Das Nachtleben ist aufgrund der Coronakrise nicht nur in Dortmund größtenteils zum Erliegen gekommen, vielerorts kämpfen Gastronom*innen und Clubbetreiber*innen um die schiere Existenz. Auch die allmählichen Lockerungen der Infektionsschutzauflagen können die Verluste der letzten Monate nicht kompensieren, staatliche Hilfen greifen an vielen Stellen nicht weit genug und Clubs und Diskotheken bleiben weiterhin geschlossen oder können nur sehr eingeschränkt den Betrieb wieder aufnehmen. Aus diesem Grund wollten Menschen aus der Club- und Gastroszene in Dortmund den OB-Kandidat*innen zur Kommunalwahl auf den Zahn fühlen. „Könnt Ihr Nightlife?“ lautete die simple Frage, mit der sie Dr. Andreas Hollstein (CDU), Thomas Westphal (SPD), Daniela Schneckenburger (B90/Die Grünen), Michael Kauch (FDP) und Utz Kowalewski (Die Linke) zu einer Podiumsdiskussion in die Nightrooms Dortmund eingeladen hatten.
Dortmund hat Nightlife-Potential – es fehlt an Vernetzung und Unterstützung
Sowohl Politiker*innen als auch Gastronm*innen und Clubbetreiber*innen sind sich einig. Die Großstadt Dortmund hat Nightlife-Potential, allerdings wird dies nicht zur Genüge ausgeschöpft. Es fehlt an Vernetzung und Unterstützung. ___STEADY_PAYWALL___
Der Verein Ausgehen in Dortmund, die Gastro-Initiative Dortmund, die Interessengemeinschaft Dortmunder Club- und Konzertkultur und der Schaustellerverein Rote Erde, wollten zur Kommunalwahl von den Dortmunder OB-Kandidat*innen erfahren, welche Pläne sie zur Reanimierung und zur Attraktivierung des Nachtlebens in Dortmund haben.
Die Veranstaltung startete mit einer zehn Fragen umfassenden Ja oder Nein Runde. Moderator Stefan Hoffmann, über lange Jahre hinweg selbst als DJ in verschiedenen Dortmunder Nachtclubs aktiv, betonte, dass die formulierten Fragen gemeinsam mit Betreiber*innen und Angestellten aus der Dortmunder Nightlife-Szene ausgearbeitet worden waren. Anschließend hatten die Kandidat*innen jeweils drei Minuten Zeit, ihre Vision für ein zukünftig besseres und optimiertes Nachtleben in Dortmund zu präsentieren.
Eine Vision für das Dortmunder Nachtleben in jeweils drei Minuten
Utz Kowalewski von den Dortmunder Linken empfindet die Innenstadt nachts viel zu ruhig. Es sei vielerorts in der Stadt ein Abwandern des Einzelhandels aufgrund veränderten Nutzerverhaltens zu beobachten. Hierdurch würden jedoch auch wieder „Möglichkeitsräume“ frei, um in der Innenstadt etwas Neues zu etablieren.
„Der Wallring ist nunmal das Zentrum von Dortmund. Ich könnte mir vorstellen, dass wir dort dann tatsächlich so etwas haben wie beispielsweise Bochum mit dem Bermudadreieck oder wie wir es mit dem Ostwall-Viertel auch mal hatten“, so Kowalewski. Es ginge im Wallbereich darum, nicht nur die Ansiedlung billiger Ramsch-Läden zu dulden und zu tolerieren, wie es derzeit beispielsweise auf dem Ostenhellweg geschehe, sondern ihm schwebe vor, unterstützt durch städtische Förderung, bestimmte Szenelokale zu etablieren.
Der LGBTQ-Gemeinde in Dortmund fehle zum Beispiel ein Szenetreff. Auch spezielle Angebote für Migrant*innen seien denkbar und wünschenswert. „Wir brauchen in Dortmund Angebote, die zum Teil auch von der Stadt gefördert werden müssten. Es geht darum, Anreize und Angebote für die Unternehmer*innen zu schaffen.“
Nachtbürgermeister als Koordinator im Dortmunder Nightlife?
