Ein Gastbeitrag von Katarina Huth,
Lara Schulschenk und Matthias Bau
Das Ruhrgebiet steht vor einer Verkehrsrevolution. Immer mehr Menschen denken um und fordern Konzepte für eine klimafreundliche Mobilität. Das zeigen Ergebnisse der CORRECTIV Bürger-Recherche „Wo stehst du?“. Erste Kommunen reagieren auf den Druck von unten und planen Millioneninvestitionen.
Das Ruhrgebiet ist Pendlerhochburg – und das Auto aus dem Alltag nicht wegzudenken. Doch wie sieht die Zukunft aus? In der Bürger-Recherche „Wo stehst du?“ hat CORRECTIV gefragt, wo es im Revier zu Stillständen kommt, was ihre Ursachen sind und was sich die Menschen wünschen. Die Statements der Bürgerinnen und Bürger zeigen, dass sich viele klimafreundlich fortbewegen wollen. Doch sie scheitern oft an der schlechten Infrastruktur.
Bochum liegt bundesweit an der Spitze beim Autobesitz – und so sieht unsere Stadt leider auch aus… Meine Lösung: ÖPNV ausbauen, Ticketpreise runter und für Kinder ganz frei, sichere Radwege zu Lasten der Autos markieren, Parkplätze reduzieren und verteuern, Grünanlagen und Bäume in der Stadt fördern, Lebensqualität erhöhen! Kinder und Jugendliche einbeziehen! – Almut
Almut schrieb uns über den CrowdNewsroom „Wo stehst du?“. Der CrowdNewsroom ist eine Art virtuelle Redaktion, bei der sich Bürgerinnen und Bürger an Recherchen beteiligen können. Entwickelt wurde sie von CORRECTIV. Almut ist einer von vielen Menschen, die sich einen Wandel wünschen. Und es werden mehr. Bei einer Umfrage des WDR vor den NRW Kommunalwahlen im September wurde der Verkehr als wichtigstes Problem im Land benannt.
Die Grünen organisierten Raddemos auf den Hauptstraßen der Innenstädte und gingen mit einem alle Kommunen übergreifenden Thema in den Wahlkampf: der Forderung nach Fahrradwegen und einem nachhaltigen Verkehrskonzept. Mit Erfolg. Die Grünen erzielten in der Autohochburg Ruhr mit zweistelligen Stimmenzuwächsen historische Gewinne. Eine Strategie, die sich andere Parteien in Zukunft abschauen werden.
Der Druck steigt
Hendrik Wüst (CDU), Verkehrsminister von NRW, will den Fahrradanteil am Gesamtverkehr in NRW auf 25 Prozent heben. Das Land NRW schafft dazu 50 zusätzliche Stellen, um ein schnelleres Planen, Genehmigen und Bauen von Infrastruktur zu ermöglichen. Alles soll besser werden, damit die Bürgerinnen und Bürger zufriedener werden. Doch klappt das?
Mit den Einstellungen durch Wüst ist das Land personell gerade mal wieder auf dem Stand von vor zehn Jahren. Verbände und lokale Initiativen kritisieren, dass sich Land und Kommunen für die Verkehrswende zu viel Zeit lassen. Sie bauen mehr und mehr Druck auf, organisieren Proteste und Podien. Aktive twittern mangelhafte Radwege, demonstrieren und setzen Kommunen mit direkter Demokratie unter Druck.
Allein im Jahr 2019 gab es nach CORRECTIV-Recherchen in NRW mehr Bürgerbegehren zum Radfahren als je zuvor. Die Initiative „Aufbruch Fahrrad“ sorgte dafür, dass Nordrhein-Westfalen als erstes Flächenland ein eigenes Radverkehrsgesetz bekommen soll. Das war zuvor nur in Berlin gelungen. Mehr als 200.000 Menschen hatten in NRW die Initiative unterschrieben. Sie sind der Politik weit voraus.
Vor allem aber das Bündnis „Radentscheid Essen“ setzte im Jahr 2020 einen Meilenstein für die Verkehrsrevolution: Trotz Corona sammelten die Aktivistinnen und Aktivisten über 23.000 Unterschriften für ein Bürgerbegehren. Sie verlangten von der Stadt, sieben konkrete Ziele für besseren Radverkehr binnen der nächsten neun Jahre umzusetzen.
