Gemeinsames Engagement statt Misstrauen und Vorurteile – Stadtteil-Verschönerung soll Kulturen und Menschen binden

Hier laufen die Fäden zusammen: Zentrale des Werkhofs in Dortmund-Derne. Fotos (5): Thomas Engel

Menschen, die sich begegnen und zusammen arbeiten, um ein übergeordnetes Ziel zu erreichen, schlagen sich nicht gegenseitig die Köpfe ein. So lautet – pointiert interpretiert – der Grundgedanke einer Projektidee, die möglichst bald in den Dortmunder Stadtteilen Derne und Scharnhorst-Ost realisiert werden möchte. Förderung seitens des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vorausgesetzt, könnten in den nächsten drei Jahren Frauen jedweder Couleur gemeinsam und unter Mithilfe eines erfahrenen wie engagierten Teams daran gehen, den öffentlichen Raum für alle sichtbar zu verschönern: mit Pinsel, Phantasie und mehr, Kunstschaffen nicht ausgeschlossen. Auch die Bezirksvertretung Scharnhorst findet die Idee gut und hat jährlich bereits eine ordentliche Summe bewilligt.

Der Werkhof: Stadtteilorientierte Angebote für Jugendliche und Erwachsene in Dortmund-Derne

Förderturm der Zeche Gneisenau in Derne: mittlerweile ein Industriedenkmal Foto: Alex Völkel

Von Anfang an sei die gemeinnützige Einrichtung stadtteilorientiert unterwegs gewesen, sagt Werkhof-Standortleiterin Christina Groth. Die Zentrale des anerkannten Trägers im Bereich beruflicher Qualifizierung und Weiterbildung ist in dem alten Verwaltungsgebäude der Zeche Gneisenau untergebracht. Hier im Nordosten Dortmunds, in Derne, bietet sich dem Team der Mitarbeiter*innen eine für weite Teile der Nordstadt fast symptomatische Gebietskulisse. ___STEADY_PAYWALL___

Da ist ein Stadtteil, in dem der Strukturwandel weg von der Industriegesellschaft der Nachkriegsjahrzehnte zu Dienstleistungen und Technologie als Wertschöpfungsfaktoren bislang offenbar noch nicht wirklich angekommen ist. Wo die sozialen Folgen relativer Stagnation nicht zu übersehen sind; irgendwo müssen jene Menschen, die gesellschaftlichen Umwälzungen, dem vermeintlichen Fortschritt nicht so schnell folgen können oder wollen, ja bleiben.

Sichtbar wird es an einer eher unterentwickelten Infrastruktur, an Straßenzügen, gesäumt von Zechenhäuschen, wo trotz aller Bemühungen zuweilen die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Oder beim Blick auf Schlüsselkennwerte, die auf den Lebensstandard verweisen. Zwar liegt in Derne die Arbeitslosenquote nur anderthalb Prozent über dem Stadtdurchschnitt, doch das mittlere Einkommen fällt auffällige satte 25 Prozent dahinter zurück.

Bunte Melange unterschiedlichster Kulturen und Schicksale in einem Stadtteil (gerne) vereint

Der Stadtbezirk Scharnhorst im Nordosten Dortmunds. Quelle: Stadt Do / Statistikatlas 2019

Was die stadtteilbezogene Projektarbeit zudem nicht unbedingt erleichtert, aber auf der anderen Seite eben unübersehbare Chancen bietet: der Anteil jener unter den ca. 6.700 Bewohner*innen im zum Stadtbezirk Scharnhorst gehörenden Vorort, die einen Migrationshintergrund haben – ob mit oder ohne deutschen Pass – beträgt an die 45 Prozent. Die größte Gruppe bilden Türkeistämmige, einschließlich der aus dem Land geflohenen Kurd*innen.

Im Derner DRK-Übergangswohnheim für Flüchtlinge leben gegenwärtig vor allem Frauen aus afrikanischen Ländern, insbesondere aus Eritrea. Irgendwo müssen die verzweifelten Menschen, die vor Krieg und Elend fliehen, ja hin. Und sie landen – nicht nur in Dortmund – wieder „hier“, d.h. in strukturschwächeren „Ankunftsquartieren“, wie es sie in der Nordstadt zuhauf gibt.

Was einem in dem Vorort also begegnet ist ein buntes Gemisch an Kulturen und Lebensgeschichten, die wohl nicht immer gerade, häufig vermutlich tragisch verlaufen sind – eine besondere Herausforderung an die über den Werkhof vor Ort organisierte Sozialarbeit.

