Von David Peters (Fotos) und Julian Ronneburger (Text)
Aus rechtsextremistischen Motiven erschoss Tobias R. in Hanau neun Menschen mit Migrationshintergrund. Anschließend tötete er seine Mutter und nahm sich das Leben. Jetzt, sechs Monate nach der blutigen Tat, gab es überall in Deutschland Kundgebungen, um den Opfern und ihren Hinterbliebenen zu gedenken und an die tragischen Ereignisse zu erinnern. So auch in Dortmund, wo Vertreter*innen mehrerer lokaler Organisationen, Bündnisse, Gruppen und Initiativen – wie die DIDF-Jugend (DIDF), die Linksjugend (’solid), Fridays for Future (FFF), die Black Community Foundation (BCF), das Feministische Kollektiv und die Solidarische Organisation Solidarität (SOL) – Redebeiträge hielten. Denn Hanau war, und ist, kein Einzelfall. UPDATE (23 Uhr): Die Demo am Samstag, den 22. August, wurde abgesagt. Als Alternative findet um 13 uhr am „Platz der alten Synagoge“ eine Demo statt. Gezeigt wird der Livestream der Kundgebung aus Hanau.
„Die Behörden haben in Hanau versagt“ – Wie sicher sind Menschen mit Migrationshintergrund in Hanau?
„Bist du wach?“, der Song von Azzi Memo und anderen Deutschrap-Giganten wie Kool Savas, Celo & Abdi, Veysel, Hanybal und weiteren Künstler*innen erschallte über den Platz am DSW21-Kundencenter an der Kampstraße. ___STEADY_PAYWALL___
Azzi Memo, selbst gebürtiger Hanauer, formierte insgesamt 18 Rapper*innen, teils aus dem Frankfurter oder Offenbacher Raum, unter dem Musikprojekt. In den 8 Minuten und 30 Sekunden brachten sie ihre Wut und Unverständlichkeit über den Fall in Hanau, Rechtsextremist*innen in Deutschland und den ihnen widerfahrenden Rassismus zum Ausdruck. Genau das gleiche wollten nun auch Menschen in Dortmund und ganz Deutschland tun.
Wie kann es sein, dass Tobias R. ungestört elf Menschen, einschließlich sich und seine Mutter, töten konnte? Warum wurde die Polizei nicht auf die Internetseite, die der Mörder zwei Wochen vor (!) der Tat online stellte, aufmerksam? Warum wurde die Tatwaffe nicht eingezogen? Fragen, auf die die Hinterbliebenen der Opfer ehrliche Antworten fordern. Damit aber nicht genug: Man soll aus der Tat lernen und sie nicht vergessen. Eine von der DIDF genannte Forderung ist eine unabhängige Beschwerdestelle für Polizeigewalt.
„Diese Politik ist für uns tödlich!“- DIDF-Jugend
Diese soll dazu beitragen, dass sich so eine faschistische Tat niemals wiederholt. Aber wie sicher ist das? Rechter, von Faschismus angetriebener, Terror liegt in Deutschland im Trend. Mit der AfD (sogenannte „Alternative für Deutschland“) ziehen aberhunderte Menschen mit rechten, faschistischen und nationalsozialistischen Ideologien in die Parlamente Deutschlands, die keine intelligenteren Vorschläge zu Wort bringen können als: Die Sonne verklagen, um den Klimawandel zu stoppen, wie Beatrix von Storch, stellvertretende Bundessprecherin der AfD, fabulierte?
Im Rahmen des „NSU 2.0“ werden Drohbriefe an deutsche Staatsbürger*innen mit Migrationshintergrund geschickt. Woher die Verfasser an die persönlichen Daten kommen? Unter anderem aus dem 1. Polizeirevier in der Frankfurter Innenstadt. Die Rechtsextremisten haben also zumindest Kontakte zur (Frankfurter) Polizei; Teile scheinen dort zumindest Sympathien zu hegen.
Wenn Politiker, wie NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), in Bezug auf den Tönnies-Skandal davon sprechen würden, dass die rumänischen Arbeiter*innen das Coronavirus mitgebracht hätten, sehe man, wie stark der Alltagsrassismus in Deutschland vertreten sei, so SOL. Bevor diese Probleme nicht verschwinden, bestehe die Gefahr einer Wiederholung.
„System change not climate change!“- Fridays for Future
FFF sieht das Problem auch im System. Unter dem Slogan „System change not climate change“ möchte man darauf hinweisen, dass man „nicht zur Normalität zurückkehren sollte“, wie es oft in den letzten Monaten hieß.
Denn diese Normalität schweigt über Fälle wie in Hanau oder Halle und schaut weg. Sie lässt es zu, dass Männer wie Tobias R. sich in Internetforen (beispielsweise Reddit) mit anderen „Incels“ (zu Deutsch: unfreiwillig im Zölibat) organisieren und schürt den Hass auf Menschen mit Migrationshintergrund und Frauen.
Aus einem Bericht der SZ im März 2020 ging hervor, dass „die Tatsache, jahrelang keine Freundin gefunden zu haben, ihn [den Täter – d.A.] zum Handeln überzeugt habe“, so das Feministische Kollektiv. Ferner verdeutlichte FFF, dass man als weiß dominierte, daher privilegierte Szene die eigenen Reihen vielfältiger gestalten möchte. Denn eine bessere Zukunft geht alle etwas an.
Zwei virale Videos binnen drei Tagen – Polizei Hamburg und Düsseldorf blamieren sich
Was muss passieren, um solche rechtsextremistisch getriebenen Taten zu verhindern? Hanau, Halle, NSU & (die Drohbriefe des) NSU 2.0, der Mord an Walter Lübcke, … die Liste ist lang. Die Polizeigewalt in Deutschland nimmt zu, bzw. sie wird nun öfter öffentlich durch Videomaterial, welches in den sozialen Medien (Twitter, Instagram und Co.) geteilt wird.
Erst am Dienstag, den 18. August 2020, machte sich die Polizei Hamburg auf Twitter lächerlich. Aufgrund eines viralen Videos, welches einen 15 jährigen (!) zeigt, der von acht (!) Polizist*innen eingeschüchtert und anschließend gewaltsam zu Boden gebracht wird, war die Polizei ein Statement schuldig. Was war der Grund? Er fuhr mit einem E-Scooter auf dem Gehweg. Auch bei einem Vorfall in Düsseldorf gingen Polizeibeamte brutal gegen einen ebenfalls 15-jährigen vor. Ein Beamter drückte dem Jugendlichen sein Knie in den Nacken, um ihn am Boden zu fixieren.
Es kommen Erinnerungen an die Ermordung von George Floyd aus den USA hoch. Zumal, weil im Hamburger Fall am Ort des Geschehens ein Graffiti-Tag zu George Floyd zu sehen ist. Die „BILD“ titelte hämisch „Boxer (15) verliert gegen acht Polizisten“, weil der Jugendliche wohl in einem Boxverein ist. All diese Vorfälle zeigen: Hanau ist kein Einzelfall.
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