Seine Arbeiten haben eine unverkennbare Handschrift, seine Bilder sind ausdrucksstark und detailverliebt. Seit 30 Jahren ist Mathes Schweinberger auf den Straßen von Dortmund (und nicht nur dort) unterwegs.Als „Mathes der Maler“ besitzt er den besonderen Blick für Orte und ihre Geschichten. Einen besonderen Einblick offenbart er bei seiner neusten Ausstellung im Hoeschmuseum. „Verlorene Orte“ hat er sie überschrieben.
Faszination von eingezäunten Industriegeländen und Häusern
Der trendigere Begriff wäre „Lost Places“. Gerade im Internet erfreuen sich Fotos von „Lost Places“ großer Beliebtheit. Schweinberger widmet sich dem Thema seit drei Jahrzehnten. Doch „Verlorene Orte“ sagt für ihn mehr aus: „Da schwingt etwas Melancholisches mit – so wie bei verlorene Jugend“ sagt er bei der Vorstellung seiner Schau. „Lost Places“ bilden schon seit Jahren einen Schwerpunkt seiner Arbeit: „Sie sind ein Kern, warum ich zeichne.“
Schon seit seiner Kindheit ist von eingezäunten Industriegeländen und Häusern fasziniert. In Dortmund gab es immer mehr Orte, die 20 oder 30 Jahre ungenutzt blieben. Doch das verändert sich in den letzten Jahren. Immer mehr Plätze und Häuser werden wieder genutzt oder – für Schweinberger noch schlimmer – „abgeräumt“.
„Für mich ist das traurig. Und da versuche ich noch möglichst viele Zeichnungen zu machen“, beschreibt er eine seiner Motivationen. In seinen Bildern gibt er den Gebäuden oder Kulissen Raum. Menschen finden sich, wenn überhaupt, nur unauffällig im Hintergrund, um den Maßstab der Größe eines Gebäudes deutlich zu machen.
„Mathes der Maler“ lässt die Menschen aus den Stadtbildern verschwinden
Das Besondere: Die vermeintlich menschenleeren Straßen hat Schweinberger schon lange vor Corona gezeichnet. Wenn er sich vor Ort niederlässt und sich 1,5 Stunden – manchmal auch länger – für sein Motiv Zeit nimmt, sieht er viele Menschen. Doch sie rauschen vorbei und verschwimmen. Sein Zeichnen sei wie die Ursprünge der Fotografie – die Daguerreotypie.
Das war das erste kommerziell nutzbare Fotografie-Verfahren im 19. Jahrhundert und nach dem französischen Maler Louis Daguerre benannt, der das Verfahren mitentwickelt und 1839 veröffentlicht hat. Das Besondere: Eine Belichtung brauchte 10 bis 15 Minuten. Wer also durchs Bild lief, war auf der Daguerreotypie unsichtbar.
So lässt auch „Mathes der Maler“ die Menschen aus den Stadtbildern verschwinden. „Wenn man so viele Menschen einfügt wie da sind, schwächt man die Kraft der Stadträume. Die Räume sind dann nur Beiwerk – ich will Stadträume als Stilleben.“ So bekomme die Architektur mehr Tiefe und Gefühl.
Corona-Pandemie durchkreuzte die Ausstellung „Nordstadt-Skizzen“
Auch wenn er sie nicht in seinen Straßenszenen verewigt: Schweinberger hat nichts gegen die Menschen. Er zeichnet auch Portraits, will dies aber von seiner Stadtmalerei thematisch trennen. Dabei ist Schweinberger bei seiner Arbeit insbesondere in der Nordstadt eigentlich immer von Menschen umringt, wenn er sich mit einem Höckerchen niederlässt.
Insbesondere Kinder beobachten ihn fasziniert: „Krass. Der macht Fotos mit der Hand“, bekommt er zu hören. Oder sie fragen aufgeregt: „Wie lange brauchst Du für das Foto?“ Für ihn ist das ein Kulturwandel, weil der Oberbegriff „Bild“ bei den Kindern in Vergessenheit geraten scheint.
