„Stahl ist Zukunft“ – Unter diesem Motto versammelten sich 350 Beschäftigte der Thyssenkrupp Steel Europe AG vor dem Tor Eins der Westfalenhütte. Zuvor hatte der Betriebsrat zu einer Informationsveranstaltung vor dem Werkstor aufgerufen. Auslöser dafür waren die in letzten Tagen getätigten Aussagen des Vorstandsvorsitzenden der Thyssenkrupp AG Miguel Ángel López Borrego. Dieser hatte dem Vorstand und den Beschäftigten einen Vorschlag zur Profitabilität unterbreitet, der vorsieht die jährliche Produktion von 9,5 Millionen Tonnen auf sieben bis acht Millionen Tonnen Stahltonage.
„Die Pläne erinnern an die Horror Picture Show“
Nach Paragraph 39 des Betriebsverfassungsgesetz dürfen der Betriebsrat Sprechstunden bzw. Informationsveranstaltung innerhalb der Arbeitszeit veranstalten. Diese Art von Veranstaltung fand am jetzt an allen deutschen Standorten des Thyssenkrupp Steel Konzernes statt. Dadurch standen alle Werke für sieben Stunden komplett still.
Für Kirstin Zeidler (Betriebsratsvorsitzende am Standort Westfalenhütte) war es nötig, da die Pläne von CEO López sie „an die Horror Picture Show“ erinnere. Die Pläne seien fernab der Realität.
Denn durch die Reduzierung der Tonnage um 1,5 oder 2,5 Millionen Tonnen müsste rechnerisch ein Standort mit halber Last betrieben werden, was in der Stahlindustrie nicht wirklich möglich sei. Außerdem würde das ein Wegfall von zwei Hochöfen, einer Warmbandanlage und somit den Abbau von 10.000 bis 12.000 Beschäftigten bedeuten.
Desweiteren kritisierte sie den Verkauf der hochprofitablen Tochtergesellschaften der Thyssenkrupp AG, die einen großen Anteil des Gewinnes des Gesamtkonzern erwirtschaften. Ebenfalls weigere sich López laut Zeidler, mit den Beschäftigten ins Gespräch zu kommen und die Finanzierungsvereinbarung zu regeln und festzusetzen – diese brauchten die Beschäftigten, um sicher zu gehen, dass ihre Zukunft im Konzern für mindestens 12 oder 24 Monate gesichert sei.
„Wir sind starr vor Angst, wie das Kaninchen vor der Schlange – Wir greifen die Schlange an!“
Die TK AG möchte für die Erhaltung der bisherigen Strukturen nur 2,5 Milliarden Euro als Darlehen ausgeben, obwohl laut Zeidler vier Milliarden benötigt würden. „Eigentum verpflichtet“, erinnerte sie die Anteilseigner:innen an das Grundgesetz und ihre Verantwortung für den Konzern. Um diese Erinnerung besser an die Adressat:innen zurichten, kündigte sie eine Reise zur Villa Hügel nach Essen an. Sie forderte nochmal alle Beteiligten in Verantwortungsposition im Konzern dazu auf López und seine Pläne zu stoppen.
Die IG Metall fordert den ThyssenKrupp-Chef auf, „den Wahnsinn zu stoppen“
Auch die 1. Bevollmächtigte der IG Metall Ulrike Hölter schloss sich der Forderung an den „Wahnsinn“ zu stoppen. Während der restliche Stahlvorstand die Veränderung des Konzerns sozialverträglich machen wolle, hätte CEO López keine Ahnung, wie dies ginge.
Sie betonte zudem, dass es nicht allein, um die Arbeitsplätze in der Stahlerzeugung ginge, sondern auch um die Folgearbeitsplätze und den angehörigen Familien. Mit der Parole „Wir stehen zusammen. Wir sind kampfbereit“, beendete sie ihre Rede.
Es kamen neben den Beschäftigten aus dem Werk und verschiedenen Gewerkschaftsmitgliedern auch Politiker:innen zur Veranstaltung. Darunter die SPD-Bundestagsabgeordnete Sabine Poschmann, die SPD-Landtagsabgeordneten Nadja Lüders und Volkan Baran sowie Oberbürgermeister Thomas Westphal und der 1. Bürgermeister Norbert Schilff (SPD).
