Gedenkveranstaltung und Warnung zugleich: „Die Zunahme des Antisemitismus ist gefährlich“

Zum Jahrestag der Befreiung vom Konzentrationslager Auschwitz

Hunderte Menschen waren der Einladung der Stadt Dortmund gefolgt, so dass die vorgesehene Bestuhlung nicht ausreichte. Foto: Helmut Sommer für Nordstadtblogger.de

In Kooperation vom Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Mahn- und Gedenkstätte Steinwache, Volkshochschule, Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Auslandsgesellschaft.de und ADIRA fand am vergangenen Montag im Kunst- und Kulturmuseum das in Dortmund alljährliche Gedenken der Befreiung vom Konzentrationslager Auschwitz statt. In bewegenden Beiträgen verdeutlichten die Redner des Abends, wie furchtbar und gefährlich die gegenwärtige Zunahme des Antisemitismus ist. 

„Wir haben die Chance, mehr zu tun als nur zu gedenken!“

Es wurde still im Saal und ein Geigensolo erfüllte den Raum mit melancholisch-zarten Klängen, bevor Thomas Westphal, Oberbürgermeister von Dortmund, mit seiner Ansprache die zahlreichen Anwesenden begrüßte. Er erinnerte an die Ausstellung „Vergiss deinen Namen nicht – Die Kinder von Auschwitz“ im Jahr 2021, die auch ihn zutiefst berührt habe.

Oberbürgermeister Thomas Westphal begrüßte die zahlreichen Anwesenden. Foto: Helmut Sommer für Nordstadtblogger.de

„Wenn man an das Schicksal von Kindern denkt, die jeden Tag von Elend, Tod und Mord umgeben sind, die damit aufwachsen, dann kann man sich kaum noch vorstellen, was das mit diesen Menschen macht.“

Er habe angesichts der Bilder und Berichte der Ausstellung noch besser verstanden, wie sehr das einstige Grauen bis in unsere Gegenwart hinein wirkt. Darum, so Westphal in seiner frei und eindringlich vorgetragenen Rede, ist das Gedenken für alle folgenden Generationen wichtig.

Durch die Terrortat der Hamas am 7. Oktober 2023 ist der Welt jene Entmenschlichung wieder vor Augen getreten, die vor einhundert Jahren von den Nazis ausging. In den Sozialen Medien wird das Narrativ von einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung wieder verbreitet und Verachtung geschürt. Dem müssen wir entgegentreten, denn: „Wir haben die Chance, mehr zu tun als nur zu gedenken!“

Zwi Rappoport ist der Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde in Dortmund. Foto: Helmut Sommer für Nordstadtblogger.de

Im Anschluss an Westphal sprach Zwi Rappoport. Als Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde in Dortmund begegnet ihm und seinen Glaubensschwestern und -brüdern alltäglich der zunehmende Antisemitismus.

Auch das christlich-jüdische Verhältnis ist wieder stark beeinträchtigt. Papst Franziskus hatte in der Weihnachtszeit im Vatikan eine Krippe aufstellen lassen, in der Jesus auf einem Palästinensertuch liegt. „Das“, so Rappoport, „ist eine Palästinensierung eines jüdischen Menschen, der seiner historischen Identität beraubt wurde.“

Wegen der vielen zivilen Opfer im Gazastreifen habe Papst Franziskus gefordert, dass überprüft werden möge, ob Israel einen Völkermord begehe. Zwi Rappoport brachte zum Ausdruck, dass der Papst damit eine rote Linie überschritten habe, zumal in den Verlautbarungen des Vatikan von den toten Palästinensern die Rede ist, nicht aber von der jüdischen Terroropfern des 7. Oktober. Der Kampf Israels richtet sich gegen den Terrorismus, hob Rappoport hervor, und betonte: „Jüdisches Leben ist seit der Shoah noch nie so gefährdet gewesen wie heute!“

Alltagsantisemitismus als Brückenideologie

Prof. Dr. Lars Rensmann, deutscher Politikwissenschaftler und Hochschullehrer, beschäftigt sich intensiv mit dem Antisemitismus. Seinen Hauptvortag des Abends begann er mit dem Hinweis darauf, dass in jüngster Zeit eine deutliche Zunahme antisemitischer Straftaten zu verzeichnen ist. Das Phänomen ist riesig. Tatsächlich sind aber nur 0,3 Prozent der Deutschen jüdischen Glaubens.