Der Zuspruch für den Radentscheid war gewaltig und das hatte einen Grund: Der Bedarf in Essen ist enorm. In unserem CrowdNewsroom schreibt uns Alexa aus Essen: „Fahrradwege breiter machen – und sinnvoll fortführen!“ Und was macht die Stadt? Essen baut bereits seit 23 Jahren am Hauptroutennetz für Fahrräder. Ob das Ziel in Essen überhaupt erreicht werden könnte, blieb fraglich.
Die Lücken im Radnetz umfassten nach Jahren Bautätigkeit immer noch 60 Kilometer, wie die Stadt in ihrem Masterplan Verkehr schreibt. Das Jahresbudget für das Vorhaben betrug aber nur 500.000 Euro. Davon ließen sich gerade mal 500 Meter Radweg neu bauen. Es seien „deutlich höhere Investitionen erforderlich, um die baulichen Lücken im Radverkehrsnetz in angemessener Zeit zu beseitigen und dadurch den Radverkehrsanteil weiter zu erhöhen“, hieß es deswegen auch wörtlich im Masterplan Verkehr der Stadt von 2018.
Und für diese Investitionen sorgten nun die Bürgerinnen und Bürger. Am 26. August 2020 schloss sich der Stadtrat dem Radentscheid Essen an. Die Kosten für den Umbau des Radnetzes werden auf eine Summe von rund 200 Millionen Euro geschätzt. Das Geld soll investiert werden. Damit ist die Radwende, zumindest in Essen, beschlossene Sache. Die Bürgerinnen und Bürger haben eine Radrevolution in der Stadt durchgezogen. Ein anschlussfähiger Erfolg.
Radwege im Schneckentempo
Bisher setzen die Kommunen im Ruhrgebiet ihre Ziele für eine zukunftsfähige Mobilität nur schleppend um. Der Ausbau der Radinfrastruktur geht fast überall kaum voran. In Gelsenkirchen zum Beispiel klaffte Ende vergangenen Jahres eine 67,5 Kilometer große Lücke im Fahrradnetz. 2011 betrug sie 93 Kilometer. Würde die Stadt im vorgelegten Tempo weiterbauen, bräuchte sie 21 Jahre, um alle Netzlücken zu schließen. Das nächste Problem: Die bereits vorhandene Infrastruktur zerfällt. Aktuell ist jeder vierte Kilometer auf den Radwegen kaputt oder baufällig.
In Bottrop ist ein Jahresbudget von nur 500.000 Euro für den Radverkehr vorgesehen, wie CORRECTIV auf Anfrage erfuhr. Damit seien „bis zu 500 Meter an Lückenschluss möglich.“ Den Bürgerinnen und Bürgern erscheinen diese Zahlen lächerlich. Diese geringen Summen lassen angesichts des Verkehrsinfarkts im Revier wenig Hoffnung aufkommen, dass die Verwaltung Veränderung vorantreibt.
Bei Gegenverkehr kommen weder Autos noch Busse an den parkenden Autos vorbei (Surkenstraße), als Fahrrad muss man entweder hinter den bereits wartenden Autos warten, oder bei Gegenverkehr Risiken in Kauf nehmen. Lösung könnte ein Radweg sein, oder – als erste Maßnahme – keine parkenden Autos mitten auf der Straße zuzulassen – Beate aus Bochum
Über zwei Drittel der Verkehrsflächen im Ruhrgebiet sind für den Autoverkehr ausgelegt. Am Radschnellweg RS1 zwischen Duisburg und Hamm wird deutlich, dass der Radverkehr keine Priorität hat. Seit gut zehn Jahren wird am einstigen Vorzeigeprojekt gebaut. Bisher sind 13 von geplanten 101 Kilometern Radweg fertig, dabei sollte der Weg dieses Jahr finalisiert sein.
Der Regionalverband Ruhr (RVR), der das Projekt initiiert hatte, wird für Versäumnisse und falsche Versprechungen kritisiert. Ein Prestigeprojekt, das vom RVR-Planungsdezernenten Martin Tönnies (Grüne) zunächst in den Sand gesetzt wurde, und nach seinem Rücktritt nur verzögert umgesetzt werden kann. Der Wandel im Revier ist um Jahre zurückgeworfen.
