In aller Munde heutzutage: die Verkehrswende. Mehr Platz, mehr Sicherheit für andere Verkehrsteilnehmer*innen gehören dazu. Nachdem in der Bundesrepublik jahrzehntelang Straßen und Verkehrsregeln hauptsächlich auf die KFZs zugeschnitten wurden, wird nun der Ruf nach einer Umkehr immer lauter. Dazu gehört die Einrichtung von Tempolimit-Zonen in geschlossenen Ortschaften. Mindestens in sensitiven Bereichen wie in Wohngebieten oder vor Schulen, Kitas etc., wenn nicht noch flächendeckender. Auch das politische Dortmund diskutiert über Tempo-30. Dabei wird immer wieder deutlich, wie viele Hindernisse einer neuen Verkehrspolitik im Wege liegen. – Ein zweiter Beitrag zum Widerstreit über ein komplexes wie mittlerweile allgegenwärtiges Thema in der Stadt: Klima- und Umweltschutz, konkret: hier in Dortmund, im Bereich Verkehr bzw. Verkehrssicherheit. Was tun? Und vor allem: Wie?
Diskussion um generelles oder partielles Tempolimit von 30 km/h in geschlossenen Ortschaften
Die Einrichtung von innerörtlichen Tempo-30-Zonen bildet für viele einen zentralen Punkt auf ihrer Agenda in Sachen Umweltschutz und Sicherheit im Straßenverkehr. Manche fordern sogar ein derartiges Tempolimit flächendeckend für alle Städte bundesweit. Freiburg plant bereits ein entsprechendes Pilotprojekt. Die WHO (Weltgesundheitsorganisation) geht noch einen Schritt weiter und möchte 30-Zonen global in Ortschaften verwirklicht sehen. ___STEADY_PAYWALL___
Dass eine Reduktion der Richtgeschwindigkeit auf 30 Stundenkilometer gegenüber den innerörtlich normalerweise üblichen 50 km/h die Sicherheit für schwächere Verkehrsteilnehmer*innen erheblich erhöht, dürfte unbestritten sein: Wo ein Gefährt mit 30 km/h zum Stehen kommt, knallt es bei 50 km/h noch mit voller Wucht, nämlich mit derselben Geschwindigkeit auf ein Hindernis (siehe nebenstehende Veranschaulichung).
Sofern nun im Dortmunder Masterplan Mobilität 2030 die Erhöhung der Verkehrssicherheit und des Sicherheitsempfindens Teil des Zielkonzeptes sind, erscheint in den politischen Gremien der Stadt die Umwandlung von Straßen oder einigen Teilabschnitten in Tempo-30-Zonen im Zusammenhang mit der vorgesehenen Verkehrswende immer öfter auf der Tagesordnung. So etwa vergangene Woche in der Bezirksvertretung (BV) Innenstadt-Nord sowie im Mobilitätsausschuss (AMIG) des Stadtrates.
Beschlussantrag: Grundsätzliche Einrichtung von Tempo-30-Zonen vor Kitas & Co in Dortmund
In dem Fachausschuss ging es um einen Beschlussantrag der Fraktion Die Linke+. Der bezog sich ausdrücklich auf die Einrichtung von Tempo-30-Zonen: „Die Verwaltung wird gebeten, die Tempolimits vor Altenheimen, Kindertagesstätten und Schulen im Stadtgebiet zu überprüfen“, heißt es dort im ersten Absatz. Und: „Vor den Eingängen dieser Einrichtungen darf zum Schutz der dort die Straße querenden Menschen höchstens Tempo 30 gelten.“
Während diese Darf-Formulierung ein gebotenes, aber rechtlich nicht weiter relevantes Sollen ausdrückt, kommt im zweiten Antragsabsatz ein entscheidender Satz hinzu, der die zwingenden Folgen der erbetenen Prüfung hinsichtlich der Tempolimit-Lage vor Ort an den genannten Institutionen rechtsverbindlich festlegen möchte. „Vor allen Einrichtungen, bei denen das bisher nicht der Fall ist, wird Tempo 30 eingeführt (so wie oben beschrieben).“
Mit anderen Worten: Überall in Dortmund im Umfeld von Kitas & Co gälte danach die Geschwindigkeitsbegrenzung zugunsten des Fußverkehrs. Und zwar, wie der Beschlussvorschlag präzisiert, „nicht nur im Bereich direkt vor den Eingängen, … sondern es müssen mindesten die beiden nächstgelegenen Fußgängerüberwege im Bereich des Tempolimits liegen. Zeitlich muss es mindestens bis zwei Stunden vor und nach den Öffnungszeiten gelten, damit Bring- und Holzeiten auf jeden Fall eingeschlossen sind.“
Zarte Erinnerungen an Diskussion um fußgängerfreundlichere Ausgestaltung von Straßenquerungen
In der anschließenden Ausschussdebatte läuft allerdings einiges durcheinander. Das war im AMIG bereits an anderer Stelle zu beobachten. Als es um die fußgängerfreundlichere Ausgestaltung von Straßenquerungen an Ampelanlagen und Fußgängerüberwegen in Dortmund ging.
