Innenstadt von Dortmund im Ausnahmezustand: Tausende Menschen gehen friedlich gegen Neonazis auf die Straßen

Bunt und vielfältig war der Gegenprotest gegen den Neonazi-Aufmarsch, an dem sich viele gesellschaftliche Gruppen und alle demokratischen Parteien beteiligten.
Bunt und vielfältig war der Gegenprotest, an dem sich viele Gruppen und demokratische Parteien beteiligten.

Vom Geschehen berichten Thomas Engel, Leopold Achilles und Alexander Völkel (Text und Fotos)

Ausnahmezustand (mal wieder) beendet: Wegen des Neonaziaufmarsches und der zahlreichen Gegenproteste befanden sich heute (14. April 2018) fast ganztägig die südliche Nordstadt, die City und weite Teile der westlichen Innenstadt quasi im Ausnahmezustand. Der Autoverkehr kam größtenteils zum Erliegen und auch der ÖPNV stellte an vielen Stellen den Betrieb ein, da die Polizei die Versammlungsrouten weiträumig abgesperrt hatte. Insgesamt 600 Neonazis und mehrere tausend GegendemonstrantInnen gingen zum größten Teil friedlich auf die Straße.

Neonazis versammelten sich ab 13 Uhr in der Nordstadt hinter dem Hauptbahnhof

Unter dem Motto „Europa erwache“ sammelten sich ab 13 Uhr rund 600 Neonazis – darunter auch zahlreiche Gäste von rechtsextremen Organisationen und Parteien aus dem Ausland – in der Nordstadt. Wegen der Mahnwache der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der AntifaschistInnen und des Bündnis Dortmund gegen Rechts – aber auch aus Respekt vor der NS-Mahn- und Gedenkstätte Steinwache und des NSU-Mahnmals – musste die Auftaktkundgebung der Neonazis vor der Hauptpost stattfinden.

Michael Brück, Co-Bundesvorsitzender der Partei Die Rechte, am Rednerpult.
Michael Brück, Co-Bundesvorsitzender der Partei Die Rechte, am Rednerpult.

Aufgrund der großen Entfernung machten sich rund 200 AntifaschistInnen und DemokratInnen von der Auslandsgesellschaft auf den Weg in die City, um sich dort den Protestierenden anzuschließen. Der Neonazi-Aufmarsch setzte sich erst nach zwei Stunden in Bewegung. Die Neonazi-Route führte über Grüne Straße und Brinkhoffstraße in Richtung Wall.

An der Kreuzung der Schützenstraße wurden die Neonazis von den Glocken der Pauluskirche sowie einer großen Gruppe von NordstädterInnen empfangen, die vor dem Haupteingang der Pauluskirche eine PROTESTantische ANDACHT abhielten. Dazu hatte die Ev. Lydia-Kirchengemeinde eingeladen.

„Wir haben einen Traum, dass eines Tages alle Grenzen und Mauern überwunden sein werden!“ Unter diesem Motto erinnert die Gemeinde zugleich an den 50. Jahrestag der Ermordung von Dr. Martin Luther King Jr.. „Die ,Internationale Rechte’, die heute frei marschieren darf, fordert ein weißes Europa. Wir sehen uns in der Pflicht, dagegen laut Nein! zu sagen und unseren Protest mit dem Glockengeläut weithin hörbar zu machen“, unterstrich die Gemeinde. „Der Verständlichkeit der Nazi-Parolen wird dies nicht dienen.“

Lautstarker und farbenfroher Gegenprotest im Schatten des Dortmunder U

Noch lauter war der Protest, als die Neonazis aus der Nord-West-Passage kamen und im Schatten des Dortmunder U – auch der U-Turm zeigte eine Videobotschaft gegen Neonazis – auf den Wall trafen. Dort wurden sie unüberhörbar von einer Gegen-Demo empfangen, zu der der Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus in die City eingeladen hatte.

