Von Klaus Winter
Der Bergbau war in der Nordstadt durch die Zeche Kaiserstuhl vertreten. Kaiserstuhl hatte zwei Standorte an der Bornstraße: Der Schacht I lag zwischen Bergmann-, Born- und Glückaufstraße und wurde im Westen durch das Brauerei-Gelände begrenzt. Schacht II befand sich östlich der Bornstraße, nahe der Grenze zu Eving. Die Anfänge der Zeche Kaiserstuhl lagen in den frühen 1870er Jahren. Den schwärzesten Tag ihrer Geschichte erlebte sie 1893. In diesem Jahr verloren durch ein Grubenunglück auf Schacht Kaiserstuhl I 62 Bergleute ihr Leben.
Nachricht vom Unglück verbreitete sich wie ein Lauffeuer
Der Unglückstag war Samstag, der 19. August. Berghauptmann Taeglichsbeck war gerade im Begriff, vom Dortmunder Bahnhof nach Recklinghausen zu fahren, wo sich auf der dort gelegenen Zeche König Ludwig kurz zuvor eine Schlagwetterexplosion ereignet hatte. Da verbreitete sich in Dortmund wie ein Lauffeuer die Nachricht von genau solch einem Explosionsunglück auch auf Kaiserstuhl. Von 100 bis 120 Opfern wusste das Gerücht zu berichten. Diese Zahlen bestätigten sich zwar nicht, doch war unzweifelhaft, dass sich eine große Katastrophe ereignet hatte.
Die Rettungsarbeiten, unterstützt von herbei geeilten Hilfsmannschaften benachbarter Zechen, stießen auf große Schwierigkeiten. Bei ihrem Eintreffen zogen noch giftige Nachschwaden durch die Stollen, und ganze Strecken waren eingestürzt. Trotzdem konnte man bis zum Abend im Wesentlichen den Abschluss der Bergungsarbeiten melden.
Angehörige suchten in der Totenhalle nach ihren Verwandten
Schnell versammelte sich eine große Menschenmenge auf dem Zechengelände und der Bornstraße. Angehörige der Unglücksschicht suchten in der Totenhalle der Zeche nach dem Sohn, Ehemann, Vater, Bruder. Auch Ärzte und Geistliche eilten zum Unglücksort.
Bis 15 Uhr hatte man 51 Bergleute tot geborgen. Einige Leichen waren vollkommen verkohlt. 16 Schwer- und ein Leichtverletzter wurden auf mit Stroh ausgelegten Karren und begleitet von Arbeitskameraden in die beiden Dortmunder Krankenhäuser, dem städtischen Louisen- und dem katholischen St. Johanneshospital, geschafft. Von den Verletzten starben sieben bald an ihren schweren Brandwunden.
Beisetzung erfolgte in einem Massengrab auf dem Ostfriedhof
Die Beisetzung der geborgenen Opfer fand am Dienstag, 22. August auf dem Ostfriedhof statt. Der Ostfriedhof war als Nachfolger des Westfriedhofs, heute Westpark, zu der Zeit der einzige aktive Dortmunder Friedhof, da die vielen heutigen Vororte noch nicht eingemeindet waren. (Der städtische Süd[west]friedhof wurde einen Tag später in Betrieb genommen.)
Nach Einholung der behördlichen Genehmigung hatte man auf dem Friedhof ein Massengrab vorbereitet. Hier sollten die Toten in einer Reihe und nach ihrer Konfessionszugehörigkeit bestattet werden: die evangelischen auf der einen, die katholischen auf der anderen Seite.
Welches Unglücksopfer welcher Konfession zuzurechnen war, war allerdings auch am dritten Tag nach der Schlagwetterexplosion teilweise unklar, weil der Zustand einiger Leichen ihre Identifikation nicht ermöglichte.
Die Zahl der verfügbaren Leichenwagen reichte für die Särge nicht aus
Soweit solche in der Stadt und in der Umgebung beschafft werden konnten, wurden die Särge auf Leichenwagen transportiert. Doch reichte die Zahl der Leichenwagen für die vielen Särge nicht aus. Deshalb mussten zusätzlich Leiterwagen eingesetzt werden, die man mit Laub ausschmückte.
Der Leichenzug führte vom Zechengelände über Bornstraße, Schwanenwall und Kaiserstraße zum Ostfriedhof. Die Anwohner dieser Straßen wurden aufgefordert, zu Ehren der Verunglückten mit Trauerflor geschmückte Fahnen aus ihren Häusern zu hängen und die Fensterläden geschlossen zu halten.
An den städtischen Gebäuden wurde halbmast geflaggt. Die Stadt hatte auch veranlasst, die mit Flor umhüllten Straßenlaternen brennen zu lassen. Von den Türmen der Kirchen hingen große schwarze Flaggen, zahlreiche Geschäfte hatten geschlossen und viele Werke und Fabriken den Betrieb eingestellt.
