Von Marius Schwarze und David Peters
Auf dem Platz der Josephkirche in der Münsterstraße in der Nordstadt von Dortmund haben am Freitag rund 80 Menschen gegen die Ausrüstung der Polizei mit Tasern demonstriert. Dem Aufruf der DKP schloss sich ein breites Bündnis aus Parteien und Initiativen an.
Nordstadt als erstes „Testgebiet“ für Nutzungen von Elektroimpulsgeräten im Dortmunder Raum
Am 15. Januar waren die neuen „Distanzelektroimpulsgeräte“ (DEIG) im Beisein von Innenminister Herbert Reul (CDU) vorgestellt wurden. Dortmund ist einer von vier Standorten in Nordrhein-Westfalen, in denen die Taser über einen Zeitraum von 12 Monaten getestet werden sollen.
Anlass der Kundgebung war aber auch, dass der Teststandort die Polizeiwache in der Nordstadt ist.
„Die Elektroschocker, die mit einer Spannung von 50.000 Volt arbeiten, können tödlich sein und schwerwiegende Verletzungen nach sich ziehen“, kritisiert Ulrich Sander, die als „nicht-tödlich“ angepriesene Waffe. Besondere Gefahr bestünde außerdem für Menschen, die bestimmte Medikamente nehmen oder unter Herzprobleme leiden. ___STEADY_PAYWALL___
„Schlagzeilen aus dem ganzen Land NRW suggerieren, es müsse aufgerüstet werden gegen den Norden“
„Vor ein paar Wochen erschien in einer Regionalzeitung ein Artikel mit der Überschrift: Polizei in Dortmund nutzt ab sofort Taser – vor allem in einem Stadtteil“, berichtete Peter von der Anarcho-Kommunistischen-Organisation „Die Plattform“.
Es sei klar, dass es in der Nordstadt viele Probleme gebe, doch diese seien durch die Ausrüstung der Beamt*innen mit Tasern nicht zu lösen.
Stattdessen brauche es eine stärkere Vernetzung der Bewohner*innen untereinander und eine Problemlösung aus dem Viertel heraus. „Schlagzeilen aus dem ganzen Land NRW suggerieren, es müsse aufgerüstet werden gegen den Norden“, schildert Dave Varghese von der DKP.
Kritik: US-Studie zeigt, dass der Einsatz von Tasern Schusswaffeneinsatz nicht reduziert
Varghese sieht in den zunehmenden Befugnissen und den ständigen Aufrüstungen eine zunehmende Militarisierung der Polizei. Besorgniserregend sei dies auch im Kontext der Debatten über Polizeigewalt.
Arthur Winkelbach von der Initiative „No Cam DO“, die sich gegen die Videoüberwachung der Münsterstraße zur Wehr setzt, kritisiert das Argument der Polizei, dass Taser ein geeignetes milderes Mittel als die Schusswaffe wäre.
Das DEIG soll laut Polizei unter anderem für einen Rückgang des Schusswaffengebrauchs sorgen. Dies sei laut Winkelbach durch eine Langzeitstudie in den USA widerlegt worden. Dort sind Polizist*innen bereits seit Jahren mit Tasern ausgerüstet. Ein Rückgang des Schusswaffengebrauchs sei aber nicht zu verzeichnen.
Forderung: Probleme an der Wurzel angehen, statt aufzurüsten
„Ich vertrau keiner Polizei die Deeskalation möchte, aber das Gegenteil umsetzt“, berichtet Anna über ihre Erfahrungen mit Polizeigewalt. Bei einem Polizeieinsatz wegen einer Ruhestörung bei einer habe sie versucht mit der Polizei in den Dialog zu treten.
Als sie ihren Ausweis holen wollte, wurde ohne für sie ersichtlichen Grund von der Polizei zu Boden gebracht und ins Polizeigewahrsam gebracht.
Dabei wurde sie nach eigener Aussage am Boden liegend getreten und von den Beamten sexistisch beleidigt. Ohne Schuhe und nur dünn bekleidet durfte sie das Gewahrsam bei Minusgraden früh morgens verlassen. Der Grund für ihre zeitweilige Verhaftung sei gewesen, dass sie nicht habe kooperieren wollen, erzählt Anna.
