Die Corona-Krise zeigt: Systemrelevante Berufe sind vor allem Frauenberufe. Vielfach zu gering bezahlt und mit hohen Belastungen verbunden. Gerade in der Krise sind Frauen besonders gefordert – vor allem sie sind es, die es schaffen, das gesellschaftliche Leben „am Laufen zu halten“. Dennoch drohen gerade sie, zur Verliererinnen der Corona-Pandemie zu werden. Damit dies nicht passiert, haben die AWO, die Arbeitsgemeinschaft der Dortmunder Frauenverbände und das Gleichstellungsbüro eine prominent besetzte Fachtagung organisiert und auch viele Forderungen und Ideen entwickelt.
Die Corona-Krise trifft Frauen stärker als Männer – sie müssen den Großteil der Lasten schulten
„Wohl kein anderes Ereignis hat unser aller Leben in den letzten Jahrzehnten dermaßen auf den Kopf gestellt, wie die aktuelle Corona-Pandemie. Sei es bei der Ausgestaltung unserer Freizeit, bei unseren Begegnungen mit Menschen, bei unserer täglichen Fahrt mit Bus und Bahn oder auf der Arbeit. Corona hat unseren Alltag verändert – manchmal zum Positiven, oft aber eben auch zum Negativen“, betont die AWO-Vorsitzende Anja Butschkau, die die Veranstaltung moderierte.
Bei der Analyse waren sich die 50 Frauen aus verschiedensten Organisationen, Verbänden und Einrichtungen einig: Viele Frauen – gerade im Gesundheitssektor – kommen an ihre Grenzen, sowohl psychisch wie physisch. Aber nicht nur an den systemrelevanten Berufen zeigt sich die Geschlechter-Relevanz der Krise.
„Wir alle haben festgestellt, dass die Krise Frauen noch einmal etwas stärker trifft als Männer. Corona wirkt wie ein Brennglas auf noch bestehende Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern“, betont Butschkau, zugleich frauenpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion. Das Ziel der Online-Tagung: Die Gleichstellung von Frau und Mann wieder in die richtige Richtung zu bewegen.
OB: Diskussionen über künftige Arbeitsaufteilung stehen jetzt an
Bei Oberbürgermeister Thomas Westphal – per Video „zugeschaltet“ – rannten die Frauen offene Türen ein. „Die Liste mit Belastungen ist insbesondere für junge Frauen und solche mit Kindern lang.“, räumte Westphal ein. Auch wenn die Frauen einen Großteil der Lasten schultern müssten, dürfe dies nicht die künftige Arbeitsteilung zementieren.
„Wir sollten nicht zu schnell urteilen und nicht aus der heutigen Situation heraus sagen, wie es nach dieser Virus-Krise sein wird. Es gibt natürlich ja auch Chancen, dass die Welt nachher nicht wie vorher oder wie während der Krise sein wird“, so der OB. „Es wird Erfahrungen und Veränderungen geben, weil wir gelernt haben, mit Situationen, die wir vorher nicht gekannt haben, umzugehen – und wir haben neue Lösungen gefunden, die vorher gar nicht gingen.“
Er hegt die Hoffnung, dass die Fragen nach der Rolle von Frauen in der Gesellschaft, in Arbeit und Beruf positiv beantwortet werden: „Genau diese Diskussion steht jetzt an. Zum Beispiel wie Homeoffice und die ganze Arbeitswelt organisiert wird, steht jetzt auf dem Prüfstand. Jetzt entscheidet sich, ob die Lebensperspektive junger Frauen und der Frauen im Beruf, ob diese Entwürfe eine Rolle spielen“, so Westphal.
„Das entscheidet sich jetzt für die Zukunft und ist noch nicht entschieden durch die Vergangenheit. Das ist der Unterschied“, warb der Oberbürgermeister daher für selbstbewusste Vorschläge und Forderungen der Frauen. Ein gemeinsamer Forderungskatalog ist ja eines der Ziele der Tagung.
Frauen mit Migrationshintergrund leiden nicht erst seit Corona doppelt
Ein besonderes Schlaglicht auf die Situation von Migrantinnen in Zeiten der Pandemie warf Veye Tatah als stv. Vorsitzender der Dortmunder Frauenverbände: „Frauen waren schon vor der Pandemie das Rückgrat der Gesellschaft. Trotzdem werden ihre Leistungen immer noch häufig sehr wenig geschätzt und gewürdigt.“
Dabei sei das Opfer der Frauen in diesen Krisenzeiten enorm: „Sie sind in vielen schlecht bezahlten systemrelevanten Jobs beschäftigt und gleichzeitig Vollzeit-Managerin für ihre Familien. Wo wäre die Nation ohne den unermüdlichen Beitrag der Frauen“, fragt Veye Tatah.