Den Hauptvortrag des Abends hielt Prof. Dr. Lars Rensmann, deutscher Politikwissenschaftler und Hochschullehrer. Foto: Helmut Sommer für Nordstadtblogger.de

Studien haben überdies ergeben, dass in allen Bevölkerungsgruppen ein „Alltagsantisemitismus“ zunimmt. Diese Entwicklung wird u.a. durch die prorussische Friedensbewegung genährt.

Antisemitismus, so Rensmann, zeigte sich insbesondere infolge der Corona-Pandemie als „Brückenideologie“, insofern die krudesten Verschwörungstheorien mit antisemitischen Sichtweisen verknüpft wurden. Fälschungen, wie die so genannten „Protokolle der Weisen von Zion“, machen wieder die Runde und erheischen Aufmerksamkeit. Das alles wirkt. So fordert in einer repräsentativen Umfrage mittlerweile jede:r Vierte gar die Abschaffung vom Zentralrat der Juden, weil der angeblich den gesellschaftlichen Frieden stört.

AfD, radikale Linke und islamischer Antisemitismus

Besonders in den Kreisen der AfD leben Narrative der Nationalsozialisten wieder auf. Man spricht Juden ab, ein eigenes Volk zu sein und bezweifelt offen die Legitimität des Staates Israel. Solche Thesen, die vor einhundert Jahren schon Adolf Hitler vertrat, werden heutzutage von AfD-Politiker:innen wieder aktiv verbreitet, ebenso antisemitische Codes wie „die Globalisten“ bzw. „die globalistischen Eliten“.

Die Betroffenheit der Anwesenden war zu spüren. Foto: Helmut Sommer für Nordstadtblogger.de

Björn Höcke beispielsweise meint nicht nur, dass die EU durch Georges Soros gelenkt wird, sondern bezeichnete die Gedenkkultur als „dämliche Bewältigungspolitik“, das Berliner Shoah-Mahnmal als „Denkmal der Schande“ und die Rede Richard von Weizsäckers zum „Tag der Befreiung“ als „Rede gegen das eigene Volk“.

Antisemitische Chiffren und Verschwörungstheorien finden sich in zahlreichen Verlautbarungen der AfD, die in einigen Bundesländern als gesichert rechtsextrem eingestuft wird. Nicht selten sind die Thesen der AfD, so Rensmann weiter, nahezu deckungsgleich mit denen der Nationalsozialisten des vergangenen Jahrhunderts.

Aber auch die radikale Linke geriert sich zunehmend antisemitisch. Es wird behauptet, dass Israel seit dem 7. Oktober an den Palästinensern einen Völkermord betreibt. Der Hass auf den jüdischen Staat und auf Menschen jüdischen Glaubens wird geschürt, so dass Menschen sich nicht mehr trauen, Zeichen des jüdischen Glaubens in der Öffentlichkeit zu tragen.

Selbst für Studierende, die sich zum jüdischen Glauben bekennen sind deutsche Hochschulen mittlerweile zu unsicheren Orten geworden. Der islamische Antisemitismus ist ein weltweites Phänomen. Die dschihadistische Unterstützung von Gewalt gegen Juden findet sich durch die Sozialen Medien vernetzt. Der TikTok-Algorithmus beispielsweise begünstigt die Hasspropaganda auch noch. 

Musiker:innen der Barockakademie leisteten drei musikalische Beiträge. Foto: Helmut Sommer für Nordstadtblogger.de

Am Ende seines Beitrags betonte Rensmann, dass der Gradmesser für den Antisemitismus zugleich derjenige für die Demokratie ist. Wohl wahr! Antisemitismus und das Einsickern nationalsozialistischer Narrative in den allgemeinen Diskurs, müssen jeden vernünftigen Menschen zur Wachsamkeit gemahnen. Denn: Nie wieder ist jetzt!

Hunderte Menschen waren der Einladung der Stadt Dortmund gefolgt, so dass die vorgesehene Bestuhlung nicht reichte und spontan mit Klappstühlen ergänzt werden musste. Musiker:innen der Barockakademie schufen mit drei musikalischen Beiträgen einen würdigen künstlerischen Rahmen. Und als man auseinanderging, war die Betroffenheit der Anwesenden zu spüren. Ebenso war klar, dass es in Dortmund keinen Platz für Antisemitismus und rechtsradikale Umtriebe geben darf!