Seitens der Stadtverwaltung wurden hier schnell rechtliche wie pragmatische Bedenken geltend gemacht, die nicht so einfach von der Hand zu weisen sind – und danach läuft das Anliegen Gefahr, zumindest auf kurze Sicht im Sande zu verlaufen (wir berichteten in Teil I, s.u.).
Ähnliches passiert nun in der Tempo-30-Frage: die Verwaltung sieht Hindernisse. Die Dinge sind in Deutschland halt gut geregelt und wenig bewegungsfreudig. – Doch zunächst passiert im AMIG etwas anderes. Da sind die kollegialen Vorbehalte aus anderen Fraktionen.
Einrichtung von Tempo-30-Zonen eigentlich eine Angelegenheit der entsprechenden BVs – ?
Gudrun Heidkamp für die SPD: „Meines Erachtens sind diese Sachen BV-Sachen“, sagt sie zu Tempo-30-Zonen vor Kitas & Co. Das sei auch sein Informationsstand, so der Ausschussvorsitzende und Genosse, Hendrik Berndsen.
Für die CDU erklärt Reinhard Frank: „Ich bin auch der Meinung, das gehört in die BV und nicht in den Ausschuss.“ Zudem wünschten sie sich ein einheitliches Konzept, sodass im AMIG nicht jedesmalig einzelne Straßen diskutiert werden müssten.
Leander Schreyer (Bündnis 90/Die Grünen) führt einen zusätzlichen Gesichtspunkt ein: Da, wo es noch keine 30-Zonen gäbe, sei das in der Regel wegen des Vorrangnetzes – mit entsprechenden Vorbehalten. Und findet den Gedanken sympathisch, es mal umzudrehen und prüfen zu lassen, wo es denn eigentlich mögliche 30er-Bereiche geben könnte.
Bezirksvertretung-Innenstadt-Nord und die Frage: Soll die ganze Schützenstraße zur Zone-30 werden?
Kurzer Szenenwechsel, in die Sitzung der Bezirksvertretung Innenstadt-Nord, tags drauf: dort stand Tempo-30 ebenfalls auf der Tagesordnung.
Es ging um die Schützenstraße. Dort gilt im südlichen Teil, also vom Hauptbahnhof kommend – von Grüne Straße bis Mallinckrodtstraße –, bereits das Tempolimit. Danach darf bis zur Immermannstraße wieder mit 50 km/h gefahren werden.
Doch auch hier – darauf verweist Bezirksbürgermeisterin Hannah Rosenbaum analog zu dem, was ihr Parteikollege aus dem AMIG andeutete – kann es nur um einen Prüfauftrag gehen. Denn die Straße gehört zum Vorbehaltsnetz der Stadt und daher entzieht sich die Einrichtung einer Zone Tempo-30 formal den Befugnissen der BV. Vielmehr wäre eine solche Maßnahme einem Ratsbeschluss vorbehalten.
Hintergrund: Vorfahrtstraßennetze dienen dem reibungslosen Fluss des KFZ-Verkehrs
Sog. Vorbehaltsnetze oder Vorfahrtstraßennetze sollen in der Bundesrepublik einen effektiven Verkehrsfluss sichern. Für Kraftfahrzeuge, wohlgemerkt. Ausgestaltet werden diese Netze seitens der einzelnen Kommunen. Sie sind nach der Straßenverkehrsordnung Voraussetzung zur Einrichtung von Tempo-30-Zonen. Zumeist handelt es sich bei den Netzstraßen – neben überörtlichen und solchen für den ÖPNV – um Verbindungen mit einer gewissen Bedeutung für die zügige Verkehrsabwicklung.
Typisch ist, was hier für Dortmund gilt: Nach den Allgemeine Richtlinien für die Bezirksvertretungen in der Hauptsatzung der Stadt gehen über „die bezirkliche Bedeutung“ hinaus: „Straßen im Vorrangnetz (Tempo-50-Straßen mit Verbindungsfunktion) entsprechend dem als Anlage 1 beigefügten Straßenverzeichnis in der jeweils gültigen Fassung.“
Das sind dann quasi die größeren und kleineren „Verkehrsadern“, auf denen der motorisierte Verkehr – bevorzugt gegenüber anderen Verkehrsteilnehmer*innen – durch das gesamte Stadtgebiet fließen kann.