„Die Lage der Frauen ist ernst und es bedarf praktischer Hilfen, die direkt vor Ort bei den Frauen und ihren Familien ankommen.“ Klar sei aber auch, dass Frauen in unserer Gesellschaft von diesen Benachteiligungen unterschiedlich stark betroffen seien – je nachdem, zu welcher Gruppe sie gehören.
„In unserer Gesellschaft leiden Frauen mit Migrationshintergrund doppelt. Sie sind doppelt diskriminiert, einmal als „Frau“ und dann als „Migrantin“. Sie müssen sich mit Alltagsrassismus in vielen Lebensbereichen auseinandersetzen. Ihre Arbeitssituation und ihre Lebenssituation sind sehr häufig prekär“, macht sie deutlich.
Droht durch Corona die Rückkehr zu überkommenen Rollenbildern?
„Es gibt viele Bereiche in der Corona-Krise, in denen sichtbar wird, dass die Gleichstellung von Männern und Frauen noch nicht so weit ist, wie wir uns das alle wünschen würden. Ich würde sogar sagen, dass wir im Grunde gehofft hatten, weiter zu sein, als wir es momentan sind“, zieht Anja Butschkau ein (Zwischen-) Fazit.
„Wenn wir über die aktuell sichtbaren Defizite diskutieren, sprechen wir oft von Re-Traditionalisierung. Die Frau wird verstärkt in die Rolle der fürsorgenden Mutter gedrängt, die im Beruf zurückstecken muss, damit die Kinder versorgt werden. Aber seien wir ehrlich zueinander: Ist das wirklich eine Re-Traditionalisierung oder nicht eher ein Ausdruck dafür, dass die Rollenbilder, die lange Zeit unsere Gesellschaft prägten, im Unterbewusstsein weiterexistieren“, fragt die AWO-Vorsitzende.
„Müssen wir uns nicht eingestehen, dass die Fortschritte in der Gleichstellung der letzten Jahrzehnte eher eine Folge von Familien- und Arbeitsmarktpolitik waren, die es Frauen zwar ermöglichte, Familie und Beruf bzw. Karriere miteinander zu vereinbaren, aber nie nach dem Aufwand und der Belastung für die Frauen gefragt hat“, so Butschkau.
„Jetzt, wo dieses System durch geschlossene Kitas und Schulen bröckelt, wird sichtbar, wie sehr eine gelingende Gleichstellung von Frauen und Männern auf ein verlässliches und flexibles Kinderbetreuungsangebot angewiesen ist. Homeoffice ist schön und gut. Das kann aber nicht die Antwort auf die Frage sein, wer sich wie um die Kinder kümmert. Wer arbeitet, hat keine Zeit, nebenher noch Kinder und Haushalt zu schmeißen – egal ob im Büro oder im Homeoffice“, betont die SPD-Politikerin.
Frauen schultern die Lasten der Krise – und das geht zu ihren Lasten
Der Tenor der Tagung: Es braucht Wege, wie sich Care-Arbeit in der Familie besser auf alle Schultern verteilen lässt und wie beide Partner diese Arbeit gerechter aufteilen können, ohne dass sie dadurch wirtschaftlich schlechter gestellt werden. Zudem müssten Wege gefunden werden, die Familien durch externe Unterstützung von Care-Arbeit zu entlasten. Das gilt für alleinerziehende Eltern umso mehr.
Das dies zwingend notwendig ist, untermauert die städtische Gleichstellungsbeauftragte Maresa Feldmann mit Zahlen und Fakten. Das Ergebnis: Frauen sind von der Corona-Krise besonders häufig bzw. stark betroffen. Denn 25,8 Prozent der Frauen sind im Niedriglohnsektor, aber nur 15,5 Prozent der Männer. Doch gerade in diesen Berufen wirkt sich die Corona-Pandemie besonders hart aus.