Es scheint, als werde die Verkehrsrevolution von den protestierenden Menschen auf der Straße umgesetzt – wie beim Radentscheid in Essen – oder gar nicht. Die Wut der Bürgerinnen und Bürger wächst. Axel Hamann von der Radwende Bochum, eine der zahlreichen Rad-Initiativen des Reviers, sagt: „Ungerechte Verteilung öffentlicher Flächen bleiben die Hauptblockaden der Mobilitätswende.“
Der Ideenmelder: Hamm macht’s vor
Bislang überzeugt vor allem die Stadt Hamm in Sachen Radverkehr – zumindest im Vergleich mit dem restlichen Ruhrgebiet. Fast jeden fünften Weg legen die Einwohner mit dem Fahrrad zurück, teilt die Stadt CORRECTIV mit. Zum Vergleich: im restlichen Revier sind es im Durchschnitt nur etwa acht Prozent – also nicht einmal halb so viel wie in Hamm.
Trotzdem ist noch viel zu tun – auch in Hamm. Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) Hamm schreibt CORRECTIV, dass der Radverkehr langfristig gestärkt werden müsse, zum Beispiel durch kontaktlose Ampelschaltungen und breitere Radwege. Mit dem Ideenmelder des ADFC Hamm können Menschen ihre Stadt auf Mängel und Ideen zur Verbesserung der Bus-, Bahn-, Rad- oder Fußstrecken hinweisen. Fast 400 Vorschläge haben Engagierte innerhalb von drei Monaten eingereicht.
Darunter sind Ideen für Stationen für Leihräder, kontaktlose Ampelschaltungen und Überquerungshilfen für Ältere und Schüler. Ein Sprecher der Stadt sagte CORRECTIV: „Wir nutzen den Ideenmelder des ADFC Hamm und fahren regelmäßig die Routen ab. Je nach Machbarkeit werden die Vorschläge dann umgesetzt – was allerdings einige Zeit dauern kann.“ Der Sprecher weist darauf hin, dass Menschen auch frustriert seien, wenn ihre Hinweise nicht sofort umgesetzt würden.
Bei einem ähnlichen Projekt wie in Hamm sollte das kein Problem sein: Die Stadt Marl wurde zum zweiten Mal in Folge dafür ausgezeichnet, dass sie die gemeldeten Mängel am Radverkehr am schnellsten behebt. Große Kommunen wie Essen, Dortmund oder Bochum, die den Radverkehr voranbringen wollen, können sich Hamm und Marl zum Vorbild nehmen. Mit der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger kann der Wandel gelingen.
Kurzfristige Lösungen für besseren Radverkehr
- Sogenannte Ideen- und Mängelmelder ermöglichen Menschen, beschädigte Wege, fehlende Schilder und konkrete Lösungsvorschläge für komplizierte Stellen an die Kommunen zu melden.
- Eine schnelle Lösung für mehr Fahrradfahrer sind die sogenannten Pop-Up-Radwege. In vielen Städten wurden sie während der ersten Covid-Welle kurzfristig eingerichtet und sorgten für mehr Sicherheit und Freude auf den Fahrbahnen.
- Gepflegte Wege – zufriedene Radler. Wenn Kommunen ihre Radwege pflegen, indem sie Pflasterschäden beheben und angrenzende Hecken beschneiden, steigen die Menschen lieber auf das Fahrrad.
Das Auto schlägt die Bahn
Nordrhein-Westfalen ist ein Pendler-Land: 4,8 Millionen Menschen pendelten 2019 täglich zur Arbeit – viele davon mit dem Auto. Noch ist es für viele Menschen die bequemste Alternative, trotz der schlechten Klimabilanz, der ewigen Staus und nervigen Parkplatzsuche. Umweltpsychologe Marcel Hunecke von der Fachhochschule Dortmund sagt: „Autoverkehr ist in den urbanen Regionen Deutschlands und somit auch im Ruhrgebiet verglichen mit anderen hochindustrialisierten Ländern und Alternativen einfach viel zu günstig.“
Für 8 Kilometer von Gladbeck nach Bottrop brauche ich mit dem Rad oder Auto 25 Minuten, mit dem ÖPNV 60! Das ist unverhältnismäßig und als Schlecht-Wetter-Alternative viel zu teuer, um das Auto stehen zu lassen. – anonym
Doch viele Menschen fahren nur aus Mangel an attraktiven Angeboten mit dem Auto und wünschen sich klimafreundliche Alternativen, wie auch die Einträge in unserem CrowdNewsroom „Wo stehst du?“ zeigen. Der Umweltpsychologe Hunecke ist sich sicher: „Wir brauchen eine Mobilität, bei der sich verschiedene Verkehrsmittel ergänzen, nur so geht es.“
Es brauche auch neue Angebote wie „Park and Ride“ und ausreichende Abstellmöglichkeiten für Fahrräder an Bahnstationen. Damit die Verkehrsrevolution gelingt, reicht es nicht, Radwege zu bauen. Die Pendlerinnen und Pendler müssen es einfacher haben, das Auto stehen zu lassen und auf andere Verkehrsmittel umzusteigen.
