SERIE Nordstadt-Geschichte(n): Das imposante Krankenhaus der Barmherzigen Brüder ist heute fast vergessen

Das Brüder-Krankenhaus - hier das Kinderzimmer - war das dritte Krankenhaus in Dortmund Repros: Sammlung Klaus Winter
Das Brüder-Krankenhaus – hier das Kinderzimmer – war die 3. Klinik in Dortmund Repros: Sammlung Klaus Winter

Von Klaus Winter

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erhielt Dortmund sein drittes Krankenhaus, das erste im Norden der Stadt. Als das „Brüder-Krankenhaus“ 1905 seiner Bestimmung übergeben wurde, bot es bereits einen imposanten Anblick: Die mehrstöckige Front des Hauptgebäudes zur Burgholzstraße maß schon in der ersten Ausbaustufe stolze 110 Meter!

Heute ist die Tätigkeit der Barmherzigen Brüder von Trier fast vergessen

Die tatsächlichen Anfänge der Tätigkeit der Barmherzigen Brüder von Trier in Dortmund hatten sich jedoch in einem deutlich bescheideneren Umfeld abgespielt. Die ersten Mitglieder dieser Genossenschaft waren zum Jahresbeginn 1894 nach Dortmund gekommen und hatten im Gesellenhaus Quartier genommen.

Hier widmeten sie sich gleich der ambulanten Krankenpflege. Sehr rasch erwies sich die Niederlassung als zu klein. So eröffneten die Barmherzigen Brüder in der Pottgießerstraße eine Filiale. Doch auch diese sorgte nur vorübergehend für eine Entlastung.

Die Genossenschaft der Barmherzigen Brüder entschloss sich deshalb zu einer großen Lösung und fasste am 20. Januar 1899 den Beschluss, ein eigenes Krankenhaus in Dortmund zu errichten und zu diesem Zweck ein Grundstück an der Burgholzstraße zu kaufen.

Die Gesamtansicht des Krankenhauses von der Burgholzstraße um 1910.
Die Gesamtansicht des Krankenhauses von der Burgholzstraße um 1910.

Kauf der Grundstücke in „Zivil“ – Katholiken waren nicht überall beliebt

Durch weitere Käufe wurde das Krankenhausgelände zügig erweitert. Teilweise mussten die mit den Kaufverhandlungen beauftragten Brüder bei ihren Geschäften „Zivil“ tragen, um anti-katholisch eingestellte Verkäufer nicht zu verprellen. In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre betrug der Grundbesitz rund 75.000 Quadratmeter.

Die Vorarbeiten für das neue Krankenhaus begannen 1903. Am 29. Januar 1904 kam nach Vorlage der Baupläne ein Vertrag zwischen der Stadt und der Genossenschaft zustande, der den Bau des Hauses zum Inhalt hat. Seitens der Stadt wurde ein baldiger Baubeginn gewünscht, denn das städtische Krankenhauswesen war völlig überlastet: „Das [städtische] Luisen-Hospital befindet sich fast andauernd an der Grenze seiner Aufnahmekapazität.

Tatsächlich ging es zügig voran. Der Regierungspräsident erteilte am 11. März 1904 die Baugenehmigung. Ein Kredit der Stadtsparkasse Dortmund über eine halbe Millionen Mark gewährleistete einen stetigen Baufortschritt. So konnte bereits am 13. Dezember 1904 die Rohbauabnahme erfolgen.

Großer Krankenhaus-Komplex mit Wohnflügel und Kapelle für die Brüder

Im Mai 1905 bezogen die Barmherzigen Brüder den ihnen zugedachten Wohnflügel innerhalb des großen Baukomplexes. Am 5. Oktober wurde die Kapelle konsekriert und das nach modernsten Maßstäben eingerichtete Krankenhaus seiner Bestimmung übergeben.

Mit der Eröffnung des Brüder-Krankenhauses waren die Bauarbeiten nicht abgeschlossen. Sowohl an dem monumentalen Gebäude selber als auch auf dem Krankenhausgelände wurde weitergearbeitet. Mitte November 1905 folgte die Fertigstellung eines Ökonomiegebäudes, das außer der Verwaltung der hauseigenen Viehwirtschaft auch Wohnräume für Mägde und Knechte enthielt.

1906 wurde der Bau einer Liegehalle für Lungenkranke (Bergbau!) begonnen, 1907 der Südflügel fertiggestellt, 1910 ein weiteres Wirtschaftsgebäude errichtet. Zu dieser Zeit – im fünften Jahr nach der Eröffnung – begannen bereits auch die Arbeiten an einem Erweiterungsbau mit 100 Betten!

So sahen Operationssäle in der Nordstadt zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus.
So sahen Operationssäle in der Nordstadt zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus.

850 Krankenbetten zur Zeit des 1. Weltkriegs – 81.000 Soldaten behandelt

Gemäß ihrem Gelübde nahmen die Barmherzigen Brüder nur Männer als Patienten auf. Die Konfession der Kranken spielt dagegen keine Rolle. Das galt auch für das Personal, das nicht der Genossenschaft als Brüder oder Laien angehörte. Nicht zuletzt seiner tüchtigen Ärzte wegen erlangte das Brüder-Krankenhaus schnell einen guten Ruf.

