Im Gespräch mit den Streetworkern des Jugendamtes in Dortmund: „Man muss Menschen lieben“

Harald Landskröner und Dietmar Fiedler
Harald Landskröner und Dietmar Fiedler arbeiten für das Jugendamt in Dortmund. – Fotos: Leopold Achilles

Von Maike Velden

Wenn Dietmar Fiedler das Haus verlässt, dann nicht immer um die gleiche Uhrzeit. Manchmal muss er schon um sieben raus, um mit seinen Schützlingen zum Amt zu gehen, oder sie zur Therapie begleiten. Manchmal beginnt sein Arbeitstag auch erst abends oder spät nachmittags. Dann pflegt Dietmar Fiedler die Kontakte zu seinen Klienten. „Oft muss man aber auch schauen: wie sind die Leute drauf? Wenn sie schon zu betrunken oder zu aggressiv sind, dann macht es wenig Sinn, zum Amt zu fahren.“ Einen typischen Arbeitsablauf gibt es nicht, denn Fiedler ist Straßensozialarbeiter, oder kurz Streetworker bei der Stadt Dortmund. Flexibilität spielt bei Fiedler und seinem Kollegen Harald Landskröner eine große Rolle.  Nordstadtbloggerin Maike Velden hat mit ihnen über ihren Beruf gesprochen.

Ein Wohnprojekt für Punker in Nord-Asseln war das erste Projekt für Dietmar Fiedler

Wie Fiedler zu seinem Beruf kam? „Ich habe studiert, bin Diplom-Sozialpädagoge und bin Ende der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts im Rahmen einer Maßnahme bei der Stadt Dortmund gelandet. In Nord-Asseln gab es ein Wohnprojekt, ein Punkerhaus, das haben wir betreut. So bin ich zu meiner Arbeit gekommen und da ich die recht gut gemacht habe, hat die Stadt Dortmund gesagt: „Herr Fiedler, wollen Sie nicht bei uns bleiben und Straßensozialarbeit machen?“ Da ich schon immer gerne mit Jugendlichen gearbeitet habe, die ein bisschen problematischer waren bin ich beim Streetwork gelandet.“

Harald Landskröner ist Stellvertretender Leiter für den Bereich Kinder und Jugendförderung beim Jugendamt. Er war bei dem Gespräch dabei, weil die Streetworker in der Leopoldstraße in die zentralen Fachdiensten des Bereichs 51-4 fallen. „Ich bin ebenfalls Diplom Sozialpädagoge, mache den Job inzwischen 30 Jahre. Daher sind die Arbeitsfelder mir auch sehr vertraut.“

Verschiedene Menschen, verschiedene Charaktere, verschiedene Herausforderungen

Harald Landskröner ist stellvertretender Leiter für den Bereich Kinder und Jugendförderung beim Jugendamt Dortmund.

Als Streetworker erlebt man einen sehr abwechslungsreichen Alltag im Beruf, kein Tag ist wie der Andere. „Man hat viel mit verschiedenen Menschen zu tun, mit verschiedenen Charakteren und verschiedenen Inhalten und muss sich immer wieder neuen Herausforderungen stellen.“

Fiedler erzählt, dass das Streetwork ein spannendes Arbeitsfeld ist, das gibt es nicht überall. „Es ist etwas Besonderes und Spezielles und man muss sicherlich auch dafür geeignet sein. Das kann nicht jeder, weil es auch belastende Situationen gibt. Aber ich bin immer sehr motiviert und das ist der ausschlaggebende Faktor.“

In welchen Situationen er stolz oder glücklich ist? „Wenn ich was erreicht habe, wenn die Jugendlichen oder jungen Erwachsenen mich akzeptieren und mir ihr Vertrauen entgegenbringen. Das ist ein wesentlicher Punkt meiner Arbeit. Sonst könnte ich gar nicht mit ihnen arbeiten.“

Anzahl von psychisch Kranken Jugendlichen ist gestiegen

Aber es gibt nicht nur gute Tage oder glückliche Situationen – oft genug stoßen Streetworker an ihre Grenzen. Vor allem, da die Anzahl von psychischen Störungen bei obdachlosen Jugendlichen zugenommen hat. Die Jugendlichen oder jungen Erwachsenen wollen ihre Probleme nicht sehen oder nicht wahr haben. Hilfen wollen sie nicht annehmen, beispielsweise vom Jobcenter.

