
Queer sein und die AfD wählen schließen sich nicht zwangsläufig aus, wie auch Umfragen der Dating-Plattform „PlanetRomeo“ und der Universität Gießen zeigen. Trotz der ablehnenden Haltung der AfD gegenüber der Ehe für alle, homophoben Äußerungen von Mitgliedern und einer restriktiven Haltung gegenüber Transsexualität setzen einige Personen aus der queeren Community ihr Kreuz bei der rechtspopulistischen Partei – eine paradoxe, aber nicht unerklärliche Wahlentscheidung, wie Prof. Dr. Dierk Borstel erklärt.
Parteiprogramm richtet sich gegen einen „Trans-Gender-Hype“ und eine „Frühsexualisierung“
Mutter, Vater und Kinder – die AfD positioniert sich klar für ein aus ihrer Sicht „traditionelles“ Familienbild. Gegen Homosexualität richtet sich das Parteiprogramm von 2025 nicht explizit, auch wenn die Partei 2018 gegen die Ehe für alle plädierte und Mitglieder sich bereits offen queer- und homophob äußerten. Hinsichtlich der Sexualität spricht das aktuelle Parteiprogramm jedoch von einem „Trans-Gender-Hype“, der gemeinsam mit der „Frühsexualisierung“ und einer „als Kinderrechte-Aufklärung getarnten Ausspielung der Jugendlichen und Kinder gegen ihre Eltern“ das Familienleben gefährde.

Ebenso dürfe es keine „Indoktrination von Kindern und Jugendlichen durch Trans-Kult, Frühsexualisierung und Genderideologie“ geben, und die staatliche Förderung dafür müsse eingestellt werden. Doch zeigt die jüngste Umfrage der Dating-Plattform „PlanetRomeo“, die sich an homosexuelle Männer richtet, ein überraschendes Ergebnis. ___STEADY_PAYWALL___
Rund 27,9 Prozent der Nutzer gaben an, die AfD zu wählen, während die Zustimmung unter Männern im Alter von 18 bis 24 Jahren sogar bei 34,7 Prozent lag. Da die Umfrage jedoch online frei zugänglich war, ist eine Manipulation nicht ausgeschlossen.
Im deutlichen Kontrast dazu stehen die Ergebnisse der LSBTIQ*-Wahlstudie der Universität Gießen, bei der die AfD nur einen Wähleranteil von rund 2,8 Prozent aufweist. Auch wenn beide Erhebungen nicht als repräsentativ gelten, lässt sich eine partielle Zustimmung zur AfD nicht ausschließen.
Hohes Bedürfnis nach Sicherheit in der queeren Community
Was zunächst wie ein Widerspruch scheint, schließt sich jedoch nicht automatisch aus, wie Prof. Dr. Dierk Borstel erklärt: „Die eigene Marginalisierung und die Feindseligkeit gegen die eigene Gruppe verhindern nicht automatisch die Entwicklung eigener menschenfeindlicher Einstellungen. So gibt es z. B. von Sexismus betroffene Frauen, die selbst sexistische Einstellungen haben.“ Laut dem Politikwissenschaftler sei in den queeren Gemeinschaften das Bedürfnis nach Sicherheit im Hinblick auf die Verfolgungsgeschichte und anhaltende Diskriminierungserfahrung sehr hoch.

„Die AfD zielt genau auf dieses Sicherheitsbedürfnis und verspricht dessen Durchsetzung in einer unübersichtlichen Welt.“ Häufig stünde auch das Thema Migration in Verbindung mit den Unsicherheiten innerhalb der queeren Gemeinschaft.
„Nach Deutschland kamen zuletzt auch viele Menschen aus Ländern mit stark patriarchischen Kulturen, die offen queerfeindlich sind. Das heißt nicht, dass die Menschen diese kulturellen Einstellungen mitnehmen oder gar teilen“, fügt Borstel hinzu.
Doch nutze die AfD die Unsicherheit zugunsten ihrer restriktiven Migrationspolitik. Eine klare Positionierung für die Aufnahme queerer Migrant:innen, die ihre Herkunftsländer aufgrund ihrer Sexualität verlassen mussten, findet seitens der AfD nicht statt. Die Strategie, die Anliegen sexueller Minderheiten für die Förderung nationalistischer Interessen zu nutzen, wird dabei häufig als „Homonationalismus“ bezeichnet – ein Phänomen, das bereits in der Politikwissenschaft bekannt ist und sich bereits in früheren LGBTIQ*-Wahlstudien zeigte.
Rechts motivierte Täter:innen stellen die größte identifizierbare Gruppe bei queerfeindlichen Straftaten dar
Paul Klammer von SLADO e.V., dem Dortmunder Dachverband für Schwulen-, Lesben-, Bisexuellen- und Transidentenorganisationen, betont diesbezüglich ganz deutlich: „Es gibt auch unter LSBTIQ*-Personen Menschen mit rassistischen Ansichten. Und es gibt auch Menschen, die auf die Lockrufe der AfD hereinfallen, sie würde Lesben und Schwule schützen. Das steht im Widerspruch zum Wahlprogramm der Partei, die offen für einen Abbau queerer Rechte eintritt.“

Klammer kann zwar nachvollziehen, dass Queerfeindlichkeit aus patriarchal dominierten Ländern Sorgen schüren kann, jedoch betont er, dass Queerfeindlichkeit aus allen Teilen der Gesellschaft kommt. „Das männerdominierte Weltbild ist auch deutlich in der deutschen Mehrheitsbevölkerung zu finden. Wenn man sich zum Beispiel die Zahlen des Bundeskriminalamts anschaut, dann ist die größte Einzelgruppe im Bereich der queerfeindlichen Hasskriminalität die der Rechtsextremen.“
Im Lagebericht zur kriminalitätsbezogenen Sicherheit von LSBTIQ* für 2023 sind 1.785 queerfeindliche Straftaten verzeichnet. 2022 waren es 1.188 Fälle, was somit einen Anstieg von rund 50 Prozent ausmacht. Etwa ein Drittel der Straftaten war dabei politisch rechts motiviert.
Überwiegend Angst und Sorge vor dem Rechtsruck in der queeren Community
Die Zunahme rechter Gesinnungen sorgt in der queeren Community jedoch überwiegend für ein beunruhigtes Stimmungsbild, wie Klammer berichtet: „Viele queere Menschen sind besorgt, dass die polarisierte Stimmung sich auch gegen sie richten kann. Rechte und queerfeindliche Narrative erhalten gerade sehr viel Raum in der öffentlichen Debatte und auf Social Media. Das ist eine Bedrohung, weil aus Worten schnell Taten werden können.“

Besonders, dass die AfD Gruppierungen mithilfe von Angst mobilisieren kann, obwohl sie diese teilweise eher degradiert, hält Borstel für problematisch. Er warnt, dass die Freiheitsrechte von Minderheiten und vermeintlich schwachen Gruppen „so gefährdet wie lange nicht mehr“ seien.
Dies führe zu großer Unsicherheit, die für die betroffenen Menschen vor allem bedeutet, dass „Sichtbarkeit vermieden wird, Normalität neu ausgehandelt wird und das offene Gespräch darüber jenseits geschützter Räume eher vermieden“ wird.
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