Für Sabine Poschmann ist López der „Totengräber der Stahlindustrie“
Für die SPD-Bundestagsabgeordnete Sabine Poschmann gehen die Pläne des Vorstandsvorsitzenden López in die genau entgegengesetzte Richtung zu den Erkenntnissen aus der Corona-Pandemie und der Energiekrise. Denn diese Krisen hätten der deutschen Bevölkerung gezeigt, dass die Produktion von unentbehrlichen Gütern am besten in Deutschland selbst erfolgen soll, um Probleme in der Lieferkette zu umgehen.
Daraus schloss sie, dass alle Anteilseigner – insbesondere Ursula Gather und die Krupp-Stiftung – in die Werke investieren müssten, um die Werke zukunftssicher umzugestalten. Denn laut Grundgesetz stellte Eigentum eine Verpflichtung da.
Einfach Werke zu schließen und die versicherten Renten zu bezahlen, würde laut ihrer Meinung nur zwei Jahre halten, da dann der Konzern insolvent wäre. Für sie ist Miguel López der „Totengräber der Stahlindustrie“.
Es sei klar, dass die Stahlüberproduktion von China zur Rettung der dortigen Wirtschaft ein Problem für die hiesige Stahlerzeugung darstelle. Jedoch ist die Europäische Union im Begriff etwas dagegen zu unternehmen.
Der Bund hat bereits einen Förderbescheid in Höhe von zwei Milliarden Euro bewilligt, um die Arbeitsplätze zu sichern und die Werke zukunftsweisend umzubauen. Daher sei der geplante Stellenabbau der völlig falsche Weg.
OB Westphal kritisiert „Szenen wie aus dem Tollhaus“
Außerdem kritisierte sie den Umgang von López mit den Betriebsräten. Es ginge hier um zehntausende von Arbeitnehmer:innen und den dazugehörigen Familien. Auch die SPD habe López bereits zu einer Diskussionsveranstaltung eingeladen, jedoch gab es bisher keine Antwort. Sabine Poschmann versprach, dass die Politik der letzte Anker bleiben werde und weiterhin schauen wird, wie die Situation bei Thyssenkrupp stabilisiert werden kann.
Auch Oberbürgermeister Thomas Westphal stieg mit in die Kritik ein und beschrieb die Bezeichnung des Stahlvorstandes als „ahnungslos“ durch López als „Szenen wie aus dem Tollhaus“.
Er möchte zudem den Vorstand und den NRW-Ministerpräsident Wüst fragen, ob die Investitionen in die neue Feuerbeschichtung-Aanlage im 2022 umsonst waren. Vom Konzern wurden damals circa 250 Millionen Euro investiert. „Soll diese Investition falsch gewesen sein?“, fragte der Oberbürgermeister die Teilnehmenden.
Westphal betonte zudem: „Die Stadt steht zu ihrer Verantwortung. Auch Ursula Gather
muss zu ihrer Verantwortung stehen!“ Er werde ihr zudem auch einen Brief zu kommen lassen, in dem er sie an ihre Verantwortung erinnere. Er schloss mit dem Versprechen, weiterhin an der Seite der Arbeitnehmer:innen zu stehen und einem „Glück auf“.
Betriebsrat-Kritik: „Laschet schweigt zu diesem Konflikt“
Zwischen den Reden der Politiker:innen erinnerte der stellvertretende TKS-Betriebsratsvorsitzende Moritz Engels daran, dass der ehemalige NRW-Ministerpräsident Armin Laschet wegen des Verzichts von Hendrik Wüst immer noch im Aufsichtsrat des kritisierten Konzernes säße, sich aber nicht öffentlichkeitswirksam geäußert habe.
Danach forderte er die Teilnehmenden zu einem Informationsspaziergang auf und zog den Tross bis um den Borsigplatz und wieder zurück zum Werktor. „Mit diesen Maßnahmen vernichten die Kapitalisten ihr Kapital! Wir fordern nicht Geld – Wir fordern Sicherheit. Sicherheit, die uns keine AG geben kann“, so Engels.
