Für erhebliche Verstimmung und Verärgerung bei der Zivilgesellschaft und der Stadt Dortmund sorgt eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster: Die Richter hatten die allgemeine Hausrechtsregelung der Stadt kassiert, die pauschal Neonazis und Rassisten den Zugang zu städtischen Veranstaltungen untersagt hat. Dagegen hatte der Dortmunder Neonazi-Ratsherrr Michael Brück geklagt.
Nazi-Kader Michael Brück hatte 2012 gegen den „Rausschmiss“ geklagt
Rückblick: Im Sommer 2012 veranstaltete die Stadt Dortmund zum Thema Rechtsextremismus eine Bürgerveranstaltung im Hause der St. Barbara Gemeinde in Dorstfeld. An dieser Veranstaltung wollte auch der Nazi-Kader Michael Brück teilnehmen, wurde jedoch kurz nach Betreten des Veranstaltungsraums des Saales verwiesen und von anwesenden Polizeibeamten aus dem Gemeindehaus eskortiert.
Gegen diesen „Rausschmiss“ reichte der klagefreudige Neonazi am 4. September 2012 vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Klage ein und begründete diese damit, dass es sich um eine öffentliche städtische Veranstaltung gehandelt hätte. Zudem hätten er und seine Kameraden sich friedlich verhalten. Ferner wolle er ( Michael Brück) auch weiterhin an vergleichbaren Veranstaltungen teilnehmen.
In der ersten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen kassierte der Rechtsextremist im November 2015 (erstmal) eine Schlappe: Die Richter machten deutlich, dass es sich bei der Veranstaltung zwar um eine städtische Veranstaltung gehandelt habe und diese in den privaten Räumlichkeiten der Kirchengemeinde stattfand.
Zugang zu öffentlichen städtischen Veranstaltungen darf nicht eingeschränkt werden
Jedoch stellte die Kirche die Bedingung, dass Rechtsextremisten draußen bleiben müssten. Somit lag in eindeutiger Weise das Hausrecht bei der Kirchengemeinde und die Klage war abzuweisen. Gegen dieses Urteil legte Michael Brück Berufung ein. Im Juni 2017 jetzt kippte das Oberlandesgericht Münster das Urteil aus 2012 zu Gunsten des Neonazis.
Die Münsteraner Richter stellten fest, dass der Zugang zu einer öffentlichen städtischen Veranstaltung auch in Privaträumen nicht eingeschränkt werden darf. Ein Ausschluss von Personengruppen nach politischer Herkunft oder Weltanschauung verstoße zudem gegen das allgemeine Gleichheitsprinzip und sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.
Denn der Oberbürgermeister habe „alle Bewohnerinnen und Bewohner des Stadtteils Dorstfeld, also auch den Kläger“, eingeladen, argumentiert das Gericht. „Zwar wäre es grundsätzlich auch möglich gewesen, zu einer solchen Veranstaltung gezielt nur repräsentative Teile der Bevölkerung einzuladen und insoweit individuelle Einladungen auszusprechen“, schreibt das OVG weiter. Doch sei die Stadt so nicht vorgegangen.
Ausschluss der Neonazis nur beim Thema Rechtsextremismus möglich
„Allein der Umstand, dass jemand eine rechtsextreme Gesinnung hat oder in der Vergangenheit durch rassistische, nationalistische, antisemitische oder sonstige menschenverachtende Äußerungen in Erscheinung getreten ist, rechtfertigt es nicht, ihm Beteiligungsmöglichkeiten in kommunalen Angelegenheiten und Fragestellungen zu verwehren“, heißt es weiter.
Der Senat verkenne nicht, dass zu den beim „Bürgerdialog Dorstfeld“ behandelten Themenschwerpunkten auch das Thema Rechtsextremismus gehöre.
„Das nachvollziehbare Interesse des Oberbürgermeisters, dieses Thema in Abwesenheit von Angehörigen der rechtsextremen Szene mit Bewohnerinnen und Bewohnern erörtern zu können, hätte aber allenfalls einen Ausschluss des besagten Personenkreises bei der Erörterung dieses Themenschwerpunktes, nicht aber von der gesamten Veranstaltung rechtfertigen können“, so das Gericht. Die Stadt hätte hierfür das Veranstaltungskonzept ändern müssen – was jedoch nicht passiert sei.
Stadt Dortmund reagiert „mit erheblicher Verärgerung“ auf das Urteil
„Mit erheblicher Verärgerung“ nahm die Stadt Dortmund die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster zur Kenntnis. „Der Umgang mit anders denkenden Bürgerinnen und Bürgern ist viel geübte Praxis in Dortmund, einer Stadt, die sich ausdrücklich der Toleranz, Vielfalt und Demokratie verschrieben hat“, heißt es in einer Stellungnahme.
Nicht zuletzt seien die Bürgerdialoge Formate, um miteinander ins Gespräch zu kommen, sich anzunähern auf der Suche nach guten Lösungen für Dortmunder Fragen und Aufgabenstellungen. Entscheidend sei dabei, dass dies in einem demokratisches Miteinander geschehe. „Hierzu sind die Rechtsextremisten mit ihren antidemokratischen Parolen und ständigen rassistischen Entgleisungen nicht in der Lage“, so die Stadt Dortmund.
