Knöllchen für Obdachlose, keine Einführung eines Kältebusses, überbelegte Unterkünfte, Hartz-IV-Kürzungen fürs Betteln – in den vergangenen Wochen gab es zahlreiche Schlagzeilen rund um das Thema Obdachlosigkeit in Dortmund. Zu einem erklärenden Rundumschlag holte Sozialdezernentin Birgit Zoerner jetzt nach einem gemeinsamen Gespräch der Spitzen der Dortmunder Wohlfahrtsverbände mit dem Verwaltungsvorstand der Stadt Dortmund aus.
Bestandsaufnahme zur Obdachlosenarbeit und Neuausrichtung in Arbeit
Sie erinnerte daran, dass man seit dem Frühjahr 2017 nach einer Bestandsaufnahme sehr intensiv mit allen beteiligten Organisationen an einer Neuausrichtung der Hilfen im Bereich Obdachlose arbeite. Zoerner ärgert sich, dass vor allem Kritik von denen käme, „die sich am Diskussions- und Entwicklungsprozess nicht beteiligt“ hätten.
Äußerungen wie „Ein Wunder, dass noch niemand erfroren ist“, weist sie kategorisch zurück. „Das ist ein Schlag ins Gesicht all derer, die ehren- oder hauptamtlich aktiv sind. Wir sind keine Glücksritter, die das dem Zufall überlassen. Aber wir können niemanden zwingen, in Einrichtungen zu gehen“, stellt die Sozialdezernentin klar. „Eine Zwangseinweisung würde voraussetzen, jemanden zu entmündigen, aber dafür werden sie keinen Richter für finden.“
Sie nahm daher dezidiert zu den Vorwürfen Stellung. Kritik gab es u.a. am Platzangebot für Obdachlose: Ein Ergebnis der Analyse ist der Neubau der Männerübernachtungsstelle an der Unionstraße. Derzeit ist die Einrichtung in die Adlerstraße verlegt, um am selben Ort nach einem Abriss neu bauen zu können.
Schon im Ausweichquartier gibt es genügend Plätze für obdachlose Männer
Schon im Ausweichquartier gibt es deutlich mehr Plätze als in der ursprünglichen Einrichtung. Statt 48 regulären und sieben Notplätzen gibt es hier 70 reguläre und 20 Notschlafstellen. Für den Neubau sind 70 reguläre Plätze sowie eine Erweiterung auf 90 vorgesehen. An der Adlerstraße sind das Sozialamt und der sozialpsychiatrische Dienst der Stadt mit Sprechstunden vor Ort.
„Daher ist der Vorwurf, es gebe zu wenig Plätze, nicht haltbar. Es wurde niemand abgewiesen“, stellt Zoerner klar. Im vergangenen Winter habe man noch auf die für Flüchtlinge gecharterten Schiffe zurückgegriffen. Doch das brauchte man in diesem Jahr nicht, da die Kapazitäten gereicht hätten. Zwischenzeitlich habe man auch Plätze am Ostpark und Grevendiecksfeld zur Verfügung gestellt.
„Neben der Frage der Plätze ging es auch um das Thema, dass man in der Einrichtung beklaut wird – es gibt aber Schließfächer bzw. Spinde vor Ort“, verdeutlicht Zoerner. „Es gibt natürlich auch Konflikte. Aber genau deshalb haben wir ja Betreiber vor Ort, die schlichtend eingreifen können.“
Sie machte deutlich, dass diese Einrichtungen als unterste Stufe auf dem Weg in eigene Wohnungen, betreutes Wohnen etc. gesehen werden müssten. „Wir gucken gemeinsam, welche Hilfe für wen in Frage kommt. Dort, wo es sinnvoll ist, gibt es auch Übergänge in Pflegeheime.“
Die Stadt hat auch das Thema der Hunde von Obdachlosen im Blick
Ebenfalls greift sie den Vorwurf, dass Möglichkeiten für einen Tagesaufenthalt fehlten, auf: Akut habe man auf die Tagesschließung in den Einrichtungen verzichtet, so dass die Obdachlosen den ganzen Tag in den Notschafstellen hätten bleiben können.