Die Infektionsrisiken und die Dauerbelastung in typischen Frauenberufen sind besonders hoch. Frauen stellen 80,8 Prozent der Beschäftigten im Einzelhandel 84,2 Prozent in der Altenpflege, 83,5 Prozent in Erziehung und Sozialarbeit und 86,5 Prozent in Friseur- und Kosmetiksalons. Zudem ist die Dauerbelastung in Care-Berufen besonders hoch.
Das machen zwei Zahlen deutlich: In einem durchschnittlichen Krankenhaus sind mehr als drei Viertel aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten weiblich. Und 2018 fehlten laut ver.di rund 80.000 Pflegekräfte in deutschen Krankenhäusern. Frauen sind zudem stärker von Arbeitslosigkeit in Corona-Zeiten betroffen: Die Arbeitslosigkeit bei Frauen ist um 5,7 Prozent angestiegen, bei Männern „nur“ 1,8 Prozent (Zeitraum von Februar 2020 bis Januar 2021).
Frauen mit minderjährigen Kindern und Alleinerziehende sind besonders betroffen
Der Gender-Care-Gap verschärft sich durch Corona noch zusätzlich: 27,1 Prozent der gefragten Frauen mussten ihre Arbeitszeit reduzieren, um die Betreuung der Kinder zu gewährleisten, aber nur 14,8 Prozent ihrer Partner*in.
Weitere Erkenntnisse: Frauen sind besonders belastet. Doch die Belastung äußert sich unterschiedlich: Familien mit minderjährigen Kindern fühlen sich wesentlich stärker durch die Krise belastet als Familien mit erwachsenen Kindern und kinderlosen Haushalten.
Alleinerziehende fühlen sich stärker belastet als Eltern, die zusammen in einem Haushalt leben, da sie die Last vielfach alleine schultern müssen. Und Frauen fühlen sich stärker betroffen als Männer, Mütter stärker als Väter.
Die Forschungsergebnisse belegen laut Feldmann, dass Frauen hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf besonders belastet sind: Frauen wurden häufiger als Männer zeitweise von der Erwerbsarbeit freigestellt oder beurlaubt – dies gilt insbesondere für Alleinerziehende. Die Arbeitszeit ging bei Frauen um zehn Prozent stärker zurück als bei Männern.
Migrant*innen und Geflüchtete leiden verstärkt unter Jobverlusten
Alleinerziehende sind durch die Krise besonders betroffen: 25 Prozent der Alleinerziehenden sind durch Corona betroffen, aber „nur“ sechs Prozent der Paarhaushalte. Gutverdienende haben zwar häufiger Einkommenseinbußen, aber Geringverdienende haben mit deutlich höheren finanziellen Sorgen zu tun. Besonders betroffen sind hier Alleinerziehende, Geringqualifizierte und Menschen mit Migrationshintergrund.
Die Corona-Folgen auf dem Arbeitsmarkt wirken sich bei Migrant*innen besonders heftig aus: Häufiger als Deutsche arbeiten Migrant*innen und Geflüchtete in unsicheren Jobs, mit befristeten Verträgen oder in Leiharbeit.
Das Risiko, arbeitslos zu werden, ist für die knapp 400.000 Beschäftigten aus Asylherkunftsländern dreimal so hoch wie für Deutsche. Geflüchtete und Migrant*innen häufiger von Kurzarbeit betroffen und seltener im Homeoffice.
Außerdem sind viele Arbeitsmarktprogramme für Geflüchtete wegen Corona unterbrochen, ebenso Integrations- und Sprachkurse.
Zudem sind Familien mit Fluchterfahrung bzw. Migrationshintergrund beim Homeschooling überproportional benachteiligt. Denn Kinder aus schwierigeren häuslichen Lebensverhältnissen fallen beim Lernfortschritt zurück. Gründe sind u.a. die fehlende technische Ausstattung der Haushalte, die fehlenden digitale Kompetenzen von Kindern und Eltern, die Bildung/Ausbildung der Eltern, die Sprachbarrieren sowie die zumeist räumliche beengte Situation. Erschwert ist zudem die Kommunikation mit Behörden und Ämtern.
Die Zahl der Opfer häuslicher Gewalt während Corona ist stark angestiegen
Eine weitere Corona-Folge: Die Zahl der Opfer häuslicher Gewalt in Deutschland während der Corona-Krise ist stark angestiegen. Dabei sind Frauen besonders betroffen – es gibt einen Anstieg um sechs Prozent von 2019 zu 2020 – die Dunkelziffer liegt noch wesentlich höher.
