SERIE Nordstadt-Geschichte(n): Julius Fischer holte 1905 die Alpen an den Steinplatz – Gastronomie im ständigen Wandel

Sebastian Siewers Bier-Sääle, Münsterstr. 17/19, Ansichtskarte von 1902 (Slg. Klaus Winter)

Von Klaus Winter

Das Vorgängergebäude der heutigen Polizeiinspektion 2, Polizeiwache Nord, Ecke Münster- /Heiligegartenstraße, war jahrzehntelang Ziel vieler Dortmunder wie auswärtiger Gäste. Eine ganze Reihe von Wirten und Direktoren bemühte sich hier im Laufe der Zeit um die Gunst der Gäste und war mal mehr, mal weniger erfolgreich. Einer von ihnen war Julius Fischer, der seinem Unternehmen am Steinplatz den ebenso merkwürdigen wie vielversprechenden Namen „Welt-Etablissement Zillertal“ gab.

Im großen Saal entstand eine Gebirgslandschaft von verblüffender Natürlichkeit

Julius Fischer war ein Nachfolger des Wirts Sebastian Siewers, der in mehr als zwanzig Jahren aus dem verrufenen Lokal im Haus Münsterstr. 17/19 die stadtbekannten „Siewerschen Biersäle“ geschaffen hatte. In dem Zusammenhang hatte er den Hinterhof seines Hauses weitestgehend mit einem großen Saal überbaut. Den ließ Julius Fischer gründlich umgestalten.

Baumeister Bohn und Bildhauer Demjek, beide Dortmund, sowie der Kunstmaler Bossard, Köln, schufen in dem Saal eine Gebirgslandschaft von „verblüffender Natürlichkeit“. Der erstaunte Gast sah sich der ganzen Schönheit der Alpen, der gewaltigen Wucht der Felsmassen gegenübergestellt. „Die freundliche Aufnahme der Berge, durchbrochen von lebenden Tannen, natürlichen Pflanzen und Blumen geben dem Ganzen etwas ungemein Behagliches und laden zum Verweilen ein.

Julius Fischers Welt-Etablissement Zillertal, Ansichtskarte von 1906. (Sammlung Klaus Winter)

Am 1. November 1905 eröffnete Fischer das „Alpenrestaurant Zillertal“. Dem „auf gastronomischen Gebiete in ganz Deutschland bekannten Festwirt“ stand mit Karl Küppers eine tüchtige kaufmännische Kraft zur Seite. Um die Wünsche der Gäste kümmerten sich etwa 100 Angestellte.

Blitzsaubere Münchner Schankmadel bedienten die Gäste

Das Bier wurde dem Gast in hauseigenen Trinkgefäßen, den „Henkelpöttchen“, serviert und die Speisen standen vorwiegend auch auf den Speisenkarten der Gegend, in der sich das von der Natur geschaffene Vorbild der Kulisse erhob: Eisbein, Schweins- und Kalbshaxen, Wellfleisch, Weißwürste usw., alles frisch und nicht zu knapp. „Blitzsaubere Münchner Schankmadel bedienen die Gäste in der nur ihnen allein eigenen, gewinnenden Art.“ Umrahmt von der Alpen-Kulisse luden auch ein Nürnberger Bratwurstglöckle zum Imbiss und das Wachholderhäuschen zum stärkenden Schluck.

Das „Zillertal“ bot seinen Gästen ein reichhaltiges Musik- und Unterhaltungsprogramm. Häufig spielten verschiedene Kapellen an einem Tag, selbstredend vorwiegend solche, deren Darbietungen zur Gebirgskulisse passten wie die „Alpenjäger“, „D’Oberländer“, die „Dachauer“ oder die Alpenszenen- und Schuhplatterl-Truppe Tobias Wilhelm.

Ein Scheibenstand, die Rutschbahn und eine Tropfsteinhöhle waren Attraktionen

Programm des Zillertals mit Ankündigung des „Hauptmann von Köpenick“, Zeitungsinserat (Dortmunder Zeitung, 19.10.1906)

An einem Scheibenstand konnten die Gäste ihre Schießkünste unter Beweis stellen. Spannender, weil durchaus seltener im Angebot einer Saalwirtschaft war aber eine Rutschbahn, die in die Gebirgskulisse integriert war und an einer Außenwand des Saals entlangführte. „Da kraxeln Scharen fröhlicher Touristen hinauf zum Bergkrug, um von dort aus mit der Rutschbahn pfeilschnell in die Tiefe zu sausen.

Ab Januar 1906 konnte man im Alpenrestaurant das „Cabarett Fehmloge“ besuchen, eingerichtet in einem Nebenraum, der ausgestaltet war wie eine „wunderbare Tropfsteinhöhle mit herrlichen Tropfsteingebilden. 500 Meter unter der Erde“. Hier gab es ein eigenes Programm und Amerikanische Drinks.

Sogar eine eigene Karnevalgesellschaft wurde im „Zillertal“ ins Leben gerufen. Sie nannte sich nach den hauseigenen Trinkgefäßen „Henkelpöttche“ und hielt am 5. Januar 1906 ihre erste „Damensitzung“ ab.

