Herbsttagung des Sozialwissenschaftlichen Arbeitskreises der Kommende

Vertrauensverlust der Kirchen und zunehmende religiöse Gleichgültigkeit als Themen

Erzbischof Dr. Udo Markus Bentz und Prälat Dr. Peter Klasvogt (li., Direktor Kommende) mit Referierenden:. (v.2.l.) Prof. Dr. Detlef Pollack (Uni Münster), Prof. Dr. Ilona Ostner (Uni Götting) und Prof. DDr. Karl Gabriel (Uni Münster). Foto: Thomas Throenle / Erzbistum Paderborn

Die Ergebnisse der neuen Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU 6) haben im Herbst 2023 ein großes öffentliches Echo ausgelöst. Die ernüchternde Entwicklung einer zunehmenden religiösen Gleichgültigkeit – weniger als die Hälfte der Menschen in Deutschland sind noch Mitglied in einer der beiden großen Kirchen – war Thema der Herbsttagung des Sozialwissenschaftlichen Arbeitskreises der Kommende Dortmund mit Erzbischof Dr. Udo Markus Bentz, die jetzt in Paderborn stattfand.

Austrittswelle von Katholik:innen in der Vertrauenskrise begründet

Der Sozialethiker und Soziologe Professor DDr. Karl Gabriel von der Universität Münster warnte vor einer vorschnellen Interpretation der KMU 6 als Trend moderner Säkularisierung. Dies berge die Gefahr einer „selbsterfüllenden Prophezeiung“, warnte der Wissenschaftler. Gerade im Blick auf die katholische Kirche lasse sich zeigen, dass die Austrittswelle vor allem in einer Vertrauenskrise begründet sei. Die Kirche müsse das Vertrauen in der Bevölkerung zurückgewinnen, wofür es Chancen und Potentiale gebe.

Auch der Religionssoziologe Professor Dr. Detlef Pollack, Universität Münster, verwies in seinem Vortrag auf die Glaubwürdigkeitskrise der Kirchen. Er stellte die Ergebnisse der KMU 6 zum massiven Einbruch der Kirchlichkeit im Detail vor. Diese Ergebnisse bestätigen den Trend der Säkularisierung und widersprechen anderslautenden Deutungen.

Neben dem Vertrauensverlust der Kirchen und ihrem schlechten Image in der Öffentlichkeit sei eine zunehmende religiöse Indifferenz (Gleichgültigkeit) und ein deutlicher Rückgang der Verbundenheit mit der Kirche zu beobachten.

Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung zeigen, dass auch bei Kirchenmitgliedern eine „Verflüssigung“ von Glaubensinhalten, eine Wertschätzung außerkirchlicher Religiositätsformen, die Anerkennung anderer Religionen und die Relativierung eigener Wahrheitsansprüche sowie der Wunsch nach selbstbestimmter, institutionskritischer Lebensführung zu beobachten ist. Dr. Pollack verwies auch darauf, dass mit der Steigerung des Wohlstands es zu einer Aufmerksamkeitsverschiebung hin zu einer Diesseitsorientierung und weg von einer Erlösungshoffnung komme.

Die religiöse Sozialisation schwindet

Ist der Trend zur Säkularisierung umkehrbar? Professor Dr. Pollack zeigte sich skeptisch. Die Ergebnisse der KMU 6 belegen auch einen Rückgang der familiären kirchlichen Sozialisation. So gehen die Quoten der Taufen, Konfirmationen und Firmungen zurück.

Im Sozialwissenschaftlichen Arbeitskreis arbeiten Wissenschaftler:innen  aus Theologie, Sozialethik, Soziologie, Politik, Ökonomie, Gesundheitswissenschaften und Recht zusammen. Foto: Thomas Throenle / Erzbistum Paderborn

Bemerkenswert sei dagegen das hohe ehrenamtliche Engagement von Kirchenmitgliedern. Als Gründe für ein Verbleiben in der Kirche werden vor allem das caritative beziehungsweise diakonische Engagement und Traditionsgründe genannt.

Einem Zusammenhang von Rechtspopulismus und Volksfrömmigkeit, wie etwa bei den Präsidentschaftswahlen in den USA zu sehen, widersprach Pollack. Die Untersuchungen zeigen, dass liberale Werte bei Kirchenmitgliedern stärker vertreten werden als außerhalb.

Die Kirchen, so Religionssoziologe Dr. Pollack, müssten lernen, mit der Säkularisierung umzugehen und dazu ihre Ressourcen nutzen. Anknüpfungspunkte kirchlichen Handelns sieht er in einer Neubestimmung des Verhältnisses von Kirchlichkeit und Religiosität, professionelles Handeln in sozialen Feldern und der Bedeutung familiärer Sozialisation sowie der Seelsorge vor Ort. Wichtig sei, das öffentliche Bild von Kirche zu ändern. Es bestehe ein großer Widerspruch zwischen dem schlechten Image der Kirche und der hohen Wertschätzung, wie in der Kirche miteinander umgegangen werde. Die Theologie sei gefordert, ein dezentrales Kirchenbild zu entwickeln.

Zusammenhang von Missbrauchs-Skandal und Kirchenaustritt

Für Professor DDr. Karl Gabriel genügt der Trend zur Säkularisierung nicht als Grund für die massiven Austrittswellen aus der katholischen Kirche seit 2010. Die Säkularisierung als Grund für den Kirchenaustritt werde überlagert durch eine große Enttäuschung durch den Missbrauch von Klerikern und dem internen Umgang damit. Angesichts der rigiden Sexualmoral sei die Fallhöhe besonders hoch und die emotionalen Reaktionen verständlich.

