Obdachlos für eine Nacht: Wie ist das, ohne Wohnung zu sein?

Für den Autor eine einmalige Erfahrung, für viele Dauerzustand, so oder ähnlich: hier eine winterliche Nacht am Dortmunder U. Foto (6): Daniel Djan

Von Daniel Djan (Gastautor)

Immer wieder liest man über Obdachlose. Aber wie fühlt es sich eigentlich genau an, wohnungslos zu sein? Der Journalismus-Student Daniel Djan hat versucht, dieser Frage auf den Grund zu gehen; konnte dabei Erkenntnisse gewinnen und persönliche Erfahrungen sammeln.

Eindrücke vor dem Dortmunder U in einer unangenehmen Winternacht

Der Boden ist steinhart und ich fühle mich, als würden mich weder Isomatte noch Schlafsack von dem kalten Untergrund trennen. Es ist für einen Dezemberabend sogar noch relativ lau, nur der frostige Wind bläst mir in das Gesicht. Meine Socken sind durchnässt, was dazu führt, dass ich trotz des warmen Schlafsacks friere.

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Ich höre das leise Atmen und Schnarchen der Personen um mich herum. Im Umkreis bemerke ich, dass weitere Personen in der Nähe stehen und sich aufgeregt in einer Sprache unterhalten, die ich nicht verstehe (ich tippe auf Russisch).

Doch wie genau bin ich heute – in einer Winternacht inmitten von Dortmund – hier gelandet? Sollte ich mich nicht eigentlich an einem schönen Feuer wärmen oder in einem warmen Zimmer Fernsehen schauen?

Perspektivwechsel: Obdachlosigkeit stärker aus Sicht von Betroffenen konkretisieren

Reporter Paul Klinzing hat sich für uns 24 Stunden als Obdachloser ausgegeben
Paul Klinzing hatte sich für uns 24 Std. als Obdachloser ausgegeben.

Gehen wir ein paar Stunden zurück: Ich sitze zuhause in meiner Wohnung, lege mir ein paar Sachen zurecht und schaue noch einmal das Video des Journalismus-Studenten Paul Klinzling. Dieser hatte wenige Monate zuvor in einem Experiment versucht, wie es sich anfühlt, 24 Stunden als Obdachloser auf der Straße zu verbringen.

Paul wurde dabei von einem Kamerateam begleitet und konnte bereits einige wichtigen Erfahrungen sammeln. Dieses Experiment möchte ich nun fortsetzen und eine Nacht in der Gegend rund um den Dortmunder Hauptbahnhof verbringen.

Den Fokus möchte ich dabei allerdings mehr auf die anderen Obdachlosen legen und herausfinden, mit welchen Schwierigkeiten und Widrigkeiten sie sich bei ihrem Leben auf der Straße auseinandersetzen müssen. Wie sind sie dort gelandet und aus welchen Gründen suchen sie sich keine Hilfe, um diesem Lebensstil den Rücken zu kehren?

Selbstauferlegte Regeln und minutiöse Vorbereitungen für eine Nacht auf der Straße

Für meine Nacht als „Obdachloser in spe“ habe ich mir selbst drei einfache Regeln auferlegt. Erste Regel: Ich werde versuchen, die Fassade eines Obdachlosen in Gesprächen so lange wie möglich aufrecht zu erhalten.

Zweitens: Ich möchte nicht von der Großzügigkeit anderer Menschen profitieren. Sollte ich von irgendeiner Person Bargeld bekommen, werde ich dieses weiterreichen und nur mein eigenes Geld ausgeben. Und schließlich: Sollte ich mich zu irgendeinem Zeitpunkt in Gefahr begeben, darf ich die Aktion abbrechen.

Für die Vorbereitung muss ich mir noch ein paar elementare Gegenstände besorgen: Von meiner guten Freundin Lisa leihe ich mir einen Schlafsack („Der ist extra warm, den habe ich mir für ein Festival gekauft!“), eine Mütze und Handschuhe muss ich mir kaufen. Ich ziehe mir drei Paar Socken an, zwei Boxershorts, darüber dann eine lange Unterhose. Dann noch eine robuste Jeans, die mir mal ein Freund geschenkt hatte. Die ich nun zum ersten Mal trage – was sich als nicht ganz unbedeutend herausstellen sollte.

