Landesstipendien für Medienkunst: Die Verbindung von Mensch und Architektur und das Denken durch Klang

Trotz der Coronakrise konnten die Stipendien für Medienkunst auch 2020 wie geplant vergeben werden. Sie werden vom Büro medienwerk.nrw, angesiedelt beim HMKV im Dortmunder U betreut. Foto: Dortmunder U/Archiv

Die Stipendien des Landes Nordrhein-Westfalen für Medienkünstlerinnen gehen für die Jahre 2020 und 2021 an Julia Weißenberg (*1982, Bergisch Gladbach) und Sophia Bauer (*1987, Ebersberg). Die Mitglieder der dreiköpfigen Jury waren Heike Ander, Kulturwissenschaftlerin und Kuratorin an der Kunsthochschule für Medien in Köln, Tasja Langenbach, Kuratorin und künstlerische Leiterin der Videonale in Bonn und Nico Joana Weber, Künstlerin und NRW-Medienkunst-Stipendiatin 2018. Die Jury hat die Stipendiatinnen aus 62 Bewerbungen ausgewählt. Die beiden Stipendien werden vom Büro medienwerk.nrw (angesiedelt beim Hartware MedienKunstVerein) in Dortmund betreut.

Was verbirgt sich hinter dem Schein der äußeren Form?

Julia Weißenberg (*1982 in Bergisch Gladbach) hat an der FH Düsseldorf sowie der Kunsthochschule für Medien Köln studiert und dort 2012 ihr Studium abgeschlossen. Welche Erzählungen liegen unter den Oberflächen von Architekturen, Objekten, Produkten, die uns tagtäglich umgeben? Welche Geschichten sind darin verwoben? Welche Politiken des gesellschaftlichen globalen Miteinanders verbergen sich hinter dem Schein des Äußerlichen? ___STEADY_PAYWALL___

Im Juryurteil heißt es, Julia Weißenberg erforsche diese Politiken in ihren Werken mit unterschiedlichsten Medien und Formaten und lege sie offen. Es seien die Geschichten von Rohstoffen, die wir in Form von Kleidung oder technischem Gerät tagtäglich am Körper tragen und die, in ihrer Reinform betrachtet, globale Abhängigkeitsverhältnisse und Handelswege offenbaren würden.

Es seien die Erzählungen von Marken und Produkten, die sich als unsichtbare Schichten über unsere Wahrnehmung und unsere Körper legen. Und es seien die Architekturen, die in ihrer Verortung in Raum und Zeit Utopien und Weltsichten manifest werden lassen würden. Julia Weißenberg breche diese Oberflächen mit gezielten Interventionen auf und lade die Menschen dazu ein, genauer hinzusehen.

Zeitgenössische Architektur als Spiegel gesellschaftlicher Gegebenheiten

Auch in ihrem Projekt „The Habitat“, mit dem sich Julia Weißenberg auf das Stipendium für Medienkünstlerinnen beworben hat, blicke die Künstlerin hinter die Kulissen zeitgenössischer Architekturen und frage danach, wie sich verschiedene Formen von Arbeit in den Formen unseres Wohnens spiegeln.

Mit ihrem Projekt „The Habitat“ konnte Julia Weißenberg das Stipendium für das Jahr 2020 gwinnen. Foto: Julia Weißenberg

Konkret vergleiche sie hier die Lebensräume der „digitalen Nomaden“ mit denen chinesischer Wanderarbeiter in sogenannten „Urban Villages“. Während erstere ihren Wohnort selbst nach eigengesetzten Kriterien bestimmen und das Leben aus dem Koffer als den Luxus der Freiheit eines westlichen Lebensstils begreifen würden, seien die anderen Spielball übergeordneter Machtverhältnisse und zu einem Leben und Wohnen in einem dauerhaft temporären Zustand zwischen Abriss und Neuanfang verdammt. 

Wie lässt sich unter diesen jeweiligen Verhältnissen und in den dafür vorgesehenen Architekturen ein Gefühl von Geborgenheit, Sicherheit und Identität herstellen, und welche Verbindung müssen unsere menschlichen Körper hierfür mit den architektonischen Körpern eingehen? Welche Bedeutung haben diese Kategorien überhaupt noch für ein modernes Nomadentum? Und gibt es ein Recht auf so etwas wie Heimat? 

Die Jurymitglieder freuen sich, mit dem Stipendium für Medienkünstlerinnen des Landes NRW Julia Weißenberg dabei unterstützen zu können, dieses Projekt umzusetzen, und sind gespannt auf die neuen Lesarten, die sie dadurch eröffnen wird.