Potentielle Konflikte durch Heterogenität der Bevölkerungsstruktur und politische Reaktion

Werkhof-Akteure und Vertreter*innen der SPD beim Besuch vor Ort (v.l.:) Jasmin Melzner, Anja Kirsch, Karin Heiermann, Christina Groth, Rüdiger Schmidt, Herbert Niehage und Sabine Poschmann

Bemerkenswert ist: Trotz potentieller Konflikte durch Aufnahme neuer Bewohner*innen, hoher Fluktuationsraten und daher immerwährender Begegnungen mit „dem Fremden“, dem Neuen, Ungewohnten in Form von Menschen, die aus anderen Kulturräumen stammen, mit entsprechend anderen Verhaltensmustern – ein reaktionär-politischer Abwehrreflex dessen ist zwar spürbar, aber noch verhältnismäßig moderat. Und dies bei einer Bevölkerung, deren durchschnittliches Bildungsniveau wahrscheinlich unter dem der Reststadt liegt.

Zumindest mit Blick auf das Stimmverhalten bei den letzten Kommunalwahlen zeigt sich: die Demagogie gegen „die Anderen“, das Fremde greift nicht. 2014 schnitten die Neo-Nazi-Parteien in Dortmund, jene, die nach Herkunft selektieren wollen, NPD und Die Rechte, im Stadtbezirk Scharnhorst nur leicht überdurchschnittlich ab; die mindestens teils geistverwandte AfD erhielt im Stadtvergleich prozentual sogar weniger Stimmen.

Die SPD hingegen erreichte damals sogar zehn Prozent mehr an Stimmen gegenüber ihrem Ergebnis in der Gesamtstadt. Bei der Europawahl 2019 allerdings gab es aufseiten der Sozialdemokraten massive Verluste während die AfD hinzugewann. Das sollte zu denken geben, wo Stadtteilarbeit vor allem mit dem Motiv organisiert wird, Einstellungen von Toleranz, Anerkennung und Respekt zu fördern.

„Es wird beim Tun gelernt“ – ausgeprägte Verknüpfung von Theorie und Praxis

Lehrwerkstatt für Logistik in der Derner Zentrale

Das wiederum bringt den Werkhof auf den Plan. Gegründet wurde die Einrichtung 1983; ihre Geschichte ist Teil einer größeren: die der Bundesrepublik nach der Studentenbewegung und auch als Institutionalisierung der Neuen Sozialen Bewegungen zu verstehen. Die „weltanschaulichen“ Wurzeln des Werkhofs liegen in der Anthroposophie – und waren insofern nie ganz unumstritten.

Doch die Zeiten ideologisierter Grabenkämpfe sind längst vorüber. Wo anthroposophischen Konzepten heute noch eine Bedeutung zukommt, sind sie weitgehend akzeptiert. Beispielsweise die starke Verknüpfung von theoretischem mit praktischem Lernen wie Lehren in dem Haus in Dortmund-Derne. „Es wird beim Tun gelernt“, bringt Standortleiterin Christina Groth ein pädagogisches Schlüsselparadigma der Qualifizierungs- und Weiterbildungseinrichtung auf den Punkt.

Nach zwischenzeitlicher Insolvenz Anfang der Jahrhundertwende würden gegenwärtig in sieben Teilgesellschaften etwa 1.500 Leute pro Jahr bedient, bei einem Umsatz von 30 Millionen Euro, umschreibt die Standortleiterin die wirtschaftliche Größenordnung, in der sich das Wirken der gemeinnützigen Unternehmung bewegt.

Breit gefächertes Angebot eines gemeinnützigen Trägers für berufliche Qualifizierung

Rita Breker-Kremer ist Leiterin der Werkhof-Gärtnerei in Grevel und ist eine gefragte Fachfrau.
Rita Breker-Kremer, Leiterin der Werkhof-Gärtnerei in Grevel präsentiert, was sich sehen lassen kann. Foto: NSB-Archiv

Berufliche Orientierung für junge Leute, Berufsvorbereitung durch ein Werkstattjahr, Jugend- und Schulsozialarbeit, Beratung vom Übergang von der Schule in den Beruf; Förderzentrum für Erwachsene, Arbeitsplätze nach dem Teilhabechancengesetz, AGHs, Kurse zur Verringerung sprachlicher Defizite und vieles mehr – es ist ein breit aufgestelltes Angebot, mit dem der anerkannte Träger im Handlungsfeld beruflicher Qualifizierung und Weiterbildung, Integration auf dem Arbeitsmarkt und in die Gesellschaft mittlerweile unterwegs ist.