„Sie wollen diesen Stempel nicht haben, dass sie krank sind“, erklärt Fiedler. „Sie wollen das nicht, aber aufgrund ihrer Erkrankung können sie manche Anforderungen nicht einhalten. Das sind dann die, die zum Beispiel zu Terminen nicht erscheinen. Darauf folgen Sanktionen, das kann so weit gehen, dass die Wohnung nicht mehr bezahlt wird. Dann sind sie wieder wohnungslos. Da kommt man an die Grenzen, da man ja auch nicht der Entscheider ist. Wir können dem Jobcenter auch nicht sagen, der ist psychisch krank, wenn derjenige das nicht will.“ Fiedler schüttelt den Kopf. Verstehen kann er das nicht.

Auf die Frage, ob die Anzahl an Jugendlichen die obdachlos sind generell gestiegen ist, kann er nicht genau antworten. Es können nicht alle Jugendlichen erreicht werden, manche kommen bei einer Tante, einem Onkel, der Oma oder Freunden unter.
„Aber wir haben zur Zeit circa 60 Personen, die bei uns postalisch erreichbar sind. Das heißt, die sind wohnungslos und bekommen ihre Post von Ämtern zu uns geschickt. Und wir sind nicht die einzige Stelle.“ Zu weiteren gehören der zentrale Bereich für Beratung für Wohnungslose vom Diakonischen Werk und die Off Road Kids. „Aber ich finde 60 sind keine unerhebliche Zahl“, sagt Fiedler, wieder schüttelt er den Kopf.

„Ins Gespräch kommen, im Gespräch bleiben“ / Die Angebote gehen über Mittagessen hinaus

Dietmar Fiedler ist Straßensozialarbeiter in Dortmund.

Als Streetworker ist es sehr wichtig, dass eine Vertrauensbasis zu den Obdachlosen und zu den jugendlichen Obdachlosen existiert. Das kann sich über einen langen Zeitraum ausdehnen, da wird viel Geduld gefordert.

„Manchmal ist es notwendig immer wieder aufzutauchen, sich immer wieder dazu zu setzen, einfach Smalltalk zu halten. Sowas wie: Wie geht’s dir heute? Das Wetter ist nicht so toll oder wie sieht es mit dem Schnorren aus, kommst du da gut durch?“ Sich einfach immer wieder anbieten, ins Gespräch kommen, im Gespräch bleiben, keinen Druck ausüben, das sei sehr wichtig betont Fiedler. Die Jugendlichen suchen aber oft auch den Kontakt zu den Streetworkern, es gibt eine Anlaufstelle, mit einer täglichen Beratungszeit.

Diese Anlaufstelle ermöglicht es den Jugendlichen, zu essen oder zu waschen. Montags kommt ein Arzt, welcher unentgeltliche Behandlungen durchführt. Dieser setzt dann auch keine Krankenversicherung voraus. „Die ärztliche Untersuchung geschieht in einem bescheidenen Rahmen, der gute Mann hat keine Praxis vor Ort, sondern ein Raum, da können ihn die Jugendlichen oder jungen Erwachsenen aufsuchen.“

Bei seinen Anfängen vor 15 Jahren arbeitete Fiedler viel mit Menschen mit Migrationshintergrund. Diese kommen jetzt mit ihren Kindern und Familien, suchen Unterstützung. Viele schicken ihre Söhne in die Leopoldstraße, um Bewerbungen zu schreiben.

„Neben der Versorgung der Menschen mit Duschen, Mahlzeiten und ärztlicher Versorgung gibt es noch die Versorgung der Hunde“, meldet sich Harald Landskröner zu Wort. „Viele Jugendliche sind mit Hunden unterwegs und haben keine Ressourcen, einen Tierarzt aufzusuchen. Das wird hier in der Anlaufstelle über den Verein „Dog e.V.“ gewährleistet. Da können regelmäßig die Tiere behandelt werden.“

Hilfe bekommt, wer sie braucht – Ohne Geduld geht es nicht 

Dietmar Fiedler übernimmt wieder das Wort. „Nachmittags und in den Abendstunden sind wir auf der Straße unterwegs und betreiben Kontaktpflege vor Ort. Das kann auch mal etwas länger dauern. Eine junge Frau habe ich ein Jahr lang betreut. Ich habe mich immer wieder zu ihr gesetzt, habe mit ich gesprochen und irgendwann kam sie zu uns in die Einrichtung und wollte ihre Lebenssituation ändern.“

Die junge Frau wurde in die Einrichtung vom Verbund Sozialtherapeuthischer Einrichtungen (VSE) übermittelt. Da wurde eine Wohnung für die Frau gesucht und gefunden.

