(Stilles) Gedenken an Mehmet Kubaşık: Der türkischstämmige Kioskbesitzer wurde im April 2006 von Neonazis in der Nordstadt ermordet. Das Bündnis „Tag der Solidarität – Kein Schlussstrich Dortmund“ hatte daher erneut am Jahrestag – dem 4. April (2022) zu einem Trauerzug zum Gedenken an das Dortmunder Opfer der Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) aufgerufen.
„Kein Schlussstrich“: Bündnis fordert Aktenzugang und Aufklärung
Die Demonstration begann in der Mallinckrodtstraße 190 – dem Tatort des Mordes – und ging anschließend in einer stillen Laufdemo zum NSU-Mahnmal vor der Auslandsgesellschaft am Hauptbahnhof, wo die Demo mit einer Kundgebung endete. Trotz des schlechten Wetters nahmen zwischen 250 bis 300 Menschen teil, um ein Zeichen gegen Rechtsextremismus, Rassismus und rechte Gewalt zu setzen.
Es gab neben dem Erinnern an Mehmet Kubaşık auch das klare Ziel, die Familie Kubaşık in ihren Forderungen nach Aufklärung zu unterstützen. Nach wie vor sind viele Fragen offen. Zum Beispiel haben die Anwält:innen der Familie Kubaşık keinen Zugang zu den NSU-Akten.
„Die Frage, warum ihr Vater ausgesucht wurde, bleibt ungeklärt. Und es sind viele Helferinnen und Helfer nicht ermittelt worden“, erklärte Ali Şirin vom Bündnis „Tag der Solidarität – Kein Schlussstrich Dortmund“ im Vorfeld der Demo.
Der alljährliche Demozug wurde in den letzten zwei Jahren wegen der der Coronapandemie auf eine Kundgebung am NSU-Mahnmal vor der Auslandsgesellschaft reduziert. In diesem Jahr konnte zum ersten mal seit Beginn der Pandemie wieder eine Demonstration veranstaltet werden, die trotz der widrigen Wetterumstände gut besucht war.
Es gab eine kurze Rede von Semiya Şimşek (Tochter von Enver Şimşek, der im September 2000 vom NSU in Nürnberg getötet wurde) und Grußbotschaften von Hinterbliebenen und Überlebenden der Attentate von Hanau und anderer NSU-Opfer und weitere Wortbeiträge. Am Ende der Veranstaltung wurden von allen Teilnehmer:innen die Namen der Mordopfer laut gesprochen.
Geschlossen und entschlossen gegen rechte Gewalt, Rassismus und Hetze
Bereits zuvor hatte im Gedenken an Mehmet Kubaşık Oberbürgermeister Thomas Westphal gemeinsam mit der Witwe Elif Kubaşık und Tochter Gamze Kubaşık ein stilles Gedenken vor dem ehemaligen Kiosk in der Mallinckrodtstraße 190 abgehalten und Blumen niedergelegt.
Weitere Teilnehmer:innen waren Generalkonsul Sezai Tolga Şimşir, Semiya Şimşek (Tochter von Enver Şimşek, der im September 2000 vom NSU in Nürnberg getötet wurde), Bezirksbürgermeisterin Hannah Rosenbaum, die stellvertretende Integrationsratsvorsitzende Irina Bürstinghaus, Polizeipräsident Gregor Lange sowie der Sonderbeauftragte des OB für Vielfalt, Toleranz und Demokratie, Manfred Kossack.
„Wir Dortmunderinnen und Dortmunder gedenken heute Mehmet Kubaşık und auch den anderen Opfern des NSU. Wir sind weiterhin aufgefordert, geschlossen und entschlossen rechter Gewalt, Rassismus und Hetze entschieden entgegenzutreten“, betonte OB Thomas Westphal.
„Die Erinnerung an den Mord von Mehmet Kubaşık ist deshalb nicht nur als unsere Pflicht gegenüber den Hinterbliebenen zu verstehen, sondern auch als Verantwortung für Respekt und Anerkennung und gegen Gewalt und Hass in unserer Mitte. Der Einsatz der Familie von Mehmet Kubaşık gegen Rechtsextremismus und -terrorismus ist ein besonders wichtiger Beitrag dazu. Dafür danken wir ihr sehr“, so der OB.
Familie Kubaşık fordert auch nach 16 Jahren die umfassende Aufklärung
„Auch 16 Jahre danach ist unser Ehemann und Vater in unserem Alltag sehr präsent. Unsere Familie ist in den 16 Jahren gewachsen, aber der Verlust ist immer noch spürbar. Wir sind froh darüber, dass wir neben unserem Oberbürgermeister ganz viele Weggefährt:innen und Organisationen in Dortmund an unserer Seite haben“, sagten Elif und Gamze Kubaşık.
„Uns alle verbindet Dortmund als unsere Heimat! Gemeinsam setzen wir uns gegen rechten Terror ein, fordern eine umfassende Aufklärung und erinnern mit stillen Gedenken, Veranstaltungen und Demonstrationen an den 4. April 2006. Dieser Zusammenhalt ist nicht überall selbstverständlich“, so die Angehörigen von Mehmet Kubaşık.
Mehmet Kubaşık war dreifacher Familienvater und Kioskbesitzer in der Nordstadt. Am 4. April 2006 wurde er von der rechtsextremen Terrorzelle NSU in seinem Kiosk an der Mallinckrodtstraße 190 erschossen. Damit wurde er zum achten Opfer der NSU-Mordserie. Anfänglich wurde nur im direkten Umfeld des Opfers ermittelt.
Der Mord wurde fälschlicher Weise auf die Herkunft und den familiären Hintergrund von Mehmet Kubaşık zurückgeführt. Wie bei den meisten NSU-Attentaten, wurde auch dieser Fall als „Dönermord“ abgestempelt und mit Drogenhandel, „Ehrenmorden“ und Finanzierung von türkischen Organisationen in Verbindung gebracht.
Hinweise der Familie, die auf mögliche Täter aus dem rechten Milieu hinwiesen, wurden nicht ernst genommen. Seine Tochter Gamze Kubaşık äußerte sich bei der Einweihung des Mehmet-Kubaşık-Platzes so zu den Ermittlungsfehlern der Behörden: „Ich möchte, dass die Leute niemals vergessen, dass dieser Staat und seine Behörden uns erst ernstgenommen haben, als die Nazis sich 2011 selbst zu den Morden und den Anschlägen bekannt hatten.“