UPDATE II: Neuer Prozess im Mordfall Schalla hat begonnen: Einwand gegen Besetzung des Gerichts

Ende Juli 2020 wurde der angeklagte Ralf H. aus der U-Haft entlassen. Seit seiner Verhaftung war er in Haft, was das Oberverwaltungsgericht Hamm angesichts des schleppenden ersten Prozesses als unverhältnismäßig ansah.

Im Frühjahr 2020 scheiterte die Fortsetzung des Prozesses um den fast 27 Jahre zurückliegenden Mordfall Nicole-Denise Schalla aufgrund einer langfristigen Erkrankung einer beteiligten Richterin. Hierdurch konnten bindende Terminfristen nicht mehr eingehalten werden, was dazu führte, dass der Prozess neu aufgerollt werden muss. Heute startete die zweite Auflage am Landgericht Dortmund mit neuem Schöffengericht unter Vorsitz von Richter Thomas Kelm. Doch ob dieser die Verhandlung auch in Zukunft weiter führen wird, ist noch nicht gewiss. Denn zu Beginn des Prozessauftaktes bringt die Verteidigung des Angeklagten einen sog. Besetzungseinwand ins Spiel, über den die zuständige Kammer des Landgerichts und gegebenenfalls das Oberlandesgericht Hamm entscheiden müssen. Updates am Ende des Artikels.

Ralf H. ist mittlerweile aus der Untersuchungshaft entlassen worden 

Seit Dezember 2018 muss Ralf H. sich am Landgericht Dortmund für den Mord an der damals 16-jährigen Schülerin Nicole-Denise Schalla verantworten. Er soll das Opfer auf dem Heimweg überfallen, zu sexuellen Handlungen genötigt und brutal erwürgt haben. ___STEADY_PAYWALL___

Ralf H. betritt den Gerichtssaal ohne Handschellen als freier Mann. Fotos: Sascha Fijneman

Mittlerweile ist der 55-jährige angeklagte Ralf H. aus der U-Haft entlassen worden und betritt heute zum ersten Mal den Gerichtssaal als freier Mann ohne Handschellen. Seit rund zwei Jahren saß er in Untersuchungshaft, hatte sich beim ersten Prozess mehrfach über die langwierige Beweisaufnahme und die Haft beschwert, woraufhin auch einige Lockerungen, zum Beispiel bei der Briefzustellung, eingestanden wurden.

Vor Beginn der heutigen Hauptverhandlung am Landgericht Dortmund hatte das Oberverwaltungsgericht Hamm Ende Juli entschieden, dass angesichts der langen Prozessführung und der Indizienbeweise, die gegen den Angeklagten sprechen, eine weitere Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft als unverhältnismäßig zu bewerten sei. In diesem Fall müsse man das Beschleunigungsgebot im Sinne des Angeklagten berücksichtigen.

Angesichts des dringenden Tatverdachts zumindest aus Sicht der Kläger*innen sicherlich eine Überraschung für Staatsanwaltschaft und Nebenklage und ein herber Schock für die Eltern des ermordeten Mädchens, Sigrid und Joachim Schalla. Beide wohnen dem Prozess wieder mit ihrer Anwältin Arabella Pooth als Nebenkläger*innen bei. Während sie schon im ersten Prozess zahlreiche Verzögerungen, unter anderem durch diverse Befangenheitsanträge der Verteidigung, erdulden und das selbstbewusste Auftreten des seine Unschuld beteuernden Angeklagten hinnehmen mussten, verzögerte sich auch der Start der Neuauflage.

Weitere Verzögerung des Neubeginns durch verschwundene Akten

Die Eltern von Nicole-Denise, Sigrid und Joachim Schalla, mit ihrer Anwältin Arabella Pooth.

Denn Ralf H. hatte in der prozessfreien Zeit erneut seine Anwälte gewechselt. Bei der Überstellung der Akten vom Landgericht an die neuen Verteidiger waren auf dem Postweg Akten verschwunden, von denen zunächst niemand sagen konnte, wo sie abgeblieben waren. Ein paar Tage später tauchten sie jedoch wieder auf und sind mittlerweile auch bei den Anwälten angekommen.

