In Dortmund leben etwa 40.000 Türken – etwa 23.000 Türken mit türkischem Pass sowie 17.000 Türken mit deutschem Pass. Als Türken verstehen sie sich fast alle. „Ich habe den deutschen Pass. Aber ich bin Türkin“, sagt Gülay Özverim, die seit 1964 in Deutschland lebt und hier aufgewachsen ist. Die Diplom-Ingenieurin für Textildesign weiß: Längst nicht alle ihrer Landsleute sind so integriert wie sie.
„Wir wollen etwas dafür tun, dass die Lust auf das Verständnis bleibt.“
Nicht überall in Dortmund klappt das Zusammenleben reibungslos. Deshalb arbeitet sie mit im Leitungsteam der Deutsch-Türkischen Gesellschaft, ehrenamtlich und aus reiner Solidarität mit der Dortmunder Gesellschaft. Um es Dortmunder Bürgern zu ermöglichen, die oft kostenfreien Veranstaltungen zu besuchen und sich dort zu engagieren.
Ihr Antrieb: „Die Deutschen und die Türken stellen die beiden größten Bevölkerungsgruppen in Dortmund. Wir wollen etwas dafür tun, dass die Lust auf das Verständnis bleibt.“
Die Arbeit der Deutsch-Türkischen Gesellschaft unterscheide sich deutlich von denen anderer Länderkreise, sagen Gülay Özverims Kollegen vom Leitungsteam, Ulrike Klingsporn und Nevzat Izci: „Wir müssen keine Dia-Vorträge halten und den Dortmundern die Schönheit der türkischen Küste schmackhaft machen.
Gefühlt waren schon 80 Prozent aller Deutschen in der Türkei im Urlaub. Als unsere Aufgabe verstehen wir es stattdessen, mehr Verständnis für die gegenseitigen Sitten und Gebräuche zu wecken. Wir wollen Vorurteile abbauen und aufklären, welche Vorurteile es gibt.“
Das negativ geprägte Bild des „Türken“ und das Feindbild Islam
Denn Vorurteile gibt es leider noch viele. Das Bild des „Türken“ sei oft negativ belegt, sagt Gülay Özverim. Seit dem 11. September 2001 sei dies sogar deutlich schlimmer geworden. Seit diesem Tag habe sich der Blickwinkel der Deutschen, aber auch vieler anderer Europäer, dramatisch verschoben. Moslems mit einem Bart seien plötzlich alle Islamisten.
„Das ist natürlich kompletter Unsinn. Ich bin gerne bereit, über alles zu diskutieren und auch unterschiedliche Meinungen zu akzeptieren. Das sollten wir ohnehin alle tun. Aber ich wehre mich gegen Pauschalangriffe“, sagt sie.
Gülay Özverim und ihre Kollegen wollen deshalb Zerrbilder zurechtrücken. „Natürlich gibt es emanzipierte türkische Frauen. Es gibt Moslems, die Alkohol trinken. Längst nicht jeder türkische Junge wird beschnitten. Und es gibt Türken, die einen Weihnachtsbaum aufstellen.“
Die Integration ist noch nicht abgeschlossen: „Es gibt noch viel zu tun.“
Das bedeute selbstverständlich nicht, dass in der türkischen Community alles in bester Ordnung sei, betont Ulrike Klingsporn, die hauptberuflich bei der Stadt Dortmund Kinder und Jugendliche fördert. Deshalb weiß sie: „Es gibt noch viel zu tun.“
Noch immer gebe es Diskussionen, ob türkische Mädchen einen Schulabschluss benötigen. Noch immer gebe es Heiratsmigration. Noch immer gebe es starre traditionelle Strukturen. Noch immer hätten selbst studierte Frauen mit einem Kopftuch Probleme in der Berufswelt.
Doch es gibt eine Gemeinsamkeit, die die Deutsch-Türkische Gesellschaft gerne nutzt, um Deutsche und Türken miteinander ins Gespräch zu bringen: das Essen. Regelmäßig bietet der Länderkreis Kochkurse an. Gekocht und gebacken werden türkische Spezialitäten.
