Altwerden? Kein Thema, über das man gerne redet. In der schwul-lesbischen Community ist es daher ein doppeltes Tabu-Thema. Eines, welches jetzt eine Initiativgruppe in Dortmund durchbrechen will. Sie lädt zur Reihe „Stadtgespräche – Was im Alter wichtig ist“ ein. Zum Auftakt im Rathaus kommt am 2. April um 15 Uhr Franz Müntefering als Hauptredner.
Müntefering ist Träger der Kompass-Nadel des Schwulen Netzwerks NRW
Der frühere Arbeits- und Sozialminister ist heute Vorsitzender der „Bundesarbeitsgemeinschaft Senioren“. „Uns war wichtig, einen Botschafter zu haben. Und Franz Müntefering ist neuer Vorsitzender des größten Seniorenverbandes und Träger der Kompass-Nadel des Schwulen Netzwerks NRW“, erklärt Carolina Brauckmann.
Sie sei ihm für seinen Einsatz für Lesen und Schwule sowie den offenen Umgang mit seiner lesbischen Tochter in seiner Zeit als Arbeits- und Sozialminister in NRW verliehen worden, erklärt Brauckmann. Sie arbeitet für die Landesfachberatung für gleichgeschlechtliche Lebensformen in der offenen SeniorInnenarbeit in Köln.
Ihre Beratungsstelle ist eine der AkteurInnen, die die Dortmunder Initivgruppe mit an den Tisch geholt hat. Dort sind auch SLADO e.V., KCR e.V., Vielfalt e.V., der Fachdienst für Senioren der Stadt Dortmund sowie die Koordinierungsstelle für Lesben, Schwule und Transidente der Stadt Dortmund vertreten.
Immer mehr ältere selbstbewusste Schwule und Lesben im Rentenalter
Gemeinsam wollen sie sich dem Thema der alternden Gesellschaft stellen. „Lesben und Schwule werden nicht alt. Alles über 30 ist jahrelang in der Szene nicht sichtbar gewesen“, erklärt Frank Siekmann, Vorstandsmitglied von SLADO, dem Dachverband der Schwulen, Lesben- und Transidenten-Vereine in Dortmund.
„Das hat mit Diskriminierung zu tun und damit, dass sie nicht sichtbar sein durften. Erst in letzter Zeit gibt es mehr selbstbewusste ältere Schwule und Lesben“, so Siekmann. „Altwerden ist in der Community ein doppeltes Tabu-Thema. Das liegt auch am Jugendwahn in unserer Gesellschaft.“
Susanne Hildebrandt von der Städtischen Koordnierungsstelle hat den Anstoß für die Reihe gegeben und auch die Seniorenfachberatung ins Boot geholt.
Ziel ist es, das Älterwerden zu thematisieren. „Uns und der Community fehlt viel Sachwissen“, räumt Brauckmann ein. Sie wollen daher nach der Auftaktveranstaltung auch dezentrale Informationsrunden organisieren.
Gedanken von Vielfalt und eine kultursensible Arbeit
Doch warum braucht es spezielle Angebote für ältere Lesben und Schwule? Das Fachwissen, beispielsweise über Vorsorge- und Pflege-Angebote, sind doch für alle Menschen wichtig. Worum geht es also dann?
Es geht um den Gedanken von Vielfalt und eine kultursensible Arbeit. So wie sich die Gesellschaft vor gut zehn Jahren verstärkt der Frage im Umgang mit MigrantInnen stellte – die „Gastarbeiter“ sind geblieben und gingen in Rente – geht es nun um stärkeres Bewusstsein für ältere Schwule, Lesben und Transidente.
Von ihnen werden die guten Angebote der Seniorenberatung bisher nicht angenommen. „Wer jahrzehntelang diskriminiert und ausgegrenzt wurde, traut sich jetzt auch nicht“, so Brauckmann. Eine Beratung würde auch ein Stück weit ein Outing bedeuten – dann nämlich, wenn die Lebenspartnerschaft Thema werde.
Verständnis und Vielfalt von Wohnformen im Mittelpunkt
„Auch ich als alleinlebende Lesbe werde älter. Vielleicht bin ich bald in einem Altersheim, wo die ganzen Omis von ihren Kindern und Enkeln reden“, verdeutlicht Helga Steinmaier.
„Ich habe da nichts zu bieten. Ich möchte eine andere Wohnform finden, wo lesbisch sein selbstverständlich ist und ich nicht die blasse Frau bin, die nichts zu sagen hat.“
„Wenn wirklich Pflege gebraucht wird, stellt sich die Frage, wie ich da gesehen werde und wie sie zu mir stehen. Es gibt Träger wie die AWO, die das Thema schon aufgreifen“, so Brauckmann.
„Die AWO ist auf SLADO zugegangen und wollte wissen, auf was sie achten müssen. Es geht um kultursensible Pflege“, ergänzt Siekmann.
„Wer die repressive Zeit noch erlebt hat, muss ganz vorsichtig angesprochen werden. Frauen wie ich haben in den 70er Jahren einen wesentlich offensiveren Umgang mit dem Thema gehabt“, sagt Steinmaier, die sich im KommunikationsCentrumRuhr (KCR) in der lesbischen Seniorengruppe „Lesbian Summer“ engagiert.
