Männlich, Migrant, Homosexuell: Forschung über das Leben türkischstämmiger Homosexueller in Deutschland

Foto v.r.n.l.: Prof. Dr. Ahmet Toprak, Ina Spanier-Oppermann, queerpolitische Sprecherin SPD-Landtagsfraktion, Moderator Frank Siekmann, Schirmherr SPD-MdL Guntram Schneider und Tayfun, einziger Diskussionsteilnehmer mit Migrationshintergrund. Foto: Joachim vom Brocke
(v.r.n.l:.) Prof. Dr. Ahmet Toprak, Ina Spanier-Oppermann,  Frank Siekmann, Guntram Schneider und Diskussionsteilnehmer Tayfun. Foto: Joachim vom Brocke

Von Mariana Bittermann

Wie ist es, in Deutschland als männlicher, schwuler, türkischer Migrant zu leben? Mit diesem wenig erforschten Thema beschäftigt sich Prof. Dr. Ahmet Toprak, Dekan der Erziehungswissenschaften an der Fachschule Dortmund. Erste, vorläufige Forschungsergebnisse präsentierte er bei der AWO Dortmund.

Für seine Studie interviewte Prof. Dr. Toprak 22 homosexuelle türkische Migranten der zweiten und dritten Generation. Anhand der gesammelten Daten machte er vier unterschiedliche Kategorien aus, die er vorläufig „Machos“, „Verkappte“, „Spätzünder“ und „Offene“ taufte.

Der „Macho“ hält an traditionellen Rollenvorstellungen fest

Der sogenannte „Macho“ hat im Durchschnitt das geringste Bildungs- und Sprachniveau von allen Gruppen.

Er zeichnet sich vor allem durch sein starres Festhalten an traditionellen Rollenvorstellung aus. Der Mann gilt als der Verantwortliche für Frau und Kind und Homosexualität wird verurteilt. Eigener homosexueller Geschlechtsverkehr wird nicht als „schwul“ angesehen, da der „Macho“ nur den aktiven Part übernimmt.

„Wissenschaftlich gesehen ist ihr Sexualverhalten als bisexuell einzustufen, da sie auch mit ihrer Frau Geschlechtsverkehr haben“, erklärt Prof. Dr. Toprak. „Aber ich glaube, wenn sie wüssten, dass ich sie so einstufe, würden sie mich wahrscheinlich verprügeln wollen“.

Viele schwule Türkeistämmige führen ein Doppelleben

Anders sieht es bei den „Verkappten“ aus. Die „Verkappten“ führen ein Doppelleben, um die bürgerliche Fassade aufrechtzuerhalten.

„Ich weiß, es ist blöd, was ich mache. Aber ich habe nun mal zwei Leben. Tagsüber gehe ich arbeiten, verdiene meine Brötchen für mich und meine Familie. Ich führe ein ganz normales türkisches Leben.[…]  Aber am Abend – aber nicht immer – lebe ich ein ganz anderes Leben. Ich habe keinen festen Freund. Das ist auch gut so. Sonst wird es ja kompliziert“, erzählte  Kerim, 36 Jahre alt und Vater von drei Kindern, im Interview.

Einige der „Verkappten“ wurden von ihren Eltern zwangsverheiratet. Diese hofften damit, ihre Söhne zu „heilen“.  Die größte Angst der „Verkappten“ ist, dass ihr Doppelleben auffliegt und sie mit sozialer Ächtung bestraft werden.

Der Stress des Doppellebens wird oft zu viel

Als „Spätzünder“ werden all jene bezeichnet, die das Doppelleben aufgegeben haben, und sich gegen das bürgerliche Leben mit Frau und Kindern entschieden haben.

Okan ist einer von ihnen. Nach fünf Jahren Ehe ließ er sich von seiner Frau scheiden und gab das Doppelleben auf, denn „das habe ich auf Dauer nicht ausgehalten. Es war reiner Stress und Folter.

Das geht auf Dauer nicht gut. Diese Männer, die das so weiter machen, haben irgendwann einen psychischen Knacks. Für mich war es wichtig, dass ich mich selbst oute, bevor ich erwischt werde.“

Einige der Spätzünder erzählten aber auch, dass sie es irgendwann darauf ausgelegt haben, erwischt zu werden, so zum Beispiel Burak. „Irgendwann war ich nicht mehr vorsichtig.“, erklärte er im Interview.

„Ich war zu feige, um meiner Frau und anderen Verwandten zu sagen, dass ich schwul bin. Obwohl ich unvorsichtig war, ist das niemanden aufgefallen. Als ich mich dann geoutet habe, waren alle schockiert.“

Die „Offenen“ haben einen reflektierten Umgang mit Geschlechterrollen

Die vierte Kategorie ist der „Offene“. Er hat im Durchschnitt den höchsten Bildungsabschluss und den differenziertesten Sprachgebrauch. Mit Geschlechterrollen und dem Thema Sexualität gehen die „Offenen“ sehr reflektiert um.

Aber das Coming-Out ist für viele trotzdem ein langer und schwieriger Prozess. Viele von ihnen leben in anderen Städten und werden von ihrer Familie gemieden.

Soziales Umfeld erschwert oft Coming-Out

Zum Schluss zieht Prof. Dr. Toprak das Resümee, dass der Umgang mit der eigenen Homosexualität für viele türkische Migranten vor allem durch das soziale Umfeld erschwert wird.

Streit, Gewalt, Ausgrenzung oder Zwangsverheiratung ist häufig eine folge des Coming-Outs. Aus diesen Gründen ziehen es viele vor, ein Doppelleben mit Frau und Kind zu führen.

Mehr zu diesem Thema kann man voraussichtlich ab Frühjahr 2017 lesen. Für diesen Zeitpunkts ist die Veröffentlichung des Buches über die endgültigen Forschungsergebnisse geplant.

Terminhinweis:

  • SLADO e.V., der Dachverband der Schwulen-, Lesben-, Bisexuellen- und Transidentenvereine und -initiativen in Dortmund, plant ein gemütliches Zusammentreffen für queere Migranten.
  • Die Veranstaltung findet am 12. Dezember von 17 bis 20 Uhr im Café Plus, Gnadenort 3-5 in 44137 Dortmund statt.

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