„Komm‘, ein Gläschen wird doch drin sein…“ Wenn Sonja K.* ein alkoholisches Getränk angeboten wird, lehnt sie dankend ab. Lässt der Anbietende nicht locker, sagt sie schmunzelnd, aber deutlich, der Alkohol, den sie bereits getrunken habe, reiche für ein Leben. Dann ist meist Ruhe. „Ein Glas Sekt abzulehnen, ist in unserer Gesellschaft schwerer, als man vielleicht denkt“, sagt die 46-Jährige und freut sich, dass sie heute offen mit ihrer Suchterkrankung umgehen kann und manchmal eben muss. Ihr eigentlicher Grund zur Freude: Seit zwei Jahren ist die Dortmunderin trocken, Anfang 2023 hat sie ihre Ambulante Reha in der Diakonie Fachstelle Sucht beendet.
Rund zwei Dutzend Menschen mit Suchterkrankungen nutzen ambulante Reha
Krankgeschrieben, weg von Alltag und Familie für mindestens zwei Monate? Das kam für die Einzelhändlerin und Mutter nicht in Frage, schließlich erfordert eine stationäre Therapie für Menschen mit Alkoholsucht einen langen Klinikaufenthalt, den viele Betroffene scheuen.
Mit der Ambulanten Rehabilitation bietet die Diakonie Fachstelle Sucht in Dortmund jährlich rund zwei Dutzend Menschen mit Suchterkrankungen eine sinnvolle Alternative und setzt in der Therapie auf wöchentliche, verbindliche Gruppensitzungen und Einzelgespräche, während der Alltag weiterläuft. Fast alle sind berufstätig, viele haben Familie und Verpflichtungen.
„Die meisten von ihnen blieben in ihren Trinkphasen weiterhin berufstätig aber leistungseingeschränkt, doch welchen Stellenwert der Alkohol tatsächlich in dem jeweiligen Leben eingenommen hat, merken viele zu spät“, so Frank Schlaak, Leiter der Diakonie Fachstelle Sucht.
Sonja ist eine dieser Menschen, ihren Kater hat sie irgendwann nur noch mit Konterschnäpsen in den Griff bekommen. Mit drei weiteren Betroffenen hat sie sich im Diakoniezentrum Arndtstraße verabredet, um zurückzublicken, auf den ganz individuellen Sieg gegen die Sucht und auf das Leben ohne Alkohol.
Niemandem im Raum sieht man die ehemalige Abhängigkeit und den Kampf dagegen heute an. Wer den Raum passiert, denkt hier läuft eine Teamsitzung.
In Dortmund sind haben 13.000 Menschen die Diagnose Alkoholabhängigkeit
Etwa zwei Millionen Menschen leben in NRW laut hiesigem Gesundheitsministerium mit einem Alkoholproblem. Rund 400.000 davon gelten als abhängig. In Dortmund sind dies 13.000 Menschen mit einer Diagnose Alkoholabhängigkeit, weitere 12.000 Menschen konsumieren Alkohol in schädlicher Weise.
Insgesamt 25.000 Dortmunder:innen weisen damit eine behandlungsbedürftige alkoholbezogene Störung auf (Suchtbericht Stadt Dortmund 2017). Präventionsmaßnahmen greifen zwar, doch speziell bei jüngeren Menschen nimmt der Alkoholkonsum in den vergangenen Jahren stetig zu, auffällig sind mittlerweile bundesweit auch die Trinkgewohnheiten von Berufstätigen.