Dazu betreibt die Werkhof Projekt gGmbH am Scharnhorster Henningsweg seit einigen Jahren erfolgreich einen „FairKauf“-Markt. – Die Ursprünge des Engagement der gemeinnützigen Institution liegen eigentlich im Gemüseanbau. Bis heute wird er in der Werkhof-Gärtnerei am Standort Werzenkamp betrieben.

Ursprünglich Ausbildungsbetrieb für schwer vermittelbare Jugendliche aus dem Umfeld sozialer Brennpunkte, ist er seit einigen Jahren eher ein Zweckbetrieb, in dem etwa AGH-Kräfte oder noch schulpflichtige Jugendliche im Rahmen einer Schul-Ersatzmaßnahme beschäftigt sind, wenn sie in der Schule nicht zurecht kommen.

Projektfokus: „Teilhabe und Partizipation mit speziellem Fokus auf Mädchen und Frauen“

Die Chance, eine weitere Idee zu realisieren, hatte sich vor einiger Zeit ergeben: Für 2021 und die Folgejahre vergibt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Fördermittel für Projekte zur gesellschaftlichen und sozialen Integration von Migrant*innen.

Große Auswahl für den kleinen Geldbeutel gibt es im neuen Fairkauf-Hof in Scharnhorst. Foto: Joachim vom Brocke
Große Auswahl für den kleinen Geldbeutel gibt es im „Fairkauf-Hof“ in Scharnhorst. Foto: Joachim vom Brocke

Ein Themenschwerpunkt in der Reihe ist die „Teilhabe und Partizipation mit speziellem Fokus auf Mädchen und Frauen“.

Diese Fokussierung passt nun bestens zur Lage und Bedarfsstruktur vor Ort. Den Akteuren um den Werkhof ist klar: Viele Migrant*innen möchten sich zwar gerne in das gesellschaftlichen Leben einbringen, wüssten aber häufig nicht, wie dies bewerkstelligt werden könnte. „Hier bietet unser Projekt eine gute Plattform“, heißt es in der daraufhin entwickelten Konzeption, die beim BAMF eingereicht wurde.

Gestärkt werden soll die Gemeinschaft in den Sozialräumen Dortmund-Derne und Scharnhorst-Ost. Dort entstand zwischen 1965 und 1975 auf der „Grünen Wiese“ eine Großwohnsiedlung mit an die 5.000 Wohnungen, wo heute etwa 12.500 Menschen leben. Wie in so manchem Stadtteil der Nordstadt gilt auch hier: Es gibt auf der einen Seite sehr viel Engagement, während und gerade weil auf der anderen Seite das Potential für die erneute Entstehung eines sozialen Brennpunkts besteht, der Scharnhorst-Ost zweifelsfrei einmal war.

Zusammen die eigene Umwelt gestalten und aufwerten – Begegnungen als Schlüsselmoment

Auch heute leben in dem Stadtteil noch gut zweimal so viele Menschen von Transferleistungen (35,2 Prozent) relativ zum Durchschnitt in Dortmund (16,6 Prozent), Tendenz steigend: Ende 2018 gab es dort ein Mehr von drei Prozent an Leistungen zur sozialen Mindestsicherung im Vergleich zu 2013; In Derne und Altderne waren es zusammen zwei Prozent. Das heißt nichts anderes, als dass in diesen Stadtteilen immer mehr verarmte Menschen leben. Das Dortmunder Generationenprojekt „nordwärts“, mit dem dies nicht hätte sein sollen, lässt grüßen.

Leistungen der sozialen Mindestsicherung, Verteilung in Dortmund. Quelle: Statistikatlas 2019

Etwas über 40 Prozent der Einwohner*innen mit bundesrepublikanischem Pass haben in Scharnhorst-Ost einen Migrationshintergrund, 27 Prozent sind keine deutschen Staatsbürger*innen („Ausländer*innen), der Rest sind Deutsche ohne weiter ausgewiesene Migrationsgeschichte. Sie alle leben dort auf engem Raum zusammen.

