Etliche Redebeiträge, Musikauftritte und eine einstudierte Choreografie zogen am Montagnachmittag in der Dortmunder Innenstadt viele Blicke auf sich. Auf einer Bühne an der U-Bahn-Haltestelle der Reinoldikirche sollte so auf den internationalen Gedenktag gegen Gewalt an Frauen und Mädchen aufmerksam gemacht werden. Organisiert wurde die öffentliche Aktion von zahlreichen Frauenverbänden und dem Gleichstellungsbüro. Dabei richteten sich Vertreter:innen der Verbände in ihren Beiträgen direkt an die Politik und Gesellschaft, um der Gewalt gegen Frauen ein Ende zu setzen – darunter auch Dortmunds Oberbürgermeister Thomas Westphal. Zugleich wird im Rahmen einer Podiumsdiskussion im Rathaus deutlich, dass Gewalt gegen Frauen sich auch zunehmend im Internet zeigt.
Forderungen an die Politik im Kampf gegen Gewalt an Frauen
Nahezu jede dritte Frau in Deutschland ist mindestens einmal in ihrem Leben von Gewalt betroffen. Ein Femizid passiert beinahe jeden Tag in Deutschland, so die jüngsten Zahlen des Bundesministeriums des Innern und für Heimat.
Laut dem Bundeskriminalamt stieg im Jahr 2023 die Anzahl der weiblichen Opfer von häuslicher Gewalt auf 180.715 – rund 5,6 Prozent mehr als im Vorjahr. Gewalttaten, denen ein Ende gesetzt werden muss, wie zahlreiche Frauenverbände deutlich machten. Am internationalen Gedenktag gegen Gewalt an Frauen richteten sie sich mit 100-sekündigen Statements direkt an die Politik und Gesellschaft.
Unter ihnen auch Anja Butschkau, Vorsitzende der AWO Dortmund:„Wir erleben, dass die Zahl der häuslichen Gewalt auch im letzten Jahr gestiegen ist. Und zwar um fünf Prozent. (…) Der Bereich Schutz vor Gewalt wird im Landeshaushalt, wir befinden uns ja gerade auch in der Diskussion in den Haushaltsberatungen, um 1,9 Millionen Euro gestrichen. (…) Wir müssen deutlich machen, dass jede Frau, die Opfer von häuslicher Gewalt wird, mindestens eine Frau zu viel ist.“
Die Streichung der Gelder wäre aus Sicht des Zonta Clubs Dortmund ebenfalls ein fataler Schritt: Laut deren Präsidentin Silvia Schmidt-Bauer belaufen sich die Kosten der häuslichen Gewalt pro Jahr auf etwa 54 Milliarden Euro. Darunter fallen unter anderem die Kosten für Polizeieinsätze, medizinische Betreuung der Opfer, psychologische Betreuung der Frauen und Kinder oder auch für die Gerichtsverfahren.
Oberbürgermeister Westphal positioniert sich auf der Kundgebung
Neben den Frauenverbänden und dem Gleichstellungsbüro nahm auch Dortmunds Oberbürgermeister Thomas Westphal an der Protestaktion teil. Gleich zu Beginn appelliert Westphal auf der Bühne, sich gegen die Gewalt an Frauen einzusetzen.
Unterschwellige Kritik an die Landesregierung blieb dabei nicht aus: „Es hilft uns nichts, wenn wir nur über die Anzahl von Opfern sprechen. Wir müssen etwas gegen die Gewalteinsätze der Männer in ihren eigenen Familien tun. Das muss frühzeitig ansetzen (…) Wir wissen alle, das kostet Geld, Kraft und Ressourcen.“
„Und wenn man da nicht bereit ist, dafür Geld zu investieren, liebe Landesregierung, dann solltet ihr zur Gewalt gegen Frauen besser schweigen. (…) Wir hören nicht auf zu sagen ‘stoppt die Gewalt gegen Frauen’“, so Westphal.
Trotz steigender Zahlen der Betroffenen reichen die Kapazitäten der Frauenhäuser nicht aus
Dass die Gewalt gegenüber Frauen trotz der steigenden Aufklärungsarbeit zunimmt, kriegen auch Mitarbeiter:innen der Frauenberatungsstellen und Frauenhäuser zu spüren. Die Auswirkungen sind dabei folgenschwer, die Vertreterinnen des Vereins erläutern: „Jeden zweiten Tag stirbt in Deutschland eine Frau durch die Gewalt eines Partners oder Ex-Partners. Es ist ein Skandal, dass die Politik auf Landes- und Bundesebene ihrer Verantwortung nicht nachkommt und genügend Geld für Hilfsangebote bereitstellt.“
Denn obwohl die Zahlen drastisch gestiegen seien, sei die Finanzierung der Unterstützungseinrichtungen weder gesetzlich verankert noch ausreichend gesichert, so die Vereinsvertreterinnen.