„Warum bin ich heute hier, was für Probleme dominieren im Moment – die Schwierigkeiten der Rehabilitanden gleichen sich und oft hilft es schon, sie unter ebenfalls Betroffenen auszusprechen“, sagt Frank Schlaak,
Er weiß, dass diese Art der Reha, bestehend aus Gruppen- und Einzelsitzungen, nicht für jeden geeignet ist: „Deshalb arbeiten wir Hand in Hand mit den stationären Einrichtungen und entscheiden gemeinsam, welche Option in Frage kommt. Wir verstehen uns als Lotsen im Suchthilfesystem. Manchmal ist es auch genau richtig, für eine Zeit aus seinem Alltag, seinen Routinen herauszukommen.“
Ambulante Angebote als Alternative zur stationären Therapie
Für David D. war das nichts. Der Energie-Elektroniker blickt auf ein bewegtes Leben zurück: Kraftsport, Tattoos, schnelle Autos, der Drang nach Exzess spielte dabei immer eine Rolle. Doch als dann hochprozentiger Alkohol und Kokain dazu kamen, war der Spaß vorbei: „Ich blieb halbwegs arbeitsfähig, war aber teilweise drei Tage am Stück wach. Danach war ich völlig am Ende. Bis zum nächsten Rausch.“
Es folgten Führerscheinentzug und schließlich der Entschluss, das Leben mit Anfang 40 noch einmal zu verändern. Während Sonja K. über ihren Hausarzt, dem sie sich anvertraut hat, zur Diakonie kam, wurde David von einer betrieblichen Ansprechpartnerin für Suchtfragen seines Arbeitgebers hier her vermittelt. Ebenfalls vertraulich und im besten Sinne für Firma und Mitarbeiter. Allerdings hatte David D. einen ziemlichen Wissensvorsprung.
„Ich hatte bereits zwei stationäre Aufenthalte und sieben Entgiftungen hinter mir. Aber da kam ich mir vor wie in einer Jugendherberge und als ich dann nach Hause kam, waren alle Sorgen und Probleme wieder da. Deswegen mag ich es hier, meine Sucht und den anderen Krempel direkt gleichzeitig anzupacken“, so der heute 42-Jährige, der ebenfalls in diesem Frühjahr seine ambulante Reha beendet hat. Seitdem ist er weiter trocken, bleibt jedoch wachsam in Bezug auf mögliche Risikosituationen, um nicht rückfällig zu werden.
„Es ist ein großer Erfolg, dass David heute gesund hier sitzt. Deswegen tauschen wir uns offen und vorurteilsfrei aus und entscheiden, für wen welche Therapie am erfolgversprechendsten ist. Wenn wir uns für die Ambulante Reha entscheiden, fangen wir mit sechs Monaten Therapie an, aber häufig geht es weiter“, erklärt Jonas Picht, der als Bezugstherapeut David knapp 18 Monate begleitet hat. Die gesamte Zeit über war er berufstätig und hat auch jetzt noch denselben Arbeitgeber, dem er sehr dankbar ist.
Mobbing, Trennung und Jobverlust können wichtige Auslöser sein
Neben David sitzt Vanessa P., ihr Sohn ist heute fünf Jahre alt, als sie zu trinken anfing, war er ein Baby. „Ich war allein und habe mir einen Wein aufgemacht. Dann noch einen, dann immer mehr und immer häufiger“, so die 44-jährige Mutter. Die Flasche im Anbruch hat sie immer im Wäschekorb versteckt.
Warum sich das so eingeschlichen hat, wurde gemeinsam mit der Zahnarzthelferin in der ambulanten Rehabilitation aufgedeckt und erarbeitet. Sehr gut erinnern kann sie sich noch an ihre größte Sorge: „Ich saß dann volltrunken zu Hause und hatte solche Angst, man würde mich in diesem Zustand antreffen und mir mein Kind wegnehmen.“ Heute ist der Alkohol in ihrem Leben Geschichte, weil sie in der Therapie neue Bewältigungsstrategien erlernt hat. „Und ich habe keine Angst mehr. Ich bin frei“, so Vanessa.
Gabriele H. hatte da schon mehr im Gepäck. „Ich hatte eine Depression, zu einer Zeit, als diese Krankheit noch nicht so anerkannt war, wie heute. Da habe ich zu Alkohol gegriffen, um das Gedankenkarussell anzuhalten. Das hat wunderbar geklappt, aber ist natürlich ein Teufelskreis und eine eigene Medikation ist nie gut“, scherzt die 54-Jährige heute, für die das Trinken und die Symptome der Erkrankung schnell zu einem lebensbedrohlichen Cocktail wurden.