Das anvisierte Projekt für die Einzugsgebiete Derne und Scharnhorst-Ost, über das in Kürze beim BAMF hinsichtlich seiner Förderungswürdigkeit befunden werden soll, zielt nun darauf ab, dass sich solche Menschen unterschiedlichster Kulturen begegnen, indem sie gemeinsam ihre Umwelt freundlicher, heller, ansprechender gestalten.

Das Gegeneinander, die Vorurteile, all das gäbe es nur ohne Begegnung, bedeutet die sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete Sabine Poschmann, die mit einigen Genoss*innen dem Werkhof einen Besuch abstattet. Aber, erklärt sie: es bräuchte einen Anschub. Das soll nun auf dem Wege des geplanten Vorhabens geschehen.

Gemeinsamer Einsatz für übergeordnete Ziele verbindet Menschen untereinander

Hier dreht sich alles um Farben. Die vorhandene Expertise wird in dem Projekt gefragt sein.

Über drei Jahre, so das beim BAMF eingereichte Konzept, sollen Frauen (einschließlich Mädchen ab dem Teenageralter) aus den Quartieren zusammengebracht werden, um gemeinsam Fassaden, Räume oder andere Objekte im öffentlichen Raum oder von gemeinnützigen Einrichtungen aufzuwerten, „Upcycling“ wird das heutzutage vielfach genannt: sie gestalterisch, künstlerisch zu verschönern, vor allem mit Farbe.

Es geht um gemeinsame Aufgaben und Verantwortung. Aus der Gruppenkonfliktforschung des letzten Jahrhunderts weiß die Sozialpsychologie seit langem, dass geteilte Ziele Menschen miteinander verbinden, vor allem, wenn sie nur gemeinsam erreicht werden können. Die Anstrengung, Seite an Seite, schweißt zusammen, schafft positive Erfahrungen, Vertrauen, lehrt respektvollen Umgang miteinander.

Fachliches Know-How soll aus den Maler- und Lackiererwerkstätten der Einrichtung für das Projekt beigesteuert werden; gesondert finden zudem mehrere Handwerksworkshops statt. Ein weiteres Standbein des Vorhabens: Angebote, die den Aufbau persönlicher Kontakte erleichtern, denn darum geht es letztendlich. Es ist naheliegend, dass sich dies am ehesten dort bewerkstelligen lässt, wo Zusammentreffen weniger formell, vielmehr eher gesellig sind, daher gewöhnliche Hemmschwellen fürs zwischenmenschliche Miteinander sinken.

Bezirksvertretung Dortmund-Scharnhorst steuert auf Antrag der SPD jährlich 16.000 Euro bei

Die Projektskizze für das BAMF: jetzt heißt es Daumen drücken!

Was sich vielerorts ebenso bewährt hat, wie in Dortmund etwa im Café 103 in der Nähe des Borsigplatzes,  sind regelmäßige Gelegenheiten für kollektives Kochen, Essen, Trinken. Auch sollen immer wieder Akteure aus der Stadtgesellschaft eingeladen werden, vom Bezirksbürgermeister bis zum Polizeipräsidenten vielleicht. Um einander in einem lockeren, niederschwelligen Rahmen zu begegnen.

Weitere Aktionen sind geplant: Präsenz bei örtlichen Festen, in den Sozialen Medien, Ausstellungen von Arbeiten aus dem Kreis, schließlich Fahrten zu externen, überregionalen Zielen – mit dem Zweck politischer, kultureller Bildung. Beantragt worden ist dafür beim BAMF insgesamt eine Fördersumme von 210.000 Euro, verteilt über drei Jahre.

Voraussetzung für den Zuspruch von Fördermitteln ist übrigens die Übernahme eines Eigenanteils. Die Angelegenheit ist bereits in trockenen Tüchern: Auf Antrag der SPD-Fraktion hat die Bezirksvertretung Scharnhorst für die Projektlaufzeit jeweils einen Zuschuss von satten 16.000 Euro jährlich bewilligt. Fehlt nur noch ein positiver Bescheid aus dem Bundesamt und es kann losgehen.

Weitere Informationen:

  • Werkhof, Homepage; hier:
  • Werkhof Projekt gGmbH, Zentrale: Derner Str. 540, 44329 Dortmund, Tel.: 0231 87804-0
  • Werkhof-Gärtnerei, Homepage; hier:
  • Werkhof-Gärtnerei: Werzenkamp 30, 44329 Dortmund, Tel.: 0231 9961-268

 

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