Ursprünglich wollte Mathes Schweinberger seine neue Ausstellung Nordstadt-Skizzen nennen und dabei auch den Menschen mehr Raum „gewähren“. Doch Corona machte nicht nur der Ausstellung selbst, sondern auch der Konzeptidee einen Strich durch die Rechnung. Durch Corona sei ihm der Geist dieser Serie abhanden gekommen – denn plötzlich waren die Straßen so leer wie seine früheren Bilder. Und wenn, dann trugen die Menschen Masken. „Masken-Kunst wollte ich nicht machen.“
Mathes Schweinberger: „Ich zeichne häufig in einer Grauzone“
Daher fokussierte er sich noch stärker auf die verlorenen Orte und nutzte die gewonnen Freiräume. So zeichnete er auch die Linienstraße – denn Corona brachte den Bordellbetrieb zum Erliegen und Schweinberger konnte diese „sündige Meile“ portraitieren. „Das ist meine Corona-Widmung. Ohne die Pandemie hätte es dieses Bild nicht gegeben“, sagt er lachend. In seinem Ausstellungskatalog – dieser ist umfangreicher als die Ausstellung – hat er dem „Eros“ den Tod gegenüber gestellt.
Die Ausstellung ist vielschichtig. Viele Orte finden sich darin, die deutlich ihr Gesicht verändert haben. Phoenix-Ost, Westfalenhütte, Westfaliastraße oder das HSP-Gelände: „Ich zeichne häufig in einer Grauzone. Nicht nur kulturell, sondern auch juristisch. Nicht immer habe ich die Direktion ausfindig gemacht und gefragt, ob ich das Gelände betreten darf“, räumt er ein. Das Zeichnen der „Lost Places“ ist für ihn eine Fortsetzung der „kindlichen Entdecker- und Spielausflüge“ – diese hätten ihn schon als Kind geprägt.
Viele Gebäude, die er in den vergangenen 30 Jahren gezeichnet hat – sind verschwunden. Er ist ein Stück weit auch Chronist des Strukturwandels – eine gemalte Stadtchronik. Dabei hat er nicht nur die Industriekultur im Blick, sondern auch die Hinterhöfe und Randlagen. Er kann die Schönheit und die Ästhetik der Orte einfangen. Er bringt den Orten den nötigen Respekt entgegen – das gilt für einen Hinterhof genauso wie ein Obdachlosenlager.
Die neue Ausstellung könnte wieder zum Besucher:innen-Magnet werden
Genau mit dieser Facette des Chronisten des Strukturwandels ist Schweinberger mit seiner Ausstellung im Hoeschmuseum richtig. Denn das Museum widmet sich nicht nur der Stahlgeschichte, sondern in vielen Facetten auch dem Strukturwandel seit 1848, macht Museumsleiterin Isolde Parussel deutlich.
Dass seine erste Ausstellung auf der Westfalenhütte 2017 zu den bestbesuchten des Museums gehörte, war ebenfalls nicht hinderlich für eine Neuauflage. „Wir gehen davon aus, dass die neue Ausstellung auch wieder sehr gut besucht wird“, hofft Dr. Karl Lauschke, Vorsitzender Freunde des Hoeschmuseums. Darauf hofft auch der Künstler: „Die Ausstellung 2017 hat meine kühnsten Erwartungen übertroffen. Das habe ich in der Fülle vorher noch nicht erlebt“, räumt Schweinberger auch mit Blick auf die Verkäufe von Bildern ein.
Die neue Ausstellung wird am Sonntag (10. April 2022) um 11 Uhr im Hoeschmuseum eröffnet. Noch bis zum 3. Juli sind seine Arbeiten unter dem Titel „Verlorene Orte – Lost Places“ im Hoesch-Museum ausgestellt. Dort gibt es auch den bemerkenswerten Katalog zu kaufen. Er kostet 15 Euro.
Mehr zur Person:
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Mathes Schweinberger (Jahrgang 1963) wuchs am Dortmunder Nordrand in Lünen-Brambauer auf.
- Er studierte Visuelle Kommunikation in Münster, u.a. bei Rolf Escher.
