Es ist ein Fall mit einer schwierigen politischen Dimension, aber auch mit vielen offenen Fragen: Bereits am 28. Juni wurde der linke türkischstämmige Aktivist Orhan Batasul im Keuning-Park von zwei Personen überfallen und schwer verletzt. Ein türkisch-nationalistischer Hintergrund ist äußerst wahrscheinlich.
Kampagne „Es reicht – Rechte Gewalt in Dortmund stoppen“ widmet sich dem Fall
Die Kampagne „Es reicht – Rechte Gewalt in Dortmund stoppen“ plant daher eine Kundgebung sowie eine Flugblattverteilaktion, die am kommenden Samstag (22.07.2017) um 12 Uhr vor der Reinoldi-Kirche stattfinden soll. „Der Anlass ist mal wieder rechte Gewalt gegen einen linken Aktivisten in Dortmund. Wir haben etwas länger gezögert, weil der Betroffene psychisch angeknackst ist“, betont Iris Bernert-Leushacke (Bündnis Blockado).
Was ist passiert? Der 23-jährige kurdischstämmige deutsche Staatsbürger war auf dem Weg von seinem Zuhause zum „Solidaritätshaus“ des Vereins DAYEV in der Uhlandstraße. Im Keuning-Park attackierten Orhan Batasul nach eigenen Aussagen zwei türkischstämmige Bodybuilder.
Sie sprachen ihn namentlich an, schlugen auf ihn ein, zerrten ihn in ein Gebüsch und bedrohten ihn mit einem Messer. Mit dem Messer hätten sie ihm auch Kratzer auf dem Bauch geritzt, ohne ihn damit jedoch schwerer zu verletzen.
Ziel des Überfalls: Informationen über Aktionen und Aktivisten erpressen
Ziel soll gewesen sein, dass Orhan Batasul Informationen über Aktivitäten des Vereins und der Aktivisten geben sollte. Das Opfer ist Mitglied bei „Dev-Genc“ (übersetzt: „Revolutionäre Jugend“). „Er sollte Infos geben“, berichtet Abdullah Ates, Freund des Opfers und Mitglied im Verein DAYEV.
Das Opfer selbst sah sich am Montag (17.07.) nicht in der Lage, ein Interview zu geben. Die Täter hatten dem Opfer gesagt, dass dies nun der zweite „Besuch“ sei – „ein drittes Mal wirst Du nicht überleben“, hätten sie Orhan gesagt, als sie von ihm abgelassen hatten.
Damit beginnen die offenen Fragen: Wieso der zweite „Besuch“? Wann war denn der erste? Für die Aktivisten war der erste Versuch vor rund zwei Monaten. Damals war Batasul von zwei Deutschen – einer Frau und einem Mann – namentlich auf der Straße angesprochen worden. Auch sie hätten Informationen gewollt. Doch der 23-Jährige lief weg.
Vorgestellt oder gar ausgewiesen hätten sich die beiden Deutschen nicht. Doch für die Aktivisten liegt der Verdacht nahe, dass es sich um Verfassungsschützer gehandelt haben könnte, die die „Revolutionäre Jugend“ im Blick haben könnten. Doch Beweise dafür gibt es nicht. Noch viel weniger gibt es Belege für den wie eine Verschwörungstheorie anmutenden Verdacht, dass Vertreter einer deutschen Behörde mit den türkischen Schlägern gemeinsame Sache machen würden.
Besteht ein Zusammenhang mit der Arbeit von türkischen Geheimdienstagenten?
Über diese Zusammenarbeit mochte auch Henning v. Stoltzenberg (Rote Hilfe Bochum e.V.) nicht spekulieren. Allerdings hält er es für sehr wahrscheinlich, dass Orhan Batasul ins Visier von türkischen Nationalisten geraten sei. Ob es sich dabei sogar um sogenannte MIT-Agenten handeln könnte, sei jedoch Spekulation.
Der Millî Istihbarat Teşkilâti (MIT) ist der einzige Nachrichtendienst der Türkei. Er ist für innere Sicherheit, Spionageabwehr und den Schutz der Landesgrenzen zuständig. Der Geheimdienst untersteht direkt dem Premierminister und ist dafür verantwortlich, bedrohliche Gruppierungen im In- und Ausland zu beobachten.
Bei der Terrorbekämpfung hatte der MIT in der Vergangenheit vor allem die Mitglieder und Anhänger der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans PKK im Visier, die für die Autonomie der kurdischen Gebiete der Türkei kämpfen.
Der Gruppe „Dev Genc“, der das Opfer angehört, wird eine Nähe zur PKK nachgesagt. Die nach eigener Definition linke Jugendgruppe ist in Dortmund in verschiedenen Bündnissen aktiv und war auch erneut beim 1. Mai dabei – mit bis zu 140 TeilnehmerInnen.
Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln wegen gefährlicher Körperverletzung
Die Aktivitäten des MIT in Deutschland seien belegt. So seien türkische Agenten in Hamburg und Bremen bei Anwerbeversuchen enttarnt worden, berichtet Henning v. Stoltzenberg. „Aber in dieser Vehemenz und so gewalttätig ist das der erste Fall, den ich geschildert bekomme“, räumt der Vertreter der „Roten Hilfe“ ein.
Daher haben Polizei und Staatsanwaltschaft auch „nur“ wegen gefährlicher Körperverletzung und ggfs. Nötigung die Ermittlungen aufgenommen. „Stünde der Verdacht der Spionage im Raum, müsste der Generalbundesanwalt ermitteln“, heißt es dazu von der Staatsanwaltschaft.
Doch sowohl bei Polizei als auch Staatsanwaltschaft gibt es Zweifel an der Belastbarkeit einzelner Punkte der Schilderungen. So sei das Opfer nach dem Übergriff am Vormittag in Dortmund zunächst nach Köln gefahren. Erst am Abend, nach der Rückkehr, habe er Anzeige erstattet und das Krankenhaus erst am Folgetag aufgesucht.
Widersprüchliche Aussagen beim Staatsschutz – Zweifel an der Glaubwürdigkeit
Am Tag nach der Tat gab er bereits einem linken Szene-Magazin ein Interview. Doch erst vier Tage nach der Tat habe er der Polizei „für vollumfängliche Aussagen“ zur Verfügung gestanden, bei denen er sich in Widersprüche verwickelt habe, heißt es dazu von den Ermittlungsbehörden.
Vier Stunden wurde das Opfer in Begleitung seiner Anwältin befragt. Ihm wurden dutzende Fotos von türkischen Männern vorgelegt. Doch die beiden Angreifer seien nicht darunter gewesen. „Auf den Fotos waren keine Aktivisten aus dem faschistischen Milieu zu sehen“, berichtete Ates aus zweiter Hand von der Befragung.
Trotz der offenen Fragen und Widersprüche laufen die Ermittlungen. Und auch die Kampagne „Es reicht – Rechte Gewalt in Dortmund stoppen“ – hier ist auch die Gruppe „Dev Genc“ aktiv – wird den Fall weiterverfolgen. Vielleicht gibt es ja bis zur der Aktion am Samstag schon neuere Erkenntnisse zum Übergriff auf Orhan Batasul.
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