Rosenbaum: „Die Nordstadt braucht keine unwirksamen Law and Order-Schnellschüsse“
Michael Röls, Sprecher der Grünen in Dortmund kritisierte die Auswahl des Testgebietes: „Ich finde, dass die Menschen in der Nordstadt nicht die Versuchskanninchen, für die Taser-Träume unseres Innenministers Herbert Reul sein können.“
Während die Probleme im Stadtviertel nicht abnehmen, seien die Bürger*innen immer wieder von neuen Polizeitatiken und Aufrüstungen betroffen, deren Folgen, derzeit noch nicht abzusehen seien, so der Grünen-Politiker.
„Wir müssen gemeinsam dafür kämpfen, diese ewige Spirale, aus immer mehr Aufrüstung der sogenannten Sicherheitsbehörde, mehr Gewaltanwendung, ohne die Probleme wirklich mal an der Wurzel zu packen, zu beenden“, schloss Röls seinen Redebeitrag.
Die Partei engagiert sich schon seit Wochen gegen den Einsatz der Taser. So erklärte die Bezirksbürgermeisterin der Nordstadt, Hannah Rosenbaum kurz nach der Einführung: „Ob Videobeobachtung oder Taser-Testlauf: Die Nordstadt braucht keine unwirksamen Law and Order-Schnellschüsse, sondern ein, mit den Bewohner*innen abgestimmtes, langfristiges Sicherheitskonzept.“
Polizeipräsident lädt grüne Nordstadt-Bezirksbürgermeisterin zum Gespräch ein
Polizeipräsident Gregor Lange kündigte bereits nach dieser Kritik an, Rosenbaum zu einem Gespräch über das Thema „DEIG“ einzuladen. Zudem versicherte er: „Unsere Beamtinnen und Beamten werden immer mit sehr viel Fingerspitzengefühl und unter Beachtung der gesetzlichen Vorschriften in jeden Einsatz gehen.“
Polizeipressesprecher Gunnar Wortmann erklärte, dass neben der Nordstadt auch die Stadtteile Huckarde und Eving zum Testgebiet der der Taser gehören.
„Der erste erfolgte Test ist nicht in der Nordstadt geschehen“, so Wortmann.
Bei einem Einsatz in Dortmund-Eving wurde ein Hund getasert, nachdem er auf Beamte zugestürmt sei, die eine Streitigkeit in einer Wohnung schlichten wollten. Grundsätzlich sei es nicht so, dass die Polizei den Einsatz mit allen Mitteln umsetzen wolle, doch komme es immer wieder zu Situationen, wo eine Schusswaffe gezogen und auch benutzt werden könnte.
Damit das nicht passieren muss, soll das Distanzelektroimpulsgerät als Zwischenstation zwischen Schusswaffe und Schlagstock dienen. „Momentan ist es eine Testphase, die sich auf 12 Monate beläuft, um herauszufinden, wie nützlich ein Taser im Gebrauch wirklich ist“, so der Polizeisprecher.
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Taser in der Nordstadt: GRÜNE sehen sich in Kritik bestätigt (PM)
Taser in der Nordstadt: GRÜNE sehen sich in Kritik bestätigt
Die Dortmunder GRÜNEN sehen sich in ihrer Kritik am Einsatz sogenannter Taser durch die Polizei in der Nordstadt bestätigt. Bereits im März war gegen einen offenbar angetrunkenen obdachlosen Mann der Taser, der mit starken Stromstößen funktioniert, mehrfach eingesetzt worden. Anwohner*innen hatten den Vorfall gefilmt und öffentlich gemacht.
Der Einsatz von Tasern ist aufgrund der potentiell tödlichen Wirkung umstritten und wird unter anderem auch von Amnesty International kritisiert. Besonders risikobehaftet ist der Einsatz bei herzkranken Menschen, aber auch unter dem Einfluss von bestimmten Medikamenten.
Die GRÜNEN hatten deshalb bereits im Januar einen sofortigen Stopp des Taser-Pilotprojekts in der Nordstadt gefordert. Nun wollen sie darüber hinaus auch eine lückenlose Aufklärung des Einsatzes.