Für den oberen Körperbereich entscheide ich mich für diverse Schichten T-Shirts, Pullover und darüber dann eine Winterjacke. In einem alten Einkaufsbeutel verstaue ich meinen Schlafsack, in dem Rucksack sind noch ein paar Ersatzklamotten für den Fall, dass es wider Erwarten doch noch kälter werden könnte.

Planlos durch die Gegend laufen: Wo könnte ich einen warmen Schlafplatz finden?

Ein letztes Mal genieße ich die Wärme und Geborgenheit meiner eigenen vier Wände, steige in das Auto und fahre von meiner Studenten-WG in Buer los in Richtung Dortmund. Dort angekommen, finde ich in der Nähe der Nordseite des Hauptbahnhofs einen Parkplatz und steige aus. Mit meiner Einkaufstüte in der Hand und – logisch – dem Rucksack auf dem Rücken wandere ich los in Richtung Nordstadt.

Aufbruch in ungewisse Stunden

Es ist nun circa 18 Uhr, die Passanten laufen vollgepackt mit letzten Weihnachtseinkäufen hektisch und zielstrebig durch die Gegend, während ich planlos umherlaufe auf der Suche nach einer ersten Anlaufstelle.

Ich erinnere mich an eine Notunterkunft an der Unionstraße in der Nähe des West-Centers. Vor ein paar Jahren habe ich gelegentlich kurz vor Ladenschluss in den örtlichen Bäckereien nach übrig gebliebenen Backwaren gefragt und verteilt, unter anderem an jene Notunterkunft.

Notunterkunft für Männer an der Unionstraße

In meiner Jugend bin ich in Herne und Castrop-Rauxel aufgewachsen, zwei Städten, die sich direkt im Dortmunder Einzugsgebiet befinden. Aufgrund dessen kenne ich Dortmund ziemlich gut und bin es gewohnt, durch diese Gegenden zu laufen. Normalerweise hatte ich dabei allerdings ein festes Ziel.

Heute fühlt es sich komisch an, nicht zu wissen, wie und vor allem wo ich diese Nacht verbringen werde. Es ist bereits dunkel, die bunten Lichter der Stadt leuchten hell und der urbane Geruch von Abgasen hängt in der Luft. In der Unionstraße angekommen, sehe ich, dass die Notunterkunft nun von einem großen und doppelten Zaun umgrenzt ist und sich zwischen diesen beiden Zäunen ein kleines Wachhäuschen befindet.

Mir wurden in der Vergangenheit bereits einige Geschichten über diese Unterkunft erzählen. Obdachlose berichteten mir davon, dass Leuten in der Nacht die Schuhe und Klamotten vom Leib gerissen werden. Mit einer Prise Respekt und Ehrfurcht vor dem Inneren betätige ich die Klingel an dem Zaun vor dem Wachhäuschen.

Misstrauen schlägt entgegen: für die Obdachlosen-Rolle offenbar zu gut oder zu sauber gekleidet

Auf drei Stockwerken stehen künftig 70 statt früher nur 55 Plätze zur Verfügung.
Notschlafstelle an der Unionstraße: auf drei Ebenen stehen 70 Plätze zur Verfügung. Foto: Alex Völkel

Ein lautes Surren öffnet mir die Tür und ich trete ein. Hinter mir schließe ich das Tor und ich fühle mich ein bisschen wie zwischen zwei Welten. Ein kurzhaariger Mann mittleren Alters sitzt hinter der Glasscheibe der Kabine und öffnet mir das Fenster.

Mit einem osteuropäischen Akzent fragt er mich nach dem Grund meines Klingelns. „Ich habe gehört, dass man hier übernachten kann“, antworte ich. Er mustert mich einmal komplett von unten nach oben. Leicht verwundert entgegnet er: „Das ist eine Unterkunft für Obdachlose.“

Jetzt heißt es alles oder nichts. Mit soviel Selbstbewusstsein, wie ich aufbringen kann, sage ich: „Ich weiß.“ Er scheint so, als würde er mir immer noch nicht zu 100 Prozent glauben. Trotzdem holt er sein Funkgerät raus und sagt jemandem Bescheid. Die Antwort des Angerufenen kann ich nicht hören. „Der Betreuer ist momentan im Gespräch“, richtet er mir aus. „Bitte komm in 10 Minuten nochmal wieder.“

Alkohol ist in der Notunterkunft nicht erlaubt! – grobe Taschenkontrollen im Eingangsbereich

Ich verlasse die „Twilight Zone“ wieder, zünde mir eine Zigarette an und laufe ein bisschen umher. Nach gut einer Viertelstunde kehre ich zurück. Dieses Mal sagt er mir, dass ich kurz warten soll. Während ich warte, schellt es und zwei Personen stehen vor dem Tor und bitten um Einlass.

