Von Thomas Engel
Abschluss-Präsentation von „DemoCrazy“ in der Werkshalle des Union Gewerbehofs: Das Projekt des Dortmunder Respekt-Büros gibt einen Einblick in die entstandenen Arbeiten – unter anderem mit Graffiti, Cartoons, Slam-Poetry, LED-Fotographie. Erstellt mit „ver-rücktem“ Blick von Jugendlichen unter Anleitung bekannter Dortmunder KünstlerInnen rund um das Thema „Demokratie“. Auf dass diese lebensweltlich greifbarer werde.
Perspektivwechsel, um dem hintergründig Allgegenwärtigen auf die Spur zu kommen
Die Allgegenwärtigkeit dessen, was Du nicht siehst: könnte was Göttliches sein oder physikalische Gesetzmäßigkeiten, die uns immer und überall umgeben. Um es sichtbar, erkennbar, erlebbar zu machen, braucht es einige Kunstgriffe. Dort vielleicht Theologen oder Glaubensmotivation, hier den naturwissenschaftlichen Forscher. Veränderte Perspektiven sind jedenfalls vonnöten.
Zur ehrenwerten Liga der Eigentümlichkeiten, die zwar stets am Werke sind, dabei aber eine gewisse Diskretion bewahren, gehört ebenfalls jenes Gebilde, das als „Demokratie“ bezeichnet wird. In ihr, in einem demokratischen System leben wir – sagen viele. Allein, wo, wie, was ist sie, die Demokratie?
Mit solchen Fragen hat sich nun das Respekt-Büro beim Jugendamt der Stadt Dortmund in einem vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe finanzierten Projekt beschäftigt. Die Idee, dass die üblichen Wahrnehmungsmuster nicht immer hilfreich sind, wenn „Demokratie“ greifbar gemacht werden soll, drückt sich gleich in der Vorhabensbezeichnung aus: „DemoCrazy“, verrückte Demokratie.
Demokratie durch künstlerischen Ausdruck für die eigene Lebenswelt greifbarer machen
Mehr noch: Der Titel „DemoCrazy“ weißt ausdrücklich darauf hin, dass Standortwechsel beim Blick auf sie zuweilen unabdingbar, mindestens fruchtbar sind. Um neben den Bäumen auch den Wald zu sehen – wie er strukturiert ist, welche Möglichkeiten er bietet.
Denn ver-rückt bedeutet auch: verschoben worden zu sein. Hier, die eigene Perspektive bewusst zu wechseln, um sich darüber dem Gegenstand des Erkenntnisinteresses zu nähern. Also Demokratie mal anders als in den gängigen Formen von Wahlurnen, Meinungen, Debatten und Demonstrationen – sie in diesem Fall mit den Mitteln der Kunst darstellen.
Pädagogischer Impetus: Demokratie im künstlerischen Schaffen neu zu verstehen und ihre selbstverständlich gewordene Wirklichkeit als etwas Bedeutsames für die eigene Lebenswelt zu entdecken und anzuerkennen. Gerade junge Menschen sollten hierfür Achtsamkeiten entwickeln, denn sie sind es, die Demokratie zukünftig gestalten werden.
Workshops erreichen in einigen Monaten über 150 junge Menschen aus Schulen und Jugendtreffs
Demokratie sei etwas, was wir immer erleben könnten, was alltäglich um uns herum passiert. Dies müsse bewusst gemacht werden, weil eben niemand morgens aufstünde und dabei dächte, wie geil es doch sei, in einer Demokratie zu leben, so Stefan Woßmann, Leiter des Respekt-Büros.
Durch das Tun könnten junge BürgerInnen erfahren, dass es möglich ist, sich mit Demokratie zu beschäftigen – aus ihrer ver-rückten Perspektive. Über 150 Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 13 bis 27 Jahren wurden mit dem Projekt über einzelne Workshops von Oktober letzten Jahres bis Ende Januar erreicht.
