„Antisemitismus kann man nicht mit Rassismus bekämpfen“

Nahost-Konflikt: IBB-Tagung vermittelte Wissen und Aufklärung zu den komplexen Hintergründen

Im Rahmen der Tagung des Internationalen Bildungs- und Begegnungswerks in Dortmund berichteten diverse Referent:innen von ihrer wichtigen Aufklärungsarbeit unter anderem an Schulen. Foto: Depositphotos.com

Wie tief der Nahostkonflikt in die deutsche Gesellschaft wirkt, zeigte sich auf der Tagung des Internationalen Bildungs- und Begegnungswerks e.V. im Juli in Dortmund „Kein Raum für Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit! Wie der Nahostkonflikt Rassismus verschärft und was wir dagegen tun können“. 70 Akteure aus der Migrations-, Beratungs- und Bildungsarbeit interessierten sich für Antworten.

Auf welcher Seite stehst du? Generalverdacht mit einer der beiden Parteien zu sympathisieren

Auf den Schulhöfen, im Alltag und in der politischen Bildungsarbeit trennt die Frage „Auf welcher Seite stehst du?“ Menschen in zwei Lager: Jüd:innen und Muslim:innen aller Altersgruppen sehen sich unter Generalverdacht, mit einer der Konfliktparteien zu sympathisieren.

Die Zahl der Straftaten gegen Muslim:innen und Jud:innen ist nach dem 7. Oktober 2023 sprunghaft angestiegen und reicht von Beschimpfungen und Beleidigungen bis hin zu gewaltsamen Übergriffen.

„In den Schulen herrscht derzeit eine pro-palästinensische Sichtweise, die nicht mehr zulässt, dass der 7. Oktober passiert ist mit den schlimmsten Taten“, schilderte Shai Hoffmann, deutsch-jüdischer Sozialunternehmer und Host des Podcasts „Über Israel und Palästina reden“.

Team mit jüdischen und palästinensischen Wurzeln stellt sich den Fragen der Schüler:innen

Gemeinsam mit Jouanna Hassoun, die palästinensische Wurzeln hat, geht er, Enkelkind von Holocaust-Überlebenden, in Schulen, tritt mit Schüler:innen in einen Trialog über den Nahostkonflikt. „Unsere gemeinsame Basis ist, dass wir das Leid des anderen anerkennen.“

Antisemitismus hat vor allem in Bezug auf den Nahostkonflikt massiv zugenommen. Hier werden die Gaskammern in einem KZ mit israelischen Bomben verglichen. Quelle: RIAS Jahresbericht 2023

Die Jugendlichen, denen sie begegnen, seien hoch emotionalisiert. Dazu trägt auch die Berichterstattung auf von Jugendlichen genutzten Social Media-Kanälen bei. „Es gibt viel Unwissen und Gleichsetzungen“, schilderte Hoffmann. Daher hätten die Jugendlichen viele Fragen:

Was genau meint „Staatsräson“? Warum werden trotz Meinungsfreiheit manche Aussagen an die Adresse Israels verboten? Warum ist das Wort „Genozid“ ein schwerer Vorwurf?

Shai Hoffmann: „Man kann nicht Antisemitismus mit Rassismus bekämpfen.“

Wissen und Aufklärung ist nicht nur zu den komplexen Hintergründen des Nahostkonflikts dringend nötig, sondern auch zu gesellschaftlich tief verwurzelten antisemitischen und rassistischen Haltungen. Aktuelle Studien zeigen, dass Muslim:innen überproportional betroffen sind.

Shai Hoffmann und Jouanna Hassoun. Archivfoto: Achim Pohl

Es fehlt an flächendeckenden Fortbildungen zur Sensibilisierung von Lehrpersonal, was die Moderation von Gesprächen über die aktuelle Konfliktsituation in der Schülerschaft zusätzlich erschwert. Und: „Man kann nicht Antisemitismus mit Rassismus bekämpfen“, so Hoffmann.

Mit Jugendlichen arbeiten auch Polina Khubeeva und Iskandar Abdalla vom Projekt „Build Bridges, Not Barriers“ des Berliner Vereins Transaidency. Sie setzen in ihrem Projekt überwiegend biografische Elemente ein, um für die Wirkung von diskriminierenden Äußerungen zu sensibilisieren.

Neben den Referent:innen standen thematische Workshops auf dem Programm

„Die Herkunft und die aktuelle Lebensweise von Betroffenen sind bei rassistischen Beleidigungen ganz egal“, schilderte der gebürtige Ägypter und Islamwissenschaftler Iskandar Abdalla.

Wie tief der Nahostkonflikt in die deutsche Gesellschaft wirkt, zeigte sich auf der Tagung des IBB in Dortmund. Foto: Foto: IBB e.V.

Ergänzend zu den Fachinputs wurden in Workshops Handlungs- und Argumentationsstrategien erarbeitet. Jakob Nikfarjam, Referent für internationales Recht beim DRK-Generalsekretariat in Berlin, beleuchtete auch die völkerrechtliche Situation des Nahostkonflikts.

Als Maßnahme gegen Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit im Alltag helfe manchmal die Frage, welche Bedürfnisse hinter diskriminierenden Äußerungen steckten, lautete der Tipp einer Teilnehmerin. Ängste und Unsicherheiten kämen in Betracht oder auch die Hoffnung, vermeintlich verlorene Kontrolle wiederzuerlangen. „Wenn ich die Motive verstehe, kann ich leichter in einen Dialog kommen.“

Die Fachtagung im Rahmen des Projekts fokusplus wurde aus dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds der EU gefördert. Weitere Informationen finden Interessierte unter www.ibb-d.de und www.fokus-ibb.de.


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