Der Zoff war im Grunde vorprogrammiert: Seitdem die Dortmunder Polizei in der Nordstadt auf der Münsterstraße flächendeckend Kameras zur Videoüberwachung installiert hat, regt sich dagegen Widerstand, der bereits wiederholt die Gerichte beschäftigte. Ein Mehr an Sicherheitsgefühl und eine effektivere Bekämpfung der Kleinkriminalität versprechen sich die einen und haben dabei das NRW-Polizeigesetz von 2018 im Rücken. Die Nachbarschaftsinitiative „NoCamDo“ kritisiert dagegen, dass die Kameras lediglich zur Verdrängung führten und keine Probleme lösten. Zudem stelle die Überwachung Menschen unter einen Generalverdacht. – Jetzt bricht der Konflikt einer angesichts für heute angekündigten Kundgebung gegen „Polizeiwillkür“ auf dem Mehmet-Kubaşık-Platz auf – der normalerweise ebenfalls überwacht wird.
Urteil: „Unverhüllte Präsenz der Kameras“ ist nicht gerechtfertigter Eingriff in Versammlungsfreiheit
Heute, den 9. Juli, veranstaltet das Antifa-Café Dortmund auf dem Mehmet-Kubaşık-Platz ab 19 eine Kundgebung unter dem Motto „Gegen Polizeiwillkür und Repression gegen Fußballfans“. Der Platz in der Dortmunder Nordstadt wird wie die Münsterstraße seit Juni dieses Jahres kameraüberwacht. Hierbei handelt es sich um eine Versammlung, die allerdings nicht überwacht werden dürfe, so die Aktivist*innen.
An diesem Punkt kommt es nun zum Streit zwischen den Initiator*innen der Veranstaltung und der Dortmunder Polizeiführung. Die Gegner*innen der Videoüberwachung verweisen hierbei auf ein Urteil des Kölner Verwaltungsgerichts vom 12. März 2020 (20 L 453/20). Darin heißt es: ___STEADY_PAYWALL___
„Im Rahmen des Verfahrens auf vorläufigen Rechtsschutz geht das Gericht davon aus, dass die unverhüllte Präsenz der Kameras einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die Versammlungsfreiheit der Teilnehmer darstellt. […] Die Zusage, die Kameras während der Versammlung abzuschalten, lässt den Eingriff nicht entfallen.“
Mit anderen Worten: Es genügt nicht, teilt die Polizei mit, dass die Kameras für den in Frage stehenden Zeitraum außer Betrieb genommen werden. Sondern die Außerbetriebnahme muss deutlich sichtbar sein, zum Beispiel durch Verhüllung. „Die Polizei Dortmund möchte dem laut eigener Aussage nicht folgen“, bemängeln die Veranstalter*innen und kündigten in Kooperation mit der Initiative gegen Kameraüberwachung („NoCamDo“) bereits juristische Schritte an.
Dortmunder Polizei: Teilnehmende und Interessierte können Außerbetriebnahme hinreichend erkennen
Wenig überraschend, dass die Dortmunder Polizei das etwas anders auslegt. Im Rahmen der Versammlungsbestätigung sei bereits mitgeteilt worden, „dass die Kameras heute, ab 17:00 Uhr ausgeschaltet werden“, heißt es auf Nachfrage von Nordstadtblogger in einer Stellungnahme der Behörde von heute Nachmittag. Und auch die Ordnungshüter*innen lassen sich nicht lumpen und haben ihrerseits ein Gerichtsurteil im Köcher – großes Kaliber – vom Oberverwaltungsgericht Münster:
„Das bloße Vorhandensein von vorübergehend deaktivierten Kameras am Versammlungsort überschreitet laut Beschluss des OVG Münster nicht die Schwelle zum Grundrechtseingriff. Insoweit ist nach Auffassung des Gerichts nicht davon auszugehen, dass bei Zugrundelegung eines objektiven Beurteilungsmaßstabs ein verständiger Dritter allein wegen der Existenz der unverhüllten Kameras von der Teilnahme an der Versammlung Abstand nehmen wird“, schreibt die Pressestelle aus dem Polizeipräsidium.