Die Mobilstationen: Essen macht Pendeln klimafreundlicher
In Essen-Rüttenscheid wird das umgesetzt: An einer neuen Mobilstation können die Menschen ihr Verkehrsmittel wechseln. Neben Carsharing gibt es hier E-Roller, überdachte Radständer und Fahrradboxen. Die Stadt Essen teilt CORRECTIV auf Anfrage mit, dass sie bis 2030 den Anteil von Auto- und Motorradverkehr am Verkehrsaufkommen auf ein Viertel reduzieren möchte. Die Fortbewegung zu Fuß, mit dem Rad oder den „Öffis“ solle also auf drei Viertel steigen. Dafür müssten die Essener ihr Auto doppelt so häufig stehen lassen wie bisher.
Kurzfristige Lösungen für weniger Autoverkehr
- Durch mehr Home Office können Fahrten ins Büro reduziert werden. Dadurch sinken auch die Emissionen im Verkehr.
- Ähnlich funktionieren dezentrale Co-Working-Spaces: Kurze Strecken in Gemeinschaftsbüro ersparen Pendelnden lange Fahrten in den nächsten Ort oder ins Stadtzentrum.
- Anstatt sich selbst ein Auto anzuschaffen, können sich mehrere Personen eines teilen – das geht unkompliziert über verschiedene Apps. Carsharing spart nicht nur klimaschädliche Emissionen, sondern auch Platz und Kosten.
Der Nahverkehr ist zu langsam, zu teuer
Eines der größten Probleme für die Verkehrswende ist und bleibt der öffentliche Nahverkehr. Damit die Revolution gelingt, müssten Bürgerinnen und Bürger häufiger Bus und Bahn fahren. Doch das Gegenteil passiert: Im Jahr 2012 wurden im Ruhrgebiet 16 Prozent der Wege mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt. Im vergangenen Jahr waren es nur noch zehn Prozent. Tendenz fallend.
In Bottrop nutzten die Menschen 2013 sogar nur für acht Prozent ihrer Wege den öffentlichen Nahverkehr. Die Stadt nennt sich „InnovationCity“ und will die CO2-Emissionen des Verkehrs bis 2025 um 23 Prozent senken. CORRECTIV hat recherchiert, dass die CO2-Emissionen im Bereich Verkehr sogar um über vier Prozent angestiegen sind. Im Vergleich zu anderen Kommunen im Ruhrgebiet ist das ungewöhnlich schlecht.
Doch es gibt auch ein wenig Innovation in Bottrop: Im September ließ die Stadt als erste im Ruhrgebiet kostenloses Busfahren zu – zumindest samstags. Doch was nach Verkehrswende aussieht, ist eine Hilfsmaßnahme für die lokale Wirtschaft in Corona-Zeiten. Auch die Autofahrer dürfen nun samstags kostenlos in der Innenstadt parken. Laut Prognose der Stadt sollen die Bottroper selbst 2030 immer noch nicht häufiger mit Bus und Bahn fahren. In den Planungen der Stadt bleibt das Auto das wichtigste Verkehrsmittel.
Der Nahverkehr müsste deutlich günstiger und verlässlicher werden, damit er eine gute Alternative zum Auto bietet. Insbesondere wenn man im Ruhrgebiet für bspw. eine Fahrt von Essen nach Gelsenkirchen 6 Euro für ca. 10 Minuten in eine Richtung bezahlen muss, steht das in keinem Verhältnis zu den Kosten für das Auto.
