Liebe – was soll man dazu schon noch Neues sagen? Muss man ja auch nicht. Sie ist und bleibt ein TOP-Thema in der Kunstwelt und natürlich in der Realität und so widmet sich das Dortmunder Künstlerhaus in seiner neuen Ausstellung dem „ewigen Mysterium“.
„Männer sind meine Musen – ich kehre die Beziehungen um“
„Es war ganz leicht Menschen für dieses Thema zu begeistern“, erzählt Kuratorin Dagmar Lippok beim Rundgang und dass es ihr nicht nur um die Liebe geht, sondern um viele Facetten, Beziehungsgeflechte und überhaupt – sie „liebt das Thema“ und diese Begeisterung ist ihr anzumerken.
Mutig besetzt Lippok den großen Saal mit den Skulpturen und Malereien einer jungen Künstlerin, die vor großen Gefühlen und Kitsch offenbar keine Angst hat. Im Gegenteil. Aleksandra Belic trägt zur Eröffnung Pink, macht auch mal die Beinrasur vor dem Rendezvous zum Thema ihrer Kunst.
Sie zeigt uns Männer, die zur Anbetung der Frau niederknien oder sich unter einem rosa-roten Himmel für sie räkeln. Das ist bunt, leidenschaftlich und ein wenig hemmungslos, naiv – aber nicht ohne Sprengstoff. „Männer sind meine Musen“, so Belic „ich kehre die Beziehungen um.“
Romantik als Fassade: Fotoserie über die Hochzeitsindustrie in Indien
Der Kontrast zu den Fotoarbeiten von Marlene Apmann und Anja Bohnhof könnte kaum größer sein. Die sprichwörtlichen „Schmetterlinge im Bauch“, die bei Belic auch mal direkt durchs Bild flattern, sind hier kein Thema. Die Bildsprache ist klar und sachlich, es geht um arrangierte Ehen in Indien.
Die Fotos zeigen drei Inderinnen in ihren ehemaligen Hochzeitsgewändern, sie zeigen leere Festräume, denn die Feier ist vorbei. Rosen, Herzen, die vormals festliche Symbolik erweist sich als kalkulierte Inszenierung der Hochzeitsindustrie und zurück bleibt nur Müll.
Und die Liebe? „love comes later“ so der Titel der Bildserie – später also, vielleicht. Und vielleicht ist das ja auch nicht so wichtig. Jedenfalls nicht so wichtig, wie der Erhalt der Beziehungs- und Familienstrukturen.
Freiheit, Liebe, Saufen – der Schützenverein und die Ekstase
Im zweiten große Raum steht ein runder Tisch in der Mitte. Hier soll ein Ort der Begegnung entstehen: das love/love-Cafe. Am Samstag, den 26. August und am Samstag, den 23. September, jeweils um 16 Uhr soll es Führungen für „Singles – und alle anderen“ durch die Ausstellung geben. Echte Begegnungen statt Dating-App, Gespräche mit echten Menschen über echte Bilder statt Fake-Profil und virtueller Chatroom – und dann vielleicht …
Dass sich unter den großformatigen Fototapeten des „Schützenkorps Europa“ zarte Gefühle entwickeln werden, ist allerdings schwer vorstellbar. Hier geht’s ums Ganze – aber ohne rosa Brille. Katzenjammer, Saufgelage, Geständnisse am Tresen und am Ende Scham – das sind die Themen des Schützenvereins und die Themen der Malerei von Jody Korbach, die im Verein auch die „Frau Hauptmann“ ist.
Das ist kein Scherz. Korbach hat den Schützenverein als echten Verein gegründet – aus einem künstlerischen Impuls, aber nicht als abstrakte Idee. Man trifft sich zu festen Terminen, es gibt Regelwerke und es sind nicht nur Künstler:innen dabei, sondern ganz unterschiedliche Menschen, die mit dem Schützenverein Gefühle wie Heimatliebe, Zugehörigkeit und Geselligkeit verbinden.
Muss man schießen? „Wichtiger ist saufen,“ erklärt Korbach. Sie posiert vor einem Motiv des Erotik-Kalenders, den der Verein herausgegeben hat. Das strenge Reglement, die Uniform – sie treffen auf Spitze, nackte Haut und Durcheinander. Scheint, als wäre auf der Suche nach den großen Gefühlen, die Situation ein wenig entglitten. Aber auch das gehört wohl dazu.
Feinfühlig, divers und humorvoll – auch das ist die Liebe
Feinfühliger geht es weiter: Tina Herchenröther ist Teil des inklusiven Ateliers Goldstein aus Frankfurt/Main und hat extra für die Ausstellung zwei neue Bilder angefertigt. Sie zeigt indifferente Figuren-Paare, die sich nicht festlegen lassen.
Durch Linien und Farbbeziehungen sind sie miteinander verwoben, Grenzen werden überschritten und neue Verbindungen entstehen. Beim Künstler:innengespräch am 1. Oktober wird Herchenröther über ihre Arbeit sprechen.
