Veranstaltung der St.-Petri-Kirche fordert Aufarbeitung statt Schweigen

Zwischen Glaube und Missbrauch: Sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche und Diakonie

Viele Menschen sind betroffen von sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche. Foto: Darya Moalim für Nordstadtblogger.de

Weitreichend bekannt und dennoch ein Tabuthema – viele Menschen sind Opfer von sexualisierter Gewalt innerhalb der Kirche, doch das Schweigen ist nach wie vor groß. In welchem Ausmaß diese Missbrauchsfälle stattfanden, machte die Veröffentlichung der ForuM-Studie deutlich – eine Aufdeckung der Missstände, doch keine ausgiebige Aufarbeitung dessen, wie die Dortmunder Ev. Stadtkirche Sankt Petri findet. Aus diesem Grund fand eine Veranstaltung statt, die sich genau diesem Thema widmete. Sowohl die Einladenden als auch die Betroffenen sind „nicht fertig“ mit den Geschehnissen, was auch der Leitspruch der Veranstaltung ist.

„Die Spitze des Eisbergs“: Gegen das Schweigen von Betroffenen

Während für viele Menschen die Kirche ein Ort der Sicherheit und des Vertrauens darstellt, löst sie für einen Teil ein Gefühl des Unbehagens aus. Mindestens 2.225 Betroffene von sexualisierter Gewalt und 1.259 beschuldigte Täter:innen – Zahlen, die die ForuM-Studie für den Untersuchungszeitraum von 1946 bis 2020 in der evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland erfassen konnte.

Besucher:innen konnten anonym ihre Gedanken verschriftlichen. Foto: Darya Moalim für Nordstadtblogger.de

Die Dunkelziffer sei dabei jedoch höher. Vielmehr vermuten die Forscher:innen, das   s dies nur die Spitze des Eisbergs darstellt und das tatsächliche Ausmaß der sexualisierten Gewalt in diesem Rahmen erheblich größer ist. Das Durchschnittsalter der betroffenen Personen lag bei der ersten Tat bei 11 Jahren.

Erkenntnisse, über die sich die Rednerinnen der Veranstaltung fassungslos zeigen. „Ich bin wütend über die alltägliche sexuelle Gewalt und fühle mich als bezahlter Teil mitschuldig“, spricht Pfarrerin Dr. Kerstin Schiffner, während die Besucher:innen der Sankt Petri Kirche gebannt zuhören und den Blick auf sie gerichtet halten.

Pfarrerin Christel Schürmann. Foto: Sundermeier
Pfarrerin Christel Schürmann. Foto: Sundermeier Nordstadtblogger-Redaktion | Nordstadtblogger

„Wir haben gesündigt mit der Annahme, die bessere Kirche zu sein, und mit der Rede, es seien nur Einzelfälle“, so Schiffner. „Wir wollen nicht mehr heile Welt spielen. Wir wollen alles, nur nicht schweigen.“

Nicht mehr schweigen – dazu appelliert auch Pfarrerin Christel Schürmann. „Stottert lieber, anstatt zu schweigen“, entgegnet die Pfarrerin, sichtlich bedrückt vom Anlass der Veranstaltung. „Die evangelischen Kirchen sind immer davon ausgegangen, dass so etwas nicht bei uns passiert. Und genau das Gegenteil hat uns die Studie gezeigt.“

„Die Macht des Täters führt zur Machtlosigkeit des Opfers“

Als Impulsgeberin agierte unter anderem auch Martina Berkenkamp, Heilpraktikerin und Buchautorin aus Schwerte. Mitgebracht hatte sie ihr Buch, das als finaler Akt der Heilung ihrer Missbrauchserfahrungen dient und zum Verkauf zur Verfügung stand. Auch den Besucher:innen teilte sie ihre Erfahrungen mit, jedoch losgelöst vom Inhalt des Buches.

Martina Berkenkamp ist Heilpraktikerin und Buchautorin. Foto: Darya Moalim für Nordstadtblogger.de

Im Alter von neun Jahren wurde sie von einem Mann aus ihrem Heimatort missbraucht, der bereits im Vorfeld für grenzüberschreitende Handlungen bekannt war. „Es sei eben so und gehöre zum Erwachsenwerden dazu“ – Relativierungen von sexuellen Übergriffen gegenüber Frauen, die sie bereits früh von anderen Betroffenen zu hören bekam.

Welche Auswirkungen der Missbrauch und das daraus resultierende Schweigen mitbrachten, spürte sie jahrelang. „Ich genüge nicht – so habe ich den größten Teil meines Lebens empfunden“, erzählt Berkenkamp, gepaart mit Schuldgefühlen, die sie nicht losließen.

Letztlich erkrankte sie mit Anfang fünfzig an Depressionen, deren Hauptursache mithilfe einer Hypnose offenbart werden konnte und den verdrängten Missbrauch ans Licht brachte.

Ausarbeitung von Schutzkonzepten und Schulungen zur Prävention

Wie nun versucht wird, präventiv gegen sexualisierter Gewalt in kirchlichen Strukturen vorzugehen, erklärt Anna Lena Schmidt. Die Gleichstellungsbeauftragte der Evangelischen Kirche erläutert, dass es hierfür ein Kirchengesetz gibt, das von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) vorgegeben ist.

Gleichstellungsbeauftragte der Evangelischen Kirche. Foto: Mark Fäth

„Zum Schutz vor sexualisierter Gewalt müssen alle Einrichtungen und Gemeinden Schutzkonzepte erarbeiten, und alle Mitarbeitenden sind verpflichtet, Schulungen zu besuchen“, betont Schmidt. Sie selbst gibt diese Schulungen, die je nach Tätigkeitsfeld variieren. „Wir sprechen über Nähe und Distanz, eigene und fremde Wahrnehmung, Täter:innen-Strategien und Betroffenenreaktionen.“

Ein weiterer Bestandteil der Prävention ist das Schutzkonzept, das über die Schulungen hinausgeht. Dazu gehört eine Potenzial- und Risikoanalyse, bei der Räumlichkeiten und Arbeitsprozesse auf mögliche Gefahren hin untersucht werden.

Sämtliche Kinderbücher zeigen Kindern ihre Grenzen auf. Foto: Darya Moalim für Nordstadtblogger.de

„Wir fragen uns: Wo gibt es Angsträume? Wie können wir sie sicherer machen? Vielleicht durch mehr Licht, offene Strukturen, oder transparente Türen?“, beschreibt Schmidt. Hinzu kommt ein Verhaltenskodex, der Mitarbeitende zu einem respektvollen und diskriminierungsfreien Miteinander verpflichtet.

Ein weiterer Schutzmechanismus ist die Verpflichtung, erweiterte Führungszeugnisse vorzulegen. „Alle hauptamtlichen Mitarbeitenden müssen ein solches Führungszeugnis vorlegen, ebenso viele Ehrenamtliche“, so Schmidt. Ziel all dieser Maßnahmen sei es, Täter:innen abzuschrecken und Räume zu schaffen, in denen Missbrauch keinen Platz hat.

Weiterführende Informationen und Anlaufstellen: 


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