„Die Hemmschwelle zum Einsatz des Tasers scheint nicht besonders hoch zu sein. Das hat der Vorfall aus dem März gezeigt. Auch nach Ansicht von Experten hätte es hier andere Möglichkeiten der Deeskalation gegeben. Es ist besorgniserregend, dass die Polizei stattdessen den Einsatz im Nachhinein sogar als mildestes Mittel darstellt. Damit scheint für die Poilzei schon lange vor dem Ende des Pilotversuchs das Ergebnis festzustehen, dass der Taser ein geeignetes und verhältnismäßiges Einsatzmittel ist. Diese Haltung lässt befürchten, dass diese potentiell tödliche Waffe noch häufiger zum Einsatz kommen wird. Das lehnen wir ab und fordern das NRW-Innenministerium und die Polizei erneut auf, den Pilotversuch sofort zu beenden“, fordert der Sprecher des GRÜNEN Kreisverbandes, Michael Röls.
Die Empörung und auch die Sorge über den Taser-Einsatz in der Nordstadt ist groß, insbesondere nach der öffentlich gewordenen Videoaufnahme. So erreichten die GRÜNEN mehrere Aufforderungen nach einer lückenlose Aufklärung.
„Diese Forderung unterstützen wir ausdrücklich. Die Pressemitteilung der Polizei reicht uns dabei nicht aus. Wir werden den Einsatz deshalb auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung des Polizeibeirates setzen lassen und den Polizeipräsidenten um einen ausführlichen Bericht bitten“, so Lisa Schultze, Ratsmitglied der GRÜNEN.
Minister Reul: „Der Taser hat eine präventive und deeskalierende Wirkung und wird sehr gut angenommen“ (PM MIK NRW)
In den fünf größten NRW-Polizeibehörden gehört der Taser (Distanzelektroimpulsgerät, kurz: DEIG) künftig zur Grundausstattung. Innenminister Herbert Reul hat beschlossen, die Wachdienste in Dortmund, Düsseldorf, Duisburg, Essen und Köln mit insgesamt 620 Geräten auszustatten. Die Entscheidung resultiert aus den Erfahrungen des aktuellen Testbetriebs: Mitte 2020 hatte das Innenministerium entschieden, Distanzelektroimpulsgeräte zu erproben; seit Januar sind sie in vier Polizeibehörden (Dortmund, Düsseldorf, Gelsenkirchen, Rhein-Erft-Kreis) im Pilotbetrieb.
„Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass der Taser auch eine starke präventive und deeskalierende Wirkung hat“, so Innenminister Herbert Reul. Die bloße Androhung des Einsatzes, teils verstärkt durch die Demonstration des Lichtbogens, habe in mehr als 80 Prozent der bisherigen Anwendungsfälle bereits zur Deeskalation geführt. „Die Erfahrungen der Polizistinnen und Polizisten sind überwiegend positiv – der Taser hilft nicht nur in extrem brenzligen Situationen, er verhindert auch Gewalt gegen Beamte. Bei der Polizei wird der Taser sehr gut angenommen – auch weil die Beamtinnen und Beamten erkennbar sicherer unterwegs sind.“
Seit Jahresanfang kam der Taser insgesamt 140 Mal zur Anwendung; bei den allermeisten Einsätzen, nämlich 114, blieb es bei der Androhung; in 26 Fällen wurde der Taser eingesetzt. Die Entscheidung, den Taser in den fünf größten Polizeibehörden einzuführen, basiert auf den bisherigen Einsatzerfahrungen: „In den Städten Dortmund, Düsseldorf, Duisburg, Essen und Köln werden Polizistinnen und Polizisten besonders oft angegriffen – auch, weil es hier örtliche Brennpunkte gibt wie etwa die Düsseldorfer Altstadt oder die Kölner Ringe“, so Innenminister Reul. Und weiter: „Wir beginnen jetzt erst einmal da, wo wir die Taser am dringendsten brauchen.“ Die Erfahrungen aus der bisherigen Pilotphase zeigen, dass 85 Prozent (120) aller Einsätze in den drei Großstadtbehörden stattfanden, während es im Rhein-Erft-Kreis lediglich zu 15 Prozent (20) der Einsätze kam.