Die Konsequenz: Bei den im Dortmunder Verzeichnis aufgeführten Straßen des Vorbehaltsnetzes – und dazu gehört etwa auch die gesamte Schützenstraße (einschließlich Brinkhoffstraße) bis runter zum Fredenbaumpark – verlieren die BVs ihre Zuständigkeit. Von der Straßenbenennung bis zur Einführung von 30er-Zonen. Hier entscheidet am Ende allein die Stadt durch einen entsprechenden Ratsbeschluss. Einzelne Bezirksvertretungen wie Ratsausschüsse können allenfalls Empfehlungen abgeben, mehr nicht.
Güterabwägung zwischen Sicherheit vulnerabler Fußverkehre und zügigen Verkehrsflüssen?
Aus demselben Grund (und weiteren Gründen) kann ein Ausschuss wie der AMIG nicht generelle Zonen mit einer Regelgeschwindigkeit von 30 km/h im Umfeld aller besagten Einrichtungen im Stadtgebiet mit einer vulnerablen Klientel (Kinder, Jugendliche, ältere Menschen) festlegen. – Doch es verkompliziert sich noch weiter.
Es entsteht nämlich das Problem, was wo und unter welchen Voraussetzungen überhaupt Sinn macht? Die Frage ist nicht einfach aus einer exklusiven Sicherheitsperspektive zu beantworten.
Denn die Stadtverwaltung, letztlich der Rat ist ja für weitaus mehr verantwortlich. Mit diesem erzwungenen Helikopterblick müssen sich die Verantwortlichen auch Gedanken darüber machen, was mit dem fließenden Verkehr auf den Vorbehaltsstraßen geschieht, wenn die ggf. ganz oder teilweise in Tempolimit-Zonen umgewandelt würden.
Dies könnte im Einzelfall unweigerlich zu Situationen einer – etwas hässlich anmutenden – Güterabwägung führen. Verkehrsfluss vs. die Sicherheit unserer Kinder? Die als Schwächere gegenüber dem KFZ-Verkehr im (wie wahrscheinlichen?) Konfliktfall auf den Straßen das Nachsehen hätten. – Dieses latente Spannungsverhältnis schwächte sich im Prinzip erst ab, gäbe es weniger Autos auf den Dortmunder Straßen. Das hingegen ist vorerst kaum absehbar.
Verkehrswende: Ihre multiplen Facetten hängen ähnlich zusammen wie bei einem komplexen Uhrwerk
Die angestrebte Verkehrswende, es erhellt sich, sie kann erst allmählich und nur durch sich selbst in Fahrt kommen – weil ihre vielen Facetten wie bei einem Uhrwerk zusammenhängen, aufeinander abgestimmt werden müssen. Und diese Komplexität stiftet teils Verwirrung, auch in den politischen Gremien.
Zu Beginn der Diskussion im AMIG um die Tempo-30-Zonen entgegnet Sonja Lemke für die Linke+ noch auf die Forderung von CDU-Sprecher Reinhard Franke nach einem einheitlichen Konzept: „Es geht genau um das einheitliche Vorgehen.“ Es ginge gerade darum, dass die Sache nicht immer wieder in jeder BV zum Thema gemacht und einzeln diskutiert werden müsste.
So versteht es zunächst auch der Ausschussvorsitzende, Hendrik Berndsen: Das genau sei doch die Stoßrichtung des vorliegenden Antrages gewesen: „Wir machen das jetzt einfach für alle Schulen und Kitas und möchten gern von der Verwaltung wissen, wo das geht und wo das nicht geht.“ Was zu prüfen wäre, aber auch hieße: Wenn was nicht geht, dann geht es eben nicht.
Prüfauftrag oder Empfehlung für eine Direktive zur flächendeckenden Einrichtung von Tempolimits?
Die Antragsteller*innen haben jedoch mehr im Sinn: Ja, angesichts der Gefahrenlage vor Kindergärten und Schulen solle die Einrichtung solcher Zonen in ganz Dortmund überprüft werden, macht Sonja Lemke für ihre Fraktion klar. Berndsen fragt irgendwann sicherheitshalber nach: „Es ist ein Prüfauftrag?“
Lemke bejaht, betont dann aber, indem sie sich auf den zweiten Absatz ihres Antrags bezieht: „An den Stellen, wo noch nicht Tempo-30 ist“, da wollten sie eine solche Zone auch eingerichtet wissen. „Weil das einfach ein wichtiger Schritt Richtung Verkehrssicherheit ist.“
Jetzt klingelt es endgültig: „Also gucken, wo’s geht, und wo es nicht geht, wird es ,gehbar‘ gemacht“, stellt Hendrik Berndsen fest. Das sei dann aber kein Prüfauftrag mehr, sondern schon ein einschneidender Antrag, „dass man überall da, wo keine 30 ging, dann zukünftig 30 macht“. Darüber müsse er nun abstimmen lassen. Also über den Gesamtantrag, mit beiden Absätzen. Doch dazu kam es so nicht.