Teilweise waren es Schulklassen, denen eines Morgens etwa der Philosophielehrer eröffnet, dass statt zum Unterricht an diesem Tag zur Teilnahme an einem der Workshops gebeten werde, wie eine Schülerin erzählt. Andere TeilnehmerInnen kommen von verschiedenen Jugendtreffs der Stadt.
Beteiligt waren die Jugendfreizeitstätte Rahm, das Helmholtz-Gymnasium, die Martin-Luther-King-Gesamtschule, das Westfalenkolleg, die Jugendfreizeitstätte Eving mit SchülerInnen der weiterführenden Schulen in Eving, der Jugendtreff Sunrise und der Jugendtreff Bernwards der katholischen St. Bonifatius Kirchengemeinde.
Abschluss-Präsentation im Union Gewerbehof: sichtbare Verzahnung von Kunst mit sozialem Handeln
Wenn sich die ProjektmacherInnen gefragt haben, wie ver-rückt Demokratie sein könne, dann danach, wie das Besondere und wie viel von ihm in der künstlerischen Perspektive auf sie möglich ist. Praktisch ist dies im Rahmen der ca. sechsstündigen Kreativ-Workshops geschehen und unter Anleitung von bekannten lokalen KünstlerInnen: zu Graffiti/Siebdruck (mit Danuta Drwecki und Oliver Mark), Cartoon/Comic (mit Reinhard Alff), LED-Fotos (Katja Hofschröer-Elbers und Miranda Plicato), Rap (Keith Junior Powell) und als Wortfabrik (Poetry-Slam) mit Özge Cakirbey.
Ein Ausschnitt dessen, was aus den jeweiligen Workshops hervorgegangen ist, war nun bei der Abschluss-Präsentation im Union Gewerbehof an den Stellwänden in der Werkhalle Rheinische Straße zu sehen.
Zusammengestellt wurde die Ausstellung von einer Redaktionsgruppe der Jugendlichen aus den Workshops. In einigen Wochen sollen weitere Ergebnisse durch eine Projektbroschüre der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Künstlerisches sei mit Sozialem verzahnt worden, so Veranstaltungsmoderatorin und Poetry-Slammerin Özge Cakirbey. Denn demokratisches Handeln ist stets Handeln in sozialen Räumen. Und darin ist Demokratie wie eine immer zarte Pflanze, die sorgsamer Pflege bedarf, sonst geht sie ein. Oder wird gleich von Springerstiefeln im Stechschritt zertreten.
Aspekte von Demokratie zunächst begrifflich erarbeitet, dann künstlerisch umgeformt
Die Abläufe in den Workshops waren sehr ähnlich: Etwas künstlerisch zu gestalten, setzt eine Vorstellung davon voraus, was dieses „Etwas“ ist, das da in Stoffliches oder begrifflich transformiert werden soll. Bleibt einem nichts anderes übrig, als über Brainstorming und Diskussion differenzierende Inhalte zum Thema „Demokratie“ zu generieren.
Karikaturist Reinhard Alff zeigte sich überrascht von der „unglaublichen“ Meinungs- und Diskussionsfreudigkeit der TeilnehmerInnen seines Workshops. Und die junge Frau mit den verpassten Unterrichtsstunden in Philosophie hat kleine Veränderungen an sich selbst bemerkt: Mehr Verständnis für die Situation anderer Menschen.
Die Rahmer Jugendlichen steuerten einen Rap-Song zum Thema Demokratie bei („Demokratie-Freiheit-leben“, „Meinung-vertreten“). Einziges Problem: die Aufnahme bzw. vermutlich das Abspielgerät war nicht vom Feinsten.
Abschließend Slam-Poetry von Özge Cakirbey: „Nur wenn man es nicht sieht, heißt es nicht, dass es nicht da ist“, bricht es dem Sinn nach durch die Werkshalle. In der beispielhaft gezeigt wurde, wie das latent Allgegenwärtige mit Phantasie künstlerisch in Szene gesetzt werden kann.