Riesiger Leichenzug führte von der Zeche zum Friedhof
„Ungeheure Menschenmengen“ nahmen an den Beerdigungsfeierlichkeiten teil. Allein im Trauerzug sollen Tausende mitgegangen sein. Angeführt wurde er von den Knappenvereinen, militärischen Vereinen, der Feuerwehr und evangelischen Vereinen. Es folgten die Wagen mit den Särgen der Verunglückten evangelischer Konfession sowie dem des toten altkatholischen Bergmanns. Dahinter gingen sechs evangelische Prediger mit ihrem altkatholischen Amtsbruder Moog.
Ein Chorknabe mit Vortragekreuz führte den zweiten Teil des Trauerzuges an: Zwölf katholische Vereine und ebenso viele Geistlichen schritten den Särgen der katholischen Opfer voran. Am Ende des Trauerzuges folgten Vertreter der Königlichen Regierung in Arnsberg, des Oberbergamtes, des Dortmunder Magistrats und viele andere.
Arbeitskameraden warfen das Massengrub zu
Viele Trauergäste und auch Schaulustige waren von auswärts gekommen. So wurden allein auf der Station Lütgendortmund für den Zug um 3.10 Uhr nach Dortmund 680 Fahrkarten ausgegeben. Sie erlebten einen Trauerzug, dessen Vorbeimarsch etwa 45 Minuten dauerte.
Auf dem Friedhof, wo sich schon Stunden vor dem Eintreffen des Trauerzuges viele Menschen versammelt hatten, sorgte ein großes Polizei-Aufgebot für Ordnung. Ein evangelischer, der altkatholische und ein katholischer Geistlicher sprachen an dem offenen Massengrab.
Arbeitskameraden der Verunglückten warfen am folgenden Tag das Grab zu. Es war nicht ganz durch die abgestellten Särge gefüllt, sondern es gab noch Platz für weitere. Denn man ging davon aus, dass die Schwerverletzten nicht überleben würden.
Insgesamt 48 Grabkreuze, die noch heute in einer Reihe stehen, wurden auf dem Ostfriedhof aufgestellt. Nur an einem Kreuz ist keine Inschriftentafel (mehr?) vorhanden. Das mächtige, von weitem sichtbare und ohne Zweifel kostspielige Grabmal am Anfang der Gräberreihe wurde von dem bekannten Dortmunder Steinmetzbetrieb H. Ochs geschaffen. Die Verunglückten, die nicht in Dortmund ihren Wohnsitz gehabt hatten, fanden auf den Friedhöfen ihrer Heimatgemeinden die letzte Ruhestätte: in Brackel, Wambel, Kirchderne, Lindenhorst, Iserlohn.
Nach den Bergungsarbeiten begann die Suche nach der Unglücksursache
Nach der Bergung der Opfer begann sogleich die Suche nach der Ursache der Katastrophe. Daran beteiligten sich auch der Bergrat von Dassel und Direktor Hilbck von der Gewerkschaft Westfalia, die zu der Zeit Eigentümerin der Zeche Kaiserstuhl war.
Es wurde bekannt, dass bereits am Tag vor der Katastrophe einige Bergleute bei ihrer Schicht „ungewöhnliche Wetterluft“ bemerkt hatten. Einer dieser Bergmänner sei deshalb am Samstag, dem Unglückstag nicht eingefahren.
Die Explosion muss gegen 11.15 Uhr erfolgt sein. Die ganze Grube erzitterte mit einem dumpfen Knall. Ausgangspunkt des todbringenden Ereignisses war der Flöz Null. „Die Verwüstungen in dem Flöz und die zum Teil in Stücke gerissenen Leichen zeugen von der furchtbaren Gewalt der Explosion.“ Ob eine Sprengung oder eine defekte Grubenlampe die Katastrophe ausgelöst hatte, ließ sich nicht feststellen.
Rund 200 Hinterbliebene benötigten Hilfe
Die Untersuchung der Unglücksursache wurde in den folgenden Tagen erschwert durch den Umstand, dass noch immer ein Bergmann vermisst wurde, als dessen Arbeitskameraden bereits beigesetzt waren. Man arbeitete mit Hochdruck an der Bergung der verschütteten Leiche.
Kurz nach dem Unglück schätzte man die Zahl der Witwen und Waisen auf rund 200 Personen. Für sie musste nun die Knappschaft sorgen. Eine erste Hilfe erfolgte durch Spendensammlungen. Dazu gehörte beispielsweise das Wohltätigkeitskonzert des Nördlichen Sängerbundes „Euphonia“. Für das Konzert hatte der weit über Dortmunds Grenzen hinaus bekannte Kapellmeister Hüttner das Programm ausgearbeitet und sein Orchester zur Verfügung gestellt.
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