Der Security-Mann grinst und fragt die Beiden: „Heute kein Alkohol dabei?“ „Nein, nein, heute nicht“, sagen sie und müssen dabei schmunzeln. Er lacht kurz, kontrolliert einmal kurz ihre Rucksäcke und lässt sie herein. Beim Vorbeigehen mustern auch sie mich. Ich komme mir etwas fehl am Platze vor und habe Sorge, dass meine Tarnung direkt auffliegen könnte.

Nach wenigen Minuten tritt ein dynamisch wirkender Mann aus dem Haus heraus, kommt auf mich zu und grüßt mich. Ein skeptischer Blick prägt seine Gesichtspartie. „Ich brauche einen Schlafplatz für heute Nacht“, sage ich auch ihm. Er zögert kurz und fragt mich dann: „Du bist obdachlos?“ „Ja“, antworte ich kurz. Er fragt mich, wie lange ich das schon sei. Erneut halte ich mich kurz: „Circa anderthalb Jahre.“

Abgewiesen: Schlafplätze an der Unionsstraße werden nur für in Dortmund gemeldete Männer vergeben

Der Wachmann mischt sich ein: „So ein junger Mann wie du?“ Mitgefühl schwingt in seinem Ton mit. „Wie kommt das?“ Ich sage ihm, dass der Alkohol schuld daran sei. Er fragt: „Du trinkst Alkohol?“ „Nicht mehr“, antworte ich und erinnere mich an die Taschenkontrolle kurz zuvor. „Aber so bin ich hier gelandet.“

Obdachlos in Dortmund

Beide schauen sich kurz an und signalisieren mir dann, dass ein Bett frei wäre für mich. Sie bräuchten nur meinen Personalausweis. Diesen habe ich allerdings nicht dabei. „Der ist bei meinen Eltern“, sage ich, und helfe mir mit einer Notlüge aus: „Mit denen habe ich allerdings keinen Kontakt mehr.“

„Wo bist du gemeldet“, fragen sie mich. „In Essen“, antworte ich und setze einen wehleidigen Blick auf und hoffe, dass ich mit dieser Tour durchkomme. Beide zögern erneut. Sie erklären mir, dass man in dieser Unterkunft nur übernachten könne, wenn man auch in Dortmund gemeldet ist. Der Betreuer schaut mir dabei direkt in die Augen und zum ersten Mal an diesem Abend fühle ich mich wie ein Mensch.

Auch wenn sie mir nicht helfen konnten, habe ich das Gefühl, als hätten sie ihr Bestes getan. Demütig bedanke ich mich und verlasse die Einrichtung wieder. Trotz meiner Zufriedenheit ändert das aber nichts an meinem Problem: Einen Schlafplatz im Warmen kann ich mir nun also abschminken.

Über das Denkmal für die von der NSU Ermordeten zu einer einsamen Parkbank auf dem Nordmarkt

Ich laufe weiter umher und mache mich auf in Richtung Nordstadt. Auf der Mallinckrodtstraße halte ich beim Vorbeigehen kurz am Denkmal des vom NSU ermordeten Kioskbesitzer Mehmet Kubaşık und setze dann meinen Weg fort zum Nordmarkt. Kaum angekommen, spricht mich auch schon die erste Person an: Ein junger blonder Mann mit Vollbart und tief ins Gesicht gezogener Kapuze.

„Kannst du mir Weißes klarmachen“, fragt er mich. Ich schaue ihn kurz an und antworte dann: „Ne. Guck mal drüben auf der Mallinckrodstraße, vielleicht bist du ja da erfolgreich.“ „Da kann ich nicht hingehen, ich hab Feinde“, entgegnet er, und fügt hinzu: „Rate mal, wieso ich diese Kapuze trage.“

Er bedankt sich und zieht weiter. Der Nordmarkt hat einen schlechten Ruf, ja – aber unsicher fühle ich mich hier trotz allem irgendwie nicht. Ich suche mir eine Parkbank, ruhe mich kurz aus und öffne eine Dose Whisky-Cola, die ich mir vorher besorgt hatte. Es regnet leicht, die ersten Kilometer machen sich bemerkbar und es ist nun 22 Uhr – die Müdigkeit setzt ein.

