Die Eröffnung des Prozesses gegen den 28-jährigen Dortmunder Neonazi Steven F. hat für Trubel im Amtsgericht Dortmund gesorgt. Und zugegeben: es konnte einem schon mulmig werden, wenn man sich als neutraler Beobachter dem Saal 1.101 vor Prozessbeginn näherte. Denn neben diversen JournalistInnen und interessierten BürgerInnen, hatte sich auch eine Gruppe von etwa 20 Rechtsextremisten zur Unterstützung des Angeklagten im Gericht eingefunden. So war es eigentlich auch nicht wirklich verwunderlich, dass einer der Hauptzeugen aus Angst nicht vor Gericht erschien. Und das, obwohl er weiß, dass er hierdurch mit rechtlichen Konsequenzen zu rechnen hat.
Klima der Angst geschaffen – Insgesamt sechs Anklagen, welche sich durch das gesamte Strafgesetzbuch ziehen
Schon vor Prozessbeginn kam es zu Tumulten zwischen Rechtsextremisten, Prozessbeobachtern und den Justizbeamten, was zur Folge hatte, dass eine Person aus dem rechten Spektrum noch vor Betreten des Gerichtssaales aus dem Justizgebäude „komplimentiert“ wurde.
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Auch während der Verhandlung kam es immer wieder zu verbalen Ausbrüchen aus dem überwiegend rechtsextremen Publikum, letztendlich griffen die Justizbeamten nach mehrmaliger Ermahnung erneut durch und mit Verstärkung der eingesetzten Bereitschaftspolizei wurden drei weitere Neonazis des Saales verwiesen.
Der Angeklagte befindet sich seit November 2018 in Untersuchungshaft in der JVA Dortmund, da er u.a. im Dortmunder Stadtteil Marten ein „Klima der Angst“ geschaffen hatte. Insgesamt werden sechs Anklagen vor dem Schöffengericht des Amtsgerichtes Dortmund verhandelt, deren Delikte sich durch das gesamte Strafgesetzbuch ziehen: Raub, Bedrohungen, Beleidigungen, Körperverletzungsdelikte, Nötigungen sowie Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole ( Hitlergruß) und Sozialbetrug. In einem Fall steht die Körperverletzung in Tateinheit mit Raub im Raume, weshalb auch vor dem Schöffengericht verhandelt wird.
Angeklagter räumt Handgemenge ein, bestreitet aber den Tatvorwurf des Raubes
Verhandlungsauftakt war zunächst ein Tatgeschehen, dass sich im August letzten Jahres auf der Bartholomäuskirmes in Lütgendortmund ereignet hat. Der Angeklagte soll mit mehreren Mittätern drei Jugendliche tätlich angegriffen, einem der Opfer mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben und als der Getroffene zu Boden ging, sei er weiter mit Tritten, unter anderem gegen die rechte Kopfseite, traktiert worden. Das Opfer verlor für mehrere Minuten das Bewusstsein und erlitt ein Schädelhirntrauma.
Hinzu kommt der Vorwurf, der Angeklagte habe dann dem Geschädigten im Anschluss sein Smartphone entwendet. Der Angeklagte bezog zu den Vorwürfen dahingehend Stellung, er sei auf dem Weg zur S-Bahn gewesen und habe die drei Jugendlichen dabei beobachten können, wie sie Drogen konsumiert hätten.
Da er in einem der Jugendlichen den Halbbruder seiner Cousine erkannt hatte, habe er eingegriffen, um diesen vom Konsum abzuhalten. Der besagte Verwandte bestätigte dies bei seiner Zeugenvernehmung. Man habe von der Oberfläche des Smartphones Amphetamine (Speed) konsumieren wollen.
Im weiteren Verlauf soll es dann zu einem Handgemenge mit dem Geschädigten gekommen sein sowie zu dem Faustschlag und Tritten, wobei die Gegenseite zuerst zugeschlagen haben soll und der Angeklagte sich lediglich nur verteidigt habe. Den Vorwurf des Raubes des Mobiltelefons bestritt der Angeklagte.
Wer den entscheidenden Schlag ausführte und das Smartphone entwendete, bleibt unklar
Wer aus der Gruppe der Angreifer letztendlich den Schlag ausführte, der den Geschädigten zu Boden schickte und wer das Handy einsteckte, konnte durch die Aussagen vor Gericht zunächst nicht geklärt werden.
Zudem soll der Angeklagte den Hauptgeschädigten im Vorfeld des Handgemenges als „Zigeuner“ beleidigt haben: „Was macht ein Zigeuner wie Du mit einem so teuren Handy?“, soll Steven F. gesagt haben.
Einer seiner Verteidiger, Rechts-Anwalt André Picker, machte in diesem Zusammenhang auf ein Urteil des Oberlandesgerichtes Hamm aufmerksam, dass zu dem Schluss gelangt sei, dass das Wort „Zigeuner“ allerdings keine Beleidigung darstellen würde, sondern lediglich eine „gebräuchliche“ Bezeichnung für eine fremde Bevölkerungsgruppe sei.