Insbesondere unter Katholiken sei der Grund für den Kirchenaustritt weniger eine schleichende Entfremdung und Gleichgültigkeit als vielmehr Wut und Zorn über den Missbrauch. Mehrheitlich erwartet wird, so lässt sich der KMU 6 entnehmen, ein Schuldbekenntnis der Kirche und glaubwürdige Schritt der Reform, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.

Professor Gabriel warnte davor, die Schuld nur auf die Kirchenleitungen abzuschieben. Moralisches Versagen habe es auf allen Ebenen gegeben. Die KMU 6 zeige ferner, welch große Bedeutung für die Glaubwürdigkeit das Seelsorgepersonal der Gemeinde vor Ort habe. Nicht nur auf der Ebene der Weltkirche, sondern auch auf Ebene der Diözesen sei eine Dezentralisierung notwendig.

Die Ökumenische Sozialkirche in den Mittelpunkt stellen

Das wichtigste Potential für die Rückgewinnung des Vertrauens liege nach der KMU 6 im Feld des Sozialen. Großer Konsens in der Gesellschaft bestehe, so Professor DDr. Karl Gabriel, dass evangelische und katholische Kirche enger zusammenarbeiten sollen und sich im sozialen Feld engagieren.

Der interdisziplinäre Sozialwissenschaftliche Arbeitskreis des Sozialinstituts Kommende ist in Dortmund angesiedelt. Foto: Erzbistum Paderborn

Mehrheitlich abgelehnt werde die These, dass die Kirchen ihr eigenes Profil betonen und sich auf religiösen Fragen beschränken. Religion und Soziales sollten in ihrem engen Zusammenhang wahrgenommen werden; eine Konzentration auf den Markenkern des Religiösen sei kein Ausweg, unterstrich Professor Gabriel ausgehend von der KMU 6.

Der Kern des christlichen Glaubens mache aus, dass es ein Religiöses ohne Beglaubigung durch das Soziale nicht gibt. „Beide Konfessionen in Deutschland haben zum Beispiel ihren historisch nachweisbaren Beitrag zur sozialstaatlichen Entwicklung als soziales und religiöses Engagement zugleich betrachtet. Diese Tradition sollten die Kirchen heute bewusst fortsetzen, wenn sich in den kommenden Jahren die Kämpfe um die sozialen Sicherungssysteme wieder zuspitzen.“

Botschaft: Es gibt Handlungsspielräume jenseits fatalistischer Zukunftsaussichten

Für Professor DDr. Gabriel zeigen sich gegenwärtig an vielen Stellen Prozesse, wie Vertrauen zurückgewonnen werden kann. Die enttäuschten Ausgetretenen werden vermutlich nicht zurückkehren und die Kirche nicht mehr in erster Linie eine Mitgliederkirche, sondern eine stellvertretende Kirche sein. Es gebe aber Handlungsspielräume jenseits fatalistischer Zukunftsaussichten.

Solche Orte, wo Glauben wächst, zeigte Dr. Christian Hennecke, Leiter des Bereichs Sendung im Bistum Hildesheim, in seinem Vortrag „Hinter dem Horizont. Konturen hoffnungsreicher Transformation“ auf. Die Ergebnisse der KMU 6 hätten ihn nicht überrascht, so der Priester des Bistums Hildesheim.

Wichtig sei es, jenseits des Selbsterhalts der bisherigen Strukturen, wahrzunehmen, wo Glauben wächst. Dazu gehöre, die traditionellen Bilder von Kirche zu überprüfen. Es brauche eine Neuorientierung der Pastoral als Sendung nach außen. Der persönliche Kontakt zu den Menschen und das soziale Engagement hätten dabei eine große Bedeutung.

Statt weiterhin dem Ziel einer flächendeckenden Versorgung anzuhängen, müsste die Kirche Räume von Gemeinschaftserfahrungen ermöglichen, in denen der persönliche Glaube wachsen könne. Als Institution müsse die Kirche Menschen in einer pluralen und bunten Wirklichkeit stärken und fördern.

Zentral ist das Stichwort der „Ermöglichungsstrukturen“

Erzbischof Dr. Udo Markus Bentz dankte zum Abschluss der Tagung den Vortragenden für ihre anregenden Ausführungen und den Mitgliedern des Arbeitskreises für die engagierte Beteiligung. Die Beiträge seien wichtige Impulse für die zukünftigen Prozesse im Erzbistum. Zentral sei das Stichwort der „Ermöglichungsstrukturen“. Damit hoffnungsvolle Aufbrüche des Wachstums möglich werden, brauche es eben auch beständige Strukturen.

Mehr Informationen: Der Sozialwissenschaftliche Arbeitskreis

  • Der interdisziplinäre Sozialwissenschaftliche Arbeitskreis des Sozialinstituts Kommende Dortmund berät die Leitung des Erzbistums Paderborn in aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen.
  • Ihm gehören Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Theologie, Sozialwissenschaften, Wirtschaft und Recht an.
  • Sie kommen zweimal jährlich mit dem Erzbischof von Paderborn zusammen.

Unterstütze uns auf Steady

Reader Comments

  1. Thomas Oppermann

    Es könnte natürlich auch sein, dass insbesondere die Katholische Kirche etwas aus der Zeit gefallen ist. Der Vertrauensverlust für religiöse Wahrheiten lässt sich auch daran absehen, dass hier 19 Männer und eine Frau Gedanken zur Zukunft religiöser Einstellung in der Gesellschaft entwickeln. Wer so Realitäten negiert, dem kann mensch nun wirklich kein Vertrauen entgegen bringen.

Write a Comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert