Überleben in Afghanistan: Die humanitäre Lage von Rückkehrenden – Vortrag und Diskussion im IKUZ

Demonstration für einen Abschiebestop nach Afghanistan.
Eine Demonstration für einen Abschiebestopp nach Afghanistan gab es im Sommer vor dem Dortmunder Rathaus.

Von Gerd Wüsthoff

Die deutsche Bundesregierung bezeichnet Afghanistan offiziell als ein sicheres Herkunftsland, weshalb Flüchtlinge aus Afghanistan in Sammelabschiebungen zurückgebracht werden. Zumindest in Teilen des Landes sei es sicher, lässt die Bundesregierung verkünden. Das Interkulturelle Zentrum der AWO (IKUZ) in der Nordstadt thematisiert die Lage in dem Land im Rahmen einer Infoveranstaltung „Afghanistan – ein sicheres Herkunftsland?“ am morgigen Dienstag, 5. Dezember, um 18 Uhr in der Blücherstr. 27.

Ist Afghanistan wirklich ein sicheres Herkunftsland? – Eine Expertin steht Rede und Antwort

Die Dortmunder Flüchtlingspaten hatten zur der Kundgebung vor dem Rathaus aufgerufen.
Die Dortmunder Flüchtlingspaten setzen sich regelmäßig auf Demonstrationen für geflüchtete Menschen ein.

Expertin des Abends ist die Afghanistan-Spezialistin Friederike Stahlmann. Sie ist Mitarbeiterin des Max-Planck-Instituts für ethnologische Forschung in Halle und als Gutachterin in Asylverfahren zu Afghanistan an britischen und deutschen Gerichten tätig.

Stahlmann zufolge, ist es ein Unterschied, ob sich asylsuchende Afghanen vor einem Richter befänden oder bei einer Behörde vorstellig würden, da sich beispielsweise im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) seit dem Flüchtlingssommer 2015 auch eilig eingestellt MitarbeiterInnen befänden, die nicht die nötigen Qualifikationen für eine Entscheidungsfindung hätten. – Nach ihren Vortrag wird sich Stahlmann Fragen aus dem Publikum stellen. Dabei hoffen die Veranstalter auf eine lebendige Diskussion.

Zwar führte der Anschlag vor der Deutschen Botschaft im Juni 2017 in Kabul zu einem Umdenken in der Politik. In der Folge wurden nur noch Straftäter, terroristische Gefährder und Asylbewerber, die eine Identitätsfeststellung verweigern, nach Afghanistan abgeschoben. Allerdings gilt diese Regelung nur bis zu einer neuen Lageeinschätzung. Für viele afghanische Flüchtlinge in der Bundesrepublik bedeutet dies, in ständiger Unsicherheit leben zu müssen. Nun sollen ab der nächsten Woche, also Mitte Dezember, die Abschiebungen wieder aufgenommen werden.

Trotz angespannter Menschenrechtslage in Afghanistan: Abschiebung weiter an der Tagesordnung

Flüchtlingpatin Sigi Czyrt mit Najib, seinem Vater und Flüchtlingpate Helmuth Ruckdeschel.
FlüchtlingpatInnen Sigi Czyrt (l.) und Helmuth Ruckdeschel (r.) mit Vater und Sohn aus Afghanistan.

Bewaffnete Konflikte, Bombenanschläge, Entführungen und terroristisch motivierte Gewaltakte sind seit Jahren in allen Teilen Afghanistans verbreitet und in den Nachrichten. Das Auswärtige Amt warnt vor „lebensbedrohenden Situationen“ dort. Trotzdem werden immer wieder Sammelabschiebungen nach Afghanistan veranlasst. Die Bundesregierung argumentiert, dass es auch sichere Gebiete gäbe, in welche dann die abgelehnten Asylbewerber abgeschoben werden könnten.

Frederike Stahlmann wird von ihren Erfahrungen vor Ort und den seit einigen Jahren durchgeführten Feldstudien in Afghanistan berichten. Die Referentin (M.A. in Religionswissenschaft, M.A. International and Comparative Legal Studies) ist seit 2002 auf soziale, religiöse und rechtliche Fragen in Afghanistan spezialisiert.