Hauptgeschädigter erscheint aus Angst nicht vor Gericht
Der Hauptgeschädigte lies der Vorsitzenden Richterin Elisabeth Hoppen-Wagner telefonisch mitteilen, dass er aus großer Angst nicht als Zeuge nach Dortmund reisen werde; das bestätigte später auch ein Beamter vom Staatsschutz Dortmund, welcher mit dem Geschädigten den Tathergang in seiner damaligen Vernehmung rekonstruierte.
„Der Geschädigte war stark lädiert und sah wirklich sehr schlimm aus. Er habe erst später bemerkt, dass sein Handy verschwunden war, was für mich angesichts seiner Verfassung nicht wirklich verwunderlich war. Außerdem hat er durch das erlittene Schädelhirntrauma keine Erinnerung mehr an das Geschehen“, so der erstaufnehmende Polizeibeamte. Dies wurde auch durch ein ärztliches Gutachten untermauert.
Allerdings bestand Richterin Hoppen-Wagner auf die Anwesenheit des Zeugen vor Gericht, der seit der Tat in einer anderen Stadt wohnt. Zur Not würde sie ihn hierfür gar polizeilich vorführen lassen, dann müsste der Zeuge neben einem Ordnungsgeld damit rechnen, zeitnah vor Verhandlungsbeginn festgenommen und dem Gericht zur Zeugenvernehmung zugeführt zu werden. Eine Entscheidung, die für juristische Laien, vor allem angesichts der bedrückenden Atmosphäre im Gerichtssaal und dem Trauma des Hauptgeschädigten, wohl nur sehr schwer nachzuvollziehen ist.
Zudem versuchten die Verteidiger den Beweiswert der Opferaussagen in Zweifel zu ziehen, indem sie auf die psychische Mitgenommenheit der Zeugen verwiesen, die einer der beiden in seiner Aussage auch selbst thematisiert hatte, indem er berichtete, sich nach dem Vorfall in psychologische Behandlung begeben zu haben.
Beide Zeugen zu diesem Vorfall sollen nach Angaben eines Prozessbeobachters nach der Verhandlung vor dem Gerichtsgebäude psychisch „zusammen gebrochen“ sein, konnten aber durch Gespräche, Hilfsangebote und Wegbegleitung vorerst wieder aufgefangen werden. Das Gericht hofft, den Hauptgeschädigten beim nächsten Verhandlungstermin am 11. April vernehmen zu können.
Bedrohung wiegt für Zeugen wesentlich schwerer als die Beleidigung
Ein weiterer Tathergang wurde während des ersten Prozesstages ausführlicher durchleuchtet: Im Zuge einer Gegendemonstration zu einer Neonazikundgebung im Stadtteil Marten im Oktober letzten Jahres, soll es zu einem Zwischenfall zwischen dem Angeklagten und einem Paar gekommen sein, das an der damaligen BlockaDO-Demo teilgenommen hatte.
Steven F. und weitere Mittäter sollen die beiden bedroht und beleidigt haben. Für den als Zeugen geladenen Lebensgefährten wiegt der Vorwurf der Bedrohung wesentlich schwerer als die Beleidigung, denn dies sei man von derartigen Veranstaltungen gewohnt.
Er schilderte dem Gericht, dass er und seine Frau auf dem Weg zur Bahn gewesen seien, als Steven F. und seine Begleiter sich genähert hätten. Dabei hätte der Angeklagte ihnen unvermittelt zugerufen: „Na, ihr linken Schweine“, woraufhin der Zeuge erwidert habe „Na, Du rechte Sau.“
Bis hierhin habe sich das Pärchen zwar „blöd angemacht, aber noch nicht bedroht gefühlt“ so der Zeuge. Man nehme regelmäßig an Gegenveranstaltungen zur rechten Szene teil, nicht weil man explizit links eingestellt sei, sondern weil es einfach Bürgerpflicht sei, sich gegen hetzerische Ideologien stark zu machen.
Steven F. Soll gedroht haben: „Ich schlage Deine Frau tot.“
Die Situation verschärfte sich allerdings, als der Angeklagte gesagt haben soll: „Ich ficke Deine Frau“ und „Ich schlage Deine Frau tot“. Für die beiden Zeugen, welche in Begleitung der Opferberatung BackUp gekommen sind, eine ernstzunehmende Bedrohung.
Gerade vor dem Hintergrund des 14. Todestages von Thomas Schulz, welcher auf den Tag genau der gestrigen Verhandlung, am 28. März 2005, von dem Neonazi Sven K. in Dortmund erstochen wurde, betonten beide Zeugen mehrfach.