Dortmund braucht ein pulsierendes Nachtleben, unter anderem um junge Menschen auch nach ihrem Studium in der Stadt zu behalten, meint CDU-OB-Kandidat Andreas Hollstein. Hierfür sei es nötig, bereits bestehende Angebote in Clustern zu bündeln und diese dann untereinander zu vernetzen. Hier sei zum Beispiel die Entwicklung einer Smartphone-App denkbar, damit auch ortsfremde Personen sich schnell einen Überblick über das Nachtleben in Dortmund verschaffen könnten.
„Nightlife ist für mich aber auch nicht nur die Location, in der das Nachtleben dann stattfindet, sondern auch die Events, die Dortmund noch verstärken kann und verstärken muss“, so Hollstein. Wichtig ist ihm bei allen Überlegungen, die Betreiber*innen und Gastronom*innen teilhaben zu lassen. Politik und Verwaltung könnten nicht definieren, was die Nightlife-Szene braucht. Alles müsste partizipativ geschehen. Durch Corona sei eine neue Situation entstanden und man müsse bestehende Bewegungen und Bemühungen zusammenführen und in konkrete Aktionen umsetzen. Erleichterungen für die Branche seitens der Stadtverwaltung allein würden nicht reichen.
Man müsse auch Impulse von außen, beispielsweise aus Berlin, aufgreifen und sich an ihnen orientieren. Um die verschiedenen Akteure und Interessen zu koordinieren, sei das Amt eines Nachtbürgermeisters, der sich im Dortmunder Nachtleben auskennt und Verwaltungserfahrung mit sich bringt, eine Lösungsoption.
Die jungen Menschen in Dortmund wollen draußen feiern
Thomas Westphal sieht in Dortmund große Chancen, bereits vorhandene IT-Strukturen in Dortmund mit der Nightlife-Szene und somit mit Kunst und Kultur zu verknüpfen. Hieraus könnte man ein Wachstum generieren, das wieder viele Arbeitsplätze sichern und schaffen könnte. In der Pandemie sei es wichtig, sehr darauf zu achten, nicht zu viele Lokale und Clubs zu verlieren. Ein paar Verluste seien jedoch leider unvermeidlich.
Der Chef der Dortmunder Wirtschaftsförderung tritt dafür ein, gemeinsam mit den Akteuren und der Stadtverwaltung neue Ideen und Konzepte für das Dortmunder Nachtleben zu entwickeln – als Erweiterung zu bereits bestehenden Angeboten. „Dortmund will raus. Das junge Dortmund will raus“, konstatiert Westphal. Viele junge Menschen wollten in ihrer Freizeit draußen an der frischen Luft etwas erleben. Daher sei es wichtig, auch hier für Outdoor-Events zu sorgen.
Hierbei müsse man natürlich immer vermitteln zwischen den Interessen der Anwohner*innen und dem wirtschaftlichen Hintergrund der Nachtclubs. Aber Ideen, wie beispielsweise den Westpark einzuzäunen, um nächtliche Ruhestörungen etc. zu unterbinden, seien schlicht der falsche Weg.
Es muss zwischen wirtschaftlichen Zielen der Akteure und Anliegerinteressen abgewogen werden
Auch Daniela Schneckenburger gibt zu bedenken, dass bei allen Überlegungen zur Förderung des Dortmunder Nachtlebens das Konfliktmanagement mit den Anwohner*innen mitgedacht werden müsse. Auch die grüne Stadträtin begrüßt die Idee eines Nachtbürgermeisters. Momentan ginge es in erster Linie darum, gemeinsam die Krise zu überstehen, auch wenn viele Angebote verloren gehen würden.
Anschließend könne die Stadtverwaltung Instrumente nutzen, um die Ansiedlung neuer Lokale etc. zu unterstützen. Jedes Milieu und jede Orientierung solle in der Stadt auch des Nachts eine Anlaufstelle, einen Szeneclub haben.