„Es geht hier um den Umgang mit Antidemokraten, die auch vor Beschimpfungen und Beleidigungen nicht zurückschrecken. Wer die demokratischen Grundsätze wie Meinungsäußerungsfreiheit nur benutzt, um sie erklärtermaßen bei der ersten Gelegenheit abschaffen zu wollen, muss anders behandelt werden können, als kritische Stimmen. Vor diesen Rechtsextremisten muss sich eine Stadtgesellschaft schützen dürfen“, heißt es weiter.
Die Stadt Dortmund beabsichtigt, die Bürgerdialoge auch weiterhin fortzusetzen, auch wenn dies ggfs. mit mehr Sicherheitspersonal verbunden sei. „Diese Veranstaltungen sind wichtige Bezugspunkte im Sinne eines friedlichen und demokratischen Miteinanders der Dortmunder Gesellschaft“, so die Stadt.
Das OVG-Urteil ist „eine Zumutung für die Demokratie“
Deutlich fällt die Ablehnung auch bei der Zivilgesellschaft aus: Jutta Reiter, Vorsitzende des DGB und Sprecherin des „Arbeitskreises gegen Rechtsextremismus“ ist verärgert. „Das Urteil ist eine Zumutung für die Demokratie, weil eine Auseinandersetzung von Bürgern mit ihren Fragen und Ängsten im Beisein von Neonazis nunmehr zur Instrumentalisierung dieser Anliegen führen kann“, kommentierte sie das Urteil.
„Aber so funktioniert unsere Gerichtsbarkeit leider. Doch es wird andere Formen der Veranstaltungsorganisation geben, die verhindert, dass sich Bürger durch anwesende Rechte und Nazis eingeschüchtert fühlen“, so Reiter. Ihr Mitstreiter, Pfarrer Friedrich Stiller, rät der Stadt, ihr Veranstaltungskonzept für solche Veranstaltungen zu überdenken.
Wichtig ist ihm, dass die Bedrohungslage für die Bürger klar wird, die durch solch ein Urteil ausgesendet werde – es sei „für die Bürgerschaft ein schwieriges Urteil“.
Iris Bernert-Leushacke vom Bündnis „BlockaDO“ kann über das Urteil nur mit dem Kopf schütteln: „Natürlich kann ich das nicht nach vollziehen!“ sagte sie auf Anfrage der Redaktion. Auch wenn sie aus eigener Erfahrung als Schöffe am Gericht wisse, wie diese Art Urteile gefällt würden, würde sie sich mehr gesunden Menschenverstand statt juristisch knochentrockener Urteile wünschen.
Hausrecht-Vorbehalt gilt weiter für Veranstaltungen von privaten Veranstaltern
Dass der Rausschmiss von Michael Brück nun aufgehoben wurde, kann sie nicht nachvollziehen. „Das ist ganz schwer zu verstehende Gerechtigkeit“, sagte die Linken-Politikerin. Sie rät der Stadt für die Zukunft, bei Veranstaltungen einfach nicht mehr selbst als Veranstalter aufzutreten.
Denn die Regelung des Hausrechts wurde nur der Stadt abgesprochen – private Veranstalter wie Bündnisse, Parteien oder Kirchengemeinden können sehr wohl auf das Hausrecht pochen und müssen die Anwesenheit der Neonazis nicht tolerieren.
Ratsmitglied Michael Brück wie auch die gewählten Bezirksvertreter der Partei „Die Rechte“ durften seit 2014 ohnehin an entsprechenden Bürgerversammlungen teilnehmen. Nur ihre Kameraden mussten draußen bleiben. Das wird sich nun künftig ändern, wenn die Stadt keinen neuen Modus findet. Erfolgsversprechende Möglichkeiten dazu gibt es allerdings.
OVG urteilte zuletzt mehrfach zugunsten der Neonazis
Als Prozessbevollmächtige hatte Brück eine bekannte Hamburger Anwältin betraut. Manfred Murck, der frühere Hamburger Leiter des Verfassungsschutzes, bezeichnete sie als „eine wichtige Stütze der aktiven, gewaltorientierten rechtsextremistischen Szene in Norddeutschland und darüber hinaus“.
Mehrfach schon urteilten die Richter des Oberverwaltungsgerichtes zugunsten der Neonazis – zuletzt am 31.03.2017, als es um die Anerkennung der Dortmunder Ratsgruppe NPD/DIE RECHTE ging.
Der Rat der Stadt Dortmund hatte den Zusammenschluss von Michael Brück („Die Rechte“) und Axel Thieme (NPD) als Gruppe nicht anerkannt und ihnen die damit verbundenen Rechte und Geldmittel verweigert.
Gegen die Verweigerung des Gruppenstatus hatten die beiden Parteivertreter geklagt und die Anerkennung als Gruppe beantragt. Diesem gab das OVG Münster statt und ermöglichte mit diesem Urteil der rechtsextremen Ratsgruppe Zuwendungen von 45.974,07 Euro – pro Jahr versteht sich.
Und auch im Plakatstreit zum „Nazi-Kiez Dorstfeld“ waren die Neonazis im Mai erfolgreich – da allerdings reichte schon die erste Instanz vor dem Verwaltungsgericht.
Von Marcus Arndt, Leopold Achilles und Alexander Völkel