Wer das LWL-Industriemuseum Zeche Zollern in Dortmund zur Zeit telefonisch oder per Mail erreichen möchte hat schlechte Chancen. Der Grund ist eine Hetzkampagne des AfD-nahen Mediums „Antenne Frei“ und des rechtsextremen Dortmunder Ortsverbands der NPD „Heimat Dortmund“. Diese ruft dazu auf, am Samstag (2. September 2023) den Zutritt zu der Sonderausstellung „Das ist kolonial“ in den „Safer Space“ Zeiten für nicht-weiße Menschen einzufordern. Die Dortmunder Polizei ist informiert.
Rückzugsort für BIPoC in der Sonderausstellung „Das ist kolonial.“
Im März diesen Jahres eröffnete die Sonderausstellung „Das ist kolonial.“ im Dortmunder LWL-Museum Zeche Zollern als Vorläufer des Themenjahres „(Post)Kolonialismus” im Jahr 2024. Im Stadium der Planung entschied sich das Organisationsteam bereits für die Errichtung eines „Safer Spaces“ (Rückzugsort/Schutzraum) für BIPoC-Personen (Selbstbezeichnung von Black, Indigenous, People of Color).
Anschließend entschied sich das Museum dazu, den Wunsch zu äußern, samstags von 10 bis 14 Uhr die Ausstellungsräume BIPoC-Personen zu überlassen.
Erfahrungsgemäß sei das Museum auf eine positive Resonanz weißer Besucher:innen gestoßen, teilt die wissenschaftliche Referentin für Bildung und Vermittlung der Zeche Zollern mit. Außerdem sei diese Entscheidung, die seit Eröffnungsbeginn Anfang März besteht, vorfallsfrei akzeptiert worden.
„Der LWL hat die richtige und wichtige Entscheidung getroffen, nichtweißen Menschen einen Safe Space einzurichten, in dem sie sich über das hochsensible Thema (Post)Kolonialismus austauschen können, ohne dabei durch Diskriminierungserfahrungen eingeschränkt zu werden, denen sie sich im Alltag nicht ohne weiteres entziehen können“, bewertet Hannah Rosenbaum, Sprecherin der Dortmunder GRÜNEN, die Schaffung von „Safer Spaces“ zum Besuch der Ausstellungswerkstatt „Das ist kolonial.” in der Zeche-Zollern.
Video des AfD-nahen Mediums „Antenne-Frei“ entfachte massive Anfeindungen
Nachdem zuerst das Nachrichtenportal „Nius“ um Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt auf den „Safer Space“ der Sonderausstellung aufmerksam machte, griff auch das lokale AfD-nahe Medium „Antenne Frei“ das Thema auf. So kursiert ein Video des Mediums im Netz, wo zu sehen ist, wie die Reporter:innen das LWL-Museum Zeche-Zollern besuchen und anwesende Mitarbeiter:innen mit dem Vorwurf des „Rassismus gegen weiße Menschen“ konfrontieren.
Das Museum gibt an, „Antenne Frei“ habe die Mitarbeitenden ohne Einverständnis gefilmt und die Videoaufnahmen identifizierend veröffentlicht. Das Medium äußerte sich bis Redaktionsschluss nicht zu der Sachlage.
Als Reaktion auf das Video gehen seither unzählige Schmäh-E-Mails mit Hassbotschaften bei dem Museum ein. Anrufe von unbekannten Telefonnummern beantwortet das Museum daher zur Zeit nicht.
Inhaber des Mediums „Antenne Frei“ ist der Dortmunder AfD-Politiker Wolfgang Seitz. „Echte Nachrichten“ seien der Anspruch des Alternativ-Mediums, informiert „Antenne-Frei“ auf der Internet-Website. Allerdings sah sich das Medium in der Vergangenheit bereits mit dem Vorwurf der Fake-News und der Nähe zu rechten Standpunkten konfrontiert. Museumsleiterin Dr. Anne Kugler-Mühlhofer wünscht sich einen differenzierteren Blick auf das Rückzugsangebot für BIPoC-Menschen und eine seriöse Berichterstattung.
