Multi-Kulti-Kultur braucht Sprachpluralismus: Eröffnung der Internationalen Bibliothek in der Stadt- und Landesbibliothek

Eröffnung der Internationalen Bibliothek: V.l. (hinten): Jörg Stüdemann (Kulturdezernent), Wolf-Dietrich Köster (Vorsitzender des Fördervereins), Dr. Walter Aden (Ehrenvorsitzender des Fördervereins) und Dr. Johannes Borbach-Jaene (Bibliotheksleiter). Davor: Künftige NutzerInnen: Kinder aus der Kita des Kath. Familienzentrums St. Antonius an der Missundestraße. Fotos: Thomas Engel
Jörg Stüdemann, Wolf-Dietrich Köster, Dr. Walter Aden  und Dr. Johannes Borbach-Jaene mit künftigen NutzerInnen: Kinder aus der Kita des Kath. Familienzentrums St. Antonius an der Missundestraße. Foto: Stadt Dortmund

Keine andere Bibliothek in der Bundesrepublik kann Bücher in so vielen Sprachen verleihen: 111 sind es mittlerweile an der Zahl. Die Chancen bibliophiler NutzerInnen der Dortmunder Stadt- und Landesbibliothek, etwas zur Lektüre oder Ausleihe in der eigenen Muttersprache zu finden, haben sich drastisch erhöht. Denn Dank einer großzügigen Spende ihres Fördervereins konnte der fremdsprachige Bestand jüngst kräftig und vor allem zu einem eigenen Standortbereich ausgebaut werden. Schwerpunkt sind zweisprachige Kinder- und Jugendbücher, aber auch für erwachsene MigrantInnen ist etwas dabei. Nun wurde die innerhalb der Bibliothek neue errichtete Sektion offiziell eröffnet.

Ein staunendes Kind sieht so viele Bücher überall – nur leider keins in der Muttersprache

Foto: Stadt Dortmund
Bücher aus 111 Sprachen sind mittlerweile verfügbar. Foto: Stadt Dortmund

Freudige Gesichter bei den Anwesenden, stolze Mienen bei Organisatoren und HelferInnen. Der Ehrenvorsitzende des Fördervereins „Freunde der Stadt- und Landesbibliothek“, Dr. Walter Aden – leicht verspätet, wegen „böser Lastwagen“, die im Weg gestanden hätten – , betont, und diesmal ernsthaft: Hier würde nun jene Bibliothek Deutschlands für internationale Jugendbücher eröffnet, die das größte Sortiment an verschiedenen Sprachen zu bieten habe.

Die Voraussetzungen dafür waren ordentlich: Unter anderem durch Spenden Diplomatischer Vertretungen konnte die Stadt- und Landesbibliothek über die Jahre schon einiges an internationalen Buchbeständen nach und nach zusammentragen. Die standen allerdings eher verstreut irgendwo rum, weil querstehend zur vorherigen Bibliothekssystematik: der Büchersortierung in den vielen Regalen nach Sachgebieten oder LeserInnen-Kategorien.

Anlass zur weiteren literarischen Diversifizierung des fremdsprachlichen Bestandes und zur Organisation eines eigenen Bibliotheksbereichs war ein albanisches Kind, erzählt Bibliotheksleiter, Dr. Johannes Borbach-Jaene. Ein Kind, das die Vielzahl an Büchern zwar ausdrücklich gelobt, aber zugleich moniert habe, dass es da leider nix gäbe in der albanischen Muttersprache. Was natürlich nicht ganz stimmte. Aber solche Bücher wollten erst einmal gefunden werden. Dieses Problem ist nun – in einem ersten Schritt – gelöst.

Mehr Bücher in mehr Sprachen mit einem eigenen Standort in der Bibliothek

Meheddiz Gürle hat die Interkulturelle Bibliothek aufgebaut
Meheddiz Gürle hat die Interkulturelle Bibliothek aufgebaut. Foto: Stadt Dortmund

Aufgebaut wurde die Internationale Bibliothek von Mehedizz Gürle, seit 2013 Interkultureller Bibliothekar in der Stadt- und Landesbibliothek, und seines Zeichens der einzige weit und breit in NRW, der sich beruflich als Bibliothekar darum kümmert, dass viele MigrantInnen in öffentlichen Bibliotheken was zu lesen bekommen können. Durch sein Engagement konnte das jetzige Angebotsspektrum überhaupt erst realisiert werden: die gezielte Erweiterung von vormals 12 auf nun 111 auf Papier gedruckte Sprachen in den Regalen.

Das Neue an der nun entstandenen internationalen Bibliothek ist darüber hinaus, dass all diese Bücher an einem Ort im Erdgeschoss, gleich neben der Kinder- und Jugendbibliothek, aufgestellt worden sind. Und durch die Spende des Freundeskreises von über 10.000 Euro konnte der Präsenzbestand stark erweitert werden.