„Beratungsstellen sind chronisch überlastet, es fehlen tausende Plätze in Deutschlands Frauenhäusern und die Wartezeiten auf einen freien Platz im Frauenhaus sind manchmal tödlich lang“, machten sie deutlich.
Demonstration im Unionviertel setzt ebenfalls ein Zeichen
Nicht nur an der Reinoldikirche wurde ein Zeichen gegen die Gewalt gesetzt. Im Unionviertel fand eine Demonstration mit rund 200 Teilnehmer:innen statt, in der besonders auf den aktuellen Femizid in Dortmund aufmerksam gemacht wurde.
Anschließend sind die Demonstrant:innen in Richtung Westpark gezogen. Am 5. November hatte in der westlichen Innenstadt ein getrennt lebender Mann seine Ehefrau vor den Augen der Kinder mit einem Messer angegriffen.
Die Frau erlag ihren Verletzungen im Krankenhaus. Der Ehemann befindet sich derweil in Untersuchungshaft. Auf der Demonstration wurde unter anderem ein Text einer Angehörigen der verstorbenen Frau verlesen.
Gewalt gegen Frauen macht sich auch im Internet bemerkbar
Einen Zuwachs der Gewalt gegen Frauen lässt sich auch im digitalen Raum erkennen, wie Anna-Lena von Hodenberg präsentiert. Sie ist Geschäftsführerin von HateAid, einer gemeinnützigen GmbH zur Beratung und Unterstützung von Betroffenen von Online-Hassrede und Hasskommentaren. Anlässlich des internationalen Gedenktages gegen Gewalt an Frauen hielt sie im Rathaus einen Vortrag über Gewalt gegen Frauen im digitalen Raum.
Ein Phänomen, das häufig nicht erkannt wird, obwohl das Internet „genauso ein Lebensraum ist, in dem wir uns bewegen als gleiche Personen aller Geschlechter“ und deswegen auch geschlechtsspezifische Gewalt mit sich ziehen kann, wie von Hodenberg erklärt.
Digitale Gewalt gegen Frauen bezeichnet von Hodenberg als strukturelles Problem, welches eine Fortsetzung der analogen Gewalt darstellt. Denn gemäß des Lagebilds des BKA sind Personen in Partnerschaften, die von digitaler Gewalt betroffen sind, zu 87,2 Prozent weiblich.
Im Rahmen der Arbeit bei HateAid wird hingegen deutlich, dass über 80 Prozent der Klientinnen, die von digitaler Gewalt betroffen sind, die Täter fremde Personen aus dem Internet sind, so Hodenberg: „Da geht es nicht um, ich kenne dich, und ich möchte dich als Person, weil du meine Ex-Partnerin bist, oder so angreifen, sondern es geht darum, diese Person als Frau anzugreifen.“
Gewaltformen digitaler Gewalt nehmen unterschiedliche Formen an
Die Gewaltformen im digitalen Raum sind weitreichend und beschränken sich nicht, wie häufig fälschlich angenommen, auf Beleidigungen, wie von Hodenberg anfügt. Darunter fallen auch Stalking, die Spionage durch beispielsweise Apps, Doxing, also das ungefragte Veröffentlichen der Wohnadresse oder weiterer privater Daten.
Aber auch das Verschicken von ungefragten Genitalbildern ist eine Form der Gewalt, die mittlerweile auch zur Anzeige gebracht werden kann. Häufig sind Frauen auch mit dem „Boyshaming“ konfrontiert, also der abwertenden Äußerung über das äußere Erscheinungsbild der Frauen.
Eine Form der Gewalt, die seit dem Jahr 2021 durch die steigende Popularität von künstlicher Intelligenz verdoppelt hat, ist die bildbasierte Gewalt.
Im Rahmen der bildbasierten Gewalt werden häufig die Gesichter von Frauen in pornografischen Inhalten eingefügt, die täuschend echt wirken, auch bekannt unter „Deep Fakes“. Besonders Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, sind dem häufig ausgesetzt. Die Einschüchterung der Internetnutzer:innen ist dabei erheblich, denn rund 30 Prozent aller Frauen haben davor Angst, dass ihre Bilder im Netz veröffentlicht werden, so von Hodenberg.
Mehr Informationen:
- Bei digitaler Gewalt besteht die Möglichkeit, sich an HateAid zu wenden:
hateaid.org/betroffenenberatung/ - Das Lagebild „Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten“ gibt es hier: bka.de/(…)_BLBStraftatengegenFrauen2023.html
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