Von Gina Köhler
Für Niels Back ist klar: in keinem anderen Stadtteil von Dortmund wird die soziale Ungleichheit so deutlich wie in der Dortmunder Nordstadt. Back – ehemaliger Gemeindepfarrer – ist seit fünf Jahren Geschäftsführer der Diakonie Dortmund und Lünen. Hier ist er im gesamten Dortmunder Stadtgebiet unterwegs, um Menschen in Notlagen zu unterstützen. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit liegt in der Dortmunder Nordstadt.
Nur knapp 15 Prozent der Nordstadt-Schüler:innen bekommen eine Gymnasialempfehlung
Hier wird am heutigen Mittwoch (28. Februar) das Stadtgespräch „Lass uns reden“ stattfinden. Im Depot werden Bürger*innen und Expert:innen zusammenkommen, um über Chancengleichheit zu sprechen. Veranstaltet wird das Diskussionsformat vom Lern- und Lehrsender und der Bürgermedienplattform NRWision und Studierenden des Instituts für Journalistik der TU Dortmund. Ein Thema des Abends ist Bildungsungleichheit. Hier sieht Niels in der Nordstadt enormen Nachholbedarf.
Laut dem „Bericht zur sozialen Lage in Dortmund“, den die Stadt Dortmund 2008 erstmals veröffentlicht und 2018 erneuert hat, bekamen im Schuljahr 2016/17 in den drei Bezirken der Innenstadt-Nord (Nordmarkt, Borsigplatz, Hafen) nur knapp 15 Prozent der Schüler:innen eine Gymnasialempfehlung.
Der Durchschnitt der gesamten Stadt lag bei 34 Prozent, im Spitzenreiterbezirk Westfalenhalle waren es sogar über 60 Prozent. „Die Kinder in der Nordstadt haben nur höhere Bildungsbarrieren und werden nicht ausreichend gefördert“, so Niels Back.
Niels Back über Bildungsungleichheit in der Nordstadt: „Ausgangspunkt ist die hohe Kinderarmut“
Die Schulen im Bezirk Innenstadt-Nord seien besonders belastet, bekämen aber nicht genug Ressourcen gestellt, um ihre Problemlagen zu bewältigen. Sprachbarrieren und sonderpädagogischer Förderbedarf seien zwei Beispiele für eine große Palette an Herausforderungen, die Schulen in der Nordstadt bewältigen müssen. Einen Teil federt die Diakonie durch ihre Angebote in der Frühförderung benachteiligter Kinder unter sechs Jahren sowie in ihrem Kinderhaus „Casa Copiilor“ für rumänische und bulgarische Kinder ab.
Ob die Chancen in der Bildung gleich verteilt sind oder nicht, stelle sich schon vor der Einschulung heraus, so Back. „Der Ausgangspunkt ist die hohe Kinderarmut und all die Probleme, die damit einhergehen. Die Kinder haben keinen Kita-Platz. In der Grundschule werden sie bei Defiziten nicht gefördert. Sie kommen nicht ausreichend aufs Gymnasium, und es machen auch viel zu wenig Abitur. So setzt es sich dann alles fort und wiederholt sich.“
Armut reproduziere sich, sagt Back. Tatsächlich bezogen 2021 in der Dortmunder Nordstadt fast 40 Prozent der Bevölkerung Transferleistungen wie Bürgergeld oder Sozialhilfe. Im gesamten Stadtgebiet waren es nur gut 16 Prozent. Mit knapp 22 Prozent war 2022 auch die Arbeitslosenquote in der Nordstadt fast doppelt so hoch wie im stadtweiten Durschnitt.
„Dass die Lebenschancen von Kindern in einer Stadt so unterschiedlich sind, ist eigentlich ein Skandal“, so Back. Auch hier versuche die Diakonie gegenzusteuern. In der Suppenküche Wichern können Bedürftige kostenlos zu Mittag essen, im Sozialkaufhaus günstige Kleidung und Kinderspielzeug kaufen und sich im Rahmen verschiedener Maßnahmen nach langer Arbeitslosigkeit wieder in den Arbeitsmarkt integrieren.
