„Nordstadt gegen Nazis“ erinnert an Edelweißpiraten: Bezirksvertretung stimmt für einen Kurt-Piehl-Platz

Ein Kurt-Piehl-Platz in der Nordstadt? Die Bezirksvertretung hat sich dafür ausgesprochen. Foto: MSA-DO

Die Nordstadt könnte einen Kurt-Piehl-Platz bekommen. Die Bezirksvertretung hat in einem gemeinsamen Antrag aller vier Fraktionen einstimmig beschlossen, den jetzt namenlosen Platz zwischen Brunnen-, Flensburger, Altonaer und Danewerkstraße (informell „Flensburger Platz“ genannt) in Gedenken an die Bewegung der (Dortmunder) Edelweißpiraten und in Anerkennung ihres mutigen Widerstands gegen den Nationalsozialismus, in Kurt-Piehl-Platz zu benennen.

Das neue Bündnis „Nordstadt gegen Nazis“ hatte den Antrag auf Benennung gestellt

Jenseits von Staatsangehörigkeit und Religion: Trauer und Entschlossenheit bei der Benennung. Fotos: Alex Völkel und Franz Luthe
Bereits 2019 hatte die BV für die Benennung eines Platzes nach NSU-Opfer Mehmet Kubaşık gestimmt.

Das strömungs- ressort-, verbands- und arbeitsfeldübergreifende Bündnis „Nordstadt gegen Nazis“ mit seinen dort vertretenen mehr als 20 aktiven Einrichtungen, Schulen, Museen, Kirchengemeinden, Mirgrant*innenselbstorganisationen, Kulturstandorten, Kindertageseinrichtungen, Gruppen, Initiativen und Trägern hatte das Thema auf die letzte Sitzung der Bezirksvertetung in der laufenden Wahlperiode auf die Agenda gebracht. ___STEADY_PAYWALL___

Das Gremium unterstützte den Vorschlag einstimmig – Neonazi Siegfried „SS-Siggi“ Borchardt war der Sitzung fern geblieben, obwohl er als Haft-Freigänger die Möglichkeit zur Teilnahme gehabt hätte. Die Bezirksvertretung hat nun das Tiefbauamt und das Stadtarchiv um Prüfung und Stellungnahme gebeten. 

Dies ist das übliche Verfahren – dabei geht es u.a. darum, ob eine solche Nennung Auswirkungen hat – beispielsweise für Anlieger und deren Postadressen. Bei dem bisher namenlosen Platz sollte dies aber – wie auch bei der Nennung des informell „Platz der Nationen“ genannten Platzes nach dem NSU-Opfer Mehmet Kubaşık – keine Probleme machen. Die Entscheidung darüber trifft dann anschließend die neu gewählte Bezirksvertretung.

Benennung als ehrendes Gedenken für Kurt Piehl und die Edelweißpiraten

Bald könnte es einen Kurt-Piehl-Platz in der Nordstadt geben - die Bezirksvertretung hat sich dafür ausgesprochen. Foto: MSA-DO
Die „Mean Street Antifa“ hatte mit einer Guerilla-Aktion Werbung für die Benennung gemacht. Foto: MSA-DO

Das Bündnis „Nordstadt gegen Nazis“ möchte mit der Benennung sowohl Kurt Piehl als auch den (Dortmunder) Edelweißpiraten ein ehrendes Gedenken setzen. Die Bewegung der Edelweißpiraten ist vielen Menschen nicht wirklich bekannt.

„Sogar viele historisch interessierte und ansonsten politisch gut informierte Menschen wissen oft wenig über diese mutigen und freiheitsliebenden jungen Menschen aus dem Arbeiter*innenmilieu  und über ihren Widerstand während der Nazizeit“, begründet das Bündnis die Benennung. 

Das liegt ihrer Ansicht nach zum einen an den wenigen Gedenkstätten in Deutschland, die an sie erinnern.

Gedenktafel für die ermordeten Edelweißpiraten in Köln-Ehrenfeld
Gedenktafel für ermordete Edelweißpiraten in Köln.

Zum anderen liegt es aber auch an den nur wenigen Veröffentlichungen über ihren Widerstand und ihre Verfolgung in der NS-Zeit. 

„Die Edelweißpiraten waren eine informelle Gruppierung junger unangepasster junger Menschen, die sich trotz gesetzlich verordnetem  „Mitgliedszwang“  nicht in die Hitlerjugend einverleiben lassen wollten.

Deshalb wurden sie für die Hitlerjugend schnell zum Feindbild und waren immer wieder Angriffen ausgesetzt. Einige von ihnen wurden Opfer des Nazi-Terrors“, heißt es in dem von Grünbau-Chef Andreas Koch und AWO-Geschäftsführerin Mirja Düwel im Namen der Initiative unterschriebenen Antrag.

Edelweißpiraten waren eine oppositionelle Jugendbewegung in der Nazi-Zeit

Erinnerungen an die Edelweißpiraten hält die AWO wach – sie hat eine Hausfassade gestaltet. Foto: Alex Völkel

Die Edelweißpiraten waren um 1941/42 mit mehreren tausenden Jugendlichen, die in der Regel aus Arbeiterfamilien stammten, im Ruhrgebiet und im Rheinland besonders stark vertreten. Sie trafen sich vorwiegend abseits der „Hitlerjugend“ in Parks, an kleinen Plätzen, oder in bestimmten Stadtvierteln, wie der Dortmunder Nordstadt. 

