Von Klaus Winter
Das in Formen des Bauhaus-Stils errichtete Gebäude an der Ecke Gneisenau- /Clemens-Veltum-Straße sucht in der ganzen Stadt seinesgleichen. Deshalb verwundert es nicht, dass es immer wieder in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerät. So wurde es zum Beispiel im Juli 2020 von der Denkmalbehörde der Stadt zum „Denkmal des Monats“ gekürt. Doch wer war der Bauherr dieses auffälligen Hauses? Wer war sein Nachfolger?
Der Sohn eines Möbelfabrikanten studierte Medizin
Paul Linsmann wurde 1891 als Sohn des Fritz Linsmann und seiner aus Arnsberg stammenden Ehefrau Wilhelmine geb. Steinrücke geboren. Fritz Linsmann war Möbelfabrikant und ging seinem Gewerbe im Haus Schwanenwall 24 nach.
Wie seine Brüder Fritz und Karl besuchte Paul Linsmann das Stadtgymnasium. Dort bestand er im März 1910 seine Abiturprüfungen und begann ein Medizin-Studium an den Universitäten in Göttingen und Würzburg.
Als sein Vater im Januar 1916 starb, war er „Unterarzt“. Die Approbation zum Arzt erlangte er im folgenden Jahr und promovierte 1919 an der Universität Heidelberg zum Dr. med., der Titel seiner Dissertationsschrift lautete „Ergebnisse und Richtlinien bei Gelenkverletzungen im jetzigen Kriege“.
Linsmanns erste Praxis war im Elternhaus
Noch im Frühjahr 1919 ließ Paul Linsmann sich in seinem Elternhaus am Schwanenwall als praktischer Arzt nieder. Seine Praxis wurde rasch an das Telefonnetz angeschlossen.
Am 26. November 1919 heiratete er Lena geb. Hölle. Aus der Vermählungsanzeige geht hervor, dass die Eheleute zu der Zeit bereits im Haus Gneisenaustraße 69 wohnten.
Der Neubau wurde 1927 in Angriff genommen
Im März 1925 wurde Dr. Linsmann Opfer eines nächtlichen Einbruchs. Gestohlen wurden unter anderem ein Fahrrad, medizinische Instrumente, Betäubungsmittel, der Arztstempel. Ob der Täter gefasst wurde, ist nicht mehr bekannt.
Der Dortmunder Bautennachweis für die Woche vom 23. bis zum 30. März 1927 überliefert die in Angriff genommene Baumaßnahme des Dr. Linsmann an der Ecke Gneisenau- /Lessingstraße (heute Clemens-Veltum-Straße) – das eingangs erwähnte Bauhaus-Gebäude.
Der Arzt konnte nur noch den Tod feststellen
Im Erdgeschoss des Neubaus diagonal gegenüber der Apostel-Kirche betrieb Dr. Linsmann fortan seine Praxis. Über den Praxisräumen lag die Wohnung.
Über seine ärztliche Berufsausübung liegen kaum Nachrichten vor. Einmal wurde er jedoch in seiner Eigenschaft als Arzt in der Presse namentlich genannt: Bei einem Mord im Restaurant „Tattersall“ an der Leibnizstraße im Sommer 1929 konnte er nur noch den Tod des Opfers feststellen.
Bereits 1927 war Linsmann in die Ärztekammer der Provinz Westfalen, Regierungsbezirk Arnsberg gewählt worden. 1931 wurde er wiedergewählt. Seit demselben Jahr gehörte er als Vertreter der Ärzteschaft dem Schiedsamt beim Oberversicherungsamt Dortmund an.
Ausgelagertes Mobiliar wurde im Krieg zerstört
Im Verlauf des Zweiten Weltkrieges wollte Dr. Linsmann die dem Stil seines Hauses angepasste und zweifellos wertvolle Inneneinrichtung vor den Bomben der Alliierten retten und ließ die Möbel auf dem Lande in eine Scheune verbringen. Doch während sein Haus in der Nordstadt vom Krieg verschont wurde, wurde die Scheune mit dem eingelagerten Mobiliar zerstört.
Ein Neffe wuchs in die Praxis hinein
Seit 1952 arbeitete der Arzt Dr. Dieter Tetzlaff als Assistent in der Praxis Linsmann mit. Tetzlaff war ein Verwandter aus der mütterlichen Linie von Linsmanns Ehefrau. Im Laufe der Zeit übernahm der junge Arzt in der Praxis seines Onkels mehr und mehr Aufgaben.
Der so entlastete Linsmann beschäftigte sich – wie bereits vor dem Zweiten Weltkrieg –verstärkt mit den Interessen seines Berufsstandes. Er arbeitete mit am Aufbau der Kassenärztlichen Vereinigung sowie an einer neuen Ärztekammer.
Linsmann wurde mit der Paracelsus-Medaille geehrt
Für seinen Einsatz auf diesen Gebieten wurde er auf dem Ärztetag 1957 in Köln mit der Paracelsus-Medaille der deutschen Ärzteschaft ausgezeichnet. Dies ist die höchste Auszeichnung der deutschen Ärzteschaft für verdiente Ärzte und wird seit 1952 verliehen.
Nur wenige Monate nach seiner hohen Auszeichnung starb Dr. med. Paul Linsmann im Alter von 66 Jahren. Sein Todestag ist der 21. Oktober 1957.
Auch im Mitteilungsblatt des Ehemaligen Vereins des Stadtgymnasiums, dem sich Dr. Linsmann bis zum Schluss sehr verbunden fühlte, widmete man ihm einen ehrenden Nachruf.
Sein Nachfolger, Dr. Dieter Tetzlaff, war der „Hafenarzt“
Dr. Dieter Tetzlaff übernahm die Praxis seines verstorbenen Onkels und erlangte wie dieser einen beinahe legendären Ruf. Vier Jahrzehnte war er „der Hafenarzt“ und zählte damit sicherlich zu den dienstältesten Ärzten der Stadt.
Auch auf einem anderen Gebiet folgte Tetzlaff seinem Onkel nach: 1958 hatte er die „Vereinigung praktischer Ärzte“ gegründet, stand an der Spitze des Landesverbandes im Bund Praktischer Ärzte und war auch Vorsitzender des Bundesverbandes.
Linsmanns Haus wurde in Wohnungen aufgeteilt
Zum 60. und auch zum 70. Geburtstag Dr. Tetzlaffs erschienen würdigende Artikel in der Tagespresse. Inzwischen ist die vormalige Arztpraxis in neue Hände gekommen und wurde in mehrere Wohnungen aufgeteilt. Im Erdgeschoss befindet sich die Großtagespflegestelle „Hafenvilla Kunterbunt“.