Bundesrepublikanisches Verkehrsrecht verlangt für Zone-30 jeweils Einzelfallprüfung vor Ort
Im Falle mehrheitlicher Annahme hätte es sich um eine Empfehlung für den Stadtrat gehandelt, die in dieser Form vermutlich belanglos gewesen wäre, weil sie (im zweiten Absatz) die Regelungshoheit von Bezirksvertretungen für solche Straßen im Stadtbezirk ohne Tempolimit verletzt hätte, die nicht zum Vorbehaltsnetz gehören. Über die mithin nicht einfach auf gesamtkommunaler Ebene entschieden werden kann. Was aber genau mit der Initiative impliziert war.
Doch damit nicht genug: Es wäre, wie in dem Antrag anvisiert, sowieso nicht gewissermaßen alles „in einem Abwasch“ gegangen. D.h.: Flächendeckend in Dortmund Zone-30 an den entsprechenden Einrichtungen. Eine generelle Regelung für Tempolimit-Zonen kann es nämlich allein deshalb nicht geben, weil das dem bundesdeutschen Verkehrsrecht widerspräche.
Auf diesen übergeordneten Gesichtspunkt verweist – wie schon in der Debatte um freundlichere Querungen für Fußgänger*innen – mit Nachdruck erneut die Verwaltung. Kommunale Verkehrswende gegen Bundesrecht, das geht irgendwie nicht.
Stadtverwaltung soll lediglich prüfen, wo Tempo-30 in Dortmund noch sinnvoll machbar wäre
Sylvia Uehlendahl, Leiterin des Tiefbauamtes, erläutert: „Grundsätzlich gibt das Straßenverkehrsrecht das nicht her, dass wir das grundsätzlich beschließen; d.h. es muss immer eine Einzelfallprüfung stattfinden. Das ist natürlich sehr aufwendig, aber das ist möglich.“
Ein solch umfassender Prüfauftrag – und nur so könne es daher beschlossen werden – wäre aber nicht neben dem Geschäft der laufenden Verwaltung her zu leisten. Sie könne sich aber vorstellen, ihn „in der Erhebung, in der Kontrolle vor Ort“ extern zu vergeben.
Ergo: externe Gutachter*innen sollen her. Für die nächste Sitzung, so ihr Gedanke, läge dann ein Vorschlag vor, wie dies beauftragt werden könne. In der Folge gäbe es (irgendwann) Empfehlungen, „wo das wirklich Sinn macht und wo nicht“, so Uehlendahl.
„Wenn es hinterher an 100 Prozent der Stellen Sinn macht, dann soll mir das recht sein. Doch formal müssen wir eine Einzelprüfung vornehmen“, weist sie noch einmal auf die Handlungsbedingungen für das Motiv einer Verdichtung von Tempo-30-Zonen an sensitiven Einrichtungen in der Stadt hin. Um rechtlich gemeinsam auf der sicheren Seite zu sein.
Christian Gebel, Linke+, ist einverstanden: In der Tat, der erste Absatz sei ein Prüfauftrag gewesen, der zweite dagegen beinhaltete, „wie wir dann wünschen, dass es weitergeht“. Der stand aber nun nicht mehr zur Abstimmung, konnte es aus besagten Gründen nicht. Immerhin: der Prüfauftrag selbst wurde in dem Gremium durchgewunken.
Was wie in Sachen freundlicher Straßenquerungen für den Fußverkehr eintrat – hier wiederholt es sich gleichsam. Knorriges Unterholz allenthalben. Hendrik Berndsen zieht dennoch ein positives Résumé, die Mühlen des politischen Geschäfts mahlen zuweilen sehr langsam: „Dann hat die Verwaltung bis zur nächsten Sitzung eine schöne Aufgabe.“
Weitere Informationen:
- Stadt Dortmund, Masterplan Mobilität 2030 – Zielkonzept; hier:
- Wichtige Teilsaspekte des Masterplans wurden bei der Digitalen Mobilitätswoche in Dortmund veranschaulicht (Videos); hier:
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