Weiter Richtung Innenstadt bis zum Dortmunder U: dort sind kleine Gruppen von Obdachlose versammelt

Ich entschließe mich, in Richtung Innenstadt zu gehen und dort mein Glück zu versuchen. Es ist ein seltsames Gefühl, mit alten Klamotten und einem Schlafsack durch die Innenstadt zu laufen. Gestresste Personen, vollgepackt mit ihren Taschen, kommen mir entgegen und mustern mich.

Zum ersten Mal an diesem Abend bekomme ich wirklich das Gefühl zu verstehen, wie es sich ohne festen Wohnsitz anfühlen muss. Ich wandere so nah wie möglich an der Wand entlang, um möglichst unauffällig mein Ziel zu erreichen.

Auf dem Platz vor dem Dortmunder U sehe ich eine Art Dorfgesellschaft: Mehrere Obdachlose liegen verteilt auf dem harten Boden in kleinen Grüppchen und unterhalten sich. Ich entschließe mich spontan, eine der Gruppen anzusprechen und sie zu fragen, ob ich mich zu ihnen legen darf.

Conny und Olli: seit zwei Jahren obdachlos

Conny und Olli, ein junges Duo mittleren Alters, begrüßen mich herzlich und bietet mir auch direkt an, bei ihnen zu übernachten. Sie sind freundlich, lebensfroh und wirkten sehr vertraut. Ihnen vertraue ich auch direkt an, dass ich eigentlich nicht obdachlos bin und das für eine Reportage mache. „Ein richtiger Journalist“, entgegnen die beiden beeindruckt. „Machst du hier das Jencke-Experiment, oder was?“ Sie lachen, ich lache mit.

Ich hole meinen Schlafsack heraus und rolle ihn auf dem Steinboden aus. Conny ist erstaunt, und sagt: „Ist das alles, was du hast? Das ist viel zu hart. Olli, gib ihm mal deine Isomatte.“ Aus einem großen Koffer holt Olli eine nagelneue Isomatte heraus und gibt sie mir. Jemand hatte sie ihm kurz zuvor geschenkt.

Ich lege mich in den Schlafsack und wir unterhalten uns. Dabei erzählen sie mir etwas über ihre Vorgeschichte. Beide waren im Gefängnis und haben währenddessen ihre Wohnung verloren. Als sie frei gekommen sind, hatten sie nichts – und schafften es auch nicht, sich um eine Wohnung zu kümmern. Seit gut zwei Jahren leben sie nun auf der Straße, und – was mich verwundert – kennen sich erst seit vier Wochen und sind seitdem unzertrennlich.

Zehrende Ängste in der Nacht und ein anhaltendes Gefühl von Schutzlosigkeit

Während des Gesprächs berichten sie mir auch von ein paar Vorfällen (s. das unten verlinkte Video*). Außerdem berichten sie mir von der anderen Gruppe, die um die Ecke liegt: „Das sind Russen, die haben schon einmal versucht, uns zu beklauen. Bei denen muss man wirklich aufpassen, aber bei uns bist du sicher. Wir passen aufeinander auf.“

Obwohl ich den beiden vertraue, habe ich trotzdem ein unwohles Gefühl. Ich lege mich hin und mir wird klar, dass ich vollkommen schutzlos wäre, wenn ich einschlafe. Mein Körper sagt mir, dass ich müde bin und einschlafen sollte. Mein Kopf allerdings wehrt sich mit aller Macht und spielt sämtliche Horrorszenarien durch – was man mit mir im Schlaf alles anstellen könnte. Ausgeraubt zu werden, ist dabei noch das harmloseste.

Nach gut einer halben Stunde werde ich zum ersten Mal wach. Conny und Olli sitzen nun nicht mehr alleine neben mir. Dave, ein junger Mann in den Zwanzigern, sitzt bei ihnen. Sie diskutieren lautstark darüber, dass Dave sie stundenlang mit seinen Sachen allein gelassen hätte. Als sie bemerken, dass ich wach bin, grüße ich Dave und stelle mich vor. Auch er scheint in Ordnung zu sein.

Wir legen uns wieder hin. Der Schlafsack hält mich warm, allerdings bläst mir der kalte Wind ins Gesicht und der Steinboden ist wirklich extrem hart – noch härter als erwartet. Gefrustet wälze ich mich gefühlte stundenlang umher.

