Von Gerd Wüsthoff
In dem neuen Stück von Claudia Bauer im Schauspiel Dortmund ist der Mensch mit seiner Hybris der Weltenschöpfer und Weltenzerstörer. Bauer führt in ihrer aktuellen Regiearbeit die klassischen drei Sparten des modernen Theater-, Musik- und Schauspielbetriebes in seine ursprüngliche Einheit zurück.
Die biblische Schöpfungsgeschichte auf den Kopf gestellt: im Zentrum steht der Mensch
Bauer und Dramaturg Dirk Baumann basieren ihre neue Inszenierung auf dem Oratorium „Die Schöpfung“ von Joseph Haydn (Musik) sowie dessen Libretto von Gottfried van Swieten, und paaren es mit modernen Texten von Bernhard Studlar, aus „Die Ermüdeten“, und aus der „Kyberiade“ von Stanislaw Lem. Der Titel reduziert sich dabei auf „Schöpfung“ und schmeißt das Konzept einer göttlichen Erschaffung der Welt über den Haufen.
War es für Haydn und seine Zeitgenossen noch unumstößlich, dass Gott der Urheber der Schöpfung von Welt, Universum und Mensch galt, so hat dieser Gedankenansatz das religiöse Korsett verlassen. Spätestens seit den Zeiten der Aufklärung und dem folgenden Wissen um die Evolution durch Charles Darwin ist das klassische biblische Bild nur noch in den Köpfen von Evangelisten.
Mit Darwin hat Gott als lenkender Schöpfer ausgedient, die Prioritäten haben sich verschoben, der Mensch ist an seine Stelle getreten. Bauer stellt mit Hilfe des Bühnenbildners Andreas Auerbach die Schöpfungsgeschichte komplett auf den Kopf. Der Vorhang geht auf, und weißer Qual, die Ursuppe darstellend, wabert hinterher.
Der Mensch: von der Spitze der Evolution zur Marionette der Geister, die er da rief
Während das Oratorium von Haydn ein Auftragswerk zur Lobpreisung des Schöpfergottes ist, stellt sich Bauer mit ihrer Inszenierung konsequent gesellschafts-, sozial- und entwicklungskritisch dagegen. Selbst der schon zu Robo-Sapiens veränderte Mensch vergeht sich an der Schöpfung – dargestellt an der Tötung und Ausweidung eines gefangenen Wales.
Haydns paradiesischer Sündenfall ist bei Bauer und Baumann die Schaffung der künstlichen Intelligenz – des Cyborgs. Der Robo Sapiens und nicht mehr der Homo Sapiens wird die treibende Kraft. Der Mensch als Schöpfer, befreit von religiösen Fesseln und Zwängen.
Gesteuert von Vernunft und Individualismus – besonders eindringlich zu erleben in der Kakophonie im Bild des sechsten Tages. Rauschhaft wabert die Musik, untermalt von sich wiederholenden Sätzen von scheinbar schicksalhaftem und belanglosem – moderner Kommunikationsmüll. Schöpfung „ad absurdum“ oder Irrweg der menschlichen Schöpfung? Die Masken geben dem Zuschauer einen Hinweis auf den Robo Sapiens – denn längst sind wir zu Bedienelementen unserer elektronischen Helfer degeneriert.
Robo-Eva bettelt um Liebe von Homo-Sapiens-Adam – allein, es fehlt das Verbindende
Während sich Robo-Eva in ihrer Liebeserklärung an Homo-Sapiens-Adam unbekümmert der elektronischen Sprache und Logik bedient, geistert bei Homo-Sapiens-Adam ein individualistisch-romantischer Liebesbegriff durch den Kopf.
Der Zuschauer mag sich an „Star Trek, der Film“ erinnert fühlen, als eine die Menschheit bedrohende Energiewolke, einen weiblichen Cyborg auf die Enterprise entsendet, um mit den „Kohlenstoffeinheiten“ direkt zu kommunizieren.
Als V’ger (eigtl. Voyager) versteht, dass die Menschen ihre Schöpfer sind, verlangt es Antworten nach dem Sinn der Leere ihrer Existenz, die nichts als Logik kennt.
Ein anderer Filmklassiker, der stil- und richtungsweisende expressionistische Stummfilm „Metropolis“ mit Brigitte Helm, welche als Mensch-Maschine um die Gunst und Beeinflussung der Menschen buhlt, kommt einem ebenfalls in den Sinn.
Der Mensch ist so klug wie kurzsichtig zugleich, dass er sich selbst abschaffen kann
Bettina Lieder, Robo-Eva, und Frank Genser, Homo-Sapiens-Adam, kommen als Paar nicht zusammen und symbolisieren damit die Tragik, dass Mensch und Maschine nicht zusammenpassen. Der Mensch erweist sich seiner eigenen Schöpfung als unwürdig.