Mobbing, Trennung und Jobverlust waren wichtige Auslöser. Übers Krankenhaus und eine Entgiftung ging es dann schon einmal zur Diakonie. Bis Mai 2021 folgte eine trockene Zeit, dann schlichen sich die Probleme, parallel zum Ausbruch der Coronapandemie, wieder ein. Mittlerweile ist die zweite Reha durch, die Depressionen bekämpft, die Suchtgedanken fort. „Das Leben hat wieder Farbe bekommen“, sagt sie heute. Seit Anfang 2023 sind alle vier Rehabilitanden fertig mit der Therapie. Ziel ist es nun, lebenslang abstinent zu bleiben – jeder Rückfall setzt alles wieder auf Anfang. Deswegen lehnen sie auch weiterhin jedes Glas ab, egal, zu welchem Anlass, egal, wie klein das Gläschen ist und wie oft es angeboten wird.
(*Die Namen der vier Rehabilitanden wurden geändert.)
HINTERGRUND: Woran erkenne ich eine Sucht?
Jede Sucht weist mindestens sechs Merkmale auf (ICD 10, Klassifikation psychischer Störungen). Wenn man davon drei dauerhaft bei sich feststellt, besteht die Gefahr einer Abhängigkeitserkrankung. Dann wäre es hilfreich, sich einem Arzt anzuvertrauen oder eine Suchtberatungsstelle aufzusuchen.
Starkes Verlangen: „Ich brauche das“ – Das Suchtmittel ist immer präsent. Suchtkranke denken ständig daran und haben den Wunsch oder verspüren einen Zwang, es zu konsumieren.
Kontrollverlust: „Ich kann es nicht stoppen“ – Eine Sucht lässt sich nicht kontrollieren. Betroffene haben keine Kontrolle mehr darüber, wann sie ihr Suchtmittel konsumieren oder wie viel davon.
Abstinenzunfähigkeit: „Es geht nicht mehr ohne“ – Suchtkranke können nicht auf ihr Suchtmittel verzichten. Auch dann nicht, wenn sie dadurch schmerzhafte Konsequenzen erleben, weil ihre Gesundheit Schaden nimmt oder ihre Familien und Freundschaften deswegen zerbrechen.
Toleranzbildung: „Ich brauche immer mehr“ – Um denselben Effekt bei sich zu erleben, müssen Suchterkrankte immer mehr von ihrem Suchtmittel konsumieren, bzw. ihr Sucht- Verhalten immer häufiger zeigen. Die Dosis steigt.
Entzugserscheinungen: „Ich bin nicht mehr ich selbst“ – Ohne Suchtmittel treten Entzugserscheinungen auf. Oft zeigen Suchtkranke dann Symptome wie Schwitzen, Zittern oder Krämpfe, Schmerzen, Schlafstörungen und Halluzinationen.
Rückzug: „Um mich herum wird es einsam“ – Die Befriedigung der Sucht ist für Suchtkranke das Wichtigste im Leben. Alles andere, wie Familie und Freunde, die Arbeit, das Sporttraining oder die Hobby-Gruppe verlieren für sie an Bedeutung.
Mehr Infos: Die Diakonie Fachstelle Sucht in Dortmund
- Als eine Suchtberatungsstelle wendet sich die Diakone Fachstelle Sucht an Menschen, die sich über ihren Alkoholkonsum Gedanken machen oder einen problematischen Konsum betreiben.
- Manchmal sind es auch Anstöße von Dritten, die zu einem Besuch unserer Beratungsstelle führen. Sie ist häufig erste Anlaufstelle bei suchtmittelbezogenen Problemen und kooperiert mit vielen Partnern innerhalb und außerhalb der Suchthilfe.
- Darüber hinaus behandelt die Beratungsstelle seit 1999 auch Menschen bei bestehender Alkoholabhängigkeit im Rahmen der medizinischen ambulanten Rehabilitation.
- Außerdem unterstützen die Fachkräfte Angehörige von Abhängigen und schulen Unternehmen und Einrichtungen im Umgang mit Suchtfragen und übernehmen Aufgaben der Suchtprävention.