Die Gründe sind vielfältig, warum die Aggressionen zu Hause steigen: Die beengte Wohnsituation, Ausgangsbeschränkungen und Quarantänen sind Faktoren. Es gibt eine Mehrbelastung durch geschlossene Kitas/Schulen – das Homeschooling verschärft die Lage. Die fehlenden Sozialkontakte und die Isolation sorgen dafür, dass das vorhandene Konfliktpotential steigt.
Verschärft wird das durch Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit, zunehmende finanzielle Sorgen sowie die Zukunftssorgen. Die Fraueninfrastruktur ist hier besonders gefordert! Zusammenfassend lässt sich sagen: „Die Corona-Krise führt zu einer Re-Tradionalisierung. Frauen verlieren einen Verlust an Optionen sowie einen Verlust an Öffentlichkeit. Der Rückzug ins Private nutzt der Gleichstellung nicht“, so Feldmann.
Zudem zeigt sich die Verschärfung der sozialen Ungleichheit: „Eltern, die nicht die Bildung haben, können die Schule nicht ersetzen. Das trifft auch die Kinder: Die Verharrung innerhalb der sozialen Schichten wird verstärkt, Aufstiegschancen reduziert. Das führt auch zu einer Re-Feudalisierung“, macht die Gleichstellungsbeauftragte deutlich. Daher haben die Aktiven in vier Arbeitsgruppen eine ganze Reihe von Ideen und Forderungen entwickelt, die in den kommenden Wochen vorgestellt werden sollen.
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Anja Butschkau (SPD-MdL): Frauengewaltschutz endlich bundeseinheitlich absichern (PM)
Anja Butschkau (SPD-MdL): Frauengewaltschutz endlich bundeseinheitlich absichern
Mit breiter Mehrheit haben sich die Mitglieder des Runden Tisches „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ gestern in Berlin für eine bundeseinheitliche Finanzierungsregelung für die Arbeit von Frauenhäusern und ambulanten Hilfeangeboten ausgesprochen und das Positionspapier „Schutz und Beratung bei Gewalt bundesweit sicherstellen – Gemeinsame Position für eine bundesgesetzliche Regelung“ verabschiedet.
Die Vorsitzende der AWO Dortmund, Anja Butschkau, begrüßte das Votum und erklärte dazu: „Im Kampf gegen häusliche Gewalt brauchen wir ein starkes Hilfsangebot aus Frauenhäusern und Frauenberatungsstellen, welches Frauen in der Not auffängt. Doch leider steht dessen Finanzierung immer noch auf wackligen Füßen. Daher ist es ein gutes Zeichen, dass es auf Bundesebene nun Bewegung für eine einheitliche Finanzierungsgrundlage gibt.“
Denn – so die AWO Vorsitzende: „Gewalt ist niemals privat. Deshalb dürfen wir nicht wegsehen, wenn in unserem persönlichen Umfeld Menschen Opfer von häuslicher Gewalt werden. Gerade während der Corona-Pandemie sind die Deliktzahlen häuslicher Gewalt deutlich gestiegen, wie zuletzt das Lagebild des NRW-Innenministeriums deutlich machte. Wir müssen davon ausgehen, dass das Dunkelfeld weitaus höher ist.“
Und die Zahlen in NRW zeichnen ein deutliches Bild. So sind im Vergleich der Jahre 2029 und 2020 die Straftaten zur häuslichen Gewalt deutlich gestiegen: bei gefährlicher und schwerer Körperverletzung um 8,3%, bei leichter Körperverletzung um 10,4%, bei Vergewaltigung um 5,7% und bei sexueller Nötigung sogar um 24,5%. Für Dortmund wurden zwar Daten veröffentlicht, aber nicht mit den des Vorjahres verglichen.
So fordert denn die SPD-Landtagsabgeordnete auch im Hinblick auf die einheitliche Finanzierung: „Unser Ziel bleibt der Rechtsanspruch auf einen Platz in einem Frauenhaus für jede Frau. Das hieße zunächst einmal eine sichere Finanzierungsgrundlage für die Frauenhäuser. Es hieße aber auch, dass schutzsuchende Frauen, die kein eigenes Einkommen und keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben, besser geholfen werden kann. Denn momentan muss mangels öffentlicher Finanzierung von den Frauen ein Eigenanteil für ihren Frauenhausaufenthalt geleistet werden.“