Das Denken durch Klang: Klang als historisches Dokument und Ressource 

Sophia Bauer (*1987 in Ebersberg) arbeitet in ihren installativ-multimedialen Werken vorrangig mit Klang, Video und Fotografie. Sie hat Afrikanische Sprachen, Literatur und Kunst an der Universität Bayreuth studiert und 2019 ihr Studium der Medialen Künste an der Kunsthochschule für Medien Köln abgeschlossen. 

Klangforscherin Sophia Bauer ist Stipendiantin im nächsten Jahr . Foto: Sam Hopkins

Im Zentrum von Sophia Bauers künstlerischer Praxis stehe  laut Jury die Auseinandersetzung mit Klang als historischem Dokument und Ressource für neue Formen der Wissensproduktion: „Das Denken durch Klang als einem Netzwerk von Verbindung und Zugehörigkeit hilft uns, Strukturen von Ausgrenzung in Frage zu stellen“, so die Künstlerin. 

Dabei verstehe sie Sound „als ein Medium, das die Kernideen der Trennungskonzepte des europäischen Imperialismus und Kolonialismus“ kritisch beleuchten kann. In ihren Werken – zuletzt vorwiegend Klanginstallationen und Sound-Archive – befrage Sophia Bauer die tradierten hierarchischen Strukturen eines asymmetrischen Machtverhältnisses zwischen Mensch und Natur. 

Mithilfe von Soundaufnahmen würden die Nachwirkungen kolonialer Strukturen, wie sie sich beispielsweise in den biosozialen (Kommunikations-)Netzwerken von domestizierten Wäldern manifestieren, aufgespürt und offengelegt, um durch eine Rekontextualisierung alternative Zusammenhänge zu schaffen und neue Erkenntnisse für postkoloniale Diskurse zu gewinnen.

Völlig neue Erfahrung von Naturräumen und Kulturlandschaften

In ihrem mehrteiligen Werkkomplex „Forest Scapes“ (seit 2019) erforscht Sophia Bauer den Einfluss des – in die botanische und zoologische Taxonomie eingeschriebenen – Kolonialismus auf verschiedene Waldlandschaften. Anknüpfend an ihre Klanginstallation „Kereita Forest Block“ über eine Zypressenplantage im kenianischen Hochland, plant die Künstlerin nun im Rahmen des NRW Stipendiums für Medienkünstlerinnen eine umfassende Klangstudie über den „Arabuko Sokoke Forest“, einem der letzten noch weitgehend intakten trockenen Küstenwälder Ostafrikas mit einer Fläche von 420 Quadratkilometer. 

Im Mittelpunkt von Sophia Bauers akustischer Aufarbeitung steht ein Neudenken des Beziehungsgeflechts zwischen Bewohner*innen, Nutzer*innen, Orten und Pflanzen. Das künstlerische Ausgangsmaterial reicht dabei von aus der Kolonialzeit stammenden Berichten aus dem National Archive of Kenya über Interviews bis hin zu mit hochsensiblen Kontaktmikrofonen aufgezeichneten Klängen von Bäumen, Vögeln und Insekten. 

Aus diesem Repertoire programmiere Sophia Bauer eine Sound-Komposition, die auf Grundlage von akustischen Merkmalen zu einem sich stetig verändernden Klanggeflecht arrangiert und in eine räumliche Installation gebracht werde. Sophia Bauer habe die Jury mit ihrer Klangstudie „Forest Scapes: Arabuko Sokoke Forest“ überzeugt, die verspeche eine komplexe, tiefgehende und politische Erfahrung von Naturräumen und Kulturlandschaften zu ermöglichen.

 

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Weitere Informationen:

Das medienwerk.nrw ist das Netzwerk für Medienkunst in Nordrhein-Westfalen. Ziel des medienwerk.nrw ist die Förderung der Medienkunst in NRW und des Austauschs zwischen Künstler*innen und Institutionen aus den Bereichen Forschung, Lehre, Produktion, Präsentation, Archivierung und Vermittlung im Kontext Medienkunst.

Seit September 2013 wird das Netzwerk vom Büro des medienwerk.nrw unterstützt, das beim Hartware MedienKunstVerein (Dortmund) angesiedelt ist. Das Büro veranstaltet Workshops für junge Medienkünstler*innen, Netzwerkveranstaltungen und internationale Konferenzen zu aktuellen Themen und ästhetischen wie gesellschaftlichen Fragen der Medienkunst und digitalen Kultur an verschiedenen Orten in NRW. 

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