„A“ wie Afrikanisch als antiquiertes Schildchen an den Bücherregalen gibt es folglich jetzt nicht mehr. Gab es auf dem großen Kontinent als einheitliche Sprache ja sowieso nie. Auf entsprechende Rückmeldungen konnte nun endlich reagiert werden: Jede (bedeutende) afrikanische Sprache hat ab jetzt ihre eigene Stelle im Regal erhalten.

Wieso überhaupt der ganze Aufwand?

Ziel sei es gewesen, so der Leiter der Stadt- und Landesbibliothek, die Vielfalt in Dortmund, die der Sprachen und Kulturen abzubilden. Dies gebiete allein schon der „Respekt gegenüber den Leuten, die zu uns kommen.“

Das sieht Kulturdezernent Jörg Stüdemann durchaus ähnlich: Dortmund sei schon immer eine Stadt gewesen, die historisch vernünftig mit Einwanderung umgegangen ist. Gewaltfrei und klug in verschiedenen Etappen. Dies könne bis ins Mittelalter zurückverfolgt werden. Und so bunt und freundlich solle es auch miteinander weitergehen.

„Der Westfale hat jetzt in Zukunft dunklere Haare, einen etwas brünetten Teint und manchmal auch dunkle Augen“, kann sich der Stadtdirektor ein Schmunzeln nicht verkneifen. Die Sympathie für variantenreichere Mischungen der Gattung homo sapiens bei einem friedlichen Miteinander ist deutlich herauszuhören.

Veränderung der Stadtgesellschaft durch fortschreitende Multikulturalisierung

Die Bevölkerung Dortmunds wächst seit 2011 stetig. Erstmals seit knapp 25 Jahren leben heute wieder über 600.000 Menschen in der Stadt. Dies hat in den letzten drei Jahren auch etwas mit der starken Zuwanderung von Flüchtlingen zu tun, die in Dortmund ein neues Zuhause gefunden haben. Allein 8.000 bis 9.000 Menschen aus dem arabischen Sprachraum waren es seither.

Mittlerweile hätten ca. ein Drittel der StadtbewohnerInnen einen Migrationshintergrund, informiert Stüdermann; bei den Kindern seien es satte 55 Prozent, Tendenz steigend. – Ein Narr, wer da den Buchbestand der städtischen Zentralbibliothek nicht durch Internationalisierung der Angebote sprachlich anpasst. Sofern der kommunale Bildungsauftrag ernst genommen wird.

Dazu braucht es einen differenzierten Blick auf verschiedene Bildungsansprüche. Einige MigrantInnen-Familien bewegten sich stärker im Bereich des Entertainments, bei anderen würden anspruchsvollere Medien nachgefragt. Etwa bei länger in Deutschland ansässigen türkischen und osteuropäischen Familien, in denen über die Generationen Bildungssprünge stattgefunden hätten. Oder bei arabischen Familien aus dem mittelständischen Bereich, wo Bildung traditionell sowieso eine große Rolle spielt.

Bildung und Verbindung durch‘s Lesen

Noch Luft nach oben bei der Deckung des Förderbedarfs.
Noch Luft nach oben bei der Deckung des Förderbedarfs. Foto: Thomas Engel

Nicht nur verschiedene Sprachen, sondern auch die je konkreten Bedürfnisse verschiedener Bildungsniveaus innerhalb der einzelnen Kulturkreise wollen zusätzlich versorgt sein. Denn: „Es geht darum, jungen Menschen die Chance zu eröffnen, ihre Bildungskarrieren auch zu gestalten“, so Stüdemann.

Eine Stadt der Diversität wie Dortmund braucht daher ein entsprechendes Buchsortiment. Für alle, die sich durch‘s Lesen bilden wollen, ohne dabei vollständig auf ihre Muttersprache zu verzichten. Und: „Lesen verbindet“, wie Wolf-Dietrich Köster, amtierender Vorsitzender des Fördervereins betont. Für ein gewaltfreies Zusammenleben, das die Zukunft der Stadt sichert.

Und hat zugleich eine gute Nachricht: Im nächsten Jahr, zum 111ten Jubiläum der Stadt- und Landesbibliothek, stünde auch wieder ein beachtlicher Betrag seitens des Fördervereins zur Verfügung. Warum allerdings die Stadt Dortmund – mit einem Aufwandsvolumen von aktuell ca. 2,5 Milliarden Euro jährlich – nicht auch mal 10.000 Euro zusätzlich, aus der Portokasse sozusagen, für die Internationale Bibliothek und damit zur Integrationsförderung beisteuern kann, ist bislang ungeklärt.

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