Neonazis rufen zum Besuch der Ausstellung während der „Safer-Space“ Zeiten auf
Nachdem das Video zu Beginn der Woche bereits auf dem Telegram-Kanal des rechtsextremen Dortmunder Ortsverbands der NPD „Heimat Dortmund“ gepostet wurde, folgte eine Plakataktion mutmaßlicher Rechtsextremer am Donnerstagmorgen. Dabei klebten Unbekannte Plakate an das Eingangstor des Museum mit der Aufschrift „Weiße sind hier unerwünscht“.
In dem „Heimat Dortmund“-Chat auf Telegram informieren die Rechtsextremen zudem darüber, dass in dem LWL Museum Zeche-Zollern ein „offener Rassismus gegen Weiße“ gepflegt würde – auch von Apartheid ist die Rede – und sich die Kolonialzeit positiv auf die Lebensverhältnisse der dortigen Bevölkerung ausgewirkt habe.
„Kaputtregiert“ hätte die indigene Bevölkerung selbst den Kontinent nach Ende der Kolonialzeit. „Heimat Dortmund“ verweist dabei in Bezug auf die zugrunde liegenden Fakten auf eine Ausgabe des rechtsextremen Compact-Magazins.
Zuletzt riefen die Rechtsextremen nun dazu auf, die Regelungen des Museum „am Sonnabend“ (2. September) auf die Probe zu stellen. „Das Museum ist gut aufgestellt“, teilt die wissenschaftliche Referentin für Bildung und Vermittlung der Zeche Zollern mit. Auch die Dortmunder Polizei bestätigte auf Anfrage, mit Einsatzkräften vor Ort zu sein.
Bezirksbügermeisterin der Innenstadt-Nord Hannah Rosenbaum steht hinter dem Museum
Während weiße Menschen sich keine Gedanken über rassistische Diskriminierung machen müssten, seien geschützte Räume für BIPoC-Personen im Alltag selten vorhanden, so der Kreisverband Dortmund der Grünen. „Daher sollten unter anderem Museen ihre Möglichkeiten nutzen, sichere Räume zu schaffen, insbesondere bei sensiblen Themen. Die Zeche Zollern geht hier mit gutem Beispiel voran”, erklärt Hannah Rosenbaum, Bezirksbürgermeisterin der Innenstadt-Nord und Kreissprecherin der Grünen.
Sie findet es wichtig, Menschen einen geschützten Raum zu geben, die durch ihre familiäre Vergangenheit einen direkten Bezug zum Thema hätten oder damit eigene Diskriminierungserfahrungen verbinden würden, so Rosenbaum. In Bezug auf den Vorwurf des „Rassismus gegen Weiße“ kritisieren die Dortmunder Grünen, dass diese Positionen daher zeugte, dass weiße Privilegien viel zu häufig nicht erkannt und hinterfragt würden.
„Die Dortmunder GRÜNEN verurteilen jegliche Anfeindungen gegenüber dem LWL, den Mitarbeitenden des Museum Zeche Zollern und den Besuchenden auf das Schärfste. Der LWL kann sich unserer politischen Unterstützung sicher sein. Wir ermutigen alle Entscheidungsträger*innen, sich nicht durch rechtes Gedankengut einschüchtern zu lassen. Wir stehen an eurer Seite”, so Hannah Rosenbaum abschließend.
„Rassismus gegen weiße Menschen“: Was ist das?
Auf die Frage, ob es Rassismus gegen weiße Menschen gibt, Bedarf es Kontext und präziser Begriffserklärungen. Wen definieren wir als „weiß“ und was ist eigentlich „Rassismus“? Das Magazin Quarks informiert auf seiner Website ausgiebig zu dem Thema und beruft sich auf die Definition des Begriffs von Philomena Essed.
Rassismus ist „eine Ideologie, eine Struktur und ein Prozess, mittels derer bestimmte Gruppierungen auf der Grundlage tatsächlicher oder zugeschriebener biologischer oder kultureller Eigenschaften als wesensmäßig andersgeartete und minderwertige „Rassen“ oder ethnische Gruppen angesehen werden. In der Folge dienen diese Unterschiede als Erklärung dafür, dass Mitglieder dieser Gruppierungen vom Zugang zu materiellen und nicht-materiellen Ressourcen ausgeschlossen werden.“ – Philomena Essed
Aus der Definition resultiere, dass nicht jede Ungleichbehandlung rassistisch sei, denn sie setzte voraus, dass die geschädigte Gruppierung als minderwertige „Rasse“ oder ethnische Gruppe eingestuft werde, so Quarks.
