Von Leopold Achilles
2017 wurde in vielen Ländern der Europäischen Union gewählt. Dabei war ein Erstarken der rechtspopulistischen Parteien zu beobachten. Dieser Trend scheint sich auch im Jahr 2018 fortzusetzen. Was bedeutet dies für die Europäische Union und die europäische Gesellschaft? Welche Herausforderungen kommen auf uns zu? Was sind Erklärungen und Hintergründe für diesen Rechtsruck? Welche Auswirkungen haben die Entwicklungen auf die Wahl zum Europäischen Parlament im Frühjahr 2019?
Diese Fragen wurden bei der Diskussionsveranstaltung mit Dr. Marcel Lewandowsky (Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg) und Prof. Dr. Beate Küpper (Hochschule Niederrhein) thematisiert. Zu der Veranstaltung hatte die Auslandsgesellschaft, neben der alten Steinwache, am Nordausgang des Dortmunder Hauptbahnhofs geladen. Moderiert wurde sie von Jutta Reiter (Vorsitzende des DGB Dortmund-Hellweg).
„Die einen sind populistisch, aber nicht rechtsextrem, und anders herum“
Zu Beginn des Abends in der Auslandsgesellschaft stand ein einfacher Vergleich: der Unterschied zwischen rechtem Verhalten und rechten Einstellungen. Küpper beobachtet, dass sich Extremisten und Populisten nicht mehr allein durch Gewalt unterscheiden. „Das löst sich langsam auf“ sagt die Professorin. „Die einen sind populistisch, aber nicht rechtsextrem, und anders herum“ ergänzt Lewandowsky. Er erklärt, dass es auch unter linken Parteien klare Züge von Populismus gäbe.
Lewandowsky nennt jene, die den Volksgeist hochhalten, und vermeintlich besser wissen, was gut für die Menschen ist: „Anti-Eliten“. Diese Mobilisierung gegen „Die-da-Oben“ möchte der Parteienforscher aber nicht per se populistisch nennen. Viele der aktuell zu beobachtenden Parteien sind seiner Meinung nach schon längst etabliert. Wie zum Beispiel die SVP in der Schweiz. Diese Parteien lehnen die repräsentative Demokratie zwar nicht ab, so Lewandowsky, sondern sind nur der Meinung, „Die-da-Oben“ durch sich selbst austauschen zu müssen. Ein klarer Unterschied zu verfassungsfeindlichen, rechtsextremen Parteien wie der NPD in Deutschland.
In Deutschland werden rechte PolitikerInnen von Partei zu Partei durchgereicht
Doch wie geht man damit um, wenn die extremistischen Teile einer Partei nicht mehr klar erkennbar sind? Lewandowsky holt aus und erklärt, dass Deutschland auf der politischen Rechten weit zersplittert ist. Deutschland hatte lange keine erfolgreiche rechte Partei, stellt er fest und meint damit alles rechts von CDU/CSU. In Frankreich zum Beispiel seien der Front National oder in Österreich die FPÖ etablierte Parteien. So weit sei es in Deutschland noch nicht.
Lewandosky bezeichnet die beiden Parteien aus den Nachbarländern als erfolgreich im rechten Sinn und stellt fest, dass sie schaffen würden, rechtsextreme Positionen, besonders aber rechtsextreme Menschen zu integrieren. Das gelänge deutschen Parteien nicht. Hierzulande werden rechte PolitikerInnen von Partei zu Partei durchgereicht, anstatt wie in anderen europäischen Ländern wirklich eine Art von politischer Karriere hin zu legen.
Die AfD ist noch sehr jung und schwer einzuschätzen
Die genannten Parteien schaffen es, ein Spannungsfeld zwischen moderaten und extremen Einstellungen aufrecht zu halten, erklärt Lewandowsky. Genau diese Spannung sei der Grund für Abspaltungen, wie zum Beispiel im Fall der AfD-Gründungsriege, als der wirtschaftsliberale Flügel die Partei weitgehend verlies. Oder wie es bei der aktuellen Version der Alternative für Deutschland erst vor ein paar Monaten zu beobachten war.
Während es anderen Parteien gelingt, Rechte zu integrieren und auf sie mäßigend einzuwirken, ist es bei der AfD so, dass es genau in die andere Richtung geht und die Bindungskraft innerhalb der Partei verloren geht, erklärt Küpper den Unterschied.
Die AfD sei aber auch eine noch sehr junge Partei, ergänzt Lewandowsky. Es bleibt für ihn daher abzuwarten und schwer einzuschätzen, wie stark diese Partei wirklich ist.
Noch vor Jahren wäre man erschrocken gewesen – Jetzt sitzen Rechte in unseren Parlamenten
Lewandowsky spricht die Frage an, was passierte, wenn es bald zu einer „Normalisierung“ käme, wenn eine Tolerierung durch rechte Parteien wie der AfD und eine Koalition mit ihr möglich würde? Wie zum Beispiel in Sachsen-Anhalt, wo die AfD durchaus mit der CDU koalieren könnte.
In den neuen Bundesländern gäbe es dort eine Normalisierung, meint Lewandowsky. Wo man noch vor zwei Jahren erschrocken gewesen wäre, sei es heute normal, wenn vermeintlich rechtsextreme in Parlamenten sitzen.
Aber schneiden die Rechtspopulisten sich nicht selbst ins eigene Fleisch, wenn sie gegen das Establishment sind, letztendlich dann aber selbst zu diesem werden?