Auch FDP-Kandidat Michael Kauch beobachtet, dass immer mehr Einzehandelsflächen verloren gehen. Die Stadt müsse konkreter werden in ihren Planungen. Wo man mehr Wohnraum schaffen wolle, mache es wenig Sinn, über das Nachtleben zu sprechen. Solche Vorhaben seien in der Vergangenheit nie gut gelaufen und er nennt die Beispiele Ostwall und Hafen. Man müsse das Konfliktmanagement zwischen den Clubbetreiber*innen und den Anwohner*innen schon bei der Stadtplanung berücksichtigen.
Nachdem die Kandidat*innen ihre Visionen präsentiert hatten, stiegen sie in eine Diskussion mit anwesenden Dortmunder Gastronomen ein. Für sie steht fest, dass solange noch immer Menschen abends nach Bochum fahren, um sich zu amüsieren, das Dortmunder Nightlife-Potential nicht völlig ausgeschöpft wurde. Sie wünschen sich vor allem mehr Rückendeckung in der Öffentlichkeit.
Am Beispiel Berlin kann man sehen, wie es gelingen kann
Unter anderem berichtete Dimitar Maria Hegemann, Betreiber des Kulttechnoclubs Tresor in Berlin und mittlerweile auch in Dortmund mit dem Tresor.West auf Phoenix-West von seinen Erfahrungen in der Bundeshauptstadt. Dort habe man einen permanenten Roundtable etabliert, an dem sich alle Akteur*innen des Nachtlebens und der Stadtverwaltung sowie die Ordnungsbehörden regelmäßig mindestens einmal im Monat treffen würden.
Durch diese Bestrebungen sei unter anderem ein Lärmschutzfonds eingerichtet worden, der es ermöglicht, bei Anwohnerbeschwerden aufgrund des Lärmpegels etc. beispielsweise bauliche Veränderungen vorzunehmen, wie etwa Lärmschutzwände oder bessere Verglasung der Anliegerwohnungen. Die Beteiligten müssten Verantwortung übernehmen, mit Leidenschaft bei der Sache sein und eine gewisse Risikobereitschaft mitbringen. In Think Tanks könnten Ideen und Visionen gesammelt werden, Aktuer*innen und ihre Mitarbeiter*innen könnten spezielle Coachings erhalten und vieles mehr. Dieses Modell sei übertragbar auf Dortmund.
Man müsse die Menschen in der Stadt mitnehmen, animieren und inspirieren, um ein pulsierendes Nachtleben in Dortmund zu realisieren. Wenn alle an einem Strang ziehen würden, werde die Stadt am Endes des Tages viel bunter. Denn durch ein gut funktionierendes Nightlife profitieren letztlich auch wieder viele andere Branchen.
Eine Aufzeichnung der gesamten Veranstaltung steht im Anhang des Artikels zur Verfügung.
Weitere Informationen:
https://vimeo.com/453574608
Mehr zum Thema bei nordstadtblogger.de:
Reader Comments
Heinz Lüders
Schön, dass dieses Thema jetzt wieder auf die Agenda kommt. Westphal weiß bestimmt noch, wie die Jusos Dortmund mehrfach ein Szeneviertel gefordert haben oder auch nicht….
Club- und Konzertkultur: Planungen für Neustart vorantreiben, Sperrstunde aufheben, Nachtbürgermeister*in einrichten (PM Bündnis 90/Die Grünen)
Club- und Konzertkultur: Planungen für Neustart vorantreiben, Sperrstunde aufheben, Nachtbürgermeister*in einrichten
Die GRÜNEN im Rat unterstützen die Dortmunder Szene der Club- und Konzertkultur in ihren Bemühungen, die Planungen für einen Neustart nach den Corona-Beschränkungen voranzutreiben. In einem Gespräch der Fraktion mit Vertreter*innen der Interessengemeinschaft ging es um mögliche politische Hilfestellungen auf diesem Weg.