Der Begriff „weiß“ werde in der Rassismusforschung nicht bloß als Hautfarbe gelesen und meine somit nicht alle Menschen heller Haut, sondern beschreibe viel mehr eine soziale Kategorie, beziehungsweise eine gesellschaftliche Positionierung. Daraus folge, dass mit „weiß“ in Deutschland die Mehrheit an Menschen gemeint sei, die keiner rassistischen Diskriminierung ausgesetzt sind, heißt es weiter.
Quarks beruft sich dabei auf ein Zitat des Dortmunder Soziologen Aladin El-Mafaalani, der „Rassismus gegen weiße Menschen“ in Europa wie folgt einschätzt: „Hier (und in anderen Teilen Europas) müsste man sagen: ‚Menschen mit Wurzeln in Ost- oder Südeuropa erleben Rassismus, aber nicht weil, sondern obwohl sie weiß sind.“
Hier geht es zu dem ausführlichen Bericht von Quarks: https://www.quarks.de/gesellschaft/gibt-es-rassismus-gegen-weisse/#Rassismus6
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Reader Comments
Thomas Oppermann
„„Kaputtregiert“ hätte die indigene Bevölkerung selbst den Kontinent nach Ende der Kolonialzeit. „Heimat Dortmund“ verweist dabei in Bezug auf die zugrunde liegenden Fakten auf eine Ausgabe des rechtsextremen Compact-Magazins.“ Wohl eine etwas unglückliche Formulierung Fakten und Compact Magazin.
Die GrüneJugend und die JUSOS verurteilen die „#Hetzkampagne“ gegen die LWL-Ausstellung „Das ist kolonial“ auf der Zeche Zollern in Dortmund scharf (PM)
Wir sind zutiefst schockiert über die aktuellen Entwicklungen im Falle der LWL-Ausstellung „Das ist kolonial“ in der Zeche Zollern. Jeden Samstag von 10-14 Uhr bittet das Museum die Besucher*innen um Rücksicht, um BIPoC-Personen (Black, Indigenous, People of Colour) in sogenannten Safer Spaces die Möglichkeit zu geben, sich vor Diskriminierung zu schützen. Für viele bedeutet das ein sicheres Umfeld mit Raum für offenen Austausch, ohne kritische oder abwertende Blicke weißer Menschen. Im Zuge dessen kam es zu einer rechtsextremen Hetzkampagne gegen das Museum, wobei auch Mitarbeiter*innen bedroht wurden.
In einigen Medien wurde fälschlicherweise berichtet, die Ausstellung sei nur für BIPoC-Personen geöffnet. Das ist nicht nur falsch und journalistisch unsauber, sondern auch unsensibel. Wir haben eine Verantwortung für unsere Geschichte, dazu gehört auch die Aufarbeitung der Gräueltaten in deutschen Kolonien.
Umso betroffener macht es uns, dass neben der AfD und anderen rechtsextremen Kleinparteien auch die Jugendorganisation der CDU, die Junge Union, auf den Zug dieser Hetzkampagne aufgesprungen ist.
„Diese von Rechtsextremist*innen initiierte Kampagne schadet nicht nur unserer Demokratie, sondern verharmlost auch die unzähligen Verbrechen der Kolonialzeit. Besonders für die Junge Union, von denen man eigentlich noch ein Hauch geschichtlicher Sensibilität erwarten könnte, ist es ein Armutszeugnis. Die Verzweiflung ist dem Anschein nach mittlerweile so groß, dass die Brandmauer nach Rechtsaußen immer weiter schwindet“ sagt Julius Obhues, Sprecher der GRÜNEN JUGEND Dortmund.
Berk Eraslan, Mitglied des Landesvorstands der NRWJusos und stellv. Vorsitzender der Jusos Dortmund, sagt dazu: „Das LWL-Museum leistet unverzichtbare Arbeit dabei, den Kolonialismus für die gesamte Breite unserer so vielfältigen Bevölkerung verständlich und greifbar zu machen.
Die im Museum ausgestellten Artefakte können auf BIPoC (Black, Indigineous, People of Color) potenziell traumatisierend wirken. Ein möglichst sensibler Umgang mit diesen historischen Gegebenheiten ist erforderlich, Safer Spaces sind dafür eine großartige Möglichkeit. Diese bieten nämlich einen vergleichsweise sicheren Raum vor diskriminierenden und unsensiblen Kommentaren.“