Doch der eigentliche Punkt ist ersichtlich ein anderer: die Erkennbarkeit der Außerbetriebnahme von den betreffenden Aufnahmegeräten. „Von maßgeblicher Bedeutung ist dabei, dass die Versammlungsteilnehmenden und Teilnahmeinteressierte hinreichend erkennen können, dass die Kamerainstallationen während der Versammlung nicht in Betrieb sind. Um die hinreichende Erkennbarkeit zu gewährleisten, ist die Abschaltung der Kameras durch uns mit einer entsprechenden Beschilderung dokumentiert worden“, macht die Dortmunder Polizei klar.
Initiative „NoCamDo“ sieht Abschreckung, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wahrzunehmen
Zugleich hält sie für (potentielle) Teilnehmer*innen der heutigen Veranstaltung noch einen besonderen Service bereit: „Zugleich wird die Polizeiführung die Teilnehmenden und Teilnahmeinteressierten vor Ort durch entsprechende Lautsprecherdurchsagen auf diesen Umstand aufmerksam machen.“
Auf den die Aktivist*innen um den Nordpol und die Nachbarschaftsinitiative vermutlich gerne verzichtet hätten. Für sie steht fest, dass die Abschaltung der neugierigen Elektroaugen nicht klar erkennbar ist, was zur Einschüchterung führe und Menschen abschrecken könnte, an der Versammlung teilzunehmen.
„Bei politischen Versammlungen dürfen Menschen nicht das Gefühl haben, von der Polizei gefilmt zu werden. Das könnte sie abschrecken, dorthin zu gehen und ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wahrzunehmen“, erklärt Arthur Winkelbach von der Initiative „NoCamDo“.
Ahnt dabei nichts Gutes: Das reihe sich ein „in die Missachtung der Grundrechte und Überdehnung ihrer Befugnisse, die wir schon bei der Dauerüberwachung der Münsterstraße kritisiert haben, die weit über die angekündigten Zeiträume aktiv ist“, kritisiert Winkelbach weiter.
„Auf der Münsterstraße sind die technischen Probleme der Kameras mittlerweile … behoben“
Zuletzt hatte es seitens der Initiative massive Kritik an der Dortmunder Polizei gegeben. Der Vorwurf des Bündnisses gegen die Kameraüberwachung der Münsterstraße: die Kameras seien ganztägig eingeschaltet. Und in der Tat: bei einer Überprüfung am 9. Juni fiel Reporter*innen des Nordstadtblogs auf, dass gegen 1 Uhr nachts – mit Ausnahme eines Exemplars – zumindest keine der Kameras abgedeckt war.
Aber: Auf Anfrage dieser Redaktion erklärte seinerzeit eine Polizeipressesprecherin, dass es noch technische Anlaufschwierigkeiten mit einer Abdeckung gäbe. Dies bedeute jedoch nicht, dass sie nach Mitternacht noch aufzeichneten. Nach ihrer Programmierung seien sie außerhalb der festgelegten und kommunizierten Zeiten deaktiviert.
Und heute Nachmittag kam schließlich aus dem Polizeipräsidium die frohe Kunde: „Auf der Münsterstraße sind die technischen Probleme der Kameras mittlerweile laut der zuständigen Direktion behoben.“
Doch seitens der Aktivist*innen aus dem Antifa-Café ist Misstrauen zu spüren. Besonders pikant an der Angelegenheit: Die für heute um 19 Uhr geplante Kundegebung richtet sich besonders gegen „Polizeiwillkür“.
„Dass die Polizei in dem Rahmen Vertrauen von uns einfordert, hinterlässt bei uns ein Kopfschütteln. Vor allem mit Blick auf die Demonstration in Düsseldorf müssen wir feststellen, dass die Polizei in der Lage ist, die Versammlungsfreiheit zu missachten. Deswegen braucht es die Sicherheit, dass die Versammlung nicht überwacht wird: Die Kameras müssen abgehangen werden“, macht eine Vertreterin des Antifa-Cafés deutlich.
Weitere Informationen:
- Zur Initiative gegen Videoüberwachung; hier:
- Zum Antifa-Café; hier:
- Zum Gerichtsurteil des Kölner Verwaltungsgerichts; hier:
Mehr zum Thema bei nordstadtblogger.de:
Videobeobachtung in der Brückstraße – verstärkter Kontrolldruck und Polizeipräsenz in der Nordstadt