Einige Begegnungen am Vorplatz des Dortmunder U, die niemand wirklich braucht

„Lass die beiden schlafen“, zischt plötzlich Dave. Ein stämmiger Mann mit Dreitagebart hockt genau zwischen Olli und mir. Ich drehe mich um und sehe, dass sein Gesicht keinen halben Meter von meinem entfernt ist. Er gehört zu der anderen Gruppe. Mit osteuropäischem Akzent sagt er: „Habt ihr Feuer?“ Dave gibt ihm Feuer und er steht langsam auf und verschwindet. Beim Weggehen blickt er noch ein paar Mal rüber.

Olli und Conny wurden ebenfalls wach. Dave erzählt uns, dass er ebenfalls versucht hatte, zu schlafen, als er plötzlich unseren Gast bemerkte. Wir diskutieren noch ein bisschen darüber und legen uns dann wieder hin. Das sollte nicht das letzte Mal bleiben, dass wir gestört werden in dieser Nacht.

Zuerst kommen zwei angetrunkene junge Männer vorbei, wecken uns und fragen uns nach unseren Vorgeschichten aus. Zuerst wirken sie freundlich, machen Angebote, Geld aus ihren Hotelzimmern zu holen – doch plötzlich kippt die Stimmung und sie werden aggressiver. Olli hat nach ein paar Minuten genug und schickt sie weg. Er flüstert mir zu: „Laberköpfe, das erkennst du mit der Zeit direkt.“ Ich muss kichern und lege mich wieder hin.

Das Resultat nur einer Nacht: wenig Schlaf, empfindliche Kälte und Feuchtigkeit

Beim Hinlegen bemerke ich, dass ein paar Meter entfernt von uns eine Person hinter einer Säule steht und uns beobachtet. Minutenlang bleibt sie dort stehen. Ich überlege, etwas zu sagen, bin aber zu müde und schlafe ein.

Ein wirklich erholsamer Schlaf ist es nicht und ich werde immer wieder von Geräuschen in unserer Nähe geweckt. Entweder unterhält sich eine Gruppe lautstark direkt neben uns (es hört sich osteuropäisch an, also vermute ich, dass es die Personen aus der anderen Gruppe sind) oder mein Körper beschwert sich über die extreme Härte des Bodens.

Viel mehr als drei bis vier Stunden kann ich in dieser Nacht nicht geschlafen haben. Als ich gegen 8 Uhr wach werde, schmerzt mein ganz Körper und ich fühle mich noch viel ausgelauchter als am Abend zuvor. Mir ist kalt, ich bin durchgenässt und würde gerade alles für ein Bett tun.

Die drei neben mir schlafen noch, doch als ich meine Sachen zusammenpacke, wacht Olli auf. Ich bedanke mich bei ihm und gebe ihm die Hand. Wir lächeln uns dabei kurz an und ich laufe in Richtung Hauptbahnhof.

Fazit von nur einer Nacht ohne Obdach: besonders im Winter kaum ertragbare Zustände

Aktion für Wohnungslose vor dem Dortmunder Rathaus, Oktober 2019. Foto: Stephan Schütze

Mein Fazit der Nacht? Natürlich weiß jeder Mensch, dass es furchtbar anstrengend sein muss, auf der Straße zu übernachten. Dass es so anstrengend wäre, das hätte ich nicht gedacht – dabei habe ich nur eine Nacht auf der Straße verbracht.

Besonders im Winter sind es kaum ertragbare Zustände, und auch wenn die Personen oftmals wissen, dass sie das Recht auf eine Wohnung hätten, ist es ihnen aus verschiedenen Gründen einfach nicht möglich, sich eine zu besorgen: Sei es aus Scham, Abhängigkeitsproblemen oder einfach Verwahrlosung.

Ich hatte das besondere Glück, eine Gruppe gefunden zu haben, bei der ich mich sicher fühlen konnte. Nicht auszudenken, wie viel schlimmer diese Nacht ohne diese Personen geworden wäre. Mit diesem Gedanken öffne ich die Tür meines Autos, steige hinein und drehe die Heizung voll auf. Endlich wieder im Warmen!

*Anmerkung der Redaktion: Am 13. Oktober 2020 erhielten wir die Nachricht, dass Olli, der im folgenden Video zu sehen ist, kürzlich verstarb.

 

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