– Milica
Nicht nur die Preise sind ein Problem der öffentlichen Verkehrsmittel. Auch außerplanmäßige Verspätungen und lange Fahr- und Umsteigezeiten sind belastend. Michael Roos, Professor der Makroökonomik an der Ruhr-Universität Bochum, erklärt: „Eine Fahrt mit dem ÖPNV dauert im Ruhrgebiet doppelt bis dreimal so lange wie mit dem Auto.“ Die Karte zeigt mit roten Einfärbungen, wo die Anreise in die nächsten großen Oberzentren Duisburg, Essen, Bochum, Hagen und Dortmund besonders viel Zeit frisst.
Attraktiver ÖPNV: Reaktivierte Schienen und Schnellbusse
Ein Nutzer aus Essen fordert im CrowdNewsroom: „Mehr Bahnen – speziell zu Stoßzeiten!“ Der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) versucht genau das: Seit Dezember 2019 fährt die S-Bahn zwischen Essen und Dortmund regulär im 15-Minuten-Takt. Für die S-Bahnen im Verbundgebiet gibt es ein neues Konzept. Das Versprechen: schnellere Fahrten, mehr Direktverbindungen und kürzere Umsteigezeiten.
Trotz der zehnjährigen Planungsphase gelingen die Neuerungen laut VRR nicht reibungslos: „Leider kam es durch den Fahrplanwechsel und den damit verbundenen Veränderungen im Zusammenhang mit den neuen Fahrplänen, Betreiberwechseln und neuen Fahrzeugen zu Problemen.“
Eine Umschreibung für Chaos, das sich an der Struktur im Ruhrgebiet ablesen lässt: 38 Verkehrsgesellschaften im VRR haben eigene Vorstände, Planungsstäbe, Aufsichts- und Betriebsräte sowie Personalabteilungen. Wenn sich etwas ändern soll, muss dieses System grundlegend neu gedacht werden.
Kurzfristige Lösungen für besseren ÖPNV
Das Verkehrsunternehmen Wiener Linien macht es vor: Eine App vergleicht Strecken nach Dauer, Kosten und Umweltbelastung – ob mit Bus, Bahn, Leihrad, Carsharing oder zu Fuß. Der VRR stellt bisher den einzelnen Verkehrsbetrieben nur die Software im Hintergrund bereit, woraus diese dann ihre vielen individuellen Apps basteln.
- Altes Schienennetz wieder in Betrieb nehmen statt neu bauen – das spart Zeit und Geld. Stark befahrene Strecken können entlastet und Gebiete wieder an das Schienennetz angeschlossen werden. Vereinzelt hat der VRR damit begonnen.
- Ein Bahnhof für jedes Dorf? Zumindest kurzfristig ist das keine Lösung. Der VRR plant deshalb ein Schnellbus-Konzept. So sollen Menschen aus der Peripherie besser angebunden werden. Momentan stockt die Planung allerdings aufgrund der Pandemie.
Vernetzen statt Klein-Klein
Ausgebaute Wege für Radfahrer, Mobilitätsstationen und neue Verbindungen für den Nahverkehr. Einzelne Rädchen drehen sich schon im Ruhrgebiet. Verkehrsökonom Roos sagt: „Kommunen, Verkehrsbetriebe, VRR, RVR, private Anbieter – jeder plant ein bisschen für sich.“ Stattdessen brauche es eine gemeinsame Vision. Das würde bedeuten, dass die Menschen im Revier eine gemeinsame Vorstellung haben, wie das Verkehrswesen in Zukunft funktionieren soll. In einer Demokratie sei diese gemeinsame Vorstellung nur durch Kommunikation und Einsicht zu schaffen. Ein „zäher Prozess“, sagt Roos. Zäh, aber notwendig.
Spätestens seit den Kommunalwahlen in NRW 2020 ist klar, dass die Verkehrswende Wahlen entscheiden kann. Wer am schnellsten das beste Konzept vorlegt, wird das Land in Zukunft regieren. Der Druck von unten ist der Schlüssel zur Verkehrsrevolution, wie der Radentscheid in Essen gezeigt hat. Eine Kampagne auf der Strasse, gut platziert vor der Wahl, hat dazu geführt, dass der Stadtrat fast eine Viertelmilliarde Euro für den Verkehr der Zukunft freisetzt.
So kann die Mobilitätswende gelingen.
Text: Lara Schulschenk, Katarina Huth, Matthias Bau
Recherche: Matthias Bau, Lara Schulschenk, Katarina Huth, Noémi Heldmann, Sophia Stahl, Philipp Schulte
Redaktion: Justus von Daniels
Grafiken: Philipp Schulte
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