- KONTAKT: Diakonie Fachstelle Sucht, Arndtstraße 16, 44135 Dortmund, Tel. 0231 84 94 461, bfs@diakoniedortmund.de
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Aktionstag Suchtberatung in Dortmund Beraten, behandeln, stabilisieren: Suchtberatungsstellen werben am 9. November für ihre Arbeit
Die Diakonie Fachstelle Sucht wirbt am Aktionstag Suchtberatung, dem 9. November 2023, gemeinsam mit weiteren Dortmunder Partnern für ihre Arbeit. In der LWL-Klinik Dortmund-Aplerbeck stellt die Diakonie ihr Angebot der digitalen Suchtberatung „DigiSucht“ vor und steht mit einem Infostand interessierten Besuchern zur Verfügung. Suchtberatungsstellen beraten, behandeln und begleiten, unterstützen und stabilisieren Abhängigkeitskranke in Krisen sowie in dauerhaften Lebenssituationen. Damit bieten sie vor Ort eine unverzichtbare Hilfe für suchtgefährdete und abhängigkeitskranke Menschen und ihre Angehörigen. Sie übernehmen viele Aufgaben, die den multiplen Problemlagen Suchtkranker gerecht werden: Sucht, wie Alkohol oder andere Substanzen, kann schwerwiegende gesundheitliche Probleme verursachen. Suchtberatung ermöglicht frühzeitige Intervention und Prävention, um die Gesundheit Betroffener zu schützen. Suchtberatung hilft auch Angehörigen von Betroffenen, Lösungen zu finden und kann dazu beitragen, Menschen wieder in Arbeit zu integrieren und volkswirtschaftliche Auswirkungen zu minimieren.
Aktionstag Suchtberatung
Donnerstag, 9. November 2023, 15-19 Uhr
LWL-Klinik Dortmund
Marsbruchstraße 179, 44287 Dortmund
Das flüssige Gift: Tag der Suchtberatungen weisen auf ihre Arbeit hin (PM Caritas)
Suchtberatungen reduzieren die Kosten für die Volkswirtschaft um das siebzehnfache. Grund genug, ihre Unterstützung für die Menschen am kommenden 14. November, dem Tag der Suchtberatungen, genauer zu beleuchten.
Knapp 1,6 Millionen Menschen sind in Deutschland aktuell alkoholabhängig, dazu kommen noch einmal 9 Millionen Menschen mit einem problematischen Alkoholkonsum hinzu. Die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher liegen.
„Problematischer Alkoholkonsum bedeutet, es liegt noch keine Abhängigkeit vor, sie kann aber drohen. Typischerweise wird zu oft zu viel getrunken und es sind bereits erste Anzeichen zu erkennen, wie etwa nachlassende Interessen, nachlassende körperliche Fitness, Einschränkungen beim Arbeiten“, weiß Mattis Kögler, Leiter der Suchtberatung der Dortmunder Caritas.
Die Suchtberatung hilft nicht nur Alkoholabhängigen, sie bietet auch Unterstützung bei Spielsucht und Mediensucht. „Entweder entscheiden sich die Menschen freiwillig zu uns zu kommen, weil sie merken, das Leben entgleitet ihnen oder Angehörige, meistens der oder die Partner:in setzen den Betroffenen unter Druck, in dem sie androhen, zu gehen“, so Kögler.
Es gibt verschiedene Phasen in der Suchtberatung. „Beim Alkoholkonsum, muss der- oder diejenige, nicht schon vorher aufgehört haben zu trinken. Das lernt er oder sie dann in der Beratung. Dann führen wir eine Beratung durch, die aus mehreren Treffen besteht und dann bieten wir eine Therapie an“, so der Leiter. Ohne Therapie und Umstellung gewohnter Lebensweisen, sei es oft schwer, die Sucht in den Griff zu bekommen. Ließe man sich aber auf die Therapie ein, seien die Erfolgschancen hoch, denn man könne lernen, kein Verlangen mehr nach Alkohol zu haben.
„Die Suchtberatung steht finanziell immer schlechter da, wir bekommen immer weniger Geld vom Staat und seinen Institutionen, dabei ist Suchtberatung eine Form der Daseinsführsorge und spart dem Staat langfristig sogar viel Geld“, sagt Mattis Kögler und ist verärgert über die immer schwierigeren Bedingungen, das Angebot aufrecht zu erhalten.