- Seitdem arbeitet der Diplom-Designer als freischaffender Maler und Grafiker und wird durch die Ladengalerie in Berlin vertreten.
- Ein Stipendium der Aldegrever-Gesellschaft zur Förderung der grafischen Künste ermöglichte einen Zeichenzyklus über und unter Tage, der seinen Blick auf die Phase des erneuten Strukturwandels nachhaltig prägte.
- Als Stadtchronist ist er seit über 20 Jahren mit Zeichenblock und zumeist schwarzer Kreide im Ruhrgebiet unterwegs.
- Aber auch Berlin, Köln oder den Lausitzer Tagebau sucht er damit auf.
- Neben dieser Architektur- und Industriegrafik ist ein weiteres Hauptarbeitsgebiet die Porträtzeichnung und Malerei.
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„Glück auf Hoesch!“: Thorsten Trelenberg liest in Bewegung im Hoesch-Museum (PM)
Unter dem Titel „Glück auf Hoesch!“ liest der Autor Thorsten Trelenberg am Sonntag, 3. Juli, 11 bis 13 Uhr im Hoesch-Museum. Bei seiner „Lesung in Bewegung“ folgt das Publikum dem Schriftsteller durch die Ausstellung: Zwischen den Exponaten trägt er seine Gedichte und poetischen Beschreibungen von Begegnungen im Alltag oder in der Arbeitswelt vor. Musikalisch begleitet wird die Veranstaltung durch Michael Bereckis. Der Eintritt ist frei.
Eine Veranstaltung im Rahmen des Sonderprogramms Aufgeschlagen! des Landes Nordrhein-Westfalen.
Hoesch-Museum: Lesung in Bewegung „Glück auf Hoesch“ am 3.07._Verlängerung der Ausstellung „Verlorene Orte“ (PM)
Wir freuen uns auf ein neues Format! In unregelmäßigen Abständen werden wir Schrifstellerinnen und Literaten im Hause begrüßen, die ihre Texte in den Ausstellungsräumen präsentieren.
Am Sonntag, den 3.07., sind Sie von 11.00 bis 13.00 Uhr herzlich eingeladen zu „Glück auf Hoesch! Eine nicht alltägliche Lesung in Bewegung“. Thorsten Trelenbergs kunstvoll rhythmisierte Gedichte bezaubern und berühren zugleich. Begegnungen mit anscheinend unscheinbaren Einzelheiten des alltäglichen Lebens, in der Arbeitswelt oder Momente der Auslotung menschlicher Zwischenräume hält der Dichter Trelenberg in Wortklängen fest. Wie geschliffene Kiesel wirken seine Gedichte, mit treffsicheren Metaphern begeistert er sein Publikum.
Die Lesung im Hoesch-Museum Dortmund (Eberhardstr. 12) findet in lockerem Rahmen und inmitten der Exponate statt. Das Publikum folgt Trelenberg durch die Ausstellung und wird musikalisch begleitet durch Michael Bereckis. Eine Veranstaltung im Rahmen des Sonderprogramms Aufgeschlagen! des Landes Nordrhein-Westfalen. Eintritt und Teilnahme sind kostenfrei.
Um 14.00 Uhr findet unsere öffentliche Sonntagsführung statt. Unter fachkundiger Leitung erhalten Sie einen Einblick in unsere Dauerausstellung „Stahlzeit in Dortmund“ und die Anfänge der Eisen- und Stahlindustrie seit 1840, das Leben und Arbeiten der „Hoeschianer“ und den Strukturwandel. Originale Werkzeuge, authentische Objekte und interaktive Stationen lassen Vergangenheit und Gegenwart lebendig werden. Die Führung kostet 3 Euro, ermäßigt 1,50 Euro. Der Eintritt in die Ausstellung ist frei.
Außerdem freuen wir uns, dass wir Ihnen die aktuelle Sonderausstellung „Verlorene Orte – Lost Places. Zeichnungen von Mathes Schweinberger“ über die angekündigte Laufzeit hinaus bis zum 7. August 2022 präsentieren dürfen.