Ein falscher Hauptmann zog das Publikum ins Zillertal

Julius Fischer zeigte ein Gespür für die Chancen, die ihm das Tagesgeschehen bot. Ein Beispiel hierfür war die Einweihung des Eisengießerbrunnens auf dem Steinplatz im Januar 1906. Aus diesem Anlasse hatte sich im Zillertal eine stattliche Zahl von Nordstadt-Bewohnern versammelt.

Im festlichen Zuge bewegten sich die Gäste unter Vorantritt des Rossinischen Blasorchesters nach dem Brunnen, der von dem Vorsitzenden des Verschönerungs-Vereins der Stadt Dortmund übergeben wurde. Stolz darauf, in dem sonst so stiefmütterlich behandelten Norden ein solches Kunstwerk zu besitzen, gelobten sich die Teilnehmer, dem Brunnen ihren ganz besonderen Schutz angedeihen zu lassen.

Aus Anlass der Brunnenweihe stellte Julius Fischer den von ihm komponierten „Steinplatzbrunnenmarsch“ vor: „Obgeschept, obgeschept mit dem großen Löffel“

Am 16. Oktober 1906 gelang dem Schuhmacher Friedrich Wilhelm Voigt in preußischer Offiziersuniform und unter Einbeziehung eines Trupps ahnungsloser Soldaten im Rathaus von Köpenick der Raub der Stadtkasse. Die spektakuläre Tat machte Voigt unter der Bezeichnung „Hauptmann von Köpenick“ binnen kürzester Frist im ganzen Deutschen Kaiserreich und darüber hinaus berühmt.

Im Zillertal wurde exakt eine Woche nach der Tat das Bubenstück des Schuhmachers unter dem Titel „Der Herr Hauptmann von Köpenick“ bereits als „Posse in 1 Akt“ aufgeführt. Zu dem Zeitpunkt war zwar der Tathergang bekannt, aber Voigt noch auf der Flucht. Am 29. Oktober kündigte das „Zillertal“ die bereits zehnte Aufführung des Hauptmanns von Köpenick, „vom Anfang bis zum Ende seiner Dienstzeit“ an.

Das Publikum verlor rasch das Interesse an Attraktionen

Der Vertrag, den Julius Fischer 1905 mit dem Hauseigentümer Siewers über den Betrieb seines Zillertals geschlossen hatte, ist nicht überliefert. Es lässt sich auch nicht feststellen, welchen Anteil er an der kostspieligen Umgestaltung des Saals in eine künstliche Alpenlandschaft zu tragen hatte und wie stark deshalb der Erfolgsdruck auf ihn lastete.

Damen-Ringkämpfe im Zillertal, Zeitungsinserat (Dortmunder Zeitung, 14.12.1906)

Ein gewichtiger Pluspunkt des Alpen-Restaurants „Zillertal“ war zweifellos seine Lage an einem stark frequentierten Straßenabschnitt in der Nähe des Bahnhofs. Doch wer mochte – trotz prächtiger Alpenkulisse – bei schönem Wetter einen Saal aufsuchen, wo es doch im Stadtgebiet attraktive Biergärten gab? Auch hatte sich schon an anderen Beispielen gezeigt, dass das Publikum rasch das Interesse an neuen Attraktionen verlor.

Die Reaktionen des „Zillertal“ auf tagesaktuelle Ereignisse im Herbst 1906 mögen deshalb Indiz dafür sein, wie sehr man bemüht war, den Saal nach einer Sommersaison, die vermutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben war, wieder zu füllen.

Dass der Niedergang von Julius Fischers „Weltetablissement“ nach wenig länger als einem Jahre nach der Eröffnung bereits eingeleitet war, kann einem Veranstaltungshinweis vom Dezember 1906 entnommen werden: „Im Zillertal herrscht augenblicklich eine solche Fülle, wie sie die Direktion wohl lange nicht erlebt“ hatte. Der Grund für die neue „Fülle“ lag in der Ausrichtung von Damen-Ringkämpfen. Solche Programme weckten allerdings auch die Erinnerung an die verrufene Tingel-Tangel-Zeit der 1870er Jahre.

Die Gebirgskulisse des Zillertals als Wanddekoration des neuen Automatenrestaurants (Slg. Klaus Winter)

Automatenrestaurant folgte dem „Zillertal“ nach

Im Januar 1907 verdichteten sich die Gerüchte, dass dem „Zillertal“ keine lange Zukunft mehr beschieden sein würde. Hauseigentümer Siewers beabsichtigte den Umbau des Alpenrestaurants in ein Automatenrestaurant, das weitestgehend ohne Personal auskam, weil sich die Gäste an Münzautomaten mit Speisen und Getränken selbst versorgen konnten. Drei „Automaten“ gab es zu der Zeit bereits in der Brückstraße und die Einrichtung eines weiteren war in Planung.

Tatsächlich endete die kurze Geschichte von Julius Fischer’s Welt-Etablissement „Zillertal“ im Februar 1907, und es folgte die bereits angekündigte Umgestaltung des Alpen-Restaurants. Dabei blieb die Gebirgskulisse allerdings weitestgehend erhalten. Der „Central-Automat“ wurde erstmals im Dortmunder Adressbuch 1909 erwähnt, überstand den Ersten Weltkrieg und ist noch in den 1920er Jahren an der Münsterstraße nachweisbar.

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