Er klagte zudem, dass es seit langem kein Jahr mehr gegeben habe, in dem die Beschäftigten in Ruhe hätten Stahl produzieren können. Er betonte das Zeichen, dass Politik, Gewerkschaft und Beschäftigte bei dieser Situation zusammenstehen.
Die SPD-Landtagsabgeordnete Nadja Lüders vermochte in der Belegschaft des Unternehmens „Ehre und Stolz“ erkennen – Eigenschaften, die sie dem Vorstand absprach.
Außerdem kritisierte sie López Vorgehen: „Dieser […] stellt sich nicht unseren Fragen. Er weiß nicht worum es hier geht!“ Die Teilnehmenden hätten es im Blut, für ihre Arbeitnehmer:innenrechte zu kämpfen.
Sie betonte, dass sie und ihre SPD-Kolleg:innen die CDU-geführte Landesregierung nicht von den Fragen davonkommen ließen und ermahnte den Ministerpräsidenten: „Wüst, du gehörst hier auf dem Plan. Du musst klare Kante zeigen!“
„Wir brauchen keinen weiteren Stellenabbau“
Der IG-Metaller und 1. Bürgermeister Norbert Schilff betonte, dass die Stahlindustrie zur Identität der Stadt gehöre. Er erinnerte außerdem an den Artikel 24 Absatz 1 der Landesverfassung NRW: „Bei der Arbeit steht das Wohl des Menschen im Mittelpunkt und nicht der Profit!“
Durch den Strukturwandel sei Dortmund schon oft totgesagt worden. 70.000 Arbeitsplätze sind durch den Abbau der damaligen Industrie vernichtet worden. Es habe 40 Jahre gedauert, diese Anzahl an versicherungspflichtige Jobs wiederzubekommen.
„Wir brauchen keinen weiteren Stellenabbau“, fasste Schilff zusammen. Er dachte zudem an die letzten großen Ereignisse der Streikkultur in Dortmund wie die „Nacht der tausend Feuer“ und das „Band der Solidarität“. Diese Ereignisse zeigten, dass es gäbe noch Solidarität gebe.
Es sei wichtig, dass die Arbeitsplätze hier erhalten blieben und sicher seien – und das bei Veränderungen alles sozial abgefedert werde.
Auch die Leiterin des Hoesch-Museums, Historikerin Isolde Parussel, bezeichnete das Werk als „Kern der Nordstadt“ und als Zeichen für die „Errungenschaften der Montan-Mitbestimmung“.
Sie mahnte die Zuhörerenden, solidarisch zu bleiben: „Die [vergangenen] Arbeitskämpfe haben gezeigt, dass sie sich lohnen und haben immer wenigstens für genug Zeit für sozialverträgliche Lösungen gesorgt“, so Parussel. „Jedes persönliche Engagement wirkt ins Persönliche.“ Das Werk sei ein historischer Ort des Strukturwandels und wichtig für die Nordstadt und das Karlsquartier.
Keine Folklore: Für Volkan Baran bedeutet Stahl weiterhin Zukunft
Der SPD-Landtagsabgeordnete Volkan Baran erinnerte, dass er noch unter Tage in der Zeche Monopol Schacht Grimberg III/IV gelernt habe: „Wenn man keine Ahnung hat, hält man die Fresse.“ Seine Bergmannskarriere, die von Schließungen begleitet war, lehrten ihn, dass „Glück Auf“ für Freundschaft, Kameradschaft und Solidarität stehe. Er forderte, dass Stahl keine Folklore wie der Bergbau sein dürfte: Denn „Stahl ist Zukunft“.
Laut Baran werde López verlieren, da er „keine Ahnung hat, was Solidarität ist“. Er empfahl zudem den Teilnehmenden, zu Not wochenlange Informationsveranstaltungen abzuhalten.
Zum Abschluss der Reden ergriff die Bergkamener Stadtvertreterin Claudia Schewior das Wort. Sie ist zudem Mitglied von „Berg-AUF“, einer auf Bergbau und Strukturwandel konzentrierte Organisation.
Sie erinnerte daran, dass der Bergbau „verbrannte Erde“ hinterlassen habe. Daran solle sich ThyssenKrupp kein Vorbild nehmen, ermahnte sie den Vorstand. Es müsse mehr getan werden, damit es in den Werken besser laufe. Beim Profitdenken dürfe man die Menschen nicht vergessen.
Es müsse ein konsequenter Kampf, um jeden einzelnen Arbeitsplatz geführt werden, da schon ein einziger Arbeitsplatzverlust ein Eingeständnis für die Vorgehensweise des Vorstandes wäre, so Schewior. Denn Stahl würde überall auf der Welt gebraucht. Ihr Vorschlag für die Sicherung der Arbeitsplätze ist die „Arbeitszeitreduzierung bei vollem Lohnausgleich“. Dies sei aufgrund der gesteigerten Produktivität möglich.
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thyssenkrupp Steel besetzt Unternehmensführung neu: Ilse Henne wird Aufsichtsratsvorsitzende, Dennis Grimm als Sprecher des Vorstands bestätigt (PM TKSE)
Die thyssenkrupp Steel Europe AG hat im Rahmen einer außerordentlichen Aufsichtsratssitzung wesentliche Personalentscheidungen zur Neuaufstellung des Unternehmens getroffen. Zur neuen Aufsichtsratsvorsitzenden ist Ilse Henne, Mitglied des Vorstands der thyssenkrupp AG und CEO des Business Segments Materials Services, berufen worden. Für die Arbeitnehmerseite wurde Knut Giesler, Bezirksleiter der IG Metall Nordrhein-Westfalen, in den Aufsichtsrat der thyssenkrupp Steel Europe AG entsandt und zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Die weiteren vakanten Positionen auf Anteilseignerseite werden durch Detlef Schotten, Andreas Zinke und Sonja Püskens nachbesetzt, die in unterschiedlichen Funktionen für den thyssenkrupp Konzern tätig sind. Auf der Arbeitnehmerseite folgt Ali Güzel, Betriebsratsvorsitzender Standort Duisburg-Hamborn, auf Tekin Nasikkol.
Neubesetzungen im Vorstand der thyssenkrupp Steel Europe AG
Darüber hinaus hat der Aufsichtsrat der thyssenkrupp Steel Europe AG heute Dennis Grimm als Sprecher des Vorstands bestätigt, der bereits seit Ende August interimsweise die Funktion des Vorstandssprechers ausgeübt hat. Grimm übernimmt die gesamte operative Verantwortung sowie die technologische Steuerung und Weiterentwicklung des Unternehmens. Darüber hinaus verantwortet er die technologische Umsetzung der grünen Transformation. Zusätzlich ist Grimm für das neu zugeschnittene Vertriebs- und Innovationsressort kommissarisch verantwortlich.
Zum 1. Oktober 2024 neu in den Vorstand berufen wird Dr.-Ing. Marie Jaroni, bislang Executive Vice President Steel bei der thyssenkrupp AG. Sie wird in einem neu geschaffenen Ressort für die strategische Weiterentwicklung sowie für die performanceorientierte Steuerung des Unternehmens hin zu mehr Wettbewerbsfähigkeit verantwortlich zeichnen.
Als Finanzvorstand wurde Philipp Conze bestätigt. Er wird zusätzlich weiterhin das Personalressort leiten, bis auch hier die Nachbesetzung erfolgt ist.
Ilse Henne, Aufsichtsratsvorsitzende von thyssenkrupp Steel: „Die Neuaufstellung von thyssenkrupp Steel kommt voran. Mit den neuen personellen Besetzungen in Aufsichtsrat und Vorstand wollen wir die großen Herausforderungen der strukturellen Neuausrichtung, der Verselbstständigung und der grünen Transformation gemeinsam angehen. Jetzt gilt es, mit der thyssenkrupp AG und den Arbeitnehmervertretern die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft des Unternehmens zu stellen. Die noch offenen Positionen im Vorstand werden schnellstmöglich besetzt.“