Insgesamt gibt das Land Nordrhein-Westfalen für die Anschaffung der Taser inklusive Zubehör vier Millionen Euro aus. Die Lieferung wird voraussichtlich bis Jahresende eintreffen und anschließend an die Behörden verteilt.
Parallel zu der jetzigen Einführung in den fünf Behörden Dortmund, Duisburg, Düsseldorf, Köln und Essen wird der Pilotbetrieb fortgesetzt. So können zum einen die vorhandenen Projektstrukturen zur Vorbereitung und Umsetzung der Ausstattung genutzt werden, zum anderen können weitere Erkenntnisse im Bereich der Fortbildung und der Erweiterung der IT-Struktur generiert werden.
Das Distanzelektroimpulsgerät wird durch die Polizistinnen und Polizisten offen, das heißt gut sichtbar, getragen und ist an seiner gelben Signalfarbe sofort zu erkennen. Muss das Gerät eingesetzt werden, sendet es nach Abschuss zweier Elektroden Stromimpulse aus, die auf das menschliche Nervensystem wirken. Es kommt zu einer neuromuskulären Lähmung, die den Aggressor kurzzeitig handlungsunfähig macht und die Polizistinnen und Polizisten in die Lage versetzt, die Person zu überwältigen, ohne weitere Gewalt anwenden zu müssen.
Dortmunder GRÜNE empört über vorzeitige Verstetigung des Taser-Einsatzes im Wachdienst der Polizei (PM)
Anders als vom Innenministerium angekündigt erfolgt die abschließende Auswertung der Pilotphase zum Einsatz des Tasers nicht erst nach 12 Monaten im Frühjahr 2022, sondern bereits jetzt. In den fünf größten Städten in NRW soll die Polizei nun großflächig mit den Distanzelekroimpulsgeräten (DEIG) ausgestattet werden. Die Dortmunder GRÜNEN hatten bereits im Januar scharfe Kritik an deren Einsatz geübt und fühlen sich durch die abrupute Entscheidung nun darin bestätigt.
„Die früher als angekündigte Beendigung der Testphase mit Übergang in den Regelbetrieb zeigt deutlich, dass nie ein echtes Interesse an einer objektiven Auswertung bestanden hat. Fraglich bleibt auch weiterhin, nach welchen Indikatoren der vermeintliche Erfolg beurteilt wurde. Hier wäre ein transparenteres Vorgehen der Polizei gegenüber den Bürger*innen angebracht. Immerhin handelt es sich hier um eine potentiell tödliche Waffe, die nun dauerhaft in Situationen eingesetzt werden darf, in denen tödliche Gewalt nicht als angemessen bewertet wird. “ erklärt Hannah Rosenbaum, GRÜNE Bezirksbürgermeisterin Innenstadt-Nord, „Das vorzeitige Ende der Testphase lässt vermuten, dass hier vor der Landtagswahl noch einmal Nägel mit Köpfen gemacht werden sollten.“
„Es ist offensichtlich, dass die Pilotphase einzig den Zweck hatte, den Widerstand gegen die Einführung der Taser zu entschärfen. Mit dieser Salamitaktik treibt die schwarz-gelbe Landesregierung ihre ideologiegetriebene Aufrüstung der Polizei voran.“ ergänzt Michael Röls, Sprecher der Dortmunder GRÜNEN. “
Die dauerhafte Ausstattung des Wachdiensts der Polizei mit DEIG allein in Dortmund, Essen, Duisburg, Düsseldorf und Köln ist mit 4 Millionen Euro nicht nur teuer, sie gefährdet beim Einsatz auch Risikogruppen wie beispielsweise herzkranke Menschen. Angesichts der vielen Überstunden bei der Polizei wäre das Geld besser in zusätzliches Personal investiert statt in Waffen. Wir GRÜNE stehen für eine bürgernahe, gut ausgestattete und ausgebildete Polizei. Eine martialische Aufrüstung steht dem diametral entgegen.“