Die Dortmunder Arbeiterwohlfahrt hat in der Schleswiger Straße – unweit des Nordmarktes – zwei Häuser gekauft und saniert mit dem Ziel: gute Wohnungen für bezahlbare Mieten in der Nordstadt. Die Besonderheit: Motive an der Fassade erinnern an die Dortmunder Edelweißpiraten, die während der NS-Zeit Widerstand leisteten. An sie wurde jetzt mit einem Fest erinnert.
Künstler Günther Rückert und Grafikdesignerin Juliane Cordes sorgten für die Wandgestaltung
Die Motive auf den beiden Häusern stammen vom Dortmunder Künstler Günther Rückert und wurden von Grafikdesignerin Juliane Cordes für die Wandgestaltung umgesetzt.
„Die Arbeiterwohlfahrt vertritt die Werte Gleichheit, Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität und Toleranz. Wir wollen die Edelweißpiraten ehren und an ihren Mut und ihre Ideale von Freiheit und Gerechtigkeit erinnern“, machte die AWO-Vorsitzende Gerda Kieninger deutlich.
Deshalb gab es auch ein Fest: Musik, Infos und Literatur zu den Edelweißpiraten. Ihre Geschichte wurde jetzt vor dem Haus in der Nordstadt erzählt – und ist dort auch dauerhaft nachlesbar.
Lesung, Vortrag, Erinnerungen und Musik zum gedenken an die Edelweiß-Piraten
Cordes stellte die Schritte zur Umsetzung der Gestaltung vor, Journalist Oliver Volmerich las zwei Texte von Kurt Piehl – dem bekanntesten Dortmunder Edelweißpiraten.
Andreas Müller von der Geschichtswerkstatt sorgte für den historischen Rahmen und Inge Nieswandt erinnerte an ihren Bruder Walter Gebhardt, der ebenfalls Mitglied der Dortmunder Jugendgruppe war. Für den musikalischen Rahmen sorgte Claudia Rudeck.
Aktive des Interkulturellen Zentrums der AWO hatte zudem für die Verpflegung der Gäste gesorgt.
Die Schlacht am Nordmarkt (von Kurt Piehl)
„Räumt auf mit dem roten Mordgesindel!“ hetzte jemand auf der Straße. Die Stimme kam von links, von der Bornstraße her. Da hatten die Nazis wohl ihre Etappe. Den Kämpfern in der vordersten Linie war die Lust zum Schreien inzwischen vergangen. Sie hüpften wie besessen herum, um den gefährlichen und unappetitlichen Wurfgeschossen zu entgehen. Einige Leute hatten einfach ihre Nachtgeschirre durch die Fenster entleert.
Mittlerweile hatte auch Opa Vogt den 8. und letzten Blumentopf heruntergeschleudert . „Jetzt komm ich selbst und reiß euch den Arsch auf, drohte er. Ich sah den alten Mann plötzlich auf der Fensterbank knien. Er wollte sich wie ein Kamikazeflieger auf die Feinde stürzen. Meine Großmutter riss das Fenster auf und schrie: „Zurück, verrückter Kerl!“ Dann hielt sie sich die Augen zu, um das Unglück nicht mitansehen zu müssen. Oma Vogt hatte aber schon eingegriffen. Sie umschlang ihn mit beiden Armen und zog ihn energisch zurück. Solcher Gewalt war der alte Mann nicht mehr gewachsen. Murrend stellte er die Feindseligkeiten ein.
„Wenn der olle Knopp Nazis sieht, wird er jedesmal verrückt“. rief Oma Vogt erklärend über die Straße. „Da kann man aber nix bei machen. Gleich is‘ er wieder krank und ich hab die Last mit ihm“. Dann fügte sie bedauernd hinzu: „Und meine Blumen sind auch alle weg“. Die SA-Leute auf der Straße wurden von ihr gar nicht beachtet. Die waren Ungeziefer für sie – lästig und ekelhaft, aber nicht sonderlich interessant.
Opa Vogt war ein alter, kranker Mann. Seine Zukunft lag längst hinter ihm. Eigentlich lebte er nur noch, weil er das Sterben vergessen hatte. Aber heute war er ein Held, ein furchtloser Kämpfer, der sich ohne Zögern dem Feind entgegengestellt hatte. Die Niederlage der Nazis war auch sein Verdienst. Allerdings – noch war es nicht so weit.
Der Kampf auf der Straße war in eine neue Phase getreten. Er war härter geworden. Vereinzelt flogen noch Steine und Flaschen. Geschrien wurde gar nicht mehr, nur noch geschossen. Schreie verraten dem Gegner die eigene Position. Der Naziangriff war in der unteren Holsteinerstraße zum Stillstand gekommen. Die Angreifer suchten in den Hauseingängen Deckung. Dabei mussten sie damit rechnen, aus den Häusern der jeweils anderen Straßenseite“ beworfen oder beschossen zu werden. Das war keine Straßenkeilerei mehr, das war Krieg. Das war die schrecklichste Form des Krieges – der Straßen- und Häuserkampf. Und die Nazis saßen in der Falle.
Nach dem anfänglichen Überraschungserfolg der SA hatten sich die „Jungs aus dem Norden“ formiert. Ihre Verteidigungslinie war der Bahndamm an der Gronaustraße. Aus dieser günstigen Position konnten sie alle Angriffe zurückschlagen. Schusswaffen gab es auf beiden Seiten; nicht nur Faustfeuerwaffen, auch Karabiner – Mitbringsel aus dem (1.) Weltkrieg. SA-Leute, die sich zu weit vorgewagt hatten, saßen fest. Sobald sie angreifen oder fliehen wollten, gerieten sie in die Schusslinie.
Ob und wie weit sich auch die Schupo (Schutzpolizei) an dem Kampf beteiligte, ließ sich aus meiner eigenen strategischen Position“ nicht feststellen. Ich saß nämlich mit meiner Großmutter unter der Fensterbrüstung – in voller Deckung. Dort hatten wir Angst und sonst gar nichts.
„Neuen Arbeiterpresse“ von 15.07.1982 (?) die Geschichte über die „Schlacht am Nordmarkt“ am 16. Oktober 1932, die Kurt Piehl anlässlich eines Geschichtspreisausschreibens schrieb.
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