Diese Szene bringt auch das letzte Rezitativ aus dem Oratorium von Haydn. Der Erzengel Uriel, Ulrich Cordes, warnt Eva und Adam eindringlich davor, nicht „mehr zu Wissen als ihr sollt“. Homo Sapiens wäre nicht der Mensch, der wir sind, um diese Warnung beherzigen zu wollen.
Hier wird die Evolutionskritik endgültig deutlich. Das Denkbare wird realisiert, ohne an die Konsequenzen zu denken. Homo Sapiens ist in der Lage, sich selbst abzuschaffen. Bleibt nur der Ausweg zum Robo-Sapiens, welcher mit der elektronischen Logik sein Handeln bestimmt? Ist der biologische Mensch der bessere als der Cyborg? Der biologische Mensch jedenfalls unterliegt, entgegen oder mit aller Vernunft, immer noch seinen alten biologischen Mustern, unfähig, mit seiner eigenen neuen Schöpfung umgehen zu können.
Freizügige Kostüme und Fibonacci-Spirale als Bühnenbild einer Zeitreise mit zweifelhaftem Ausgang
Die Grenzen zwischen Mann und Frau, Eva und Adam, sind von Beginn an verschwommen. Die Kostüme von Patricia Talacko lassen Geschlechter nur bedingt erkennen. Auch weibliche Schauspieler sind nur Schemen, Vorboten des Robo-Sapiens.
Cyborgs ähnlich, fahren die Schauspieler auf die Bühne, während sich noch der Dampf der Ursuppe im Bühnenbild bewegt. Ihre Texte auf den ersten Blick ein Wirrwarr, der sich bei genauerem Hinhören als Vorstellung der Mensch-Maschine entpuppt. Sie haben keine Pronomen, keine Gesichter, sondern Masken, sind zugleich auf der Bühne und in den Terminals, sind Abstraktionen von Menschen, welche sie geschaffen haben.
Sie reisen durch die Zeiten der Evolution in der Fibonacci-Spirale des Bühnenbildes von Auerbach. Im ersten Kostüm in der Spirale, welche die Evolution versinnbildlichen soll, beginnen die Schauspieler als Affenmenschen verkleidet, Geschlecht unerkennbar, auf Schreibmaschinen Texte ein zu hämmern, um sich anschließend vor Publikum zu duschen und umzuziehen. Die folgenden Kostüme, aus der Zeit der Entstehung des Oratoriums, lassen die Schauspieler geschlechtslos und doll-drastisch in roboterhaften Gesten erscheinen und ein gesellschaftliches Zerrbild entstehen.
Die offene Frage: Wohin gehst Du, Mensch, Schöpfer allen Unheils?
Im Bühnenbild des sechsten Tages erscheinen die Schauspieler in Tiermasken. Was wäre, wenn nicht der Mensch als „Krone der Schöpfung“ hervorgegangen wäre, sondern die Tiere? Die gleiche Hybris und belanglose Handlungsweise?
Der sechste Tag bringt uns auch Robo-Eva und Homo-Sapiens-Adam als Liebespaar, welches nicht zusammen finden kann, weil knallharte Algorithmen und menschliches Gefühl nicht zueinander finden – schlicht nicht kompatibel sind. Das Ende der bekannten Zivilisation?
Die Maschine, der Robo-Sapiens ist nicht die Lösung der Probleme, aber auch nicht der Verursacher. Das ist der Mensch alleine. Und so stellt sich am Ende, während des rauschenden Beifalls die Frage: Quo Vadis Homo Sapiens? Lautet die Antwort: Wir haben versagt!? Die menschlichen Schwächen sind aber auch seine Stärken.
Ulrich Kordes als Uriel, Robin Grunwald als Raphael und Maria Helgarth als Gabriel waren fantastisch und man wünscht sich mehr solcher „Cross-Over“ Produktionen. Zumindest ist aber die Lust auf das Opernhaus gestiegen. Petra Riesenhuber am Piano und T.D. Finck von Finkenstein spielten die Musik auf der Bühne sichtbar ein. Dabei wurde zeitweise die Musik Haydns elektronisch verzerrt und modernisiert.
Mehr Informationen:
- Weitere Vorstellungen der „Schöpfung“ im Schauspiel Dortmund sind am:
- 13. April,19.30Uhr – 29. April, 18 Uhr – 20. Mai, 18 Uhr – 2. Juni, 19.30 Uhr – 22. Juni, 19.30 Uhr – 4. Juli, 19.30 Uhr – 12. Juli, 19.30
- Karten unter Tel. (0231) 5 02 72 22
- Eintritt: von 9 bis 23 Euro