Von Julian Ronneburger
Das Jahr 2020 ähnelt nicht unbedingt den Jahren zuvor. Das Coronavirus löste eine weltweite Pandemie aus, Kontaktbeschränkungen und eine Mund- und Nasenschutz-Pflicht wurden eingeführt und die Wirtschaft musste herbe Verluste verbuchen. Mit der Schließung der Schulen stoppte nicht nur die Bildung der Schüler*innen im „klassischen“ Sinne, also eine Wissensbildung, sondern auch die kulturelle Bildung. (Ferien-)Angebote zur Förderung der Kreativität, seien es Schreiben, Malen oder Schauspiel kombiniert mit Tanzen, mussten abgesagt werden und die (Identitäts-)Entwicklung nahm damit eine abrupte Pause. Ein mindestens genauso immenser Verlust wie fehlende Einnahmen der Unternehmen. Mit den absinkenden Infektionszahlen in Deutschland kam jedoch der Entwurf eines Programms für Dortmunder Kinder und Jugendliche im Sommer.
Nicht nur kreativer Freiraum, sondern auch wieder ein geregelter Tagesablauf
Eine Kooperation zwischen dem Theater Dortmund, dem Fachbereich Schule, dem örtlichen Jugendamt, dem Verein schul.inn.do e. V. und den beiden Gymnasien Stadtgymnasium / Käthe Kollwitz machte dies möglich. Es entstand der „Theatersommer“. Das Fazit: Sensationell. Nicht nur die Organisator*innen waren begeistert, sondern auch die Kinder und Jugendlichen, die letztendlich teilnahmen. Hat das Modell Zukunft?
Definitiv. Klaus-Peter Jungmann, Rektor des Käthe Kollwitz, äußerte sich positiv gestimmt. „Es lohnt sich für die Kinder“. Mit dem Angebot werden Kinder aller Gesellschaftsschichten angesprochen, denn nicht jede Familie hat das nötige Geld für einen Sommerurlaub und die damit möglichen Ferienangebote.
Das bedeutet, die Anmeldung war nicht nur Schüler*innen der beiden Gymnasien vorbehalten, sondern wirklich alle Kinder und Jugendliche konnten partizipieren. Bernhard Koolen, Rektor des Stadtgymnasiums, wünscht sich ebenfalls eine Fortsetzung. „Ich hoffe, dass Projekt wird weitergeführt. Auch nach Ende meiner Tätigkeit als Rektor“.
Außerdem half es auch den Kindern und Jugendlichen wieder in einen geordneten Tagesablauf. Zwar beschäftigten sich die Menschen in der Isolation schon irgendwie, aber Struktur hatte es keine. Und mit dem Projekt konnten die Kinder für drei bis vier Stunden dem für Kinder vielleicht langweiligen „Corona-Alltag“ entfliehen. Anna Frings (Fachbereich Schule/schul.inn.do e. V.) fügte noch hinzu: „Die Isolation war so lange, jetzt müssen wir etwas [für die Kinder, Anm. d. Red.] tun“.
„Ixa Letipa“: Ein Dortmund ohne Corona, geschaffen in der Fantasie der Kinder
Das Angebot war an Kinder von sechs bis zwölf und Jugendliche ab 14 Jahren gerichtet. Zwischen dem 3. und 7. August konnten also rund 40 Kinder und Jugendliche in den Räumlichkeiten der beiden Schuleinrichtungen ihrer Kreativität freien Lauf lassen. Diese konnte in Form von Literatur oder in Darstellenden Künsten Gestalt annehmen.
Nennenswert ist beispielsweise „Ixa Letipa“, ein utopisches Dortmund in der Zukunft. In dieser Version gibt es eine eigene Sprache, also auch selbstentworfene Begrüßungs- und Abschiedsformen, und vor allem eins: Kein Virus namens Corona.
Unter der Leitung von Nina Mühlmann (Schauspiel Dortmund) entstanden dazu Bilder, Kunstwerke und Bücher. Eine Geschichte, die mir Nina erzählte, war die der Oberbürgermeisterin von Ixa Letipa. im Interview beim gleichnamigen Radiosender erzählte sie kein Wort. Allein ihre atemberaubende Ausstrahlung genügte.