Zur Zeit des Ersten Weltkriegs verfügte das Haus über 850 Krankenbetten. Mehr als 81.000 Militärangehörige wurden in den Kriegsjahren hier behandelt. Die ständige Dauerbelastung einerseits, die mangelhafte Kriegswirtschaft andererseits führten bis Kriegsende u. a. zu einem Sanierungsstau, der trotz aller Krisen der 1920er Jahre gelöst wurde.

Zu den vielen Baumaßnahmen gehörte die Einrichtung eigener Klosett- und Waschanlagen mit je zwölf Waschstellen für jede Station ebenso wie der Austausch des hydraulischen Aufzugs durch einen elektrischen. Und es wurde weiter vergrößert: Die im Haupthaus wohnenden Angestellten zogen in die neue Etage des aufgestockten Lagerhauses um; ihre bisherigen Wohnungen wurden zu Krankenzimmern umgestaltet.

Arme erhielten während der Weltwirtschaftskrise eine Suppe

Augenfälliger als die vielen Baumaßnahmen auf dem Krankenhausgelände waren während der Weltwirtschaftskrise die langen Menschenschlangen vor dem Krankenhaus: Arbeitslose erhielten hier eine Suppe.

1934 sollte eine Frauenabteilung eröffnet und die Krankenpflege Ordensschwestern übertragen werden, die ein separates Gebäude bewohnen sollten. Das Kreisgesundheitsamt zeigte sich mit den Plänen einverstanden und der Regierungspräsident erteilte die Genehmigung.

Rund drei Jahre später aber, im Januar 1937, protestierte die NSDAP-Gauleitung Westfalen-Süd gegen die Einrichtung einer Frauenabteilung im Brüder-Krankenhaus: „Im Interesse unserer städtischen Krankenanstalten, die bisher Millionen Zuschüsse erfordert haben, halte ich die Angliederung einer Frauenklinik im Dortmunder Norden für untragbar.“ Da der Neubau jedoch zu diesem Zeitpunkt quasi fertiggestellt war, hatte die Beschwerde keine Konsequenzen.

Der Hauptflur im Brüder-Krankenhaus - ein imposantes Gebäude.
Der Hauptflur im Brüder-Krankenhaus – ein imposantes Gebäude.

Nazis übernahmen das katholische Krankenhaus  – Brüder mussten gehen

Aber im Juli 1937 änderte sich alles. In einer offensichtlich gut vorbereiteten Aktion nahmen führende NSDAP-Funktionäre aus Gau und Stadt das Brüder-Krankenhaus in städtischen Besitz. Im Schlepptau hatten sie eine Anzahl NSV-Schwestern („Braune Schwestern“), die sofort die Krankenpflege übernehmen sollten.

Denn die Barmherzigen Brüder – 50 bis 60 Brüder und rund 180 Krankenpfleger – mussten das Krankenhaus noch am selben Tag verlassen. Lediglich dort, wo eine geordnete Übergabe notwendig war, wie zum Beispiel in der Apotheke, konnten sie noch kurze Zeit bleiben.

Die NS-Presse berichtete über die Vertreibung der Barmherzigen Brüder aus ihrem Krankenhaus in übelster propagandistischer Stimmungsmache. Es war darin die Rede von einem Saustall, von unhygienischen Verhältnissen und sittlichen Verfehlungen. Diese Berichterstattung gehört zweifellos zu den negativen Höhepunkten der Dortmunder Pressegeschichte.

Im „früheren Brüder-Krankenhaus“, wie „das Städtische Krankenhaus Nord“ auch in offiziellen Schreiben nach 1937 noch genannt wurde, wurde – gebaut! Obwohl er dafür eigentlich nicht geeignet war, sollte mit einer Ausnahmegenehmigung der Dachboden ausgebaut werden, um Unterkünfte für die „Braunen Schwestern“ zu schaffen.

Diesem Plan wurde aber die Genehmigung versagt, stattdessen sollten eine Rettungsstelle für Luftschutz gebaut und die Decken „für eine zusätzliche Trümmerlast“ verstärkt werden. Die Zeichen standen schon auf Krieg.

Das Brüder-Krankenhaus um 1915 - Ansicht vom Garten aus. Repros: Sammlung Klaus Winter
Das Brüder-Krankenhaus in der Nordstadt um 1915 – hier eine Ansicht vom Garten aus.

Gebäudekomplex hat seit den 1930er Jahren mit Bergschäden zu kämpfen

Bergschäden waren am Krankenhauskomplex bereits um 1930 aufgetreten und hatten frühzeitig Bau-verstärkende Maßnahmen nach sich gezogen: Überflüssige Wandöffnungen mussten zugemauert, Rundbögen beseitigt, Verankerungen angebracht werden u. a. m.