Um Tagesangebote zu schaffen, sei man mit den Anbietern und Organisationen im Gespräch. „Es geht nicht um die Frage, etwas Neues zu schaffen, sondern bestehende Angebote auszubauen. Dafür hat der Rat u.a. Geld für das Gast-Haus bewilligt“, erinnert Zoerner.
Das Thema der Hunde habe die Stadt gleichfalls im Blick: Bisher besteht die Möglichkeit, nachts den Hund im Tierschutzzentrum abzugeben – in den Notschlafstellen sind diese nicht erlaubt. „Wir wollen das Thema aber sehr genau beleuchten beim Neubau in der Unionstraße, ob man da Möglichkeiten für Hunde schaffen kann. Da müssen wir uns auch mit dem Tierschutz abstimmen.“
Frauenschlafstellen haben trotz 150 Prozent Auslastung niemanden abgewiesen
Zoerner zur Seite sprang auch Anne Rabenschlag, Chefin des Diakonischen Werkes: „In den Frauenübernachtungsstellen hatten wir 150 Prozent Belegung. Aber wir haben nie jemanden abgewiesen.“ Im vergangenen Jahr hätten 1900 Menschen den Wunsch nach Hilfe geäußert. „Nicht alle leben auf Straßen, aber mitunter in ungesicherten Unterkünften oder Gemeinschaftseinrichtungen“, berichtet Rabenschlag.
„Ich erlebe, dass niemand das Thema nicht ernst nimmt. Doch man kann den Menschen nicht vorschreiben, wie sie leben“, betont sie. Außerdem seien Menschen auf der Straße keine homogene Masse. „Wir machen die Erfahrung, dass einige Menschen die Hilfe nicht wollen, auch wenn man sich wundert“, ergänzt Gunther Niermann, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes.
Damit zielen sie unter anderem auch auf den Vorschlag, einen Kältebus einzurichten, der Obdachlose in kalten Nächten versorgt bzw. auch auf Wunsch zu einer Unterkunft bringt. „Der Kältebus und andere Puzzlestücke werden mitbetrachtet. Sie werden aber immer feststellen, dass ein nicht unerheblicher Teil der Menschen die Angebote nicht wahrnimmt“, so Zoerner.
Thema Kältebus kam im Sozialausschuss nicht auf die Tagesordnung
Im Sozialausschuss hatten Grüne, Linke und Piraten vergeblich versucht, entsprechende Anträge im Zuge der Dringlichkeit auf die Tagesordnung zu setzen. Weniger wegen der fehlenden Dringlichkeit (es ist ja wärmer geworden), wohl aber wegen der Verhinderung von Schnellschüssen ohne fertiges Konzept lehnten SPD und CDU die Aufnahme auf die Tagesordnung ab.
So wurde im Ausschuss trotz der vielen Schlagzeilen nicht diskutiert. Den größten Aufreger – Knöllchen für Obdachlose – ließ Zoerner daher auch nicht unkommentiert: „Wir haben eine Vorschrift zum Lagern und Campieren. Daher ergehen Aufforderungen, die Stellen zu verlassen, zum Beispiel vor einem Kiosk. Ein Knöllchen steht am Ende einer längeren Kette von Verwarnungen. Wir gehen mit Fingerspitzengefühl und Augenmaß vor“, beteuert die Sozialdezernentin.
Selbst Menschen aus Südosteuropa – sie haben keinen Anspruch auf Sozialleistungen und damit auch nicht auf einen Platz in der Notschlafstelle – wären nicht in den kalten Nächten abgewiesen worden. „Wir lassen niemanden beim ersten Besuch vor der Tür stehen.“ Erst am zweiten Tag müsse man eine Lösung finden. Dann werde beispielsweise ein Rückreiseticket ins Heimatland angeboten. „Wir hatten aber keine große Nachfrage. Weniger als zehn Menschen hatten im vergangenen Jahr nachgefragt“, so Zoerner.
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