Auf über 180.000 Einzelfotos hat Angelica Blechschmidt, ehemalige Chefredakteurin der deutschen Vogue, das Geschehen vor und hinter den Bühnen der Modewelt festgehalten. Ein Team um Dr. Jan C. Watzlawik vom Seminar für Kulturanthropologie des Textilen arbeitet daran, das umfangreiche „Modefotografie: Archiv Angelica Blechschmidt“ wissenschaftlich zu heben und international für die Forschung zugänglich zu machen. Die Vorstudie wird durch die TU Dortmund Young Academy gefördert.
Es soll ein wichtiges Archiv für die Mode entstehen
Mit ihrer kleinen Kompaktkamera hat die langjährige Vogue-Chefredakteurin bei Modenschauen und Branchenevents beinahe pausenlos das Geschehen eingefangen und die Filme zumeist über Nacht expressentwickeln lassen. „Der fotografische Nachlass von Angelica Blechschmidt ist ein wichtiges Archiv für die Mode“, sagt Dr. Jan C. Watzlawik, Kulturanthropologe mit den Schwerpunkten Materielle Kultur, Museen und Moden.
„Ihre Sammlung zeigt nicht nur Trendentwicklungen, sondern dokumentiert auch umfassend die soziokulturellen Verhältnisse der Branche von den 1980ern bis in die 2000er-Jahre. Das macht sie zu einer wertvollen Quelle für kunst-, kultur- und sozialwissenschaftliche Forschungsprojekte.“
Neben ihren Fotos hat Angelica Blechschmidt bis zu ihrem Ruhestand 2003 auch zahlreiche Dokumente wie Einladungen, Korrespondenzen, Reise- und Schaupläne, Zeitschriften oder Artikelentwürfe gesammelt.
Unzählige Fotografien und Dokumente müssen inventarisiert werden
Nach ihrem Tod 2018 überließ Angelica Blechschmidt ihre umfangreiche Sammlung im Originalzustand der befreundeten Galeristin Kirsten Landwehr, die als Leihgeberin für das Projekt mit den TU-Wissenschaftler:innen kooperiert. Um die unsortierten Bilder und Dokumente für die Forschung zugänglich zu machen, hat das Team in einer Vorstudie einen ersten Teilbestand begutachtet und mögliche Arbeitsprozesse für die Inventarisierung der Sammlung erprobt.
Dazu haben die Wissenschaftler:innen zunächst alle verfügbaren Kontextmaterialien analysiert und über 580 Dokumente digitalisiert. Alicia Jablonski, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Seminar für Kulturanthropologie des Textilen, erklärt:
„Die Dokumente, wie beispielsweise Schaupläne und Einladungen, ermöglichen uns eine Zuordnung der Einzelfotos – wann, wo und bei welchem Anlass sind die Aufnahmen entstanden? In Kombination mit den teilweise vorhandenen Beschriftungen von Angelica Blechschmidt lässt sich die Sammlung dadurch systematisch als wissenschaftliche Quelle erschließen.“
Dokumentation von Exklusivität und Trivialität der Modewelt
Basierend auf der entwickelten Ordnungsstruktur hat das Forschungsteam in der Vorstudie mehr als 530 Fotos eingescannt und kategorisiert. „Angelica Blechschmidt hatte weniger einen künstlerischen Anspruch an ihre Bilder mit der Kompaktkamera und hat sie auch nicht auf speziellem Papier entwickeln lassen. Und doch wird an der Sammlung deutlich, dass sie darin mehr als nur eine Gedankenstütze oder ein Hobby gesehen hat“, sagt Dr. Watzlawik.
„Sie hatte auch ein publizistisches Interesse an ihren Schnappschüssen und hat sie beispielsweise in ihrer eigenen Kolumne „Flash!“ in der Vogue veröffentlicht.“
Bei seiner Analyse zum wissenschaftlichen Ertrag der Sammlung bewertet das Team auch, welche Aufnahmen und Dokumente zum Forschungsgegenstand gehören und was als Privates ausgeklammert wird – eine Grenze, die mitunter schwer zu bestimmen und fließend sei.
Jan C. Watzlawik sagt: „Die Sammlung zeigt auf der einen Seite die Rituale des Exklusiven, wie beispielsweise Care-Pakete zu Pariser Fashionshows, gesendet an ihre Gastadresse im Hôtel Ritz. Auf der anderen Seite hat sie mit ihren Aufnahmen auch das ordinäre Leben dieses exklusiven Zirkels dokumentiert, zu dem es damals für die Medien nur einen sehr kontrollierten Zugang gab.“
Nutzungsrechte: Einsatz von KI-Gesichtserkennung geplant
Sowohl für die vollständige Inventarisierung als auch für die juristische Klärung der benötigten Nutzungsrechte für eine potenzielle Forschungs- und Lehrdatenbank stehen die Wissenschaftler:innen vor der Herausforderung, alle abgebildeten Personen zu identifizieren. „Insbesondere für Gruppenbilder würden wir daher in Zukunft gerne KI-gestützt arbeiten, um Gesichter automatisch erkennen zu lassen“, sagt Alicia Jablonski.
Derzeit arbeiten die Wissenschaftler:innen an einem Folgeantrag, um in einem anschließenden Forschungsprojekt den vollständigen Bestand wissenschaftlich auszuwerten. Für die Digitalisierung und die Archivierung der gesamten Sammlung möchte das Team in Zukunft mit externen Partner:innen zusammenarbeiten, damit die große Menge an empfindlichen Negativen und Dokumenten möglichst schnell inventarisiert und fachgerecht konserviert werden kann.
Für die Vorstudie an dem fotografischen Nachlass erhält Dr. Jan C. Watzlawik eine Projektförderung der TU Dortmund Young Academy. Mit dem Programm unterstützt das Graduiertenzentrum der TU Dortmund promovierte Wissenschaftler:innen in der Qualifizierungsphase beim Aufbau eines drittmittelstarken Forschungsprofils. Weitere Informationen zum Projekt finden Interessierte hier.