Rund 1.500 Menschen nahmen daran teil – mit Sprechchören und einer Farbbeutel-Aktion der Grünen machten sie ihrem Unmut gegen den erneuten Neonazi-Aufmarsch Luft. Der lautstarke Protest bildete den Abschluss einer eigenen Demo der DemokratInnen und AntifaschistInnen, die ihrerseits ab 12.30 Uhr einen Demo-Zug organisiert hatten, der vom Europabrunnen in der City zum Wasserturm am Heiligen Weg und anschließend zur Petri-Kirche und schließlich zum Westentor in Rufweite des Nazi-Aufmarsches führte.

Bei der Zwischenkundgebung am Wasserturm erinnerte Rainer Zunder vom Dortmunder Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus an die über 5.000 Menschen jüdischen Glaubens aus dem Regierungsbezirk Arnsberg, die von diesem Ort, dem ehemaligen Dortmunder Südbahnhof, in die Vernichtungslager deportiert worden sind. „Wir alle hier sind Dortmund, nicht die Verfassungsfeinde von der extremen Rechten“, schloss er.

Klare Worte gegen die Anmaßung der Neonazis, dass Dortmund ihre Stadt sei

Junge Grüne zeigen Flagge, ohne den Frohsinn zu verlieren.
Die Jungen Grünen zeigen Flagge, ohne den Frohsinn zu verlieren.

Stadtdirektor Jörg Stüdemann – er ist bekannt wegen seines engagierten Einsatzes für Vielfalt und Toleranz – betonte in seiner kurzen Ansprache an der Kampstraße, dass „die Hälfte unserer Kinder aus Einwanderungsfamilien“ stammten. Es sei im Grunde genommen skandalös, dass hier und heute deswegen demonstriert werden müsse.

Leider sei es mittlerweile gang und gäbe, auf NS-Muster zurückzugreifen – und das reiche in Dortmund bis in den Stadtrat. „Wenn der Nationalsozialismus verbrecherisch gewesen ist, kann es sich mit den Neonazis nicht anders verhalten“, so Stüdemann.

„Wir bekämpfen Verbrecher, dafür sind wir da.“ Und das bedeute für ihn Kampf gegen Rassismus, Faschismus, Antisemitismus und Antiziganismus. „Wir sagen den Neonazis: Dortmund war nicht eure Stadt, ist nicht eure Stadt und wird auch nie eure Stadt werden“, unterstreicht der Stadtdirektor.

Anschließend nahmen die 1.500 DemokratInnen und AntifaschistInnen lautstark die Neonazis in Empfang. Die jungen Grünen sorgten in Maleranzügen für ein buntes Farbenspektakel („Bunt statt braun“).

BewohnerInnen und BlockaDO sorgten in der westlichen Innenstadt für Protest

Davon nahmen die Neonazis kaum Notiz. Sie marschierten (oder besser schlichen) am U-Turm vorbei auf die Rheinische Straße. Ihre Route führte durch das Union-Viertel in Richtung Sonnenplatz im Kreuzviertel.

Bevor sie dort ankamen, wurden sie lautstark von BewohnerInnen sowie TeilnehmerInnen der BlockaDO-Demo begrüßt. Sie sorgten dafür, dass der Neonazi-Aufmarsch in der Möllerstraße voran kam. Denn mehrere tausend TeilnehmerInnen – überwiegend aus dem linken und antifaschistischen Spektrum – hatten sich von der Saarlandstraße auf den Weg Richtung Westpark gemacht.

Unweit des Ortes der von den Neonazis geplanten Abschlusskundgebung – im Bereich des Sonnenplatzes – kam es zum Aufeinandertreffen. Der Aufmarsch der Neonazis kam wegen der Sicherheitsbedenken der Polizei immer wieder ins Stocken. Denn in den Seitenstraßen der Möllerstraße hatten sich tausende Menschen versammelt, die ihrem Unmut lautstark Luft machten.

Doch verhindert wurden die Proteste nicht. Alle Demonstrationen fanden wie geplant statt. Die Neonazis beendeten ihren Aufmarsch um 17.20 Uhr und reisten über die Möllerbrücke ab.