Verteidiger André Picker verwies in dem Zusammenhang mit der Totschlagsdrohung auf ein Urteil des Bundesgerichtshofes aus dem Jahr 1953. Das Urteil besage, dass eine im Affekt ausgesprochene Totschlagsdrohung als Ausdruck des Zorns zu definieren sei und nicht als tatsächlicher Vorsatz.
Der 28-jährige räumt seine Täterschaft in zwei Anklagepunkten ein
Steven F. selbst schwieg zu den Vorwürfen. Räumte aber in anderen Anklagepunkten seine Täterschaft ein. Beim ersten Fall handelt es sich um einen Vorfall, der 2018 in der Gaststätte Gänsemarkt in der Dortmunder Innenstadt stattgefunden hat.
Er soll seinem Opfer unvermittelt einen Faustschlag versetzt haben, wodurch dieses mehrere Zähne verlor. Steven F. sagt aus, er sei beleidigt worden. „Ich wollte den nicht ernsthaft verletzen. In dem Moment war mein Handeln für mich gerechtfertigt. Ich bereue das und es tut mir leid“, so F. Er könne sich sein Verhalten in diesem Fall selber nicht erklären.
Im zweiten Fall handelt es sich um einen Tathergang aus dem Oktober 2018. Auf einer Linie des Nachtexpresses sollen der Angeklagte und weitere Mittäter mehrere Personen beleidigt und tätlich angegriffen haben, des Weiteren sollen der Hitlergruß und Mittelfinger gezeigt worden sein. Als Sicherheitsleute der Gülich-Gruppe die Kontrahenten trennen wollten, seien diese selbst ins Visier der rechtsextremen Schläger geraten und erlitten schwere Prellungen durch mehrfache Tritte und Schläge.
Gericht hat bedrückende Atmosphäre im Gerichtssaal zu verantworten
Auch diese Tat räumte der 28-Jährige ein, wahrscheinlich nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass es von dem Vorfall einen Videomitschnitt gibt. Er gab sich reuig und er sei froh, dass niemand ernsthaft verletzt worden sei. Sein Verhalten sei ihm im Nachhinein regelrecht peinlich und er distanziere sich davon. Er sei stark alkoholisiert gewesen und habe kaum noch eine Erinnerung an den Vorfall.
Bei allen Unschulds- und Reuebekundungen bleibt jedoch ein fader Beigeschmack übrig, nicht zuletzt durch die Anwesenheit seiner „Kameraden“, die seine hetzerische Ideologie untermauern. Versetzt man sich als ZuhörerIn in die Rolle der Zeugen, ist durchaus nachzuvollziehen, dass sie angesichts des Publikums Angst verspüren, den Gerichtssaal zu betreten.
Das Gericht muss diese Vorgehensweise verantworten. Durch die Hinzunahme eines weiteren Anklagepunktes wurden weitere Termine zur Verhandlung festgelegt. Der Prozess wird am 11. April fortgesetzt, auch der Haftbefehl wird weiterhin aufrecht erhalten.
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BlockaDO (Pressemitteilung)
Den Nazis nicht den Gerichtssaal überlassen
Bei einem Prozess am Amtsgericht Dortmund am 28. März haben Neonazis
Zeug*innen und Besucher*innen eingeschüchtert. Thomas Klaßen vom Bündnis
„BlockaDO“ warnt davor, den Neonazis Raum zu geben, und fordert das
Gericht auf, Maßnahmen zu ergreifen, damit die Öffentlichkeit des
Verfahrens gewährleistet bleibt.
„Beim Auftakt des Prozesses gegen Steven F., einen Neonazi aus dem
Umfeld der Partei „Die Rechte“, haben Gesinnungsgenossen des Angeklagten
Besucher*innen auf das Übelste beleidigt und bedroht.“, erklärt Katja
Bender, Sprecherin des Grünen-Kreisverbandes Dortmund. „Solche Szenen
dürfen sich nicht wiederholen“. Dem Angeklagten Neonazi werden
verschiedene Delikte vorgeworfen, u.a. auch Bedrohung. F. sitzt seit
mehreren Monaten in Untersuchungshaft.
Berichten des WDR zufolge war ein Zeuge schon im Vorfeld derart
eingeschüchtert, dass er nicht im Gericht erschien. „Dass die Richterin
in dieser Situation den Neonazis den Raum bietet, diese Einschüchterung
vor und im Gerichtsaal weiterzuführen, beschädigt das Vertrauen in die
Justiz nachhaltig“, so Iris Bernert-Leushacke, Vorstandsmitglied der
Linken NRW.
Thomas Klaßen kündigt an, den Verlauf des Prozesses weiter zu
beobachten. Zum nächsten Prozesstag am 11.04. haben Antifaschist*innen
eine Mahnwache vor dem Gericht angemeldet und rufen dazu auf, als
Zuschauer*in an der Verhandlung teilzunehmen.