Viele Deutsche melden sich an. „Und dabei redet man. Gibt es ein besseres Mittel, um miteinander ins Gespräch zu kommen?“, fragt Gülay Özverim begeistert. Das gleiche Angebot gibt es beim monatlichen Stammtisch, bei dem sich Deutsche und Türken im einem türkischen Restaurant besser kennen lernen können.
„Wir bemühen uns um kulturelle Transparenz.“
Diskussionsthemen gibt es viele. Die Deutsch-Türkische Gesellschaft moderiert – immer unter dem Motto der Auslandsgesellschaft: „Die Welt – in diesem Fall die eigenen Nachbarn – besser verstehen.“
Beispiel: die Religion. „Es gibt einfach Gruppen, die wollen ihren Glauben leben und unter sich bleiben“, sagt Nezvat Izci.Dort sei auch die Verschleierung wichtig.
Doch es gebe auch die weltoffenen Türken, die Kemalisten, die ihr Leben eher im Sinne von Republikgründer Atatürk gestalten. „Wir versuchen, beides zu erklären“, sagt Gülay Özverim. „Wir bemühen uns um kulturelle Transparenz.“
Der Dialog erfolgt auch bei Autorenlesungen, Info-Veranstaltungen über das Leben und zur Historie der türkischen Republik, bei Ausstellungen oder während der Internationalen Woche.
Dabei arbeitet die Deutsch-Türkische Gesellschaft eng mit dem türkischen Bildungszentrum, dem kommunalen Integrationszentrum MIA-DO und dem türkischen Generalkonsulat zusammen. „Zudem gibt es in Dortmund zahlreiche Vereine, auch türkische, die intern viele Themen abdecken“, ergänzt Ulrike Klingsporn. Das sei auch gut so.
Denn alle Dortmunder werde man nicht für das Angebot der Deutsch-Türkischen Gesellschaft begeistern können.
Ihr ist vor allem eines wichtig: „Es geht nicht darum, eine Bevölkerungsgruppe zu unterstützen oder zu bevormunden. Wir wollen einen Dialog auf Augenhöhe führen, in einer Stadt, in der über 170 Nationen zusammenleben und gut miteinander auskommen sollten.“
Das Ziel der Arbeit bleibt ein Dialog auf Augenhöhe
Bei diesem Dialog versucht die Deutsch-Türkische Gesellschaft, immer neutral und unpolitisch zu bleiben. Lassen sich politische Themen nicht vermeiden, etwa wenn kritische Besucher die Sprache auf den noch nicht erfolgten Beitritt in die EU, das Thema Korruption oder die Politik des türkischen Präsidenten bringen, versuchen Gülay Özverim und ihr Kollege Nevzat Izci, die türkische Sicht der Dinge zu beleuchten.
Das gilt im Gegenzug aber auch für die deutschen Befindlichkeiten. „Ihr immer mit eurem Migrationshintergrund“, schmunzelt Gülay Özverim. „Unsere Familien sind in den 1960-er Jahren als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen. Und jetzt sollen wir Migranten sein? Wir sind nach wie vor Türken. Aber in erster Linie sind wir Dortmunder, die Wurzeln in zwei Kulturen haben.“,
„Wenn die Deutschen aus dem Türkei-Urlaub zurückkommen, sagen sie immer, wie nett dort alle Türken sind. Wenn sie dies eines Tages auch über ihre Dortmunder Nachbarn sagen, haben wir unser Ziel erreicht“, so Özverim.
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Mehr Infos zur Deutsch-Türkischen Gesellschaft:
Die Deutsch-Türkische Gesellschaft, die schon seit vielen Jahren aktiv ist, wurde 2008 vom Türkischen Generalkonsul in Essen, Dr. Hakan Akbulut, dem Präsidenten der Auslandsgesellschaft, Klaus Wegener sowie Dr. Renate Müller, wieder neu ins Leben gerufen. Leitung seit 2012: Gülay Özverim, Ulrike Klingsporn und Nevzat Izci.