Im Zuge ihres Besetzungseinwandes machte Verteidiger Dr. Udo Vetter deutlich, dass man die Zeit bis zum nächsten Verhandlungstermin (24. August 2020) nutzen wolle und müsse, um sich eingehend mit den Akten zu befassen, um H. angemessen vertreten zu können. Da hätte man noch drei Meter unübersichtliche Akten vor sich, in die man sich einarbeiten müsse. Nach Verlesung der Anklage durch Staatsanwalt Felix Giesenregen, erklärte er, dass man sich zunächst nicht zu den Vorwürfen äußern wolle.

Man wolle zunächst die Entscheidung über die Besetzungsrüge abwarten. Im Vorfeld der Verhandlung gab er Medienvertreter*innen zu verstehen, dass sein Mandant die Tatvorwürfe weiterhin von sich weist. Die Strategie der Verteidigung richte sich auf einen Freispruch aus, denn die Ralf H. belastenden DNA-Spuren seien lediglich Indizien, die nicht beweisen könnten, dass der Angeklagte die damals 16-jährige Nicole-Denise Schalla auch tatsächlich ermordet habe.

DNA-Spuren sind für die Verteidigung nur Indizien, keine stichhaltigen Beweise

Letzten Endes läge es aber auch nicht an der Verteidigung, die Unschuld des Mandanten zu beweisen, sondern es sei Aufgabe des Gerichts, ihn zweifelsfrei als Täter zu überführen. In der Tat waren die Ermittler der Polizei Ralf H. aufgrund einer einzelnen Hautschuppe, die am Körper des ermordeten Mädchens sichergestellt wurde, auf die Spur gekommen.

Anwalt Dr. Udo Vetter umringt von Medienvertreter*innen vor Prozessbeginn.

Dies ereignete sich 2018 bei der routinemäßigen Überprüfung alter Spurenträger durch die beteiligten Kripobeamten und führte zur umgehenden Festnahme des Angeklagten. Für Dr. Vetter ist dieses Indiz zu dünn, das DNA-Material nahezu 30 Jahre alt und die damaligen Asservierungs- und Untersuchungsmethoden seien aus heutiger Sicht obsolet. 

Auch wenn im Laufe des ersten Prozesses weitere Indizien wie ein am Tatort gefundenes Haar, das theoretisch von Ralf H. stammen könnte, den Tatverdacht weiter verdichteten, ließen Ende letzten Jahres das Auftauchen von insgesamt 18 Einzelhaaren vom Tatort, die nie untersucht worden waren, doch wieder Zweifel aufkommen. Die Ergebnisse der Untersuchungen dieser 18 Asservate stehen noch aus.

Weiter ließ sich die Verteidigung jedoch am ersten Verhandlungstag noch nicht in die Karten schauen. Ihre Besetzungsrüge richtet sich in erster Linie gegen die Auswechslung des Vorsitzenden Richters (aus gesundheitlichen Gründen). „Die hiesige Kammer wird jetzt prüfen, ob sie den erhobenen Einwand für begründet hält oder nicht. Soweit sie ihn für begründet hält, stellt sie dann fest, dass sie nicht vorschriftsgemäß besetzt ist. Hält die Kammer den Einwand jedoch für nicht begründet, so ist der Besetzungseinwand dem OLG vorzulegen“, erläutert die Pressesprecherin des Landgerichts Dortmund, Nesrin Öcal, den Sachverhalt. Über die Entscheidung der Kammer soll in den kommenden Tagen informiert werden.

UPDATE:

Auf Nachfrage teilt das Landgericht Dortmund mit, dass die zuständige Kammer den erhobenen Besetzungseinwand für nicht begründet hält. Das Gericht legt die Akten nunmehr dem Oberlandesgericht Hamm zur Entscheidung vor.

UPDATE II:

Auch das Oberlandesgericht Hamm hält den Besetzungseinwand der Verteidigung des Angeklagten aufgrund der Auswechslung des Vorsitzenden Richters für unbegründet. Der Prozess kann somit am Montag, den 24. August, fortgesetzt werden.

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