Kaum Straftaten und störungsfreie Demos – Polizei ist zufrieden mit dem Einsatz

Im Versammlungsverlauf der Neonazis kam es zu vereinzelten Verstößen gegen die Auflagen, die dokumentiert wurden. Die Tatverdächtigen wurden identifiziert und Ermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet. Bei den Verstößen handelt es sich nach jetzigen Erkenntnissen um: das Zeigen verfassungswidriger Kennzeichen, das Propagieren volksverhetzender Texte sowie das Mitführen von Vermummungsgegenständen und Waffen.

Aus der BlockaDO-Demo kam es ebenfalls zu vereinzelten Verstößen: Hier beklagte die Polizei das Verwenden von Pyrotechnik, Beleidigungen gegen Polizeibeamte, Widerstandshandlungen sowie Flaschenwürfe und einen Steinwurf in Richtung der Einsatzkräfte. Zu Schaden kam allerdings niemand. Zudem protestierte der allergrößte Teil der Menschen friedlich und gewaltfrei.

Die jungen AntifaschistInnen hatten gegen die Polizeiübermacht keine Chance.

Die meiste Arbeit hatte die Polizei mit AntifaschistInnen, die sich abseits der genehmigten Demos der Neonazi-Route nähern wollten. Im Verlauf des Tages kam es immer wieder zu kleineren Zusammenstößen von AntifaschistInnen und GegenprotestlerInnen – u.a. im Klinikviertel.

Dort waren ebenfalls mehrere hundert Menschen unterwegs. Die Gruppen liefen „auf eigene Faust“ vom Hauptbahnhof über den Westenhellweg zum Stadthaus, von da aus über die Sonnen- und die Hohe Straße bis ins Klinikviertel. Die Gruppen wurden auf dem Weg immer größer.

In der Beurhausstraße kamen sie in Sicht- und Hörweite und damit zum Protest gegen die Rechtsextremen, als diese auf dem Weg zum Sonnenplatz an ihnen vorbei gingen. Die Polizei war mit einem Großaufgebot präsent. Ein Durchkommen zu den Neonazis war für ihre Gegner nicht möglich. Es kam vereinzelt zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen Protestierenden und Beamten.

Friedliche Demonstrationen – aber die Polizei erstickt zivilen Ungehorsam im Keim

Wegen des erneut massiven Polizeiaufgebots – genaue Zahlen nannte die Einsatzführung nicht – hatten Protestierende wieder keine Erfolg versprechenden Möglichkeiten zu Aktionen des zivilen Ungehorsams. An friedliche (Sitz-)Blockaden auf der Strecke ist beispielsweise nicht mehr zu denken. Denn selbst das Annähern zur Route der Nazis wurde bereits im Vorfeld von einem massiven Polizeiaufgebot im Keim erstickt.

Die Polizei hatte schon Stunden vor den Demos weite Teile der nördlichen und westlichen Innenstadt in einen regelrechten Sperrbezirk verwandelt und die Freizügigkeit von zehntausenden EinwohnerInnen massiv beschnitten. Erfolgreiche friedliche Störungen und Aktionen, mit denen sich die Zivilgesellschaft in anderen Städte brüstet und Aufmärsche verhindert oder zumindest behindert, sind in Dortmund seit Jahren nicht mehr möglich.

Denn die Polizeiführung hatte wieder mehrere tausend BeamtInnen aus dem ganzen Bundesgebiet auffahren lassen. „Insofern können sich die Neonazis sicher sein, dass sie ihre Aufmärsche nahezu ungestört durchführen können. Daher kommen die Neonazis so gerne nach Dortmund“, kritisieren AntifaschistInnen.

Die Polizeiführung bewertet dies naturgemäß völlig anders: „Dortmund hat heute eindrucksvoll gezeigt, dass es eine Hochburg der Demokratie ist, in der gewaltbereite Verfassungsfeinde von Rechts und von Links keine Chance haben“, kommentierte Dortmunds Polizeipräsident Gregor Lange.

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