Aber hoffnungslose Fälle gibt es auch. Das müssen die Streetworker immer wieder erleben. „Es gibt sicherlich auch viele Junge Menschen die skeptisch sind und nicht bereit sich auf uns einzulassen. Aber sich dazu zu setzen und Gespräche zu führen ist für alle in Ordnung“, sagt Fiedler.

Die Situation zwischen Streetworkern und obdachlosen Jugendlichen hat sich mit der Zeit auch verändert. „Früher kannten die uns nicht, dann haben sie uns getestet und Geschichten erzählt. Oder auf die Polizei gewartet, weil sie dachten, wir arbeiten zusammen. Das machen sie mittlerweile nicht mehr. Da ist der Vorteil, wenn man lange dabei ist, immer dran bleibt und einen guten Ruf in der Szene hat.“

Fiedler lächelt und Harald Landskröner lässt sich durch die Bemerkung ein Schmunzeln entlocken. „Die Vertrauensbasis nimmt viel Zeit in Anspruch, denn Menschen, die auf der Straße leben sind immer misstrauisch“, erzählt Landskröner

Streetworker sind aber nicht nur auf der Straße unterwegs, auch Hilfen bei Ämtergängen morgens, die Fahrt zur Therapie oder beim Gang in die Entgiftung sind sie dabei und unterstützen die Jugendlichen so gut es geht.

Glücksmomente und schöne Erlebnisse 

Neben dem Leid was die Streetworker zu sehen bekommen stehen aber auch ganz viele positive und schöne Erinnerungen. Fiedler erzählt, dass ein junger Mann, der früher am Bahnhof auf den Strich anschaffen gegangen ist, weil er wohnungslos war, über ein Ausstiegsprogramm die Stricherszene verlassen konnte.

Für den jungen Mann wurde eine eigene Wohnung gefunden. Dieser habe seinen Schulabschluss nachgeholt und eine Ausbildung als Garten-und Landschaftsbauer beendet. Jetzt lebt dieser Mann mit seiner Frau verheiratet in einer anderen Stadt. Manchmal meldet er sich auch heute noch bei den Streetworkern. Der Prozess insgesamt dauerte zwischen sieben und acht Jahren.

Fiedler erinnert sich auch an einen zweiten Fall, eine junge Frau, die er vor ein paar Jahren in die Therapie, dann in die Nachsorge gebracht hat. In der Nachsorge lernte diese Frau ihren jetzigen Ehemann kennen.

Es passiert immer wieder, dass Jugendliche oder junge Erwachsene sterben

Aber abgesehen von den schönen Erlebnissen stehen auch negative Ereignisse. Laut Fiedler passiere es immer wieder, dass Jugendliche oder junge Erwachsene sterben, aufgrund ihres Suchtverhaltens, oder da sie sich ungesund verhalten. An einen Fall erinnert Fiedler sich noch genau: „Eine junge Frau, war in der Therapie und war entgiftet. Sie hat geerbt und sich den goldenen Schuss gesetzt. Auf einmal hatte sie das Geld, sich besseren Stoff zu kaufen. Außerdem war ihr Körper durch die Entgiftung nicht mehr an das Heroin gewöhnt. Sie ist an einer Überdosis Heroin gestorben.“

Die Drogenszene in Dortmund hat eine große Bandbreite. Neben Tabak und Cannabis sind Amphetamine, Speed und Ecstasy verbreitet. Die Drogensituation hat sich mit der Zeit gewandelt. Speed und Amphetamine waren früher nicht so verbreitet. LSD und Cannabis wurde laut Fiedler damals wie heute konsumiert, ebenso wie Heroin. Punks setzten auf Naturdrogen wie Pilze, auch das ist heute nicht mehr der Fall.

Auch bei Fragen rund um Schulden können Streetworker helfen

Dietmar Fiedler und Harald Landskröner sind neben ihrer Tätigkeit als Streetworker auch ausgebildete Schuldnerberater. „Für solche Gespräche braucht man aber Platz und Zeit. Dann bringen die Jugendlichen Plastiktüten voller Briefe, die muss man erstmal sortieren und das dauert.“

Eine der Anlaufstellen des zentralen Fachdienstes „Streetwork“ – Hier an der Leopoldstraße 22.