Kultursensibilität und fachlich richtige Beratung
Den Beschäftigten in der Pflege müsse es klar sein, dass es unterschiedliche Lebensentwürfe gebe. Das Paradebeispiel sei das berühmte Bild auf dem Nachtisch.
Die Pflegekräfte müssten es einfach in Betracht ziehen, dass die abgebildete Person nicht nur die Schwester oder der Bruder, sondern auch der Lebenspartner sein könnnte, erklärt Brauckmann. „Ich muss wahrgenommen werden. Doch die Sensibilität ist häufig noch nicht da. Daran wollen wir arbeiten“, so Siekmann.
Doch es geht nicht nur um Sensibilität, sondern auch um eine fachlich richtige Beratung. Denn rechtliche und steuerliche Voraussetzungen sind bei Lebenspartnerschaften nicht mit denen von Verheirateten identisch, betont Susanne Hildebrandt.
Schulungen und Infos auch für Beschäftigte der Seniorenfach- und Pflegedienste
Daher gibt es auch immer mehr Schulungen und Informationsangebote für Beschäftigte der Seniorenfachdienste sowie der Pflegedienste. „Ich erhoffe mir, dass wir das Tabuthema Altwerden so aufbrechen können“, so Siekmann.
Über die gemeinsamen Veranstaltungen sollen auch dezentral Menschen angesprochen und Netzwerke gebildet werden.
Zwei Termine gibt es schon: Am 23. Juni um 15 Uhr im Wilhelm-Hansmann-Haus geht es um eine Vorsorgevollmacht und am 12. Oktober um 15 Uhr im Eugen-Krautscheidt-Haus um das Thema Pflege.
Müntefering kommt ins Dortmunder Rathaus
Doch zunächst geht es am Samstag, 2. April, von 15 bis 17 Uhr mit der Reihe „Stadtgespräche – Was im Alter wichtig ist“ mit Franz Müntefering im Dortmunder Rathaus (Saal Westfalia) los.
Der Untertitel der Veranstaltung: „Informationen und Austausch für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans* Personen und Heteros“. Für den musikalischen Rahmen sorgt „Choco con Chili“ Der Eintritt ist frei.
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SLADO e.V.
Stadtgespräche – was im Alter wichtig ist
Informationen und Austausch für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans* Personen und Heteros
Thema: Infonachmittag zum Thema Wohnen im Alter, auch für Angehörige,
Zeit: 26.04.2017, von 15 Uhr bis 17 Uhr,
Ort: Wilhelm Hansmann Haus, Märkische Straße 21
Veranstalter: SLADO e.V. und Stadt Dortmund, Fachdienst für Senioren
Die Veranstaltung ist öffentlich und kostenlos. Alle Interessenten sind herzlich willkommen
Nicht nur in der Seniorenarbeit ist „Wohnen“ immer ein sehr wichtiges Thema. Aber besonders wenn die Mobilität im Alter nachlässt werden Informationen zum seniorengerechtes Wohnen oft nachgefragt. Die Dortmunder Seniorenbüros wie auch der Kreuzviertelverein sind hier kompetente Ansprechpartner.
Ulrich Rönsch und Stephanie Werner Keller vom Seniorenbüro Scharnhorst gehen auf den Wert des Wohnens im Alter ein. Sie werden besonders die Situation in Dortmund in den Mittelpunkt stellen. Wohnberatung ist das Metier des Dortmunder Kreuzviertelvereins, hierzu wird Jan Hoppmann in einem Vortrag auf Maßnahmen zur Wohnumfeldverbesserung eingehen.
Durch die langjährige Erfahrung in der Wohnberatung des Kreuzviertelvereins wird Jan Hoppmann Tipps und Tricks geben, wie beispielsweise Gefahren in den eigenen vier Wänden erkannt und beseitigt werden können.
Im Anschluss besteht die Möglichkeit in der nahe gelegenen DOGEWO Musterwohnung an der Landgrafenstraße praktische Beispiele zum Wohnen im Alter zu sehen.
Zum Hintergrund
Alt werden ist auch unter Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Trans*personen ein Tabu. Ältere Homosexuelle kennt die Gesellschaft kaum, denn die meisten sind es noch gewöhnt, lieber unerkannt zu leben, was die Folge jahrzehntelanger Unterdrückung ist. Jetzt, da Lesben und Schwule in die Jahre kommen, die seit den 70er Jahren für gleiche Rechte und gegen Homophobie gekämpft haben, ist selbstbewusstes Altern auch in der „Community“ Thema.
In Dortmund hat sich eine Initiative gebildet, die mit der Reihe „Stadtgespräche“ versucht, Betroffene und Akteur_Innen zu sensibilisieren und zu informieren. SLADO e.V., KCR e. V., Vielfalt e.V., der Fachdienst für Senior_Innen der Stadt Dortmund, die Koordinierungsstelle für Lesben, Schwule und Transidente der Stadt Dortmund sowie die Landesfachberatung „immer dabei – ältere Lesben und Schwule in NRW haben gemeinsam das neue Angebot entwickelt.
Ein Infonachmittag des SLADO e.V. und der Stadt Dortmund
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