt werden müsse. Dazu kam es allerdings nicht mehr – die Betroffenen stimmten den erlassenen Strafbefehlen zu.
Darunter war auch die damalige Vorsitzende der Dortmunder Piraten, Nadja Reigl. Ihr Anwalt, der frühere Linken-Fraktionschef im Bundestag, Dr. Gregor Gysi, betonte bereits 2016 gegenüber seiner Mandantin, dass die Anklage wohl selber nicht geglaubt habe, eine Verurteilung zu erzielen.
Dies werde dadurch deutlich, dass sie sowohl auf die Kostenübernahme und die Schuldfreiheit pochten, so Gysi zu der Dortmunder Politikerin. „Sie hätten von Anfang an die Verfahren einstellen müssen. Es ist peinlich, dass die dafür zwei Jahre gebraucht haben“, betonte Reigl im vergangenen Jahr. Sie selbst war auch Zeugin und Geschädigte in einem Verfahren gegen einen Neonazi, der sie vor der Rathaustür ins Gesicht geschlagen hatte.
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