Die Stadt Dortmund bietet für jugendliche Obdachlose verschiedene Anlaufstellen. Zum einen gibt es die Stelle in der Leopoldstraße, wo die Jugendlichen auf Dietmar Fiedler und Harald Landskröner treffen werden, die Off Road Kids haben ein Büro in der Kampstraße, die AWO hat Streetworker in der Nordstadt und der VSE bietet Jugendlichen ab 21 Jahre eine Betreuung an. Die Suppenküche Kana und das Gasthaus bieten aus Essensmöglichkeiten.

Der rote Bus zählte ebenfalls zu den Angeboten für Obdachlose, allerdings gibt es den Bus jetzt nicht mehr. Der rote Bus zog vor allem die Menschen rund um den Bahnhof an. Hier gab es Mahlzeiten Getränke und immer jemanden zum Reden. Der rote Bus war immer sehr gut besucht, ging jedoch 2011 kaputt. Die Reparatur hätte 16.000 Euro gekostet. Außerdem wich der Bus dem DFB Museum.

Veränderung in der Stricherszene

Die Situation rund um die Prostitution in Dortmund hat sich ebenfalls geändert. „Die offene Szene ist nicht mehr präsent, die hat sich verlagert in Clubs und in Szenekneipen. Da kommen Jugendliche aber nicht rein. Vieles findet über das Internet statt. Man kann sich bei Portalen anmelden und Kontakte knüpfen. Wir hatten einen netten jungen Mann, der war sehr attraktiv und ist für ein Wochenende nach Berlin gefahren, hat 500 Euro bekommen, ist in der ersten Klasse gefahren und hat in einem super Sterne-Hotel gewohnt. Leider ist der dem Heroin verfallen.“

Streetworker direkt nach dem Studium?

„Was muss man denn alles mitbringen, um Streetworker zu werden?“ frage ich. Fiedler antwortet, dass man sehr belastbar sein und sich im rechtlichen Rahmen auskennen muss, um die Leute zu beraten.

„Man sollte nicht direkt nach dem Studium, die Arbeit als Streetworker als Option sehen. Dazwischen sollten ein paar Jahre Lebens- und Arbeitserfahrung liegen. Für viele kann der Beruf auch überfordernd sein, fügt Landskröner hinzu.

„Eine stabile Persönlichkeit, eine große Toleranzspanne von der Einstellung her und ich sag immer, man muss Menschen lieben. Man wird mit Dingen und Personen konfrontiert, mit denen man normalerweise nichts zu tun haben wollen würde. Wir können und das aber nicht aussuchen. Wir müssen alle annehmen, ihnen Hilfe anbieten und eine positive Grundeinstellung den Menschen gegenüber mitbringen“, sagt Fiedler.

Die Personalsituation beim Dortmunder Streetwork

Zwei volle Stellen gehen aus dem Jugendamt für das Streetwork in der Leopoldstraße hervor, drei Stellen sind rund um den Nordmarkt unterwegs und zwei weitere Stellen gibt es bei der Arbeiterwohlfahrt, die über das Sozialpädagogische Nordstadtprogramm finanziert werden. „Es könnte immer üppiger sein. Die Streetworker in der Leopoldstraße sind mit ihrer Arbeitsleistung an der Grenze, es reicht momentan noch aus, aber wir sind an der Obergrenze“ so Harald Landskröner. „Sollten wir noch mehr Jugendliche betreuen müssen, dann müssten wir uns nochmal zusammensetzen, und schauen wie wir das personell gestemmt bekommen“.

Mehr über das Thema auf Nordstadtblogger.de:

Seit 30 Jahren Streetwork in Dortmund: Hilfe, Beratung und Begleitung für junge Leute, die auf der Straße leben

Premiere des Adventskalenders war ein voller Erfolg – 24 gute Taten im Wert von 200.000 Euro fanden dankbare Empfänger

Gastbeitrag von Sebastian Kurtenbach: Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien – warum eigentlich in die Nordstadt?

Entwicklungshilfe in Dortmund: Kleine Schritte auf dem Weg in ein menschenwürdiges Leben für Roma in der Nordstadt

Print Friendly, PDF & Email

Reaktion schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert