„Was uns unser Gewissen befiehlt“ lautet der Titel einer Vortragsveranstaltung über das Leben und Wirken von Ludwig Rosenberg, die am Dienstag, 5. Juni 2018, 19 Uhr, in der Auslandsgesellschaft. Der in Dortmund lebende Zeithistoriker Dr. Frank Ahland stellt auf Einladung der DGB-Region Dortmund-Hellweg und des Deutsch-Israelischen Länderkreises der Auslandsgesellschaft das Engagement von Ludwig Rosenberg (1903 bis 1977) für Israel in den Kontext seiner Biografie. Rosenberg gehörte 20 Jahre lang – davon 1962 bis 1969 für sieben als DGB-Vorsitzender – dem Geschäftsführenden Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes an. In dieser Funktion trat er häufig in Dortmund auf. Er war ein wichtiger Motor der freundschaftlichen Beziehungen zu Israel. Nordstadtblogger sprach mit Dr. Frank Ahland, der sich der Biografie des Gewerkschafters gewidmet hat.
Was hat Rosenberg geprägt, welche Ereignisse haben ihn geformt?
Dr. Frank Ahland: Ludwig Rosenberg war zeitlebens geprägt durch die ersten Jahre der Weimarer Demokratie. Durch die umkämpfte Erringung der Demokratie und ihre massive Gefährdung. Durch die Morde an Matthias Erzberger und Walther Rathenau, dem Finanz- und dem Außenminister, durch rechtsextreme Kräfte 1921/22. Aus dieser Erfahrung heraus engagierte er sich gewerkschaftlich und politisch und trat dem neu gegründeten Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold bei, einem republikanischen Schutzbund.
Im März/April 1933, Rosenberg war Gewerkschaftssekretär, entließ ihn seine Gewerkschaft in der irren Hoffnung, sich dem neuen Regime der Nationalsozialisten anpassen zu können, um so die Organisation zu erhalten. Rosenberg wurde zu diesem Zweck als Jude entlassen. Dabei nahm die Gewerkschaft sogar die rassische NS-Definition eines Juden an, denn Rosenberg war längst aus der Jüdischen Gemeinde ausgetreten. Alle Anpassung halt nichts, die Gewerkschaft wurde verboten.
Wie hat Rosenberg die Zeit des Nationalsozialismus erlebt und überlebt?
Rosenberg war nun, wie auch seine Verlobte, arbeitslos. Das Paar verließ – wie viele Verfolgte – Deutschland und verbrachte 13 Jahre in London. Die ersten Jahre waren sehr schwer, das junge Paar lebte in großer Armut. Er unternahm Versuche, sich kärglich als Journalist und Kaufmann durchzuschlagen. Ohne Unterstützung durch den Internationalen Gewerkschaftsbund und seine Familie in Deutschland ging es nicht. Erst mit Kriegsbeginn besserte sich die Lage: Rosenberg bekam über seine Kontakte in die britische Arbeiterbewegung eine Stelle im Arbeitsministerium.
Dass während dieser Zeit seine Mutter und sein Onkel neben vielen anderen Familienangehörigen aus Deutschland verschleppt und ermordet wurden, ahnte er schon früh. Erst später erlangte er Gewissheit. Zeit seines Lebens plagte ihn der Gedanke, nicht genug getan zu haben, um seine Familie ins rettende Exil zu holen. Wir wissen, er hätte es nicht gekonnt, doch das Gefühl des Versagens prägte später sein Engagement für Israel.
Welchen Stellenwert bzw. welche Bedeutung hat Rosenberg in den deutsch-israelischen Beziehungen?
Wir können uns Rosenberg als einen Vermittler vorstellen, der aufgrund seiner jüdischen Herkunft Brücken zwischen israelischen und deutschen Gewerkschaftern und Politikern bauen konnte. In den Fünfziger Jahren war die israelische Gesellschaft noch kaum bereit, irgendwelche Beziehungen mit Deutschland zu pflegen. Man schlug Adenauers Angebot, diplomatische Beziehungen aufzunehmen, aus. Selbst wirtschaftliche Beziehungen wurden von einigen sehr kritisch gesehen.
Israels Staatsgründer David Ben Gurion, der auch den Gewerkschaftsdachverband Histadrut ins Leben gerufen hatte, hatte bereits während des Krieges in London ein Gespräch mit deutschen Gewerkschaftern im Exil geführt, darunter Ludwig Rosenberg. 1953 vermitteln jüdische Gewerkschafter aus den USA einen Kontakt zwischen Gewerkschaftern aus Israel und der Bundesrepublik.
1955 fährt Rosenberg schließlich erstmals nach Israel. Zwei Jahre später folgt die erste offizielle DGB-Delegation. Der DGB sprach sogleich eine Gegeneinladung nach Deutschland aus, doch sollte es bis dahin noch zehn Jahre dauern, so skeptisch war das Zentralkomitee der Histadrut.
Bei der Histadrut gab es viele Bedenken. Wie kam es zu dem Umdenken auf israelischer Seite?
In den 1960ern änderte sich die Lage. Israel brauchte Verbündete, die dem kleinen Land wirtschaftlich und politisch auf die Beine halfen. Die israelische Regierung wollte nun diplomatische Beziehungen mit der Bundesrepublik. Doch die Bundesregierung unter Ludwig Erhard zögerte unerträglich lang.
Sie verließ sich auf die warnenden Stimmen aus dem Auswärtigen Amt, die wiederum den Druck der arabischen Staaten und vor allem der Arabischen Liga massiv überschätzten. Man fürchtete, die arabischen Staaten könnten sich der Sowjetunion zuwenden.
Zahlreiche bedeutende Politiker der Bundesrepublik auch aus den Reihen der Union sahen das anders, vermochten Erhard jedoch nicht zu überzeugen. In dieser Situation überzeugte Rosenberg den DGB und die Gewerkschaften, mit einer Unterschriftenaktion die Forderung nach einem Botschafteraustausch zu unterstützen.
Doch die Aktion verlief nicht wie gewünscht, die Zahl der gesammelten Unterschriften blieb kläglich gering. Antisemitische Hetze schlug dem DGB und vor allem Rosenberg entgegen.
Dennoch, auch diese Aktion trug letztlich dazu bei, dass der zaudernde Erhard über seinen Schatten sprang. Im Frühjahr 1965 tauschten Israel und die Bundesrepublik Botschafter aus.
Aber noch immer war der Generalsekretär der israelischen Histadrut nicht in Deutschland?
Ja, der DGB wartete noch immer auf Aharon Becker, den Generalsekretär der Histadrut. Becker selbst war längst bereit, allein sein Zentralkomitee konnte sich nicht entschließen.
Erst als im Juni 1967, noch während des Sechs-Tage-Krieges, der DGB und die Gewerkschaften Gelder für den Wiederaufbau des Landes zur Verfügung stellte, reisten vier hochrangige Männer aus der zweiten Reihe der Histadrut in die Bundesrepublik. Dort schwammen sie auf einer unerwartet großen Welle der Sympathie. Zurückgekehrt berichteten sie überwältigt von ihren Erlebnissen.
Noch einmal zwei Jahre später reiste Becker nach Deutschland. Rosenberg, inzwischen pensioniert, lud ihn samt Bundeskanzler und Bundespräsident nebst zahlreichen Ministern und Politikern in sein Privathaus ein. Und 1975 schließlich gossen Histadrut und DGB ihre Kontakte in einen förmlichen Vertrag.
Wie schwierig war es für einen Deutschen jüdischen Glaubens, in der Gewerkschaft bis an die Spitze zu kommen?
Zunächst einmal: Rosenberg war nicht jüdischen Glaubens. Er war seinem Selbstverständnis nach überhaupt kein Jude. Erst durch die Verfolgung seiner Familie, durch das Glück, rechtzeitig demselben Schicksal entronnen zu sein, wurde er wieder zum Juden gemacht – letztlich durch die Shoah. Und obwohl niemals Zionist, wurde er zu einem der überzeugtesten Freunde Israels.
Wenn Rosenberg etwa als Redner in der Woche der Brüderlichkeit sprach, dann stets als Vertreter des DGB-Bundesvorstandes, niemals als Jude. Auch argumentierte er dabei stets politisch, niemals religiös. Der Ausgleich zwischen den Religionen und den Konfessionen war ihm zweitrangig, ihm ging es darum, wirtschaftliche, soziale, politische und kulturelle Bedingungen zu schaffen, die den Rückfall in die Barbarei ein für alle Mal verhindern sollten.
Wurde er als Jude angefeindet?
Weiten Teilen der Öffentlichkeit war bekannt, dass Rosenberg aus einem jüdischen Elternhaus kam. Als er 1962 zum Vorsitzenden des DGB gewählt wurde, hieß es in einer anonymen Hetzschrift: „Musste es wieder ein Itzig sein?” Nicht nur in der politischen Rechten, auch in den Gewerkschaften, die sich als immun gegen nationalsozialistische Einflüsterungen wahrnahmen, lebten antisemitische Stereotype fort und konnten jederzeit mobilisiert werden.
Im Rahmen der Unterschriftenkampagne 1964/65 verstärkte sich die Hetze ungeheuer. Auch die neu gegründete NPD hetzte gegen Rosenberg. Adolf Arndt, der sozialdemokratische Rechtsexperte, machte die Angriffe gegen den Juden Rosenberg zum Thema im Bundestag, die rechtsextreme Presse spreche die „Sprache der potentiellen Mörder von morgen”, so Arndt unter dem Beifall der Abgeordneten. Er fügte hinzu: „Wenn es je etwas Ehrenloseres gab, etwas bis in den letzten Winkel des Schmutzes der eigenen Seele Verlumptes, dann ist das diese ehrlose Haltung solcher Blätter.”
Erst nach dieser Hetze und der prominenten Verteidigung konnte Rosenberg in seinem letzten Lebensjahrzehnt öffentlich über sein Leben und das Schicksal seiner Familie sprechen. Dabei sprach er insbesondere die Jugend an, in ihr erkannte er am ehesten Anzeichen einer glaubwürdigen Abkehr von den dunkelsten Kapiteln der deutschen Geschichte. So führte er junge Stahlarbeiter mit einem bekannten Künstler zusammen, gemeinsam entwarfen sie den „Baum der Schmerzen” und stellten ihn in Haifa auf.
Welche Errungenschaften sind mit seinem Namen verbunden?
DGB-Vorsitzende stehen, anders die Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften, die auf wichtige tarifpolitische Durchbrüche und heftige Arbeitskämpfe verweisen können, weniger für spezifische Errungenschaften. Ludwig Rosenbergs Lebensthema war, wie beschrieben, die Demokratisierung, darin sah er nicht bloß die Einführung und Einhaltung formaler Regeln, sondern einen stets fortschreitenden Prozess, die Demokratie zu leben. Dazu gehörte unteilbar die Demokratisierung der Wirtschaft.
Zugleich hat Rosenberg die Gewerkschaften untrennbar mit der europäischen Integration verknüpft. Er gehörte zu den engsten Mitwirkenden im Aktionskomitee für die Vereinigten Staaten von Europa, das Jean Monnet 1955 ins Leben gerufen hatte und ohne das es die Europäische Union niemals gegeben hätte.
Hat man sich überhaupt an ihn erinnert oder haben Sie ihn „wiederentdeckt“?
Im DGB und den Einzelgewerkschaften war die Erinnerung an Ludwig Rosenberg vollkommen verblasst. Dabei war er in den sechziger Jahren ein in den Medien überaus präsenter Gewerkschafter, noch dazu ein eloquenter Redner, was man nun wahrlich nicht von einem typischen Gewerkschaftsführer dieser Zeit behaupten konnte.
Dass er dennoch der Vergessenheit anheim fiel, hing nicht zuletzt mit einem Generationenwechsel im DGB 1969 zusammen. Die Riege der noch in der Weimarer Republik geprägten Gewerkschaften trat ab, neue Gesichter dominierten. Darunter der in Bochum geborene Heinz Oskar Vetter, der den DGB immerhin dreizehn Jahre lang führte und prägte.
Seit einigen Jahren ist Ludwig Rosenberg Namenspatron eines Graduiertenkollegs am Moses-Mendelssohn-Zentrum für europäisch-jüdische Studien in Potsdam, das historische Bezüge zwischen der Arbeiterbewegung und dem Judentum untersucht.
Terminhinweis:
Der Vortrag von Dr. Frank Ahland findet am Dienstag, 5. Juni 2018, um 19 Uhr, in der Auslandsgesellschaft, Steinstraße 48, in Dortmund statt. Der Eintritt ist frei. Organisiert wird die Veranstaltung von der DGB-Region Dortmund-Hellweg und der Deutsch-Israelischen Länderkreises der Auslandsgesellschaft.