Niels Back möchte den Menschen helfen. Er wünscht sich aber auch und vor allem einen strukturellen Wandel. „Es geht um Rahmenbedingungen, die der Staat, die Gesellschaft und die Akteure setzen. Wir dürfen die Probleme von Menschen in schwierigen Lebenslagen nicht immer weiter individualisieren und sagen: Du bist selbst schuld.“
Chancenungleichheit in der Nordstadt ist Thema bei TV-Diskussion im Depot
Was sich die Bürger:innen hinsichtlich Chancengleichheit wünschen, ist Thema des Stadtgesprächs „Lass uns reden“. Hier sollen Probleme und Lösungsmöglichkeiten diskutiert werden – auch von anderen Projekten als der Diakonie.
„Lass und reden“ versteht sich als Plattform, im Rahmen derer Betroffene und Expert:innen über soziale Ungleichheit diskutieren, gegenseitig Erfahrungen austauschen und Veränderungen für die Zukunft fordern können. Die Veranstaltung beginnt um 18.30 Uhr, der Eintritt ist frei.
Wer es nicht schafft, vor Ort dabei zu sein, kann sich das Stadtgespräch später bei NRWision im Fernsehen oder in der Mediathek anschauen.
Alle Informationen in Kürze:
- Lass uns reden: Chancenungleichheit in der Dortmunder Nordstadt – Bürger*innen-Diskussionsformat mit TV-Aufzeichnung
- Wann? Mittwoch, 28. Februar 2024; Einlass um 17.45 Uhr, Beginn um 18.30 Uhr
- Wo? Theater im Depot, Immermannstraße 29
Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!
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Großer Wurf für Chancengleichheit in Dortmund Besonders Kinder in Nordstadt und Eving profitieren von Startchancenprogramm (PM)
Ab August 2024 geht mit „Startchancen“ ein Programm von Bund und Ländern an den Start, das über den Zeitraum von zehn Jahren 20 Milliarden Euro für Schulen zur Verfügung stellt.
Das NRW-Schulministerium hat nun bekannt gegeben, welche Schulen in der ersten Förderphase berücksichtigt werden. Darunter sind unter anderem 13 Schulen aus der Dortmunder Nordstadt und Eving. Der Dortmunder SPD-Landtagsabgeordnete Volkan Baran und die SPD-Bundestagsabgeordnete Sabine Poschmann zeigen sich begeistert:
„Das Startchancenprogramm hat den Anspruch, Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen von ihrer sozialen Herkunft zu entkoppeln. Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit müssen das Ziel einer zukunftsorientierten Schulpolitik sein. Deshalb ist der Paradigmenwechsel, den das Programm einläutet, dringend geboten.“
Die Vergabe der Förderung erfolgt nach Sozialkriterien, wie Kinderarmut, Muttersprache und weiteren Faktoren.
Noch immer hängt der Bildungserfolg von Kindern in Deutschland stark vom Elternhaus ab, weshalb Schulen in die Lage versetzt werden sollen, Chancen gerechter zu verteilen.
Das Programm besteht aus drei Fördersäulen, die Investitionen in Schulgebäude und deren Ausstattung genauso ermöglichen, wie Mittel für multiprofessionelle Teams und die den Schulen auch individuelle Chancenbudgets zur Verfügung stellen, mit denen sie ganz spezifisch dort fördern können, wo es am dringendsten benötigt wird.
Volkan Baran schließt eine Forderung an die Landesregierung an: „Nun gilt es für die schwarz-grüne Landesregierung in den nächsten Jahren ihren Anteil am Programm auch aufzubringen und die niedrigschwellige Förderung nicht durch unnötige bürokratische Hürden zu verbauen. Wir werden das sehr genau beobachten.“
Folgende Grundschulen sind in der Auswahl:
Die Albrecht-Brinkmann-Schule, die Diesterwegschule, die Graf Konradschule, die Grundschule Kleine Kielstraße, die Lessingschule, die Libellengrundschule, die Mosaikgrundschule Eving, die Nordmarktgrundschule und die Oesterholzschule.
Die weiterführenden Schulen, die profitieren, sind die Hauptschule Am Externberg, die Schule am Hafen, die Getrud-Bäumer-Realschule und die Gesamtschule Gartenstadt.