Dauerhafte Wirkung hatten diese Vorkehrungen aber nicht. Im September 1941 musste der Südflügel wegen Einsturzgefahr aufgrund von Bergschäden geräumt werden. Wenn sich das Gebäude gesetzt haben würde, sollte mit den Reparaturen begonnen werden.

Doch die Bomben waren schneller. Das Krankenhaus wurde schwer, wenn auch nicht total zerstört. Der genaue Umfang der Kriegsschäden ist ebenso unklar wie der Zeitpunkt der Einstellung des Krankenhausbetriebs. 1942 wurde ein Bauantrag auf Errichtung von Krankenbaracken auf dem Gelände an der Burgholzstraße gestellt. Hier, wo sie „deutsche Volksgenossen“ nicht gefährdeten, sollten erkrankte „fremdvölkische Arbeiter“ untergebracht werden.

Das Brüder-Krankenhaus - Blick von der Burgholzstraße aus.
Das Brüder-Krankenhaus – Blick von der Burgholzstraße aus.

Nach dem 2. Weltkrieg wurde das Krankenhaus zur Schule umfunktioniert

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde der zerstörte Komplex für einen Wiederaufbau als Krankenhaus vermutlich gar nicht mehr in Betracht gezogen. Stattdessen wurde er notdürftig zur Schule umfunktioniert.

Bereits 1946 war hier das Stadtgymnasium eingezogen, das im Kriegsverlauf sein Gebäude am Neutor durch völlige Zerstörung verloren hatte. 1948 bereits plante man durch die Aufstockung des westlichen Flügels eine Erweiterung der Räumlichkeiten für das Gymnasium.

Im Rahmen der Wiedergutmachungsverfahren wurde das Haus im Juni 1950 den Barmherzigen Brüdern von Trier zurückübereignet. Die Genossenschaft verzichtete aber auf die Einrichtung eines neuen Konvents an diesem Ort und verpachtete alles an die Stadt Dortmund, die es schließlich 1952 kaufte. Zu dieser Zeit war das Schiller-Gymnasium als weitere kriegsbedingt heimatlos gewordene Schule an der Burgholzstraße eingezogen.

Die lange Zeit des Abbruchs und des Wiederaufbaus setzte sich fort. Trümmerschutt wurde entfernt, das Behelfsdach demontiert und die Ruine der Kapelle abgebrochen. Auf der anderen Seite entstanden neue Schulräume, eine Pausenhalle, eine Turnhalle, ein neues Maschinenhaus.

1959 bezog das Helene-Lange-Gymnasium das ehemalige Krankenhaus, in dem sich bis in die frühen 1960er Jahre auch noch Notwohnungen für Ausgebombte und Flüchtlinge befanden. Heute befindet sich im Gebäude die Anne-Frank-Gesamtschule.

Die Mauer ist weg, dafür gibt es einen Vorbau. Doch der historische Komplex ist heute noch erkennbar. Heute wird das Gebäude von der Anne-Frank-Gesamtschule genutzt. Foto: Alex Völkel
Die Gartenmauer ist weg, dafür gibt es einen Vor- bzw. Anbau auf der Südseite. Doch der historische Komplex ist heute noch gut erkennbar. Heute wird das Gebäude von der Anne-Frank-Gesamtschule genutzt. Foto: Alex Völkel

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Gleiches gilt aber auch für Zeitzeugenberichte. So würden wir gerne auch mehr Bilder zu den Beiträgen zeigen und Erinnerungen  hören – letztere gerne als Kommentare zum Artikel.

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Reaktionen

  1. Andy

    Wenn ich mir sowas durchlese und solche Bilder ansehe macht mich das doch irgendwie traurig, denn ich weiss nur zu gut wer nun in dieser gegend überwiegend lebt und wie man sich dort benimmt. Traurig und schade. Ich würde gern lieber die Zeit zurückdrehen, wo es nochso war wie auf den schönen Fotos und Berichten.

  2. C.

    In diesem Gebäuden wurde ich noch vor wenigen Jahren auf mein jetziges und zukünftiges Leben vorbereitet.

    Tolle Lehrer gehabt, denen noch was am Menschen lag, die nicht nur funktionierende Menschen schaffen wollten, sondern lebende.

    Habe viele Erinnerungen die ich mit diesem Gebilde verbinde. Wünschte ich könnte später irgendwann mal auf der Burgholzstraße langfahren, vielleicht mit Freunden von früher und dieses Gebäude sehen. Es vielleicht betreten und Erinnerungen wachwerden lassen. Klassenzimmer ansehen. Durch die Gänge laufen, in denen wir uns tagtäglich aufhielten.

    Ich wünschte man hätte uns zu unserer Schulzeit mehr über die Vergangenheit des Gebäudes erzählt. Alle wussten, dass es mal ein Krankenhaus gewesen ist, aber ist es nicht schade, dass man auf einem Blog mehr zu der Vergangenheit der Schule erfährt, als in den 9 Jahren, in denen Man auf dieser Schule war? So vollgepackt war der Stundenplan, dass für sowas keine Zeit war 🙂

    C.

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