Wir können nicht aufbrechen, ohne zuvor mit etwas zu brechen. Aufbruch ist der bewegende Moment vor der Bewegung von etwas weg und zu etwas hin. Aufbrüche sind ganz und gar nicht einfach, oft sind sie sogar unmöglich, weil das Festhalten an etwas nicht selten viel stärker ist als das Loslassen. In jedem Aufbruch schwingt diese Spannung mit und das spürt man in nahezu allen Arbeiten dieser Ausstellung. Die in der Ausstellung versammelten Künstler:innen vereint der Mut, der jedem Aufbruch innewohnt. Ihre Arbeiten sind noch bis zum 15. Mai 2022 in der BIG gallery am Dortmunder U zu sehen. Der Eintritt ist kostenlos.
Mittendrin in einer Zeit massiver Auf- und Umbrüche
Die Geschichte der Kunst ist eine Geschichte der Aufbrüche und Umbrüche, die immer mit gesellschaftlichen Veränderungen zusammenlaufen.
Dabei gehören Kriege und Vertreibungen ebenso wie Epidemien und Pandemien dazu wie in der jüngeren Geschichte die Weltkriege und die Spanische Grippe, im Zuge derer die Kunst der Moderne ihre prägenden Umbrüche hervorgebracht hat.
Zerstörung, Isolation, Krankheit und Tod zeichnen den Horizont für den Aufbruch in die Moderne und sind heute erschreckend aktuell. Wir sind mittendrin in einer Zeit massiver Auf- und Umbrüche.
Zeitenwende von Corona-Pandemie und Erderwärmung
Fast alle hier gezeigten Arbeiten sind 2020 und 2021 entstanden in der Zeitenwende von Pandemie und Erderwärmung. Die Arbeiten von Marc Bühren und Richard A. Cox berühren mit ihrer Bildsprache die Corona-Pandemie.
Die berühmten Künstler Franz Marc, Egon Schiele, Edward Munch oder John Singer Sargent haben noch dem leidenden Menschen unter der Spanischen Grippe ein Gesicht gegeben. Hinter unseren medialen Bilderfluten der Pandemie verschwindet jedoch der Mensch hinter Diagrammen und Kurven. In den Arbeiten von Marc Bühren und Richard A. Cox wird diese Entkörperlichung zum Anlass ihrer Kunst.
Walter Hellenthal, Christoph Ihrig, Axel M. Mosler und Dieter Ziegenfeuter erinnern in ihren Arbeiten an das zweite große Thema unserer Zeitenwende, Erderwärmung und Klimaveränderung. Das Verhältnis des Menschen zur Natur verlangt mehr denn je nach Aufbruch und Umbruch.
Axel M. Moslers Fotografie „Ligna # 2“ greift den Fluss der Bewegung anders auf. Ligna bedeutet im Lateinischen „die Hölzer“, die in den Bildern der Rodungen des Regenwaldes mehr und mehr zu Symbolen der Zerstörung werden.
Künstlerische Vielfalt zu aktuellen Themen
Dieter Ziegenfeuter entführt mit seinen surrealen Wolkenbildern in eine Welt, in der sich Vordergrund und Hintergrund aneinander klammern, um überhaupt noch Halt zu finden. Wladimir Kalistratow und Andi Knappe öffnen einen weiteren Horizont der Aufbrüche.
Neben Corona-Krise und Erderwärmung ist die Digitalisierung ein weiteres Großthema unserer Tage. Wladimir Kalistratow entwickelt seine phantastischen Welten nicht nur am Computer, er thematisiert dabei auch die Digitalisierung selbst.
Andi Knappe nähert sich dem Digitalen mit dem Printmixpaint-Verfahren und Acryl. Seine Space-Labore vereinigen im Kontext des Themas „Aufbruch“ in gewisser Weise alle drei genannten Großthemen. Der Künstler bricht gleichsam auf in eine Welt hinter unserer Welt.
Ausstellung ist noch bis zum 15. Mai 2022 zu sehen – Eintritt frei
Petra Böttcher-Reiff zeigt drei Variationen zu dem Thema „Industriearchitektur“. Eine vielschichtige Symbolik in ihren Arbeiten lässt uns Auf- und Umbrüche assoziieren, als würde die postindustrielle Gesellschaft noch lange die grau-schwarz-weißen Schatten mit sich führen.
Irmhild Koeniger-Rosenlecher begibt sich mit vielfältigen künstlerischen Mitteln wie Zeichnung, Collage, Kaltnadelradierung auf eine künstlerische Forschungsreise in die Welt dreier berühmter Frauen, Sibylle Merian, Annette von Droste Hülshoff und Marie Luise Fleisser, „die jeweils zu ihrer Zeit mit künstlerischen Aufbrüchen zukunftsweisend waren.“ Wir sehen hier sehr deutlich, dass Aufbrüche keinesfalls laute und erschütternde Ereignisse sein müssen.
In der Kunstgeschichte hat so mancher Aufbruch zum Übergang in eine neue Schaffensphase des Künstlers geführt. Ganz eindrucksvoll trifft das auf einen der Väter der amerikanischen Avantgarde, Mark Rothko zu, mit dem sich Werner Block in seinen Arbeiten auseinandersetzt.
Das Werk Rothkos gehört der Farbe. Kaum ein anderer hat den Farben das Leuchten in unzähligen Variationen abgerungen, bis er aufgebrochen ist in das Schwarz. Schwarz verbindet er mit existentiellen Fragen, mit der Leere und dem Nichts. Spätestens hier wird das Visionäre der Kunst unübersehbar.
Weitere Infos: www.big-gallery.de