Sie hat als Doktorandin am Max-Planck-Instituts und Mitglied der „International Max Planck Research School on Retaliation, Mediation and Punishment“ längerfristig in Afghanistan geforscht.

Afghanistan ist geprägt von Krieg und Gewalt – Hilfsorganisationen sind überfordert

Die Dortmunder Flüchtlingspaten hatten zur der Kundgebung vor dem Rathaus aufgerufen.
Die Dortmunder Flüchtlingspaten bei einer Kundgebung vor dem Rathaus. Archivfotos (3): Alex Völkel

„Nun ist wichtig, dass die Amerikaner mit uns Europäern besprechen, wie wir gemeinsam dafür sorgen können, dass das Land friedlicher und sicherer wird. Und die Menschen aus Afghanistan nicht zu uns flüchten müssen. Wir erwarten von Washington, dass die USA ihr Vorgehen eng mit uns Europäern abstimmen. Weitere Migration destabilisiert nicht nur Afghanistan, sondern auch Europa“, betont der geschäftsführende Außenminister Sigmar Gabriel (Quelle: Internetseite des Auswärtigen Amtes).

„Länder wie Afghanistan, die von Krieg und Gewalt geprägt sind, und in denen der Staat keinen Schutz vor existentieller Not bieten kann, stellen nicht nur humanitäre Organisationen vor Ort vor enorme Herausforderungen“, heißt es dazu von der AWO.

Die Situation werfe auch im Zuge von Asylverfahren in Aufnahmestaaten Fragen auf. Durch wen können Rückkehrende Schutz und Hilfe erwarten? Wer schafft es, unter diesen Umständen, die eigene Existenz zu sichern? Zu diesen und weiteren Fragen wird Stahlmann in der Nordstadt Stellung beziehen.

Angespannte Menschenrechtslage: Todesstrafen, Folter und Misshandlungen

75 Prozent der Patienten sind Kinder.
75 Prozent der Patienten im afghanischen Chak-e-Wardak Hospital sind Kinder. (Archivfoto: privat)

Die Lage der Menschenrechte ist in Afghanistan nach wie vor schlecht. Amnesty International dokumentierte in zahlreichen Hafteinrichtungen in Afghanistan Folter und Misshandlungen. JournalistInnen wurden festgenommen, geschlagen oder getötet. Die Todesstrafe wird immer noch vollzogen.

Die Lage von Kindern und Frauen ist sehr prekär: Viele Kinder werden in Afghanistan zwangsverheiratet. Häusliche Gewalt ist weit verbreitet. Weiterhin gibt es Kindesmisshandlungen und sexuellen Missbrauch von Jungen und Mädchen.

Vielfach führen sich die Taliban als Ordnungsmacht auf, die dem „Kleinen Mann“ – im Gegensatz zu ordentlichen afghanischen Gerichten – häufig Recht zuspricht. Was zu einer Akzeptanz wider Willen bei der Landbevölkerung führt. Die aber, wenn sie sich westlichen Hilfsprogrammen öffnet, durch Gewalt, Terror oder Entführungen bedroht wird.

Wegen der angespannten Sicherheitslage in Afghanistan bestehen kaum Entwicklungsmöglichkeiten, wie zum Beispiel durch Anbau von Safran anstelle von Mohn u.ä. Wobei beim Safran der Iran sich gegen die Konkurrenz wehrt und Pakistan den Ausfuhr über seine Grenzen behindert. Beide Staaten sind Teil des „Machtspiels“ auf dem Rücken der afghanischen Bevölkerung.

Mehr Informationen:

  • Das Interkulturelle Zentrum der AWO (IKUZ) in der Nordstadt thematisiert die Lage in dem Land im Rahmen einer Infoveranstaltung „Afghanistan – ein sicheres Herkunftsland?“.
  • Sie findet am morgigen Dienstag, 5. Dezember, um 18 Uhr in der Blücherstr. 27 in der Nordstadt statt. 
  • Der Eintritt ist frei.
  • Aus organisatorischen Gründen bittet der Veranstalter um Anmeldung unter: ikuz@awo-dortmund.de.

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