„Dortmund hat und braucht eine lebendige Club- und Konzertkultur. Im Moment ist sie durch Corona allerdings vollkommen zum Erliegen gekommen. Viele der Betreiber*innen kämpfen um ihre berufliche Existenz und haben sich zum Teil schon neue Jobs gesucht. Der Weg zur Öffnung der Clubs und zu Konzerten wird noch ein langer sein wird. An Präsenzveranstaltungen ist momentan nicht zu denken, erst im Frühjahr könnte das wieder möglich sein. Umso wichtiger ist neben konkreten finanziellen Hilfen insbesondere durch Land und Bund auch die kommunale Unterstützung für einen schnellen und guten Neustart nach Corona. Dabei wollen wir gerne mithelfen“, kommentiert Fraktionssprecher Ulrich Langhorst die Situation.
Das vom Rat verabschiedete Papier der Verwaltung „Neue Stärken“ wurde von den Vertretern der IG der ausdrücklich begrüßt. Wichtig ist es nun, die dort aufgeführten Maßnahmen zu konkretisieren und umzusetzen. Unklar ist noch, wie und wofür die im Papier angekündigten jährlich 3 Millionen Euro sowie die Planstellen in der Verwaltung eingesetzt werden. Leitlinie müssen dabei aus Sicht der IG die konkreten Bedürfnisse der Branche sein. Die von der Verwaltung vorgeschlagene Aussetzung der Tanzsteuer macht dabei erst ab dem Zeitpunkt der Wiedereröffnung Sinn.
Wünschenswert ist aus Sicht der IG auch eine Arbeitsgemeinschaft aus Verwaltung, Politik und Betreiber*innen der Club- und Konzertkultur, die einen Neustart so konkret vorbereitet, dass alle Planungen aus der Schublade gezogen werden können. Denkbar wäre dabei auch eine Kampagne mit dem Titel „Don’t stay at home“, um nach der Pandemie alle wieder zu motivieren, in die Clubs zu kommen.
„Hinsichtlich neuer Konzepte für die Club- und Konzertkultur sollte zusätzlich überlegt werden, ob das nicht auch in die notwendige Diskussion über die Entwicklung der Innenstadt passt“, regt Martina Stackelbeck, Mitglied der GRÜNEN im Ausschuss für Wirtschaftsförderung an.
Auf Bundesebene fordern die GRÜNEN unter anderem den Schutz und die Sicherung von Kulturorten vor der Verdrängung durch Mietsteigerungen und Gentrifizierung. Dafür sollen zum Beispiel Clubs unter bestimmten Voraussetzungen als Kulturorte anerkannt werden können.
Konkret vor Ort will die GRÜNE Ratsfraktion die Branche mit der Aufhebung der Sperrstunde und der Einrichtung eines/einer Nachtbürgermeister*in unterstützen. Zur Sperrstunde liegt bereits ein GRÜNER Antrag vor, der in der kommenden Ausschusssitzung der Bürgerdienste beraten wird. Aus Sicht der Clubbetreiber*innen ist die Sperrstunde nicht nur wettbewerbsverzerrend, weil es sie in vielen umliegenden Städten nicht gibt. Sie führt auch zu größeren Ansammlungen von Menschen zu einer bestimmten Zeit mit dem damit verbundenen Lärm.
Die Einrichtung einer Stelle eines/einer Nachtbürgermeister*in wird von der Interessengemeinschaft ausdrücklich begrüßt. Entscheidend wird sein, welche Kompetenzen der/die Nachtbürgermeister*in hat und ob er/sie nur vermittelnd ist oder auch konzeptionell arbeitet. Wunsch der Clubbetreiber*innen ist es, dass die Branche die Aufgabengebiete mitdiskutiert und letztlich auch eine konkrete Person vorschlägt.
„Wir werden uns dazu auch in anderen Städten noch einmal informieren, die bereits eine/n Nachtbürgermeister*in haben und überlegen zusätzlich, eine eigene Veranstaltung dazu zu organisieren“, so Ulrich Langhorst abschließend.