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Reaktionen

  1. Mit Argumenten gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben einstehen – die VHS bietet außerdem viele Workshops und Vorträge zur Demokratiebildung an (PM)

    Seit dem 7. Oktober 2023, dem Tag der Hamas-Angriffe auf Israel, ist der Antisemitismus in Deutschland deutlich spürbar. Mit Argumenten gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben einzustehen, damit beschäftigt sich ein Workshop der VHS.

    Darf ich Jude sagen? Wie kann ich Antisemitismus erkennen? Wie kann ich Betroffenen von Antisemitismus begegnen? Das sind Fragen, die Seminarleiterin Natalia Kajzeroft direkt am Anfang hört. Die Unsicherheit wächst. Es ist wichtig, zunächst zu erkennen, wo sich antisemitische Äußerungen verbergen oder auch ganz offen geäußert werden, findet die Expertin. „Antisemitismus kann sich ganz vielfältig äußern, es ist das älteste Chamäleon und ändert sich nur äußerlich, es ist wie eine Software, die man nicht deinstalliert bekommt“, sagt Natalia Kajzer. Ihr geht es darum, zunächst ein Problembewusstsein zu schaffen.

    Antisemitismus ist wenigen bekannt

    Natalia Kajzer ist schon länger im Bildungssektor zum Thema unterwegs. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für Polizei und Verwaltung NRW im Projekt EMPATHIA³. Seit 2015 arbeitet sie im Bereich der antisemitismuskritischen Bildung für diverse Institutionen, jetzt leitet sie den Workshop „Mit Argumenten gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben“ in der Volkshochschule Dortmund. Und sie ist oft überrascht, wie wenig über Antisemitismus bekannt ist. Denn es ist kein neues Phänomen, „er war nach 1945 nie wirklich weg“, sagt sie.

    Die Teilnehmenden setzen sich nicht nur mit Antisemitismus auseinander. Jüdisches Leben in Deutschland ist ein großer Schwerpunkt des Workshops. „Ich gehe auch noch einmal besonders auf das jüdische Leben in NRW ein, schließlich ist die drittgrößte Gemeinde in Düsseldorf“, so Natalia Kajzer. Sie vermittelt Grundlagen, erzählt vom Leben und dem Glauben. „Viele gehen aus dem Workshop heraus und sagen: Ich habe eigentlich nicht viel über das Judentum gewusst“. Informationen sind für sie die Grundlage, sich aktiv gegen Antisemitismus einzusetzen.

    Der Workshop „Mit Argumenten gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben“ läuft kostenfrei in Kooperation mit der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit (Veranstaltung 25-51002) unter der Leitung von Natalia Kajzer in der VHS an der Kampstraße 47 am Mittwoch, 21. Mai, von 17 bis 19:15 Uhr.

    Was politisch Interessierte über Medien im Wahlkampf wissen sollten

    Die Volkshochschule bietet viele Veranstaltungen zur Demokratieschulung an. Dabei gibt es ganz unterschiedliche Themenschwerpunkte. Das ganze Programm gibt es online unter vhs-dortmund.de. Ein paar Beispiele:

    Der Vortrag des Publizistikwissenschaftler Thomas Roessing stellt knapp und leicht verständlich Forschungsergebnisse zur Rolle von Medien in deutschen Wahlkämpfen dar. Es geht um klassische journalistische Kommunikation genauso wie um Werbemittel wie Plakate und Werbespots, aber auch die Medienpräsenz von Parteien und Politiker*innen in traditionellen Massenmedien und im Internet. Die kostenfreie Veranstaltung (Nummer: 25-51108) von Thomas Roessing startet in der VHS in der Kampstraße 47 am Montag, 26. Mai, um 17.45 und dauert zwei Stunden.

    Die Geschichte der Demokratie

    In der Online-Veranstaltung von Malte Pattberg geht es um die Anfänge und die Entwicklung der Demokratie, die bis zur Antike zurückreicht. In der spannenden Entwicklung lassen sich immer wieder Lehren und Bezüge zu heutigen Demokratien finden. Die Veranstaltung (Nummer: 25-52035) von Malte Pattberg startet am Freitag, 11. Juli, online um 18 Uhr. Sie kostet acht Euro, bitte bis zum 10. Juli anmelden.

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