Der Dortmunder Zusammenschluss der oppositionellen Jugendbewegung mit ihrem Treffpunkt rund um den Brügmannplatz, zählt zu den bekanntesten Gruppen der Edelweißpiraten. Sie sahen sich selbst als eine Gruppe junger Freiheitskämpfer, die sich auch durch die Gestapo nicht klein kriegen ließ. Ihr Erkennungszeichen, eine Edelweiß-Anstecknadel war gleichermaßen bei ihren Anhänger*innen und Gegner*innen bekannt.  Bis vor wenigen Jahren gab es kaum Berichterstattungen über ihre Taten und ihre Verfolgung. 

Lediglich die Stadt Köln erinnert in Form eines alljährlichen Edelweißpiraten-Festivals und durch eine Gedenkstätte mit Erinnerungstafel in Köln-Ehrenfeld an diese aufrechten jungen Menschen und kämpft dadurch aktiv gegen das Vergessen. Köln erinnert dadurch nicht nur ihrer Opposition und des Widerstands, sondern sorgt auch dafür, dass nicht vergessen wird, dass viele dieser jungen Menschen deshalb verfolgt und einzelne sogar hingerichtet wurden.  

Wer war Kurt Piehl? Benennung nach dem Autor von „Latscher, Pimpfe und Gestapo“

Die Schleswiger Straße 40 erinnert an die Dortmunder Edelweiß-Piraten.
Die Schleswiger Straße 40 erinnert an die Dortmunder Edelweiß-Piraten. Foto: Alex Völkel

Kurt Piehl (*6. Januar 1928 in Dortmund; † 2. Januar 2001) war einer der Dortmunder Edelweißpiraten, die die Verfolgung überlebt hatten und sich trauten, ihre Erfahrungen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus und ihre fortgesetzte Kriminalisierung in der Nachkriegszeit öffentlich zu machen.                                                                                              

1980 veröffentlichte Kurt Piehl die authentische Geschichte eines Teils dieser spontanen antiautoritären Bewegung – der „Edelweißgruppe Brügmannplatz“, im Kampf gegen die Hitlerjugend. In seinem Buch berichtet er auch über seine schreckliche Zeit im Dortmunder Gestapo-Keller „Steinwache“.

Das Manuskript zu „Latscher, Pimpfe und Gestapo“ hatte er bereits in den Jahren 1961 bis 1967 fertiggestellt. Doch erst als der Dortmunder Geschichtsprofessor Hans Müller auf Kurt Piehl aufmerksam wurde und ihm Mut machte, traute er sich diese Veröffentlichung zu. 

Sein Roman endet mit den Worten: „Eine offizielle Anerkennung ihres Kampfes hat es nie gegeben, nicht als Widerstand und nicht als Verfolgung.“ Bis heute erinnert im Raum Dortmund lediglich eine vom „AWO Unterbezirk Dortmund“ gestaltete Hausfassade in der Schleswiger Straße an den Widerstand und die Verfolgung der Edelweißpiraten und an die Existenz der Dortmunder Gruppe und damit an das Schicksal vieler freiheitsliebender, selbstbewusster und unerschrockener junger Menschen. 

Es wird Zeit, für eine offizielle Anerkennung – auch und gerade in Dortmund“

Punktuell gibt es jetzt schon Formate, die an die Edelweißpiraten erinnern – doch zahlreiche weitere Aktivitäten wären denkbar.

Die Geschichte von Kurt Piehl und den Dortmunder Edelweißpiraten, hat nach Ansicht des Bündnisses „Nordstadt gegen Nazis“ eine einzigartige Vorbildfunktion für junge Menschen bis in unsere heutige Zeit hinein und vielleicht sogar gerade heute umso mehr. 

„Dortmund hat mit dem Ruf zu kämpfen, die ,aktivste’ Neonaziszene in Westdeutschland zu haben und musste in den letzten Jahren immer wieder Opfer rechter Gewalt betrauern. Mit der Platzbenennung und der damit verbundenen Ehrung von Kurt Piehl, in Anerkennung und Erinnerung an den mutigen Widerstand und die Verfolgung der Edelweißgruppe Brügmannplatz im Nationalsozialismus kann ein deutliches Zeichen gesetzt werden“, betonen die Unterzeichner*innen.

„Gestern und heute haben Nazis, Rassismus und Antisemitismus keinen Platz in Dortmund und schon gar nicht in der Dortmunder Nordstadt“, heißt es weiter in der Begründung.  „Wir zeigen dadurch, dass wir in der Dortmunder Nordstadt stolz darauf sind, dass es schon damals aufrechte junge Menschen im Stadtteil gab, die obwohl sie sich selbst dadurch in Gefahr gebracht haben, einer menschenverachtenden Ideologie  entgegengestellt haben.“

Die Aktivist*innen halten in Zeiten von zunehmendem Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus und einer lokalen Neonaziszene, die immer wieder (wenn auch ohne Erfolg) versucht Boden, in der Nordstadt zu gewinnen, die Benennung für „ein aussagekräftiges Signal der Stadtgesellschaft gegen Rechts und gegen jegliche Diskriminierung“.

 

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