Auch Yvonne Diefenbach ist dann vor Ort. Ihre zarten, kleinen Chemiegramme – ein besonderes Bildverfahren auf Fotopapier – gehen in der knalligen Ausstellung fast ein wenig unter, sind aber unbedingt die nähere Betrachtung wert. Diefenbach arbeitet mit Stempeln von Pin Ups und anderen erotischen Motiven, überformt sie und lässt neue Situationen entstehen, deren erotische Basis sich noch erahnen lässt. Auch ein Aspekt der Liebe, die ja nicht zuletzt auf bio-chemischen Prozessen und Zufall beruht und dennoch zu schönen Ergebnissen führen kann.
Göttin Iduna lädt zum Rollenspiel und hinterfragt Verschwörungsmythen
Was braucht es sonst noch zur Liebe? Mythos und Humor – wenn es nach Carl Brandi geht. Er hat das Live-Rollenspiel „Idunas Äpfel“ geschrieben und produziert.
Iduna ist die Herrscherin über einen Zaubergarten mit Äpfeln, die ewige Jugend versprechen – doch diese Äpfel wurden aus dem Garten gestohlen. Die Spur führt in „Idunas Tempel“, der dem Namen nach ja vielleicht an der Strobelallee liegt. Denn ist es nicht auffällig, dass an diesem Ort „echte Liebe“ gepredigt wird und viele junge und kräftige Männer sich dort zum Ballspiel treffen?
Aber vielleicht ist das auch nur eine Verschwörung, um von anderen Verbrechen abzulenken? Besucher:innen haben an neun Abenden im freien Rollenspiel die Möglichkeit, mit dem Künstler ihren Gefühlen und dem romantischen Verlangen nachzuspüren, das sich Verschwörungsmythen oft zu nutze machen. Ob es ein Happy End gibt, ist offen.
Sehnsucht, Verzweiflung und Mut – Happy End ungewiss
Die Chance auf ein Happy End – sie war bei den Arbeiten von Klara Hobza gering. Hobza zeigt im letzte Raum der Ausstellung zwei ältere Video-Arbeiten, die in nur wenigen Minuten eindrucksvoll zum Ausdruck bringen, welche Kraft der Liebe oder einem sehnlichen Wunsch innewohnen können.
Ein Papierflieger wird von einer jungen Frau akribisch gefaltete – einmal um die ganze Welt könnte die Reise gehen. Sie rennt einen Steg entlang, kämpft gegen den Wind, lässt den Flieger los – er stürzt sofort ab. Neuer Versuch. Das hat eine tragische Komik und man muss wohl auch ein wenig verrückt sein, um weiterzumachen.
Hobza ist so hartnäckig. Jahre hat sie in das zweite Projekt investiert, das hier ebenfalls als Video dokumentiert wird. Allein in ihrem Appartement, ausgestattet mit herkömmlichen Wohnzimmerlampen, die sie per Hand bedient, tritt sie in Konkurrenz zum Lichtermeer der Stadt und sendet per Morsealphabet ihre Botschaft in die Nacht. Wer würde sie sehen? Wer würde verstehen und antworten? Drei Jahre später kam tatsächlich eine Antwort, sie verbirgt sich im Schnitt des Videos: kurz, kurz, lang etc. – wer kann sie entschlüsseln?
Welche Chance hat die Liebe in einer entfremdeten, zerstörten Welt?
Bleibt der Keller. Hier zeigt Birgit Brenner ihren Stop-Motion-Film „Final Call“. Man kann es sich gemütlich machen und über 30 Minuten in ihre Bildsprache eintauchen, die sich nicht auf ein Medium beschränkt. Das Thema ist allerdings eher ungemütlich.
„Final Call“ thematisiert die gravierenden gesellschaftlichen Folgen der Entfremdung des Menschen und die voranschreitende Zerstörung der Welt. Ein dystopisches, kritisches Bild – eingebettet in eine malerische Filmwelt. „Why you, why me?“ taucht als Frage auf – womit wir vielleicht auch wieder bei der Liebe sind. Es gibt Millionen Menschen, wer soll da die eine große Liebe sein? Eine Feuerball schlägt ein: Wende oder Weltuntergang?
Wir verlassen die Ausstellung. Rettet uns die Liebe? Oder die Kunst? Vermutlich nicht, aber bis dahin sind Apfelbäumchen pflanzen oder ein Ausstellungsbesuch immer eine gute Sache.
Infos und Termine:
- Führungen für Singles – und alle anderen: Samstag, den 26. August, 16 Uhr und Samstag, den 23. September, 16 Uhr
- Live-Rollenspiel Carl Brandi „Idunas Äpfel“: Sa 26. + So 27. August, Sa 2. + So 3. September, Sa 16. + So 17. September, Do 21.+ Fr 22. + Sa 23. September
jeweils 16 – 19 Uhr - Finissage und Talk mit den Künstler:innen: Sonntag, den 1. Oktober, 17 Uhr, Moderation: Dagmar Lippok und Dr. Pia Wojtys
- Weitere Infos zur Ausstellung auf der Internetseite des Künstlerhaus Dortmund