„So will keiner dein Freund sein!“ – Kinder gestalten Hassbriefe an Corona und treffen dabei den Ton
Eine Idee, die man eher in einem Roman erwarten würde. Entstanden ist sie aber im Kopf eines Kindes. Um aber erst einmal nach Ixa Letipa zu gelangen, muss man das „Passwort“ kennen. Am Boden eines tiefen Brunnens befindet sich das Tor zur Metropole. Den Code werde ich an dieser Stelle aber nicht verraten, dass bleibt ein Geheimnis zwischen mir und den Kindern. Aber soviel sei gesagt: Es ist ein beliebtes, salziges Gebäck, nur rückwärts.
Im selben Kurs, aber getrennt vom „Dortmund der Zukunft“, entstanden auch Hassbriefe. Der Adressat: Corona. Sätze wie „[Corona, Anm. d. Red.] du solltest dich schämen!“, „Niemand will Dich!“ oder „Hau ab, sonst gibt es Streit / Nutze die Gelegenheit“ wurden zu Blatt getragen. Sätze, die für Kinderohren schrecklich klingen, und die man selber wahrscheinlich ebenfalls gedacht hat. Nur mit anderen Worten. Die Kreativität der Kinder fand regelrecht keine Grenzen. Sie malten Figuren, Symbole, Gesichter, und noch vieles mehr.
Dabei behalfen sie sich eher untypischer Gegenstände wie Plastikflaschen, mit dem Boden lässt sich wunderbar der Umriss einer Blume malen, oder es wurde eine Schere als Schablone zweckentfremdet. Was einem halt so in die Finger kommt, ohne noch zu denken „Reicht das aus? Funktioniert das überhaupt?“, wie vielleicht Ältere herangehen würden. Einfach das machen, was man will. Kreativität in Reinform.
Wiederholung wünschenswert. „Es ist toll für die Kinder und Jugendlichen“
Aber wie eingangs erwähnt wurde nicht nur geschrieben oder gemalt in der vergangenen Woche, es wurden auch Tanzchoreographien entworfen. Andreas Ksienzyk (Kinder- und Jugendtheater) gestaltete zusammen mit den Kindern ein Straßentheater. Das Stück entwickelte sich von einem Gefühl der Starre bis hin zu einer Art Trance. Die musikalische Untermalung bekräftigte dieses Gefühl. Die Kinder nahmen dabei die Gestalt von „Puppen-Robotern“ an. Nach Perfektion der Proben gingen sie zusammen in die Innenstadt, um es den Passant*innen dort vorzustellen.
Bemerkenswert war vor allem die Zusammenarbeit der Profis und die der Student*innen. Wegen der Pandemie fielen einige der Student*innen ihre Nebenjobs weg. Deswegen fanden sich in einigen Kursen nicht ausschließlich professionelle Tanzchoreograph*innen, sondern auch bis zu zwei Menschen von Schulen, Akademien und Universitäten, als sogenannte „Teamer*innen“.
Was ist aber eigentlich möglich in so einem Tanzkurs, wenn währenddessen ein Virus sein Unwesen treibt und man deswegen Abstand halten muss? Darüber habe ich mit Birgit Götz, Gastchoreographin des Theater Dortmund, gesprochen. Sie leitete nämlich in Zusammenarbeit mit Sarah Jasinszczak, Theaterpädagogin am Schauspielhaus, den Workshop „Create your own City“.
Dabei gestalteten Jugendliche einen Höcker, der gleichzeitig auch als Mundschutz dienen kann. Auf den vier Seiten waren jeweils verschiedene Aspekte im Bezug auf Dortmund zu sehen, wie zum Beispiel „ich“ und „Zukunft“. „Wir konnten in der Zeit nicht viel machen, unsere Bewegung wurde erheblich eingeschränkt“, sagte die Gastchoreographin. Dennoch habe es definitiv Spaß gemacht und auf die Frage, ob sie einen Wiederholungsbedarf sieht, antwortete sie: „Der Wunsch ist riesengroß. Es ist toll für die Kinder und jugendlichen“.
WEITERE BILDER DER KURSE VON NINA MÜHLMANN UND BIRGIT GÖTZ