Das Wahlverhalten ändert sich: Wer rechts ist, der wählt auch rechte Positionen
Ein Differenzierter Blick auf andere europäische Länder zeigt für Lewandowsky, dass die Ursachen des aktuell erstarkenden Rechtspopulismus sich auch im Wahlverhalten spiegelten. Er glaubt, dass es Unterschiede in den Gründen der Wähler der verschiedenen Länder gibt, warum diese rechte Parteien wählen.
„Es könnte sein, dass die Norweger und Niederländer aus anderen Gründen rechts gewählt haben, als die Deutschen“, stellt er in den Raum. Dazu gibt es leider keine abgeschlossene Forschung, erklärt er weiter. Seiner These nach sind es die Modernisierungsverlierer. „Das hat mit ökonomischen Prozessen zu tun.“
Für die beiden Wissenschaftler ist klar, dass rechte Parteien wie die AfD, der Front National oder die FPÖ, gewählt werden, weil sie rechts sind. Und das hat mit ihren WählerInnen zu tun. Ganz einfach. Die eigenen rechten Einstellungen sind letztendlich ausschlaggebend und sorgen für die zu beobachtenden Wahlergebnisse.
Rechte Parteien gewinnen Wahlen, gerade weil sie rechte Parteien sind!
Küpper führt aus, die vorliegenden Daten zeigten, dass alle Effekte auf das Wahlverhalten verschwänden, wenn nach Einstellungen zu Migration und/oder Asyl gefragt werden. Andere Aspekte sind danach nicht mehr wichtig. Diese Parteien gewinnen Wahlen, gerade weil sie rechte Parteien sind, so Küpper.
Ganz einfach das Gefühl einer Benachteiligung reicht beim Menschen schon aus, um für eine Reaktion zu sorgen. Als Beispiel wird die Finanzkrise 2008 genannt, bei der, während und nach der Krise ein Erstarken von rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien zu beobachten war und ist.
Diese Phänomene, von erstarkenden rechten Tendenzen, gibt es dann, wenn die Menschen „dran riechen können“, dass es ihnen (bald) wieder besser geht, erklärt Lewandowsky. Für ihn ein ganz normaler Vorgang: Den meisten geht es gut, wenn man sie danach fragt, aber relativ gesehen, geht es ihnen immer schlechter als den „Anderen“: den Ausländern, den Asylanten. Eine gefühlte und häufig unbegründete Einstellung, und so ein einfaches rechtes Modell.
Soziale Normen schaffen den Nährboden für rechtes Gedankengut
Für Küpper wird die Wahrscheinlichkeit höher, dass Einstellungen zu Handlungen werden, wenn sie sich im Kontext affiner sozialer Normen befinden. Wenn Bezugspersonen derselben Einstellung sind und prädominant die Möglichkeit besteht, das Verhalten nach der rechtsextremen oder rechtspopulistischen Einstellung an den Tag zu legen, steigt die Wahrscheinlichkeit, letztendlich rechts zu wählen und weiter zu handeln, signifikant.
Jutta Reiter möchte wissen, was wir tun müssen, um diesen Rechtsruck aufzuhalten. Für Küpper als Sozialpsychologin ist klar, dass sich die Meinungen langsam bilden und eine Gewöhnung statt findet, die sich als gefährlich herausstellt. Besonders für Deutschland mit der Geschichte des Nationalsozialismus im Hinterkopf. Wir merken auch eine Verschiebung und Umdeutung nicht nur von Begrifflichkeiten, führt Küpper weiter aus. Auch Mode würde von Neu-Rechten neu interpretiert. Man schaue sich nur an, was Rechte heute tragen, was noch vor 10 Jahren.
„Die Rechten, rechts überholen“ – Eine Strategie, die das Gegenteil dessen bewirkt, was sie intendiert
Für Lewandowsky ist eine der Ursachen für den rechten Aufwind in Deutschland das „In-die-Mitte-Rücken“ der Konservativen. „Wir können sehen, dass die AfD vor ein paar Jahren noch rechts und die Union in der Mitte wahrgenommen wurde – das hat der AfD den Boden bereitet – Das hat dazu geführt dass ein gewisser Raum frei wurde“.
Laut Lewandowsky kann diese Entwicklung nicht einfach rückgängig gemacht werden. Nach dem Motto: „Jetzt werden wir mal wieder konservativer und dann wird das schon!“ – Für Ihn sind das langwierige Prozesse. Daher keine, die eine Partei einfach umkehren könnte. Da, wo Parteien, wie die CDU/CSU, versuchen, die Positionen von Rechten wie der AfD zu adaptieren, verlieren die rechten Parteien nicht – sondern es sind die etablierten die verlieren. Und Lewandowsky warnt, nicht der einfachen Versuchung nach zu gehen, zu imitieren, was bei Rechten funktioniere.
Die Redner:
Dr. phil. Marcel Lewandowsky, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg. Studium der Politikwissenschaft, der Neueren Geschichte und des Völkerrechts an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und an der University of Birmingham (Vereinigtes Königreich). 2012 Promotion in Bonn zum Thema „Landtagswahlkämpfe”. Forscht seit 2007 zum Populismus im europäischen Vergleich unter besonderer Berücksichtigung der Bundesrepublik Deutschland.
Prof. Dr. Beate Küpper hat die Professur für Soziale Arbeit in Gruppen und Konfliktsituationen an der Hochschule Niederrhein und ist ehemaliger Fellow der Stiftung Mercator für das Thema Rechtspopulismus im Praxisfeld Integration. Sie war an der Studie Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Deutschland und Europa, der Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung und als Mitglied im 2. Unabhängigen Expertenrat Antisemitismus, eingesetzt durch den Deutschen Bundestag, beteiligt.