Von Thomas Engel
Ein schwuler Rom, mit gerade 39 Jahren Großvater und verheiratet mit der Mutter seiner Kinder, nach eigenem Bekunden „Rotationseuropäer – intersektional und trotzdem sexy“: Gianni Jovanovic ist an zwei Abenden erneut im Rahmen des Roma-Kulturfestivals Djelem Djelem in Dortmund aufgetreten. Am Donnerstag las er in der Auslandsgesellschaft NRW zunächst aus dem Roman der Schriftstellerin Katja Behrens „Nachts, wenn Schatten aus dunklen Ecken kommen“. Am Freitag setzte er seine schillernde Performance mit einem Theaterabend im Depot der Nordstadt fort – eine ungewöhnliche Premiere.
Gianni Jovanovic liest und spricht über seine „queere“ Biographie
Nono heißt er in der über weite Strecken biographischen Erzählung der Autorin und Holocaust-Überlebenden Katja Behrens. Der Junge stammt aus einer konservativen Roma-Familie. Man erwartet von ihm, dass er ein Leben entsprechend der hergebrachten Traditionen führt. Nach den unumstößlichen Sitten und Bräuchen einer Ethnie, entstanden in einer ihr zumeist feindlichen gesonnenen Umgebung. Auch und vor allem, um zu überleben.
Gianni Jovanovic liest mit einer gewissen Leichtigkeit. Er wirkt gelassen, verliert nie seinen Humor in den kleinen Lesepausen, um etwas hinzuzufügen, zu erläutern. So bedrückend die Inhalte dem Zuhörer teilweise auch erscheinen mögen.
Wenn beispielsweise vom Alltag der Platzverweise die Rede ist, dem Wissen der Roma-Familien, dass sie immer wieder Vertriebene sein werden. Von einem Leben aus dem Koffer. Einem Leben in Auseinandersetzung mit den Anfeindungen durch die Vorurteile gegenüber dem Anderen, dem Fremden.
Ausbruch aus den Zwängen traditioneller Lebensweisen, neue Identitäten
Aber Gianni Jovanovic ist, besser war auch ein Fremder in der eigenen Familie. Weil er irgendwann sich zu seinem Schwulsein bekannte. Als Vater von zwei bereits heranwachsenden Kindern, zuvor selbst als Kind verheiratet, mit 14 Jahren, an ein 13-jähriges Mädchen – so wie es damals die Familien wollten. So wie es üblich war und vielerorts in Roma-Familien heutzutage noch ist.
Ja, er ist heute unter anderem freischaffender „zahnmedizinischer Prophylaxeassistent“, wie er zu Beginn der Lesung feststellt. Die pomadig wirkende Berufsbezeichnung amüsiert ihn sichtlich.
Denn sie fungiert allenfalls als eines der vielen Versatzstücke in einem Flickenteppich multipler Teilidentitäten, die er sich in Laufe der Zeit zu einem unverwechselbaren und spannungsgeladenen Kunstwerk, zum eigenen „Ich“ zusammengebastelt hat. Und auf das er sichtlich stolz ist.
Unvermeidliche Konflikte eines Querdenkers, der sich bekennt
Da ist der Roma, der sich für die Rechte seiner Bevölkerungsgruppe einsetzt. Der gegen Stigmatisierungen und Stereotypisierungen, gegen Ausgrenzung und Depriviligierung durch die „Mehrheitsgesellschaft“ kämpft. Und für die Bewahrung einer gefährdeten Kultur, seiner Kultur. Aber auch gegen deren Intoleranz und Zwänge, wenn es um die Freiheit eines jeden geht, das eigene Leben selbstbestimmt zu gestalten.
Denn da ist der schwule Roma, der bei den eigenen Leuten mit ihren homophoben Denkweisen permanent aneckt. Bei seiner Frau, als er mit einem Mann zusammenzieht, bei seinen Eltern und Großeltern. Und die durch das Coming-out entstehenden Konflikte mit dem pubertierenden Sohn.
Da ist der Vater, der sich dagegen wehrt, dass Heiraten von Roma-Familien untereinander familienpolitisch arrangiert und finanziell motiviert sind. Der eine sechsstellige Eurosumme für seine Tochter ausschlägt, weil sie zunächst ihre Ausbildung beenden soll.
Die Augen von Gianni Jovanovic leuchten, als er die Lesung mit den Gefühlen Nonos beschließt, nachdem er das letzte „Ablöseangebot“ für die Tochter ausgeschlagen hatte: „Er was frei. Ein Gefühl der Weite in der Brust.“
Gewöhnungsbedürftige Bühnenshow im Depot
Von Alexander Völkel
Der Bühnenabend von Gianni Jovanovic am Freitag im Theater im Depot lief deutlich anders ab als seine üblichen Lesungen. Denn der extrovertierte Rom lebte erstmals in einem Bühnenprogramm seine extrovertierte Seite als „Stand-Up-Comedian“ aus. Ebenfalls zumeist biographisch, aber deutlich drastischer als bei den Lesungen und häufig unter der Gürtellinie zog er vom Leder.
Sein Auftritt als schwuler Roma-Mario Barth war sehr gewöhnungsbedürftig
Er trat als eine Art schwuler Roma-Mario Barth auf. Sehr gewöhnungsbedürftig – zumindest für das Dortmunder Festival-Publikum. Dieser Teil seines künstlerischen Schaffens ist – positiv ausgedrückt – ausbaufähig.
Politisch unkorrekt ja, aber eben für eine bitterböse Satire nicht überzeichnet genug. Mitunter waren die Gags einfach flach und zotig. Es war häufig nicht klar, was ernst gemeint war und was Fantasie. Die „Gutmenschen“im Publikum taten sich daher schwer, weil sie über viele der Gags nicht lachen konnten oder wollten.
Für diese Art der Humors wird es sicher ein Publikum geben. Vor allem bei Teilen der schwulen Szene und bei Freunden des derben Humors könnte er damit punkten. Doch im Rahmen dieses Festivals passte es nicht so gut, weil die eher gutbürgerlichen BesucherInnen aus der Bildungsschicht anderes Programm erwartet hatten.
Gianni Jovanovic ist vielschichtig – sein Bühnenprogramm ist noch ausbaufähig
Im Gegensatz zu den Comedy-Passagen kamen sie mit den anderen Programmteilen deutlich besser klar. Denn Gianni Jovanovic ist vielschichtig: Der musikalische Teil, die Lesung aus seinem neuen Buch – er sucht dafür noch einen Verleger – und der Talk auf dem Sofa konnte sie zumindest etwas versöhnen.
Deutlich wurde hier, dass sich Jovanovic hier auch offensichtlich sicherer fühlt. Abgesehen vom Gesang bewegt er sich hier auf sicherem Terrain. Am Comedy-Teil kann und muss der Künstler noch feilen. Obwohl schon Großvater, hat er ja noch genügend Zeit, diese künstlerische Seite weiterzuentwickeln. Potenzial hat er. Und er ist ja gerade mal 39 Jahre alt.